Quelltext der Seite Mein Hut, der hat drei Ecken

'''Mein Hut, der hat drei Ecken''' ist ein [[Volkslied]], das auf eine [[Neapel|neapolitanische]] Melodie zurückgeht.

== Ursprung ==
Das Lied wird auf die Melodie von ''O mamma, mamma cara'' gesungen, das auf eine neapolitanische [[Canzonetta]] zurückgeht<ref>{{BibISBN|9783795908508|Seiten=564–565}}</ref> und auch in den [[Bänkelsang]] Eingang fand. Es handelt sich um ein „bemerkenswertes Beispiel einer ‚wandernden Melodie‘“ durch verschiedenste musikalische Werke.<ref>[[Johann Lewalter]]: ''Deutsches Kinderlied und Kinderspiel. In Kassel aus Kindermund in Wort und Weise gesammelt.'' Abhandlung und Anmerkungen von [[Georg Schläger]]. Vietor, Kassel 1911, S. 308–309.</ref> [[Reinhard Keiser]] soll die Melodie in seinem Singspiel ''Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig'' (1707) zitiert haben, das so erfolgreich war, dass Gassenjungen auf der Straße immer wieder neue Texte dazu erfanden.<ref>[[Bruno Aulich]]: ''Mondscheinsonate, Katzenfuge und andere merkwürdige Titel und Geschichten über berühmte Musikwerke aus drei Jahrhunderten.'' Heimeran, München 1966, ISBN 3-7765-0002-6, S. 175.</ref> Allerdings ist die Partitur dieses Singspiels verschollen,<ref>Birgit Kiupel, Cornelia Geissler: [http://mugi.hfmt-hamburg.de/dienstmaedchen/6_verk_welt/2_ver.html ''Hamburger Dienstmädchen – Trintje, Gesche und die „verkehrte Welt“'']. Musik und Gender im Internet, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, abgerufen am 14. Februar 2015</ref> so dass diese Angabe nicht überprüft werden kann. [[Rodolphe Kreutzer]] verwendete die Melodie 1816 in der Musik für das Ballett ''Le Carnaval de Venise'' des Choreographen [[Louis Milon]].<ref>Pasquale Scialò, Francesca Seller: ''Passatempi musicali: Guillaume Cottrau e la canzone napoletana di primo '800''. Guida Editori, 2013, ISBN 978-88-6666-201-3, S. 135 ({{Google Buch |BuchID=owlvMArEkqgC |Seite=135 |Hervorhebung="Le Carnaval de Venice"}}).</ref> [[Niccolò Paganini]] spielte in seinen Konzerten Variationen über diese Melodie und zwar unter dem Titel ''Carnevale di Venezia'' op. 10 (1829).<ref>{{IMSLP2|id=Il carnevale di Venezia, Op.10 (Paganini, Niccolò)|cname=Il carnevale di Venezia, Op. 10 (Paganini, Niccolò)}}</ref><ref>Vittore Castiglioni: ''Paganini. Biografia.'' La Pilotta, 1982, {{OCLC|654713870}}, S. 210 ({{Google Buch|BuchID=-lgZAQAAIAAJ|Seite=210|Hervorhebung="carnevale di venezia"}}).</ref><ref>International Musicological Society. Congress, Band 3. Bärenreiter, Kassel 1990, S. 1842 ({{Google Buch|BuchID=TyZMAAAAYAAJ|Seite=1842|Hervorhebung="carnevale di venezia" 1829 paganini}}).</ref> Durch Paganini erlangte das Thema dann auch eine größere Popularität.<ref>Matanya Ophee: ''Seltenes & Curioses für Guitarre. Variationen über „Carnaval de Venice“ von Nikolai Petrovich Makaroff.'' In: ''Gitarre & Laute'' 4, 1982, Heft 5, S. 285–293; hier: S. 286.</ref> Unter dem Titel ''Souvenirs de Paganini'' komponierte [[Frédéric Chopin]] sein Rondo Nr. 1 ebenfalls als Variationswerk über diese Melodie. Weitere Variationen über das Thema schufen u.&nbsp;a. [[Johann Strauss (Vater)]] für Klavier bzw. Orchester,<ref>{{IMSLP2|id=Erinnerung an Ernst, Op.126 (Strauss Sr., Johann)|cname=Johann Strauss Sr.: ''Erinnerung an Ernst'', op. 126}}</ref><ref>[https://www.naxos.com/mainsite/blurbs_reviews.asp?item_code=8.225289&catNum=225289&filetype=About%20this%20Recording&language=German Erinnerung an Ernst oder Der Carneval in Venedig, op. 126], naxos.com, abgerufen am 24. Februar 2020</ref> [[Francisco Tárrega]] für Gitarre, [[Jean-Baptiste Arban]] für Kornett bzw. Trompete und Wilhelm Posse für Harfe.<ref>vgl. [[:en:Carnival of Venice (song)|Carnival of Venice (song)]] in der englischsprachigen Wikipedia</ref> Variationen für Flöte und Klavier schufen [[Giulio Briccialdi]] (''Carnevale di Venezia'' op. 78, um 1855)<ref>{{IMSLP2|id=Carnevale_di_Venezia%2C_Op.78_(Briccialdi%2C_Giulio)|cname=Carnevale di Venezia, Op. 78 (Briccialdi, Giulio)}}</ref> und [[Paul-Agricole Génin]] (''Carnaval de Venise'' op. 14, 1872)<ref>{{IMSLP2|id=Carnaval de Venise, Op.14 (Génin, Paul-Agricole)|cname=Carnaval de Venise, Op. 14 (Génin, Paul-Agricole)}}</ref>. Auch unter dem Titel ''La bruna gondoletta'' war das Lied als ''[[Barkarole|Barcarola]]'' verbreitet.<ref>G. B. Apparuti, A. Batacchi: ''The Singer's Assistant.'' Band 10. William Rushton, Kalkutta 1845, S. 156 ({{Google Buch|BuchID=CJJiT0CzUb0C|Seite=156|Hervorhebung="la bruna gondoletta"|Linktext=Digitalisat}}).</ref> Auf diesen Text verfasste u.&nbsp;a. [[Julius Benedict]] Konzertvariationen für Singstimme und Begleitung.<ref>{{IMSLP2|id=Concert variations on Carnival of Venice (Benedict, Julius)|cname=Concert variations on Carnival of Venice (Benedict, Julius)}}</ref>

