Benutzer:Mfgsu/Baustelle Deutsche Operation

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Die Deutsche Operation war die erste NKWD-Aktion im Rahmen der sogenannten „nationalen Operationen“ während der Zeit des Großen Terrors 1937/38 in der Sowjetunion. Betroffen von dieser Säuberungswelle waren zunächst Ausländer deutscher Herkunft sowie Politemigranten aus Deutschland und Österreich. Es traf auch deutsche und österreichische Staatsbürger (Reichsdeutsche) und Staatenlose (Deutsche ohne Pass), die sich aus unterschiedlichen Gründen in der UdSSR aufhielten. Die staatlichen Repressionsmaßnahmen geschahen auf der Grundlage des geheimen operativen NKWD-Befehls Nr. 00439 vom 25. Juli 1937.[1] Dieser Befehl hatte den offiziellen Titel: „Operation zur Ergreifung von Repressivmaßnahmen an deutschen Staatsangehörigen, die der Spionage gegen die UdSSR verdächtig sind“.[2]

Die „gesetzliche“ Grundlage für die Verfolgung und Verurteilung bildete der berüchtigte Artikel 58 (mit 14 Paragraphen) des Strafgesetzbuches der RSFSR.[3] In den meisten Fällen geschah jedoch die Verurteilung nicht durch „ordentliche“ Gerichte der Justiz, sondern durch Troikas, Militärtribunale, Sonderkommissionen oder die sogenannte Sonderberatung (OSO; russ. Abk. für Osoboe Sowestschanie) des NKWD, die befugt waren, außergerichtliche Urteile zu fällen und administrative Strafen von der Verbannung bis zur Todesstrafe zu verhängen. Der ursprünglich auf die Zielgruppe der Auslandsdeutschen begrenzte Befehl wurde wenig später auch auf Sowjetdeutsche (Russlanddeutsche) ausgedehnt; maßgebend war nunmehr allein die Nationalität.[4] Streng genommen ist im Verlauf der Aktion zu unterscheiden zwischen einer Deutschen Operation im engeren (gegen deutsche Ausländer) und im erweiterten Sinne (gegen der Nationalität nach Deutsche – Sowjetdeutsche). Dabei war allerdings der Übergang von der ersten zur zweiten Phase fließend. Wie alle nationalen Operationen wurde auch die Deutsche Operation mehrmals verlängert – im Januar 1938 bis zum Mai, im Mai bis zum 1. August 1938.[5].

Mit Beschluss des Politbüros vom 16. November 1938 wurde die Tätigkeit der „außergerichtlichen Organe“ eingestellt, womit die „Große Säuberung“ offiziell für beendet erklärt wurde (gleichzeitig mit dem „Rücktritt“ von Nikolai Jeschow als Volkskommissar für Inneres). In Wirklichkeit wurden bis zum Jahresende 1938 in den Sonderlagern des Gulag nach wie vor Todesurteile auch an Deutschen verhängt und vollzogen.[6]

Auszug aus dem NKWD-Befehl Nr. 00439

„Durch Agentur- und Untersuchungsmaterialien der letzten Zeit ist bewiesen, dass der deutsche Generalstab und die Gestapo in breitem Umfang Spionage- und Diversionstätigkeit in den wichtigsten Industriebetrieben, in erster Linie in der Verteidigungsindustrie, organisiert und sich zu diesem Ziel der dort eingenisteten Kader, die deutsche Staatsbürger sind, bedient. Die aus deutschen Staatsbürgern bestehende Agentur hat bereits Schädlings- und Diversionsakte durchgeführt und richtet ihre Hauptaufmerksamkeit auf die Organisation von Diversionshandlungen für die Periode des Krieges und bereitet zu diesem Ziel Diversantenkader vor.[7]

Ziele und Zielgruppen

Die vorrangige Aufgabe der Deutschen Operation bestand in der Säuberung der Rüstungswirtschaft von politisch „unzuverlässigen Elementen“.[8] Josef Stalin und die sowjetische Staatsführung rechneten um 1937/38 mit einem baldigen Krieg gegen Deutschland, weshalb Deutsche in der Sowjetunion potenziell als „Fünfte KolonneHitlerdeutschlands und somit als innere Feinde angesehen wurden. (Das diente zu Kriegsbeginn auch zur Begründung für die Deportation der ASSR der Wolgadeutschen; zum Vergleich siehe unten Wortlaut des Erlasses vom 28. August 1941.) Deutsche – wie auch andere Ausländer von potenziellen Feindstaaten – wurden vom NKWD als verkappte Feinde und Spione betrachtet, die sich in das Land eingeschlichen und an strategisch wichtigen Stellen der Wirtschaft und Verwaltung „eingenistet“ hätten. Sie verrichteten fortlaufend ihre „Schädlingstätigkeit“ (russ. Wreditelstwo), weswegen es zu wirtschaftlichen Pannen und Misserfolgen käme. Die Deutsche Operation sollte ihrem Einsatz im Kriegsfall als Spione, Schädlinge, Saboteure und Diversanten präventiv zuvorkommen.

