Wikingersiedlung von Füsing

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Karte der Wikingersiedlung bei Füsing, mit Schleisperrwerk und Margarethenwall

Die so genannte Wikingersiedlung von Füsing (dänisch Fysing) liegt in einem Ortsteil von Schaalby an der Schlei im nördlichen Schleswig-Holstein. Die Fundstelle Füsing ist eine große frühmittelalterliche/wikingerzeitliche Siedlung im Südwesten der Landschaft Angeln, Schleswig-Holstein. Die Stätte wurde im August 2003 durch Metalldetektoruntersuchungen des Archäologen Andres Dobat, Universität Aarhus (DK) entdeckt.

Die Fundstelle befindet sich am Ufer der Füsinger Au (alternativ Loiter Au) mit Blick auf den inneren Teil der Schlei Förde (Große- und Kleine Breite), östlich der heutigen Stadt Schleswig, der mittelalterlichen Nachfolgerstadt des wikingerzeitlichen Hedeby (Haithabu).

Die Siedlung Füsing bestand von etwa 700 n. Chr. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts. Ihre primäre Funktion war militärischer/defensiver und strategischer Natur. Als Garnisons- und Flottenstützpunkt im südlichen Grenzgebiet des frühen dänischen Königreichs stand Füsing in enger Verbindung mit der Befestigungsanlage des Danewerk. Als regionales Produktions- und Handelszentrum erfüllte Füsing möglicherweise auch eine Funktion als Umschlagplatz und Bindeglied von überregionalen und regionalen Handelsnetzen. Der Ort könnte identisch sein mit dem historischen Ort Sliesthorp, der in den Fränkischen Reichsannalen als Stützpunkt der ersten dänischen Könige im Grenzgebiet erwähnt findet.

Lage der Siedlung von Füsing gesehen von Nordosten mit der Siedlung in der vorderen Bildmitte, der Füsing Au unten rechts, dem Haddebyer Noord und dem Siedlungsareal von Hedeby oben links und der Stadt Schleswig oben im Zentrum.

Die topografische und strategische Lage von Füsing

Der Ort befand sich in einer topografisch und strategisch günstigen Lage, sowohl im Hinblick auf den Schiffsverkehr, militärische und strategische Aspekte als auch auf symbolische und repräsentative Eigenschaften.

Mit der Schlei-Förde lag der Ort direkt an einer der wichtigsten Wasserstraßen Skandinaviens. Die schmale Passage um die Halbinsel Reesholm südlich des Ortes ermöglichte es die Förde als Wasserstraße zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sperren. An drei Stellen von Wasser und/oder Sumpf umgeben befand sich die Siedlung in einer strategisch günstigen Position für den Fall eines militärischen Angriffs über Land.

Die erhöhte Lage des Ortes ermöglichte es, weite Teile der inneren Schlei zu überblicken (u. a. die Ost- und Westflanke des Danewerks, Hedeby und das mittelalterliche Schleswig). Von der Schlei-Förde aus (vom Deck eines Schiffes) wären die Siedlung und ihre Anlagen auch aus großer Entfernung sichtbar gewesen.

Situation während der Ausgrabung eines Langhauses in Füsing, 2010.

Archäologische Untersuchungen

Nach der Entdeckung im Jahr 2003 wurde der Fundort Füsing jährlich systematisch mit Metalldetektoren begangen. 2005 wurde eine geomagnetische Untersuchung durchgeführt, die den größten Teil der vermuteten Siedlungsfläche (85.000 m²) abdeckte.

Im Jahr 2010 ermöglichte eine Spende der dänischen Carlsberg-Stiftung die Durchführung erster Ausgrabungen. Diese wurden von Andres Dobat und der Universität Aarhus geleitet, und in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein und der Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen durchgeführt. In vier Kampagnen von 2010 bis 2014 wurden 12.700 m² (ca. 20 % der Siedlungsfläche) freigelegt.

Ein kompletter Datensatz der Untersuchungen in Füsing zwischen 2003 und 2014 ist abrufbar unter:https://museumsgis.dk/projekt/fusing/.

Die Siedlung und ihre Funktion

Ergebnis der Ausgrabungen in Füsing von 2010 bis 2014 mit den Ausgrabungsflächen und den lokalisierten Langhäusern und Grubenhäusern.

Die gesamte räumliche Ausdehnung der frühmittelalterlichen Siedlung von Füsing betrug zwischen 60.000 und 85.000 m². Bei den Ausgrabungen konnten 52 so genannte Grubenhäuser und 24 dreischiffige Langhäuser nachgewiesen werden.

