Zollkonflikt zwischen Serbien und Kosovo
Als Zollkonflikt zwischen Serbien und Kosovo werden die Ereignisse um Importverbote zwischen diesen Ländern bezeichnet. Serbien hatte den Import von Waren aus dem Kosovo verboten, weil es die Zollstempel des Landes – wie generell seine Eigenstaatlichkeit – nicht anerkennt. Der Kosovo reagierte im Gegenzug mit einem Importverbot serbischer Waren. Als die Regierung des Kosovos das Verbot mithilfe von Polizeitruppen durchsetzen wollte, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen, die intensive Verhandlungen auslösten.
Verlauf
Eskalation
In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 2011 sollten kosovarische Sonderpolizeitruppen den Kontrollpunkt im Auftrag der Regierung des Kosovo besetzen, um die „gesetzliche Ordnung“ wiederherzustellen. Einzig am Grenzübergang Jarinje setzten kontrollierende Serben das Grenzverbot jedoch nicht durch und ließen weiterhin serbische Waren in den Kosovo passieren. Die daraufhin entsandte kosovarische Sonderpolizeieinheit wurde von Serben, die offensichtlich vorgewarnt worden waren, mit Straßensperren auf der Straße Prishtina-Kraljevo-Belgrad aufgehalten. Es kam zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf ein Polizist der Sondereinheit ums Leben kam. Einheiten der internationalen Schutztruppe KFOR sicherten daraufhin die Grenzübergänge. Im Norden des Kosovo zogen Soldaten auf, um eine Eskalation der Gewalt zu vermeiden.[1]
Es folgten Verhandlungen zwischen den Parteien, die nach Angaben der KFOR mit einer Einigung endeten, die drei Punkte umfasste:[1]
- Rückkehr der Sonderpolizei in den Nordkosovo
- Auflösung aller Straßensperren
- Der Zollposten Jarinje wird von serbischen und albanischen Kosovo-Polizisten betrieben.
Am Abend des 27. Juli 2011 stürmten ungefähr 50 maskierte Serben, die das Verhandlungsergebnis ablehnten, den Grenzübergang Jarinje und legten Feuer. Etwa 25 Zollbeamte und Polizisten, darunter auch Vertreter von EULEX, flüchteten nach Serbien. Die Angreifer attackierten auch einen KFOR-Posten in der Umgebung. Es wurden Schüsse auf NATO-Soldaten am Grenzposten und auf einen ihrer Hubschrauber abgegeben.[1]
Der kosovarische Regierungschef Hashim Thaçi (PDK) beschuldigte noch am gleichen Tag die serbische Regierung, die gewaltsamen Ausschreitungen angeordnet zu haben. KFOR verlegte Einheiten in die Region und übernahm die Kontrolle über den gesamten Nordkosovo.[2][3] Der serbische Regierungschef Boris Tadić (DS) rief die Bevölkerung zur Ruhe auf und betonte, dass die Gewalt den Interessen Serbiens schaden werde. Er bezeichnete die Angreifer als „Hooligans“.[1] Serbien stellte außerdem einen Antrag an den UN-Sicherheitsrat, der die Übernahme der Zollstationen durch die kosovarische Polizei verurteilen soll.