Demgemäß richtete sich der Staatsterror dieser Operation zuerst gegen deutsche (deutschstämmige) Ausländer, die in den 1920er Jahren bis Mitte der 1930er Jahre aus unterschiedlichen Motiven in die Sowjetunion gekommen waren. Zeitweise hielten sich um 15.000 deutsche Wirtschaftsemigranten[9] in der Sowjetunion auf, wovon ein Großteil nach Abebben der Weltwirtschaftskrise Mitte der 1930er Jahre ins Deutsche Reich zurückkehrte. Ein kleinerer Teil blieb im „Heimatland der Werktätigen“. (Seit 1933 gab es einen erneuten Zustrom von Emigranten aufgrund der politischen Verfolgungen in Nazideutschland und ab 1934 auch in Österreich.) Die meisten davon waren Politemigranten der KPD und der KPÖ, Funktionäre oder Mitarbeiter der Komintern. Anfang 1936 waren es ca. 4.600 im gesamten Land. Dazu kamen auch noch ein paar Tausend Fachkräfte, die früher in Deutschland als Vertragsarbeiter für die forcierte Industrialisierung der Sowjetunion angeworben worden waren. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich hierbei um überzeugte Kommunisten und der Sowjetunion wohlwollend oder allenfalls neutral gegenüberstehende Spezialisten (v.a. Bergleute, Facharbeiter, Maschinenbauer, Techniker, Ingenieure, Architekten, Ärzte und Wissenschaftler) handelte, waren sie nunmehr staatlichen Repressionen ausgesetzt. Das betraf neben Deutschen auch Österreicher (z.B. ehemalige Schutzbündler) – ein großer nationaler Unterschied wurde dabei nicht gemacht (speziell nach dem Anschluss Österreichs im März 1938).

Obwohl im Text des NKWD-Befehls Nr. 00439 davon nicht die Rede ist, wurde die Säuberungsaktion im Verlauf der Operation auf die große inländische Bevölkungsgruppe der nationalen Minderheit der Russlanddeutschen (Sowjetbürger deutscher Nationalität) ausgeweitet, ohne dass ein spezieller Befehl hierzu erlassen wurde. Der Ausweitung auf alle Deutschen in der Sowjetunion fiel binnen eines Jahres eine weit größere Zahl von Menschen zum Opfer als der ursprünglich geplanten (begrenzten) Aktion gegen deutsche Ausländer in der Sowjetunion. Das erklärt sich aus der Größe der betroffenen Zielgruppen. Während die Zahl von Auslandsdeutschen im Jahr 1937 schätzungsweise unter 10.000 lag, hatte allein die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWG) fast 400.000 Einwohner deutscher Nationalität. Dazu kamen noch deutsche Siedlungsgebiete und Kolonien in der Ukraine, im Ural und in Westsibirien, die im Zuge der Operation ebenfalls nach ethnischen Kriterien gesäubert wurden. Das betraf insbesondere ihre Eliten und Führungskader aus dem Partei- und Staatsapparat – die sogenannten Nomenklaturkader. Aber auch die Religionsgemeinschaften der Mennoniten und Baptisten, die in der russlanddeutschen Bevölkerung seit den Zeiten von Katharina II. stark verankert waren.

Verlauf und Bilanz

Am 20. Juli 1937 kam es im Kreml zu einem kurzen Treffen von Wjatscheslaw Molotow (damals Vorsitzender des Rates der Volkskommissare; d.h. Regierungschef) und Nikolai Jeschow (Volkskommissar für innere Angelegenheiten; d.h. Innenminister und Geheimdienstchef) mit Josef Stalin (Generalsekretär der KPdSU). Anschließend traf sich der gleiche Personenkreis in einer Sitzung des Politbüros wieder. In deren Verlauf machte Stalin den Vorschlag, alle Deutschen, die in Rüstungsbetrieben und der Chemieindustrie tätig sind, durch das NKWD verhaften zu lassen. Mit der Ausarbeitung des Befehls zur Deutschen Operation wurde Jeschow beauftragt. Bereits Tage nach dem Treffen im Kreml, am 25. Juli 1937, lag der geheime NKWD-Befehl Nr. 00439 vor.[10] Zur abschließenden Beratung wurde als Vertreter von staatlichen Stellen Alexander Gorkin, Sekretär des Präsidiums des Zentralexekutivkomitees, später Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, hinzugezogen (derselbe, der im August 1941 Mitunterzeichner des Erlasses zur Deportation der Bevölkerung der Republik der Wolgadeutschen sein sollte).

