Ökonomische Bildung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ökonomische Bildung wird verstanden als die Gesamtheit aller pädagogischen Bemühungen in allgemeinbildenden Schulen, Kinder und Jugendliche mit solchen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltensbereitschaften und Einstellungen auszustatten, die sie befähigen, sich mit den ökonomischen Bedingungen ihrer Existenz und deren sozialen, politischen, rechtlichen, technischen, ökologischen und ethischen Dimensionen auf privater, betrieblicher, volkswirtschaftlicher und weltwirtschaftlicher Ebene auseinanderzusetzen.[1] Als Bildung für alle hat sie aufklärenden und emanzipatorischen Charakter und dient dazu, den Einzelnen zu befähigen, seine individuellen und kollektiven ökonomischen Lebenssituationen kompetent und verantwortlich zu gestalten.

Sie stellt also einen Teil der Allgemeinbildung dar und erfasst alle Dimensionen wirtschaftlichen Handelns unserer Gesellschaft, wie etwa die betriebliche, volkswirtschaftliche oder weltwirtschaftliche Ebene, aber auch die ökonomischen Elemente privater Lebenssituationen.[2] In Österreich ist sie im Unterrichtsgegenstand Geographie und Wirtschaftskunde integriert. Seit den 1970er Jahren wird an didaktischen Konzeptionen und Methoden für die ökonomische Allgemeinbildung gearbeitet. Die Didaktik der ökonomischen Bildung (Wirtschaftsdidaktik) hat sich seither neben anderen Fachdidaktiken etabliert.

Schwerpunkte

Die ökonomische Bildung wendet sich allen Belangen wirtschaftlicher Tätigkeit in der Gesellschaft zu. In den Schulen dienen je nach Bundesland und Schulform unterschiedliche Fächer als Ankerfächer für die ökonomische Bildung, z. B. Wirtschaft, Politik/Wirtschaft, Sozialkunde oder auch Arbeitslehre.[3] Inhalte der Curricula in den einschlägigen Schulfächern umfassen etwa Unternehmen als soziale und ökonomische Akteure, die privaten Haushalte und ihre Stellung im Wirtschaftssystem, die Funktionen des Staates in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, Internationalisierung und Globalisierung sowie die Institutionen und Regeln von Wirtschaftsordnungen.[4]

Die ökonomische Bildung trägt zudem zur Berufsorientierung bei und zielt vor allem darauf, die Berufswahl- und Ausbildungsreife der Jugendlichen zu fördern. Es geht insbesondere um die Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler und darum, den Prozesscharakter der Berufsorientierung als lebensbegleitende Aufgabe zu sehen.[5] Zunehmend gilt Berufsorientierung als Aufgabe aller Fächer bzw. der ganzen Schule, andere Ansätze plädieren für einen eigenständigen Berufswahlunterricht, z. B. im Rahmen der Arbeitslehre.[6] Auch die Schülerfirmenarbeit ist ein Teil der Berufsorientierung im Rahmen der ökonomischen Bildung.[7]

Finanzielle Allgemeinbildung als Teil der Ökonomischen Bildung

Die finanzielle Allgemeinbildung fokussiert auf Finanzkompetenz der Individuen und gilt seit einigen Jahren als ein wichtiger Bereich der ökonomischen Bildung. Wie sich ökonomische und finanzielle Bildung zueinander verhalten, bleibt noch zu klären. Im Vergleich zur allgemeinen ökonomischen Bildung, zur Verbraucherbildung und zur Berufsorientierung befindet sich die finanzielle Allgemeinbildung konzeptionell, empirisch und methodisch noch in einer frühen Entwicklungsphase. Finanzielle Bildung kann man auch in der Konsumentenbildung[8] oder in der Hauswirtschaftslehre verankern. Der Einfluss von Banken und Versicherungen auf die finanzielle Bildung und die Schulen gerät zunehmend in die Kritik.[9]

Kritik

Kritisiert wird, dass unter dem Etikett ökonomische Bildung den Schülern durch Experten aus der Arbeitswelt versteckt Werbung für Versicherungen oder Finanzprodukte machen oder die Schüler anderweitig manipulieren.[10] Wenngleich dies in Einzelfällen zutrifft, handelt es sich hierbei jedoch um kein Spezifikum der ökonomischen Bildung, da Interessenvertreter u. a. von Unternehmen unabhängig vom Unterrichtsfach Einfluss zu nehmen suchen. Vertreter der ökonomischen Bildung argumentieren vielmehr, dass eine fundierte ökonomische Bildung eine wichtige Voraussetzung dafür sei, für Interessen und Manipulationsversuche (Werbung, Bank„beratungs“gespräche etc.) sensibilisiert zu werden und adäquat mit entsprechenden lebensweltlichen Herausforderungen umgehen zu können. Ferner kritisieren manche Didaktiker, dass andere Bereiche eine höhere Relevanz hätten und Wirtschaft deshalb keinen großen Raum in der Schule einnehmen solle.[11][12] Ferner bestehen bei Fachdidaktikern unterschiedliche Ansichten bzgl. der Frage des Fachzuschnitts. Teilweise wird die Forderung nach einer Kombination von Wirtschaft mit anderen Fächern wie Politik, Geographie oder Technik erhoben, da nur so eine ganzheitliche Sichtweise möglich sei.[13] Mit dem Anspruch, viele Disziplinen in einem Unterrichtsfach zu verorten, geht allerdings die Gefahr der inhaltlichen Oberflächlichkeit des Unterrichts und eines mangelnden fachlichen Fundaments der Lehrkräfte einher. Deswegen wird von den meisten Wirtschaftsdidaktikern für die Sekundarstufe ein eigenes Fach Wirtschaft gefordert.[14]