Der Versuch der KFOR, die serbischen Straßenblockaden aufzulösen, wurde am 29. Juli 2011 auf Befehl des KFOR-Kommandeurs Erhard Bühler abgebrochen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern.[4] Erst in den folgenden Tagen konnten vereinzelte Straßensperren geräumt werden.[5] Angesichts der Situation in Nordkosovo forderte KFOR eine Verstärkung der Schutztruppe an. Am 2. August 2011 gaben die Verteidigungsministerien von Deutschland und Österreich bekannt, dass ein Reservebataillon der Operational Reserve Force (ORF) mit rund 550 Soldaten aus Deutschland und 150 Soldaten aus Österreich entsandt werden soll.[6]
Verhandlungen
Am 24. Februar 2012 gab die Sprecherin der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, bekannt, dass sich Serbien und der Kosovo über Modalitäten zum künftigen Auftreten des Kosovo geeinigt hätten. Demnach kann der Kosovo unter dem Namen Kosovo an bilateralen Verhandlungen teilnehmen, ohne dass Serbien damit dessen Unabhängigkeit akzeptiert. Außerdem sollen die Grenzposten zukünftig gemeinsam verwaltet werden.[7]
Am 4. April gab die KFOR bekannt, dass sie den Befehl bekommen habe, die alternativen Straßen bei den Grenzübergängen Brnjak und Jarinje zu sperren um den illegalen Grenzverkehr zu stoppen.[8]
Am 1. Juni kam es bei der Räumung einer Barrikade in Rudari i Madh bzw. Rudari i Vogël, wenige Kilometer nördlich von Mitrovica, zu einem Schusswechsel zwischen KFOR-Soldaten und Demonstranten. Dabei wurden zwei Bundeswehrsoldaten und drei Serben verletzt. Die Barrikade wurde im Juli 2011 errichtet.[9]
Erste Einigungen
In der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 2012 gab Catherine Ashton bekannt, dass sich Ivica Dačić und Hashim Thaçi in der dritten Gesprächsrunde auf gemeinsame Grenzposten geeinigt haben. Die Grenzübergänge Končulj, Merdare, Jarinje und Brnjak sollten bis Jahresende gemeinsam von der serbischen, der kosovarischen Polizei und Eulex verwaltet werden. In Jarinje und Merdare sollten die gemeinsamen Kontrollen schon am 10. Dezember starten.[10]
Zusätzlich wurden folgende Punkte vereinbart[10]:
- Auf den Grenzposten stehen keinerlei hoheitliche Symbole.
- Bestimmte Waren sollen zollfrei aus Serbien in den Kosovo eingeführt werden.
- Es gibt keine Pflicht kosovarische Autokennzeichen zu verwenden.
- Serbien verpflichtet sich, eine komplette Aufstellung der Finanzierung der serbischen Parallelstrukturen im Kosovo zur Verfügung zu stellen.
- Kontaktbüros ohne diplomatischen Status im Rahmen der EU-Delegationen in Belgrad und Prishtina werden eingerichtet.
- Eine multiethnische Polizeieinheit im Kosovo, die für den Schutz von serbisch-orthodoxen Kulturdenkmälern und Kirchen zuständig ist, wird aufgestellt.
Seit dem 2. Dezember protestierte eine Gruppe von Serben am Grenzübergang Jarinje gegen die „Einführung der Grenze zum Mutterland“.[10]
In der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 2013 einigten sich Dačić und Thaçi auf eine Regelung zum vorläufigen Umgang mit Zollgebühren, Abgaben und Mehrwertsteuern. Demnach soll die EU einen Entwicklungsfonds für die Verwaltung der Gelder anlegen. Diese sollen für die Großgemeinden Leposavić, Zvečan, Zubin Potok und Kosovska Mitrovica im Nordkosovo ausgegeben werden.[11][12]
Treffen im April 2013
Ivica Dačić und Hashim Thaçi trafen sich am 1. April 2013 abermals zu Verhandlungen. Tags zuvor blockierten Demonstranten abermals den Grenzübergang Jarinje. Sie wollten damit Serbien von zu großen Kompromissen abhalten.[13]
Einigung Ende April
In einer weiteren Verhandlungsrunde (der zehnten) in der Woche von 15. April bis 21. April 2013 einigten sich die Konfliktparteien auf ein 15 Punkte umfassendes Abkommen:[14]
- Serbien erkennt zwar nicht die Unabhängigkeit des Kosovo an, es räumt der kosovarischen Regierung aber die Zuständigkeit über das beanspruchte Territorium ein.[14]
- Nord-Mitrovica, Zvečan, Zubin Potok und Leposavić erhalten einen hohen Grad an Eigenständigkeit.[14]
- Die Gebiete nördlich des Flusses Ibar sollen sich als Gemeinschaft mit eigenem Präsidenten und eigener Versammlung sowie einer Repräsentation auch auf zentraler Ebene organisieren können. Diese Organisation soll für wirtschaftlichen Entwicklung, Erziehung, Gesundheitswesen und Raumplanung zuständig sein.[14]