Im 7. und 8. Jahrhundert diente Füsing vermutlich vor allem als saisonaler Versammlungsort mit verschiedenen Funktionen. Im 9. und 10. Jahrhundert entwickelt sich der Ort zu einer dauerhaften Siedlung. Der Großteil der Funde zeugt von handwerklichen Tätigkeiten, darunter spezialisierte Industrien wie Bronzeguss und möglicherweise auch Glasverarbeitung. Eiserne Nägel, Nieten und Nietplatten, die vor allem in geklinkerten Schiffen verwendet wurden, zeigen, dass die Reparatur oder sogar der Bau von Schiffen ein wichtiges Element war. Pfeilspitzen, Äxte oder Axtfragmente sowie ein einzelner eiserner Schwertknauf unterstreichen den kriegerischen Charakter des Fundplatzes. Ein militärischer Hintergrund ist auch bei mehreren Artefakten britischer Herkunft anzunehmen, die Beute von Raubzügen darstellen. Gewichte, Hacksilber, Münzen und Glasperlen deuten auf Handel und Warenaustausch hin.

Die Gründung und das Ende von Füsing

Die frühmittelalterliche Siedlung wurde irgendwann in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts, spätestens aber um 700 n. Chr. gegründet. Alle verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass die frühmittelalterliche Siedlung Füsing irgendwann um das Jahr 1000 n. Chr. aufgegeben oder in das Gebiet des mittelalterlichen und heutigen Schleswig verlagert wurde.

Metallfunde unterschiedlicher Zeitstellung, darunter ein Kistenbeschlagteil im Mammenstil des 10. Jahrhunderts, das Fragment eines Mähnenstuhlbeschlags, ein Trimisses (Münze), ein Armring sowie karolingische Beschlagteile.

Die Bewohner von Füsing

Funde und architektonische Überreste zeigen, dass der Ort und die meisten seiner Bewohner in einen skandinavischen Kulturkontext eingebettet waren. Vor allem eine kleine Gruppe hochrangiger Funde karolingischer Herkunft sowie skandinavische Metallarbeiten und gläserne Trinkgefäße lassen sich mit den oberen sozialen Schichten der wikingerzeitlichen Gesellschaft und einer aristokratischen Elite verbinden. Gleichzeitig kennzeichnete den Ort eine soziale Vielfalt aus, wobei die Bewohner sowohl einen ständigen Haushalt als vermutlich auch eine wechselnde Zahl von Besuchern umfassten. Bei letzteren ist von einer bedeutenden Anzahl von Kriegern/Streitkräften auszugehen. Mehrere Fibeln kontinentalen/friesischen Typs deuten auf die Anwesenheit von Besuchern westeuropäischer Herkunft hin, zumindest in der Frühphase des Fundplatzes.

Die Zahl der Bewohner schwankte wahrscheinlich beträchtlich, wobei zu besonderen Anlässen (Markt, religiöse/politische Versammlungen, königliche Anwesenheit usw.) und in Situationen akuter militärischer Bedrohung ein hohes Maß an Aktivität herrschte.

Kultische Deponierungen

Eine Gruppe von mit Steinen gefüllter Grubenbefunde mit einer zentralen Grube, in der ein Axtkopf zusammen mit einem großen Eisenmesser deponiert worden war (2010-OA58), steht möglicherweise im Zusammenhang mit der Opfertötung und dem Schlachten von Tieren. Die Deponierung von Schlachtabfällen und Waffen ist ein charakteristisches Merkmal von Elitenresidenzen in ganz Skandinavien. Es ist daher möglich, dass die Grubenbefunde in Füsing auf Tieropfer und kultische/religiöse Festmahle zurückzuführen sind.

Das große Langhaus

Den höchsten Punkt des Siedlungsplateaus dominierte während des 10. Jahrhunderts ein außergewöhnlich großes Langhaus (2011-OA123). Errichtet in zwei aufeinanderfolgenden Fasen, von denen die erste durch einen Brand zerstört wurde, und einer maximalen Länge von 30 m ist das Haus das bislang größte Bauwerk der Siedlung. In einem der beiden Eingangspfeiler wurden bei den Ausgrabungen eine panzerbrechende Pfeilspitze sowie eine so genannte Fußfalle oder Krähenfuß aus Eisen gefunden. Beides deutet auf einen gewaltsamen Konflikt in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts hin, in dessen Zuge das Haus abgebrannt worden war.

Typische Glasfunde (Perlen. Gefäßfragmente und Rohglas), wie sie in Füsing primär in den Füllschichten von Grubenhäusern gefunden wurden (Ausgrabungen von 2010 bis 2014).

Füsing als regionaler Warenumschlagplatz

Die Gründung von Füsing korrespondiert zeitlich mit den frühesten Hinweisen auf eine Siedlungstätigkeit um das Haddebyer Noor (Südsiedlung) ca 6000 meter südwestlich von Füsing. Während des 9. und 10. Jahrhunderts existierte Füsing gleichzeitig mit dem internationalen Handelsknotenpunkt Hedeby. Das nahe Nebeneinander von Füsing und Hedeby als Stätten von Produktion und Warenaustausch bis um etwa 1000 n. Chr. kann als Ausdruck einer funktionalen Trennung verstanden werden. Während Hedeby in erster Linie auf den Kontinent und den internationalen Handel ausgerichtet war, scheint Füsing tief in einem traditionellen skandinavischen Kontext verwurzelt gewesen zu sein und sich auf sein regionales Hinterland konzentriert zu haben. Der Fluss Füsing stellte einen Binnenverkehrsweg dar, der es zumindest kleineren Booten ermöglichte, weiter in das terrestrische Hinterland des Ortes (die Landschaft Angeln) vorzudringen. Dies machte Füsing zu einem idealen Punkt für die lokale und regionale Umverteilung von Waren.