Der Text ''Mein Hut, der hat drei Ecken'' beschreibt den früher verbreiteten [[Dreispitz]]. Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung im [[Deutsches Volksliedarchiv|Deutschen Volksliedarchiv]] gehen auf die Jahre vor 1870 zurück.<ref>Vgl. [[Otto Holzapfel]]: ''Liedverzeichnis: Die ältere deutschsprachige populäre [[Lied]]überlieferung'' ([http://www.volksmusik-archiv.de/vma/de/node/4250 Online-Fassung] auf der Homepage [[Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern]]; im PDF-Format; laufende Updates) mit weiteren Hinweisen.</ref> In gedruckter Form ist der Text erstmals im Saarland 1886 belegt,<ref>Carl Köhler, [[John Meier]]: ''Volkslieder von Mosel und Saar.'' 1. Band. Niemeyer, Halle 1896, S. 359&nbsp;f., Anm. S. 457 ({{archive.org|volksliedervond00meiegoog|Blatt=n373}}).</ref> dort allerdings noch auf die Melodie des Volkslieds ''Wer lieben will, muss leiden.''<ref>[[Johann Lewalter]]: ''Deutsche Volkslieder: in Niederhessen aus dem Munde des Volkes gesammelt''. Heft 5. G. Fritzsche, Hamburg 1890–1894, S. 21 ({{Google Buch|BuchID=0b7gerZEb7UC|Band=4|Seite=21|Hervorhebung="Wer lieben will, muß leiden"}})</ref><ref>[[Ludwig Erk]], [[Franz Magnus Böhme]] (Hrsg.): ''[[Deutscher Liederhort]].'' Band 2. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1893, S. 432–434 ([http://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uc1.b4134294;view=1up;seq=442 Digitalisat]).</ref> Auch aus [[Westpreußen]] ist der Text überliefert.<ref>[[Alexander Treichel]]: ''Volkslieder und Volksreime aus Westpreussen.'' Theodor Bertling, Danzig 1895, S. 124 ({{Google Buch|BuchID=DdUsAAAAYAAJ|Seite=124|Hervorhebung="Mein Hut"}}).</ref> Der Anfang des Textes erscheint auch in einem Spottvers aus der [[Pfalz (Region)|Pfalz]], der um 1920 aufgezeichnet wurde, aber bis in die [[Napoleon Bonaparte|napoleonische]] Zeit zurückreichen soll:
<poem style="margin-left:2em; font-style:italic;">
Mein Hut, der hat drei Ecke,
Drei Ecke hat mein Hut,
Napoleon soll verrecke,
Mit seiner blech’ne Schnut.<ref>Walther Klein: ''Der Napoleonkult in der Pfalz'' (= ''Münchener Historische Abhandlungen''. Heft 5). C.H. Beck, München 1934, zugleich Diss. Univ. München 1932, S. 89 ({{Google Buch|BuchID=q88AAAAAMAAJ|Seite=89|Hervorhebung="Mein Hut, der hat drei Ecke"}}). Der Text stammt aus einer Fragebogenaktion zum Thema „Wie lebt die Erinnerung an Napoleon Bonaparte in Ihrer Gemeinde fort?“, die die [[Pfälzer Wörterbuchkanzlei]] Kaiserslautern durchgeführt hatte. Die Fragebogenerhebung erfolgte um 1920, vgl. [[Roger Dufraisse]]: ''Die Deutschen und Napoleon im 20. Jahrhundert'' (= ''Schriften des Historischen Kollegs: Vorträge'' 21). Stiftung Historisches Kolleg, München 1991, S. 8 ([http://www.historischeskolleg.de/fileadmin/pdf/vortraege_pdf/Vortraege21_dufraisse.pdf#page=7 Digitalisat]; PDF; 1,5 MB).</ref>
</poem>