- Im Kosovo soll nur noch eine einzige Polizeiorganisation existieren. Die bisher in einer parallelen Sicherheitsstruktur angestellten Serben soll der Dienst in einer kosovarischen Einheit angeboten werden. Die lokalen Polizeikommandanten müssen ethnische Serben sein. Sie werden von den Bürgermeistern in Nordkosovo vorgeschlagen und von der kosovarischen Regierung ernannt.[14]
- Auch in der Justiz soll nur mehr eine Struktur existieren. Das Berufungsgericht in Pristina soll einen eigenen serbisch-kosovarischen Ausschuss erhalten.[14]
- Der Kosovo darf um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union ansuchen.[14]
Nach den Verhandlungen sprach sich die EU-Kommission für die Aufnahme von Betritrittsverhandlungen mit Serbien und dem Start von Verhandlungen zu einem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen des Kosovo aus und bezog sich dabei explizit auf die Einigung.[15]
Ratifizierungen
Nach der Einigung erhielten der serbische Premier und sein Vize, Ivica Dačić und Aleksandar Vučić, Morddrohungen. Die Partei Srpska Radikalna Stranka ließ Flugblätter mit der Telefonnummer von Vučić verteilen.[16]
Am 22. April stimmte das kosovarische Parlament mit 89 gegen 5 Stimmen für das Abkommen. Auch das serbische Kabinett stimmte am selben Tag zu und in den folgenden Tagen musste auch das serbische Parlament zustimmen. Vertreter der Kosovo-Serben verlangten demgegenüber bei einer Versammlung in Zvečan die Abhaltung einer Volksabstimmung, da der Vertrag die serbische Verfassung verletze, weil er einen Teil des Territoriums aufgebe.[17]
Die Gemeinderäte der vier betroffenen nordkosovarischen Gemeinden Nord-Mitrovica, Leposavic, Zvecan und Zubin Potok beschlossen am 8. Mai einen gemeinsamen Brief an Russland zu senden, in dem für die Nordkosovo-Serben und die „Behörden in Belgrad“ Hilfe gegen die „einseitigen Aktionen Washingtons, Brüssels und Pristina“ erbeten wurde. Es sollte die „Verfassungsordnung der Republik Serbien im Kosovo“ beschützt werden. Außerdem einigten sich die Gemeinderäte auf die Anrufung des serbischen Verfassungsgerichts.[18]
Wenige Stunden vor Ablauf eines Ulitmatums der EU stimmte das serbische Kabinett am 26. Mai dem Abkommen endgültig zu.[19] Tags zuvor forderte der stellvertretende serbische Regierungschef Aleksandar Vučić aber noch Nachverhandlungen.[20]
Bei der Ratifizierung des Normalisierungsabkommens durch das kosovarische Parlament am 27. Juni 2013 blockierten etwa 300 Anhänger der Vetëvendosje!-Partei das Gebäude. Sie wollten damit gegen das Abkommen protestieren, dass sie als Verrat an den nationalen Interessen ansehen. Die Polizei setzte Tränengas ein und die Demonstranten warfen mit Farbbeutel.[21] 17 Polizisten wurden verletzt und es gab mindestens 68 Festnahmen. Die Abgeordneten beschlossen trotzdem mit 84 von 110 Stimmen das Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen des Landes mit Serbien.[22]
Kommunalwahlen
Am 3. November 2013 fanden erstmals Wahlen – wie im April beschlossen – statt. Im Vorfeld kam es zu verschiedenen Gewalttaten wie Bombenanschläge und Attacken gegen Personen, welche die Abhaltung der Wahlen unterstützen. Ein Zöllner der Eulex wurde erschossen. Adrijana Hodžić, Bürgermeisterkandidat in Nordmitrovica, vermutete Schmuggler hinter den Angriffen. Die Demokratische Partei Serbiens rief zu einem Wahlboykott auf.[23]
Am Tag der Wahl hatten Vermummte in Mitrovica Wahllokale überfallen, Wähler verprügelt und Wahlurnen demoliert. Außerdem warfen sie Tränengas auf Wartende und ein Sprengsatz wurde gefunden.[24] Durch die Angriffe mussten die Wahllokale früher als geplant schließen. Die KFOR teilte mit, dass sie in Mitrovica und Zvecan eingegriffen habe. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Wahl mitorganisiert hatte, zog Dutzende Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen ab und nahm die Wahlurnen mit.[25]
Am 4. November, einen Tag nach der Wahl, gab die Zentrale Wahlkommission bekannt, dass sie nicht in der Lage sei vorläufige Ergebnisse zu veröffentlichen. Trotzdem verkündete sie, dass zehn kosovarische Gemeinden einen neuen Bürgermeister gewählt hatten. In 25 Gemeinden soll es am 1. Dezember eine Stichwahl geben.[25] Die OSZE gab die Wahlbeteiligung zwischen 11 und maximal 22 Prozent an.[24]
Siehe auch
- United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK)
- Internationale Anerkennung des Kosovo
Weblinks
- Michael Martens: Aus eins mach keins. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 29. September 2011, abgerufen am 29. September 2011 (Analyse der strategischen Interessen der Konfliktparteien).