Füsing als Sitz eines königlichen Vertreters?

Wie die Elitenresidenzen Adelsö/Hovgården in Birka oder Skiringssal/Husby in Kaupang könnte Füsing als Sitz eines königlichen Vertreters, eines Verwalters oder Jarls gedient haben. Nicht zuletzt die Erwähnung eines königlichen Vertreters namens Hovi (comes praefati vici) in der Vita Ansgarii (Leben Ansgars, 104) aus dem 9. Jahrhundert lässt vermuten, dass ein solcher Ort im Hinterland von Hedeby existierte.

Füsing, Reesholm und die Danevirke

Die Gründung von Füsing um 700 n. Chr. entspricht den frühen Bauphasen der Befestigungsanlage des Danewerks. Die Etablierung und Frühphase des Platzes stehen im Zusammenhang mit der Errichtung des Schlei-Seesperrwerks vor Reesholm, welches um 737 n. Chr. als zentraler Mittelteil des gesamten Verteidigungssystems errichtet wurde.[1]

Gelegen im Zentrum des Danevirke-Systems könnte Füsing eine Schlüsselrolle als strategischer Knotenpunkt und Garnison, auch und gerade für Seestreitkräfte, gespielt haben.

Die Existenz eines Militärstützpunkts im Hinterland des Danewerks geht indirekt aus den Fränkischen Annalen hervor. Für das Jahr 817 nennen diese einen gewissen Gluomi als dänischen Grenzwächter (custos Nordmannici limitis). Es ist möglich, dass dieser Gluomi einer der Herren war, die im frühen 9. Jahrhundert in Füsing residierten.

Füsing und das historische Sliesthorp

Füsing könnte mit dem historischen Ort Sliesthorp identisch sein. Dieser wird in den fränkischen Annalen für die Jahre 804 und 808 n. Chr. als Stützpunkt des Dänenkönigs Godfred erwähnt; für das Jahr 804 as locum qui dicitur Sliesthorp und 808 als ad portum, qui Sliesthorp dicitur (the place/harbour which is called Sliesthorp). Die Erwähnung fällt im Zusammenhang mit dem Bau (reel vermutlich Wiederaufbau) des Danewerks und der gezielten Innitierung und Förderung des Handelszentrums Hedeby im Jahre 808 n. Chr.

Füsing und Schleswig

Das Ende der Siedlungstätigkeiten in Füsing um 1000 n. Chr. korrespondiert mit dem vermuteten Beginn Schleswigs als königliches und kirchliches Zentrum am Nordufer der inneren Schlei. Mit der Etablierung Schleswigs könnte Füsing seine funktionale Daseinsberechtigung verloren haben

Literatur

  • Andres Siegfried Dobat: Der Neufund eines wikingerzeitlichen Krummsielbeschlagfragments aus dem Landesteil Schleswig. In: Archäologisches Korrespondenzblatt. Band 34, 2004, S. 277–292.
  • Andres Siegfried Dobat: Füsing: Eine jüngereisenzeitliche Siedlung im Umfeld von Hedeby/Schleswig. Vorläufiger Bericht über die Ergebnisse der Prospektionen 2003-05. In: Forschungen zu Haithabu und Füsing. Die Ausgrabungen in Haithabu. Band 16. Wachholtz Verlag, Neumünster 2010.
  • Andres S. Dobat, Amanda Ellermann Trans. Karl Hjalte Maack Raun: Zwischen Haithabu, Danewerk und Schleswig – Die Wikingersiedlung Füsing. In: Archäologische Nachrichten aus Schleswig-Holstein. 2011, ISBN 978-3-529-01433-8, S. 88.
  • Andres Siegfried Dobat: From Torksey to Füsing and Hedeby: gambling warriors on the move? In: B.V. Eriksen et al. (Hrsg.): Interaktion ohne Grenzen: Beispiele archäologischer Forschungen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Neumünster: Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen 2017, S. 597–606.
  • Andres Siegfried Dobat: Finding Sliesthorp? The Viking Age settlement at Füsing. In: Danish Journal of Archaeology 2022. 2022 (tidsskrift.dk [abgerufen am 10. Mai 2022]).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Auer, J. and Nakoinz, O., 2017. Archaeology in Murky Waters: recent investigations of an 8th century structure in the Schlei, Northern Germany. A submerged structure in the Schlei: preliminary report. In: J. Litwin (ed.). Baltic and beyond. Change and continuity in shipbuilding. Gdańsk: The National Maritime Museum, 89–94.

Koordinaten: 54° 31′ 48,2″ N, 9° 38′ 11,9″ O