Organisationen

Nachdem in den 1970er Jahren erste Professuren für ökonomische Bildung bzw. Didaktik der Wirtschaftslehre an damaligen Pädagogischen Hochschulen eingerichtet worden waren, schlossen sich 1978 Wirtschaftsdidaktiker zur Bundesfachgruppe für ökonomische Bildung zusammen. 1994 wurde sie in Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung (DeGÖB) umbenannt. Die DeGÖB veranstaltet regelmäßig Fachkonferenzen und beteiligt sich an der Bildungspolitik. Unter anderem hat sie Bildungsstandards für die ökonomische Allgemeinbildung an Grundschulen und für den mittleren und den gymnasialen Abschluss vorgeschlagen. Im Oktober 2016 wurde in Frankfurt am Main die Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft (GSÖBW) gegründet, die sich der Förderung einer „inter- und transdisziplinären, sowie pluralistischen und problemorientierten“ ökonomischen Bildung verschreibt[15]. Im November 2019 wurde in Berlin das Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland gegründet, eine Initiative von Wirtschaftsverbänden, Lehrerverbänden und Wissenschaftlern.[16][17]

Literaturhinweise

Einführungen, Gesamtdarstellungen, Grundlagen

  • Holger Arndt: Ökonomische Bildung. Erlangen 2020. (Digitalisat)
  • Tim Engartner: Didaktik des Ökonomie- und Politikunterrichts. UTB, Paderborn 2010, ISBN 978-3-8252-3318-1.
  • Tim Engartner, Reinhold Hedtke, Bettina Zurstrassen: Sozialwissenschaftliche Bildung. Politik - Wirtschaft - Gesellschaft. UTB, Paderborn 2021, ISBN 978-3-8252-5396-7.
  • Andreas Fischer (Hrsg.): Ökonomische Bildung - Quo vadis? Bielefeld 2006.
  • Reinhold Hedtke: Konzepte ökonomischer Bildung. Schwalbach/Ts. 2011.
  • Reinhold Hedtke, Birgit Weber (Hrsg.): Wörterbuch ökonomische Bildung. Schwalbach 2008.
  • Reinhold Hedtke (Hrsg.): Was ist und wozu Sozioökonomie? Ein Buch zum Stand der Diskussion. 2015. (iboeb.org)[18] Springerverlag Heidelberg. ISBN 978-3-531-19853-8.
  • Dietmar Kahsnitz (Hrsg.): Integration von politischer und ökonomischer Bildung? Wiesbaden 2005.
  • Hans Kaminski: Fachdidaktik der ökonomischen Bildung. Paderborn 2017, ISBN 978-3-8252-8652-1.
  • Hans Kaminski, Gerd-Jan Krol: Ökonomische Bildung - legitimiert, etabliert, zukunftsfähig. Bad Heilbrunn/Obb. 2008, ISBN 978-3-7815-1589-5.
  • Klaus-Peter Kruber: Didaktik der ökonomischen Bildung. Baltmannsweiler 1994, ISBN 3-87116-955-2.
  • Klaus-Peter Kruber (Hrsg.): Konzeptionelle Ansätze ökonomischer Bildung. Bergisch Gladbach 1997, ISBN 3-924985-25-1.
  • Birgit Weber: Wirtschaftswissen zwischen Bildungsdefiziten und Unsicherheiten. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. 1. Jg., H. 1, 2010, S. 91–114.

Methoden

  • Holger Arndt: Methodik des Wirtschaftsunterrichts. Opladen 2013.
  • Franz-Josef Kaiser, Hans Kaminski: Methodik des Ökonomie-Unterrichts: Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts. 3. Auflage. Bad Heilbrunn 1999.
  • Hans Kaminski, Gerd-Jan Krol, Katrin Eggert, Michael Koch, Dirk Loerwald, Andreas Zoerner: Praxiskontakte - Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft. Braunschweig 2005.
  • Thomas Retzmann (Hrsg.): Methodentraining für den Ökonomieunterricht I. 2. Auflage. Schwalbach/Ts. 2011.
  • Thomas Retzmann (Hrsg.): Methodentraining für den Ökonomieunterricht II. Schwalbach/Ts. 2011.
  • Klaas Macha, Silvia Niederschlag, Anna-Theresa Schäfer, Hans-Jürgen Schlösser, Michael Schuhen: Materialien zur ökonomischen Bildung: Ökonomische Experimente. Berlin 2009.