- „Nordkosovo ist ein Schandfleck für ganz Europa“. Der kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaci über die Spannungen im Norden und die Wahrheitssuche nach dem Marty-Bericht. In: Neue Zürcher Zeitung. 27. Oktober 2011, abgerufen am 27. Oktober 2011.
- Andrej Invanji: „Der Dialog geht bald weiter“. Barrikaden im Nordkosovo. In: die tageszeitung. 3. November 2011, abgerufen am 3. November 2011 (Der Chefunterhändler der serbischen Regierung in Belgrad, Borko Stefanovic, über die Bedingungen zur Rückkehr an den Verhandlungstisch.).
- Joint statement of High Representative/Vice President Catherine Ashton and Commissioner Štefan Füle on the agreements reached in the latest round of Belgrade-Pristina dialogue. In: Webseite der EU. 24. Februar 2012, abgerufen am 24. Februar 2012 (englisch).
- Ann-Dorit Boy: Normal ist das noch nicht. Kosovo-Serbien-Abkommen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27. Juni 2013, abgerufen am 27. Juni 2013 (Stimmungsbild aus Mitrovica nach der Einigung im April 2013).
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Ein Stempel und ein Toter. In: Neue Zürcher Zeitung. 28. Juli 2011, abgerufen am 28. Juli 2011.
- ↑ Zündeln im Kosovo. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. Juli 2011, abgerufen am 28. Juli 2011.
- ↑ KFOR übernimmt verwüsteten Grenzposten. In: ORF. 28. Juli 2011, abgerufen am 28. Juli 2011.
- ↑ Serbische Blockade zwingt Nato-Soldaten zum Umkehren. In: Tages-Anzeiger. 30. Juli 2011, abgerufen am 2. August 2011.
- ↑ Schweizer Soldaten räumen Strassenblockaden im Kosovo. In: Tages-Anzeiger. 1. August 2011, abgerufen am 2. August 2011.
- ↑ Bundesheer entsendet 150 Soldaten in den Kosovo. In: Die Presse. 2. August 2011, abgerufen am 2. August 2011.
- ↑ Serbien und Kosovo finden Kompromiss. In: Neue Zürcher Zeitung. 24. Februar 2012, abgerufen am 24. Februar 2012.
- ↑ Nato schließt grüne Grenze. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 4. April 2012, abgerufen am 5. April 2012.
- ↑ Zwei deutsche Soldaten verwundet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Abgerufen am 1. Juni 2012.
- ↑ a b c Grenzstreit beigelegt
- ↑ Serbien und Kosovo einigen sich auf Zollregelung
- ↑ Belgrad und Prishtina erzielen Kompromiss über Grenzabgaben
- ↑ Neuer Anlauf zur Lösung der Kosovo-Krise
- ↑ a b c d e f g Belgrad und Pristina blicken nach vorn
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- ↑ Spannungen vor historischer Kosovo-Wahl
- ↑ a b Debakel in Kosovo
- ↑ a b Überfall auf Wahllokale