Im Befehl vom 25. Juli hieß es schließlich, dass der genannte Personenkreis in der gesamten Verteidigungsindustrie und im Transportwesen zu verhaften sei und „besonders sorgfältige“ Untersuchungen durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts oder die Sonderberatung (OSO) des NKWD eingeleitet werden sollten. Die Verhaftungen sollten bis zum 29. Juli 1937 erfolgen. Kurz nachdem der Befehl telegraphisch an die untergeordneten NKWD-Dienststellen übermittelt worden war, lief die Operation am Abend des 30. Juli an. Erste Verhaftungen folgten unmittelbar darauf. Am 6. August 1937 meldet Jeschow an Stalin, dass 19 „Spionagenester“ ausgehoben worden seien. Ende August 1937 waren 472 deutsche Staatsbürger verhaftet, davon 130 in Moskau und der Moskauer Region.[11] Einige Zahlen der Verhafteten außerhalb der Hauptstadt: Leningrad und Leningrader Gebiet – 79, Ukrainische SSR – 106, Asow-Schwarzmeer-Region – 54, Swerdlowsk – 26, und in anderen Gebieten der UdSSR – 77. Betroffen von dieser Verhaftungswelle waren in erster Linie die großen städtischen Zentren wie Moskau und Leningrad, da sich in jenen der Hauptteil der Auslandsdeutschen aufhielt. Darüber hinaus fand die Säuberungsaktion auch in den wichtigen Industriegebieten der UdSSR wie im Donbass (Ukraine) und im Ural statt. Hier, in den neuen in den 1930er Jahren entstandenen Zentren der sowjetischen Montan- und Rüstungsindustrie, war ein Großteil der deutschen Fachkräfte beschäftigt und somit erklärtermaßen potenzielle Spione, Schädlinge und Diversanten.

Die Anklage und Verurteilung der Beschuldigten geschah zumeist wegen konterrevolutionärer (häufig zusätzlich: trotzkistischer, terroristischer) Tätigkeit (§ 58.1), Spionage (§ 58.6), wirtschaftlicher Konterrevolution, Schädlingstätigkeit oder Diversion (§ 58.7), Sabotage (§ 58.14), Bildung von antisowjetischen Organisationen (§ 58.11) – wie einer angeblich existierenden Hitler-Jugend-Organisation in Moskau –, oder schlicht wegen antisowjetischer Agitation (§ 58.10). Antisowjetische Agitation (ASA) war besonders dehnbar und seitens der staatlichen Organe weit auslegbar. Ein spezieller Fall von Vaterlandsverrat und Spionage stellte die Verbindungsaufnahme von Sowjetbürgern (auch deutscher Exilanten[12]) zu ausländischen Botschaften dar. Das galt erst recht, nachdem der NKWD-Befehl Nr. 00698 vom 28. Oktober 1937 die Handhabe zur Verurteilung wegen Verbindungen zu den Botschaften von Deutschland, Japan, Italien und Polen bot.[13] Zu berücksichtigen ist dabei, dass solch fiktive Anklagepunkte in den meisten Fällen gemäß den Vorgaben (Quoten) der NKWD-Zentrale konstruiert, variantenreich kombiniert und nicht näher konketisiert wurden.[14]

Hinzu kam seitens des NKWD der Einfachheit halber noch der Gebrauch von sogenannten Buchstaben-Paragraphen[15], die wiewohl im sowjetischen Strafgesetzbuch nicht zu finden waren, für eine Verurteilung durch die „außergerichtlichen Organe“ ausreichten. Solche Buchstaben-Paragraphen waren beispielsweise ASA (Antisowjetische Agitation), NSch (russ. Abk. für unbewiesene Spionage) oder TschS (d.h. Familienmitglied). Letzterer wurde auf Familienangehörige der Beschuldigten in Form von Sippenhaft angewandt. Für die „ordentliche“ strafrechtliche Verfolgung von Familienangehörigen der „Volksfeinde“ und „Verräter des Vaterlandes“ gab es aber schon ab 20. Juli 1934 einen entsprechenden Passus im Artikel 58 (§ 58.1c). Aufgrund all dessen sind nicht nur die Beschuldigten in den Strudel der Säuberungswelle der Deutschen Operation geraten, sondern auch ihre Ehepartner, Kinder, Verwandte und sogar ferne Bekannte. Bei den Untersuchungsverfahren wurde eine Kollektiv- und Kontaktschuld (d.h. Mitwisserschaft und Mitbeteiligung) unterstellt; und das war ausreichend für die Verhängung von drakonischen Strafen bis zur Erschießung. Ein besonders düsteres Kapitel im Zuge der Operation stellen die Hunderte Fälle der Ausweisung von deutschen Hitlergegner ins nationalsozialistische Deutschland dar. Nach Angaben der deutschen Botschaft in Moskau wurden im Zeitraum von 1937 bis 1938 etwa 620 Deutsche aus der UdSSR ausgewiesen.[16] Die vom NKWD verhafteten und zur Ausweisung verurteilten Personen gerieten daraufhin in die Fänge der Gestapo und in deutsche Konzentrationslager. Ein exemplarischer Fall hierfür ist das Schicksal von Margarete Buber-Neumann.

