Benutzer:KaiserWerbik/Handlungspsychologie
Die Handlungspsychologie ist das und das [1]
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Stichwort „Handlungspsychologie“ für Wikipedia - revidierte Fassung
Charakteristik der Handlungspsychologie
Der Begriff Handlungspsychologie bezeichnet eine Familie von Theorien in der Psychologie, die wissenschaftshistorisch und wissenschaftstheoretisch begründete gemeinsame Überzeugungen über den Gegenstand der wissenschaftlichen Psychologie miteinander teilen, sich in Details und Schwerpunktsetzungen aber unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen ein bestimmtes Menschenbild, das sich absetzt vom mechanistischen Menschenbild vor allem des Behaviorismus, welches eine Art „Mensch-als-Maschine-Modell“ vertritt, in dem menschliches Verhalten als Ergebnis eines Reiz-Reaktions-Prozesses aufgefasst wird. Ziel der Psychologie als Verhaltenswissenschaft in diesem Sinne ist dann die Erforschung der Gesetzmäßigkeiten, die im Rahmen des Reiz-Reaktions-Geschehens beobachtet werden können. Auf diese Weise wird Verhalten erklärbar und prognostizierbar, damit auch modifizierbar. Die Handlungspsychologie geht dagegen davon aus, dass dieses Menschbild und diese Gegenstandsfestsetzung nicht der Gesamtheit der Fragestellungen und Gegenstände der Psychologie zugeordnet werden kann. Das Menschenbild der Handlungspsychologie erschließt sich bei der Definition und Differenzierung des in der Handlungspsychologie zum Tragen kommenden Handlungsbegriffes.
Zum Begriff des Handelns
Die Handlungstheorien im Rahmen der Handlungspsychologie setzen voraus, dass menschliches Verhalten in vielen Fällen der Lebenswirklichkeit nicht allein solchen mechanistischen Gesetzen folgt. Die Psychologie menschlichen Handelns kann als Forschungsgegenstand auf eine schon längere Geschichte zurückblicken. Wie sowohl bereits von Wundt (1911), als auch von Max Weber (1921/1922) herzuleiten, ist Verhalten aus handlungspsychologischer Sicht nicht bloß eine (mechanische) Reaktion auf innere oder äußere Reize. Es ist vielmehr meist das Ergebnis einer mehr oder weniger bewussten Entscheidung zu interpretieren, und zwar einer Entscheidung, die im Kontext der Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensalternativen gefallen ist, wobei die Betroffenen in dieser Wahl- und Entscheidungssituation ganz bestimmte Prinzipien beachten, die von Weber als „subjektiver Sinn“ bezeichnet wurden. Der Kern einer Psychologie des Handelns ist demnach vor allem die Überzeugung, dass Menschen üblicherweise mit ihrem Tun einen Sinn verbinden und dabei zudem zwischen Alternativen wählen und sich also entscheiden können. Handeln ist in diesem doppelten Sinne als ein spezifisches Verhalten definiert, und liegt auch dann vor, wenn die Handelnden sich für die Alternative „Nichtstun“ entscheiden. Auch Unterlassungen zählen demnach zu den Handlungen. Handeln als intendiertes Verhalten ist im übrigen Gegenstand nicht nur der Psychologie, sondern auch der Philosophie oder der Soziologie.