Auf die Melodie der Canzonetta werden auch das Lied ''[[Ein Mops kam in die Küche]]'' und das erotische Frauenlied ''Ich lieg im Bett und schwitze'' gesungen.<ref>Liedtext: [http://www.volksliederarchiv.de/ein-hund-kam-in-die-kueche/ Ein Hund kam in die Küche], volksliederarchiv.de</ref><ref>Liedtext: [http://www.volksliederarchiv.de/ich-bin-ein-junges-weibchen-selleriesalat/ Ich lieg im Bett und schwitze], volksliederarchiv.de</ref><ref>Eva Kimminich: ''Erlebte Lieder. Eine Analyse handschriftlicher Liederaufzeichnungen des 19. Jahrhunderts''. Narr, Tübingen 1990, ISBN 3-8233-4237-1, S. 30 f. ({{Google Buch |BuchID=xS3EvCY28Z0C |Seite=30 |Hervorhebung="ich lieg' im Bett und schwitze"}}).</ref>

== Liedtext ==
<poem style="margin-left:2em;">
Mein Hut, der hat drei Ecken,
drei Ecken hat mein Hut.
Und hätt er nicht drei Ecken,
so wär’s auch nicht mein Hut.
</poem>

== Ausführung als bewegtes Singspiel ==
Das Lied kann als [[bewegtes Singspiel]] ausgeführt werden, bei dem nach Art eines [[Lückentextlied]]es mit jeder Strophe ein weiteres Schlüsselwort ausgelassen und nur noch [[Gestik|gestisch]] dargestellt wird. Wer versehentlich in eine Lücke hinein singt, muss in der Regel ausscheiden oder ein [[Pfänderspiel|Pfand]] abgeben.