Den Umfang der Massenverhaftungen von deutschen Kommunisten verdeutlicht ein streng vertraulicher Bericht des KPD-Funktionärs Paul Jäkel (1890–1943) an das Zentralkomitee der KPD vom 29. April 1938. Aus dem Bericht:

„So wurden bis zum April 1938 bei der Deutschen Vertretung beim EKKI 842 verhaftete Deutsche gemeldet. Das sind aber nur solche Verhaftete, die bei der Deutschen Vertretung beim EKKI registriert sind. Die wirkliche Zahl der verhafteten Deutschen ist natürlich höher. Von Oktober 1937 bis Ende März 1938 betrug die Zahl der Verhafteten 470. Allein im Monat März 1938 wurden rund 100 verhaftet. Am 9. März 1938 wurden aus dem Politemigrantenheim in Moskau 13, am 11. März 17 und am 12. März 12 Politemigranten verhaftet. Am 23. März wurden die letzten vier männlichen Politemigranten [PE] aus dem PE-Heim verhaftet. [...] In der Provinz, z.B. in Engels, ist kein einziger deutscher Genosse mehr in Freiheit. In Leningrad betrug die Gruppe deutscher Parteigenossen Anfang 1937 rund 103 Genossen, im Februar 1938 waren es nur noch 12 Genossen. [...] Man kann sagen, daß über 70 % der Mitglieder der KPD verhaftet sind. Wenn die Verhaftungen in dem Umfang wie im Monat März ihren Fortgang nehmen, so bleibt in drei Monaten kein einziges deutsches Parteimitglied mehr übrig. Von den 847 Verhafteten sind 8 Genossen wieder aus der Haft entlassen worden.[17]

Eine gesonderte Bilanz für die erste Phase (gegen deutsche Ausländer) der Deutschen Operation für alle Regionen der UdSSR wird schwerlich zu erbringen sein, da sie fließend in die zweite Phase überging. Die Opferzahlen der gesamten Deutschen Operation sind nach der „Polnischen Operation“ die zweithöchsten aller nationalen Operationen des NKWD. Die Quote von Repressierten dieser Gruppe ist sehr hoch gewesen, was an der großen Zahl von Todesurteilen, Haftstrafen und Verbannungen deutlich wird.

Bilanz der Deutschen Operation nach deren Abschluss 1938:

(Angaben nach Schlögel; McLoughlin; Werth[18])

  • 55.005 Verurteilungen
  • 41.898 Erschießungen
  • 13.107 Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren (d.h. Zwangsarbeit im Gulag)