Handlungstypen
Folgt man weiter dem von Max Weber eingeführten Gedankengang, ist zu erwarten, dass sich unterschiedliche Arten von Handlungen auf Basis der ihnen zugrunde liegenden unterschiedlichen subjektiven Sinngehalte rekonstruieren lassen. Eine Möglichkeit, zu speziellen und voneinander verschiedenen handlungspsychologischen Theorieansätzen zu gelangen, ist die Unterscheidung unterschiedlicher „Typen“ von Handlungen auf Basis ihrer jeweils spezifischen Art von Sinngehalt, die mit ihnen verbunden wird. In der Literatur werden vor allem folgende Typen des Handelns unterschieden (zur Charakterisierung der Typen s. Näheres z. B. bei Kempf [1982] oder v. Cranach [1994]): - Zweckrationales Handeln - Handeln um seiner selbst willen - Aufgabenorientiertes Handeln - Regelrationales Handeln - Traditionales Handeln - Schemarationales Handeln - Emotionales Handeln - Interessegeleitetes Handeln - Handlungen als Lebensorientierungen Die Bezeichnung dieser unterschiedlichen Typen des Handelns verweisen bereits auf die Spezifika der je unterschiedlichen subjektiven Sinngehalte, die das so bezeichnete Handeln anleiten.
Spezifische Methoden handlungspsychologischer Forschung
Der „subjektive Sinn“ von Handlungen lässt sich nicht einfach „von außen“ beobachten. In der Regel ist er nicht ohne Mitwirkung der handelnden Personen feststellbar oder rekonstruierbar. Das ist der Grund, warum handlungspsychologische Ansätze als Weg der empirischen Untersuchung ihres Gegenstandes besonders den des Dialogs mit den Personen einschlagen. Folgerichtig hat sich im Zuge des Ausbaues der Handlungspsychologie eine dialogisch orientierte Forschungskonzeption etabliert (oder: „Dialog-Konsens-Methoden“, s. Scheele & Groeben 2010 oder „Sozialwissenschaft als Dialog“, Kaiser & Seel 1981). Entsprechend den Grundkonzeptionen einzelner Handlungstheorien, die im Rahmen der Handlungspsychologie entwickelt wurden, finden selbstverständlich aber auch die in der Psychologie üblichen weiteren Methoden empirischer Forschung ihren Platz.
Handlungspsychologie als Feld unterschiedlicher Handlungstheorien
Die oben angesprochenen unterschiedlichen Sinngehalte von Handlungen verweisen auf unterschiedliche Lebenszusammenhänge, in denen die Handlungen ausgeführt werden und damit auch auf die Möglichkeit. inhaltlich voneinander abweichende handlungspsychologische Theorien (=Handlungstheorien) aufzubauen. Dies geschah dann auch im Rahmen verschiedener Teilgebiete der Psychologie.
Brandtstädter (2001) beispielsweise hat verschiedene Gruppen oder (Unter-)„Familien“ von Theorien der Handlungspsychologie gefunden: motivationspsychologisch und volitionspsychologisch orientierte Handlungstheorien, systemtheoretische, strukturalistisch und die sozialkonstruktivistisch-tätigkeitsorientierte. Sie stellen jeweils jene Aspekte des Handelns in den Vordergrund, die ihren je spezifischen Sinn repräsentieren: den Aspekt des Willensaktes etwa, den der Handlungskontrolle bzw. Handlungsregulation (auch im Sinne von ablaufenden, kybernetisch verstandenen „Programmen“), den Aspekt der den Handlungen zugrunde liegenden kognitiven Strukturen, und den der Interaktion des Menschen mit seiner physischen und sozialen Umwelt.