Der Inhalt des Liedes wird bei dieser Ausführung durch folgende Gesten untermalt:
* ''mein'' – mit dem Zeigefinger auf sich selbst zeigen
* ''Hut'' – sich an den Kopf oder die imaginäre Hutkrempe fassen
* ''drei'' – drei Finger ausstrecken
* ''Ecken'' – den Ellenbogen mit der Hand berühren
* ''nicht'' – Kopfschütteln

== Verbreitung ==
=== Folklore ===
Es existieren Varianten des Liedes in Schwedisch, Dänisch, Englisch, Niederländisch, Spanisch, Portugiesisch, Estnisch, aber auch in Hebräisch. In der jüdischen Kultur wird das Lied oft mit Kindern in Verbindung mit dem [[Purimfest]] gesungen. Der persische Wesir [[Haman]], der die Vernichtung der [[Juden]] beabsichtigte, soll einen dreieckigen Hut getragen haben. Nach der Lehre einiger hebräischer Schulen verweisen auch die [[Hamantaschen]], eine Süßigkeit, die traditionell zum Purimfest gebacken wird, auf die dreieckige Hutform Hamans. Allerdings wird das hebräische Lied „La kova sheli shalosh pinot“ auf eine andre Melodie gesungen als das deutsche Pendant.

=== Belletristik ===
In [[Primo Levi]]s Buch ''Die Atempause'',<ref>Primo Levi: ''Die Atempause''. dtv, München 1994, ISBN 3-423-11779-6.</ref> das der [[Holocaust]]-Literatur zuzurechnen ist, bildet die Vorführung des Singspiels „Mein Hut, der hat drei Ecken“ durch eine Theatergruppe ein zentrales Motiv: „Im Gestischen der Pantomime und im Kreisgang eines sinnlosen Kinderreims artikuliert sich sprachlos die Essenz des Daseins der Überlebenden.“<ref>Holger Gehle: ''Atempause – Atemwende. Die Literatur der Überlebenden.'' In: ''Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung'' (= Jahrbuch 1996 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust). Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-593-35441-1, S. 161–188, hier S. 170 f. ({{Google Buch |BuchID=8VPy4yFXAE8C |Seite=171 |Hervorhebung=Gestischen}})</ref>

=== Popmusik ===
Das Lied befindet sich auch auf der Kinderlieder-CD ''Unser Apfelhaus'' von [[Nena]]. Dort wurde es um eine zweite Strophe mit dem Text „Mein Schuh, der hat drei Löcher“ ergänzt.

== Weblinks ==
* [http://www.liederprojekt.org/lied30124-Mein-Hut-der-hat-drei-Ecken.html Mein Hut, der hat drei Ecken] im Liederprojekt von SWR2 und Carus-Verlag
* [http://www.volksliederarchiv.de/mein-hut-der-hat-drei-ecken/ Mein Hut der hat drei Ecken], volksliederarchiv.de
* [http://www.labbe.de/liederbaum/index.asp?themaid=19&titelid=609 Noten und das Lied zum Anhören]
* Liedtext – [http://ingeb.org/Lieder/meinhuth.html in verschiedenen Sprachen]
* Xaver Frühbeis: [https://www.br-klassik.de/programm/sendungen-a-z/mittagsmusik/mittagsmusik-extra-volkslieder-164.html ''Von Möpsen, Müttern und Nebelspaltern: Mein Hut, der hat drei Ecken'']. BR4-Klassik Mittagsmusik extra, 4. Januar 2011.

== Einzelnachweise ==
<references/>

[[Kategorie:Volkslied]]
[[Kategorie:Kinderlied]]
[[Kategorie:Bewegtes Singspiel]]