Bildungsstandards, Bildungspolitik

  • Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung (DeGÖB): Kompetenzen der ökonomischen Bildung für allgemeinbildende Schulen und Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss. (2004), ... für den Grundschulabschluss (2006), .... für den Abschluss der gymnasialen Oberstufe (2009).
  • Reinhold Hedtke, Gerd-E. Famulla, Andreas Fischer, Birgit Weber, Bettina Zurstrassen: Für eine bessere ökonomische Bildung! Bielefeld 2010. (PDF; 94 kB)
  • Hans Kaminski, Volker Brettschneider, Katrin Eggert, Manfred Hübner, Michael Koch: Mehr Wirtschaft in die Schule. Wiesbaden 2007.
  • Lucca Möller, Reinhold Hedtke: Wem gehört die ökonomische Bildung? Notizen zur Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Bielefeld 2011. (PDF; 2,7 MB)
  • Günther Seeber, Thomas Retzmann, Bernd Remmele, Hans-Carl Jongebloed: Bildungsstandards der ökonomischen Allgemeinbildung. Kompetenzmodell - Aufgaben - Handlungsempfehlungen. Schwalbach/Ts 2012.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hans Kaminski: Fachdidaktik der ökonomischen Bildung. Paderborn 2017, S. 38.
  2. Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg: Definition ÖB, abgerufen am 7. März 2012.
  3. Birgit Weber: Die curriculare Situation der ökonomischen Bildung? In: Unterricht Wirtschaft. H. 29, 2007, S. 57–61.
  4. Hans Kaminski, Bernd Hübinger, Reinhard Zedler, Wolfgang Staudt: Soziale Marktwirtschaft stärken. Kerncurriculum Ökonomische Bildung. 2001. (sowi-online.de (Memento vom 27. September 2005 im Internet Archive), PDF).
  5. Gerd-E. Famulla, Bert Butz, Sven Deeken, Ute Michaelis, Volker Möhle, Birgit Schäfer: Berufsorientierung als Prozess - Persönlichkeit fördern, Schule entwickeln, Übergang sichern. Hohengehren 2008.
  6. Lothar Beinke: Zentrale Gegenstandsbereiche einer berufsorientierten Didaktik. Hohengehren 2011.
  7. Homepage des Instituts für Ökonomische Bildung Oldenburg: Schülerfirmenarbeit, zu finden unter ioeb.de
  8. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur: Richtlinie Verbraucherbildung an allgemeinbildenden Schulen in Rheinland-Pfalz. Mainz 2010. (verbraucherbildung.bildung-rp.de, PDF; 382 kB)
  9. Lucca Möller, Reinhold Hedtke: Wem gehört die ökonomische Bildung? Notizen zur Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Bielefeld 2011. (PDF; 2,7 MB) (Memento vom 15. Mai 2011 im Internet Archive)
  10. Marketing an Schulen: Fitmachen für die Verwertungskette. In: die tageszeitung. 30. März 2012. "Experten aus der Arbeitswelt" im Unterricht.
  11. T. Engartner: Das Fach „Wirtschaft“ als Fach der Wirtschaft? Einige ausgewählte Aspekte vergangener und gegenwärtiger Debatten. In: GWP. H. 3, 2013, S. 439–446. (budrich.de)
  12. Gefährlicher als Werbung. In: die tageszeitung. 30. März 2012.
  13. M. P. Haarmann: Ökonomisches Lernen ‒ Selbstzweck oder Teil des gesellschaftlichen Lernens? In: GWP. H. 2, 2013, S. 189–200. (ipw.uni-hannover.de)
  14. Ökonomische Bildung bedarf eines eigenen Schulfachs. (degoeb.de, PDF (Memento vom 31. März 2016 im Internet Archive))
  15. Gründungserklärung | Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft. Abgerufen am 26. Januar 2021.
  16. Dirk Loerwald im Gespräch mit Thekla Jahn: Schulfach Wirtschaft - „Wir brauchen ein paar ökonomische Kompetenzen“. Deutschlandfunk, 29. November 2019, abgerufen am 1. Dezember 2019.
  17. Breites Bündnis aus Schulen, Wirtschaft und Gesellschaft fordert: Ökonomische Bildung verpflichtend im Unterricht verankern! In: News4teachers. 29. November 2019, abgerufen am 1. Dezember 2019.
  18. Hedtke 2015 Vorwort