In Bezug auf die Motivationspsychologie ist auf die Arbeiten von Narziss Ach (1905) und Kurt Lewin (1926) hinzuweisen, die am Beginn eines systematischen Aufbaues von Handlungstheorien zu standen, oder auch auf1 die von William James (1890) oder John W. Atkinson (Atkinson & Birch 1970). In der neueren deutschen Motivationsforschung sind handlungstheoretische Ansätze vor allem im Bereich der Leistungsmotivationsforschung zu finden (z.B. Heckhausen 1989; Kuhl & Heckhausen 1996). Hier ist auch die mit Bezug auf James und Atkinson entwickelte sog. „Volitionsforschung“ zu verorten (Kuhl 1983). Ein weiteres Gebiet mit längerer Tradition ist das der Arbeitspsychologie. Hier wurde (hauptsächlich in der ehemaligen DDR) die „Tätigkeitspsychologie“ von Rubinstein (1970) oder Leontjew (1977) aufgegriffen und zu einer „Handlungsregulationstheorie“ weiterentwickelt, welche die (in Arbeitsprozessen auftretenden) Handlungen als aufeinander folgende und aufeinander aufbauende, also hierarchisch geordnete Teilprozesse dargestellt. Dabei wurden verschiedene Regulationsebenen unterschieden (etwa perzeptive, intellektuelle, begriffliche), deren Funktion letztlich den Erfolg der Handlungen gewährleisten sollen. An die Handlungsregulationstheorie anschließend wurde von Kaminski (1981) oder Fuhrer (1984) die Ausführung von Handlungen als dynamischer Prozess in der Konfrontation mit unterschiedlichen und wechselnden Umweltbedingungen dargestellt, so dass in diesem Zusammenhang von einer „ökologischen“ Handlungspsychologie gesprochen werden kann (vgl. v. Cranach & Tschan 2002). Die sich mittlerweile stärker profilierende Kulturpsychologie regt ebenfalls zu handlungstheoretischer Theoriebildung an (vgl. Straub 19; Straub & Chakkarath 2010). Boesch (1991) stellte in seinem kulturpsychologischen Entwurf die Tatsache in den Mittelpunkt, dass Handlungen nicht immer als Mittel zu bestimmten Zwecken interpretiert werden können, sondern auch als „symbolische Handlungen“ auftreten, das menschliche Tun demnach auch einen symbolischen Wert bzw. eine symbolische Funktion hat.
Entsprechend vielfältig wie das (hier ausschnitthaft vorgestellte) Feld der Handlungstheorien im Rahmen der Handlungspsychologie ist die zugehörige Literatur: allgemein-einführend (etwa: v. Cranach & Tschan 2002; Kaiser & Werbik 2012; Straub 2010; auch: Martin 2011) oder auf spezifische Aspekte konzentriert (etwa: Heckhausen & Heckhausen 2010 für die motivationspsychologische Handlungstheorie oder Hommel & Nattkemper 2010 für den Aspekt der Handlungssteuerung).
Praktische Bedeutung der Handlungspsychologie
Die kurze Darstellung des methodischen Prinzips handlungspsychologischer Forschung lässt darauf schließen, dass handlungstheoretische Ansätze insbesondere für jene Felder psychologischer Praxis von Interesse und angemessen sind, in denen Gespräche und Methoden der Konsensbildung zum Einsatz kommen, wie es beispielsweise in der Beratungspraxis der Fall ist. Dort geht es um das Zustandekommen spezifischer, individueller Handlungen als Grundlage für Verhaltensänderungen, aber auch ggf. um die Frage der Verantwortlichkeit für das gezeigte Verhalten. Einen Überblick über Grundlagen und Entwicklung der Handlungspsychologie und über Bereiche der Praxis mit handlungspsychologischer Fundierung bieten Kaiser & Werbik (2012).
Literatur:
Ach, N. 1905. Über die Willenstätigkeit und das Denken. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Atkinson, J.W. & Birch, D. 1970. A dynamic theory of action. New York: Wiley
Boesch, E. 1991. Symbolic Action Theory and Cultural Psychology. Berlin/Heidelberg: Springer
Brandtstädter, J. 2001. Entwicklung – Intentionalität – Handeln. Stuttgart: Kohlhammer
v. Cranach, M. 1994. Die Unterscheidung von Handlungstypen. Ein Vorschlag zur Weiterentwicklung der Handlungspsychologie. In: B. Bergmann & P. Richter (Hrsg.). Die Handlungsregulationstheorie. Göttingen: Hogrefe, 69-88
Cranach, M. von & Tschan, F. 20024. Handlungspsychologie. In: Straub, J.; Kempf, W. & Werbik, H. (Hrsg.) Psychologie – Eine Einführung. München: dtv, 124-158
Fuhrer, U. 1984. Mehrfachhandeln in dynamischen Umfeldern. Göttingen: Hogrefe
Heckhausen, H. 1989. Motivation und Handeln. Berlin/Heidelberg: Springer
Hommel, B. & Nattkemper, D. 2011. Handlungspsychologie. Planung und Kontrolle intentionalen Handelns. Berlin: Springer
Kaiser, H. J. & Seel, H.-J. 1981. Sozialwissenschaft als Dialog. Die methodischen Prinzipien der Beratungsforschung. Weinheim: Beltz
Kaiser, H.J. & Werbik, H. 2012. Handlungspsychologie – Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht / UTB
Kaminski, G. 1981. Überlegungen zur Funktion von Handlungstheorien in der Psychologie. In: Lenk, H. (Hrsg.) Handlungstheorien interdisziplinär. Bd. 3/1. München: Fink, 93-122
Kempf, W. 1982. Formen der Aggression und das Problem des inneren Friedens. In: Hilke, R. & Kempf, W. (Hrsg.) Aggression. Naturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Perspektiven der Aggressionsforschung. Bern: Huber, 112-147
Kuhl, J. 1983. Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. Berlin/Heidelberg: Springer
Kuhl, J. & Heckhausen, H. (Hrsg.) 1996. Motivation, Volition und Handlung. Enzyklopädie der Psychologie, Bd. 4 der Reihe: Motivation und Emotion. Göttingen: Hogrefe
Leontjew, A.N. 1977. Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit. Stuttgart: Klett
Martin, A. 2011. Handlungstheorie. Grundelemente menschlichen Handelns. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Rubinstein, S.L. 1970. Sein und Bewußtsein. Berlin: Akademie Verlag
Scheele, B. & Groeben N. 2010. Dialog-Konsens-Methoden. In: Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.) Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS Verlag, Verlag f. Sozialwissenschaften, 506-523
Straub, J. 1999. Handlung, Interpretation, Kritik: Grundzüge einer textwissenschaftlichen Handlungs- und Kulturpsychologie. Berlin/New York: de Gruyter
Straub, J. 2010. Handlungstheorie. In: Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.) Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS Verlag, Verlag f. Sozialwissenschaften, 107-122 Straub, J. & Chakkarath, P. 2010. Kulturpsychologie. In: Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.) Qualitative Forschung in der Psychologie. Konstanz: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 195-209
Weber, M. 1965. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie (5. Auflage; Erstauflage 1921/1922). Tübingen: Mohr
Werbik, H. 1978. Handlungstheorien. Stuttgart: Kohlhammer
Wundt, W. 1911. Grundzüge der Physiologischen Psychologie. 3. Band, 6. Aufl. Leipzig: Engelmann
Wenn dieser Beitrag angenommen wird, sollte man das Stichwort "Psychologie" am Ende des Unterkapitels über die theoretischen Ansätze um den Hinweis auf die Handlungspsychologie ergänzen, vielleicht so:
Über die wissenschaftshistorischen und -theoretischen Hintergründe der Ausbildung unterschiedlicher Paradigmen und Schulen in der Psychologie mit ihren unterschiedlichen Menschenbildern und methodischen Konzepten lässt sich ein guter Überblick gewinnen, wenn man sich mit der Theoriefamilie der Handlungspsychologie beschäftigt, da sich die Handlungspsychologie z.T. in Abgrenzung zu den angeführten Schulen entwickelt hat. Die im Rahmen der Handlungspsychologie ausgearbeiteten handlungstheoretischen Ansätze bieten zudem eine tragfähige Basis für eine Reihe von Praxisfeldern der Psychologie.
(Ergänzung der Literaturverweise um):
Kaiser, H.J. & Werbik, H. Handlungspsychologie – Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/UTB ISBN 978-3-8252-3741-7