Deportation, Verbannung, Zwangsarbeit

Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Volga-Rayons leben“

Entsprechend glaubwürdigen Nachrichten, die die Militärbehörden erhalten haben, befinden sich unter der in den Volga-Rayons lebenden deutschen Bevölkerung Tausende und Zehntausende von Diversanten und Spionen, die nach einem aus Deutschland gegebenen Signal in den von den Wolgadeutschen besiedelten Rayons Sprenganschläge verüben sollen. Die Anwesenheit einer so großen Zahl von Diversanten und Spionen unter den Wolgadeutschen hat den Sowjetbehörden keiner der in den Volga-Rayons ansässigen Deutschen gemeldet, folglich verbirgt die deutsche Bevölkerung der Volga-Rayons in ihrer Mitte Feinde des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht. Im Falle von Diversionsakten, die auf Weisung aus Deutschland durch deutsche Diversanten und Spione in der Republik der Wolgadeutschen oder in den angrenzenden Rayons ausgeführt werden sollen, und im Falle, daß es zum Blutvergießen kommen wird, wird die Sowjetregierung entsprechend den zur Kriegszeit geltenden Gesetzen gezwungen sein, Strafmaßnahmen zu ergreifen.*
Um aber unerwünschte Ereignisse dieser Art zu vermeiden und ernsthaftes Blutvergießen zu verhindern, hat das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig befunden, die gesamte deutsche Bevölkerung, die in den Volga-Rayons ansässig ist, in andere Rayons umzusiedeln, und zwar derart, daß den Umzusiedelnden Land zugeteilt und bei der Einrichtung in den neuen Rayons staatliche Unterstützung gewährt werden soll. Für die Ansiedlung sind die an Ackerland reichen Rayons der Gebiete Novosibirsk und Omsk, der Region Altaj, Kazachstans und weitere benachbarte Gegenden zugewiesen worden. Im Zusammenhang damit ist das Staatliche Verteidigungskomitee angewiesen worden, die Umsiedlung aller Wolgadeutschen und die Zuweisung von Grundstücken und Nutzland an die umzusiedelnden Wolgadeutschen in den neuen Rayons unverzüglich in Angriff zu nehmen.

Der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, gez. M. Kalinin
Der Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, gez. A. Gorkin
Moskau, Kreml, 28. August 1941“

(* In der von der Zeitung „Nachrichten“ (Engels) vom 30. August 1941 veröffentlichen Fassung dieses Erlasses, die meist zitiert wird, heißt es im Unterschied zu der hier angeführten Quelle, die ein Faksimile des unterschriebenen Originals ist: „...Strafmaßnahmen gegenüber der gesamten deutschen Bevölkerung zu ergreifen.“)[19]

Die Deutsche Operation der Jahre 1937/38 lässt sich als Vorspiel für die spätere Deportation aller Deutschen während des Deutsch-Sowjetischen Krieges 1941/45 betrachten. Entgegen der verbreiteten Auffassung betraf der Erlass vom 28. August 1941 nicht nur die deutschstämmige Bevölkerung der Republik der Wolgadeutschen (ASSRdWG), sondern alle Russlanddeutschen und ebenso deutsche Emigranten, die im europäischen Teil der Sowjetunion – bis zum Ural – beheimatet oder als Emigranten hier wohnhaft waren. (Eine Ausnahme von der Regel stellte die stalinistische Führungsriege der KPD um Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht dar.) Laut den Nachforschungen von Memorial-Russland zu den von den Stalinschen Deportationen betroffenen Völkern waren insgesamt 905.000 Deutsche davon erfasst.[20] Das war fast die 2,5-fache Einwohnerzahl von 366.685 Einwohnern deutscher Nationalität in der ASSRdWG (Stand: 1939). Entsprechend dem Erlass "„Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons leben“", wurden sie in die Kasachische SSR (fast die Hälfte), hinter den Ural, nach Westsibirien und die Altai-Region zwangsumgesiedelt. Die meisten Männer, aber auch Frauen ab 16 Jahren, wurden ab Februar 1942 zwangsweise zur sogenannten „Arbeitsarmee“ (russ. Trud Armija) „mobilisiert“. Als „Mobilisierte“ verrichteten sie Zwangsarbeit unter Aufsicht des NKWD in ähnlicher Weise und unter nahezu gleichen Bedingungen wie die Häftlinge in den Arbeitslagern des Gulag.

Einige bekannte Opfer

Stellvertretend für die inzwischen bekannte Zahl von Tausenden Opfern seien hier nur einige der bekanntesten Namen genannt. Noch immer unvollständige Listen von deutschen Opfern sind bei Hedeler/Münz-Koenen[21] und Plener/Mussienko [22] zu finden. Letztere Publikation nennt 567 Namen von Deutschen bzw. Deutschstämmigen in der Sowjetunion (Russland), die erschossen, zu Lagerhaft verurteilt oder ausgewiesen wurden. Die meistens der Todesopfer sind entweder auf auf dem Moskauer Donskoi-Friedhof oder in Butowo hingerichtet worden.

  • Alfred Abramowski (1913–1949)
  • Fritz Abramowski (1887–1938)
  • Kurt Ahrend (1908–1938)
  • Fritz Beek (1900–1942)
  • Otto Beil (1895–1937)
  • Erich Birkenhauer (1903–1941)
  • Adolf Boss (1903–1942)
  • Gertrud Braun (1907–1976)
  • Wolf Bronner (1876–1939)
  • Margarete Buber-Neumann (1901–1989
  • Helmut Damerius (1905–1985)
  • Berta Daniel (1896–1981)
  • Richard Daniel (1891–1942)
  • Hanns Walter David (1893–1942)
  • Paul Dietrich (1889–1937)
  • Walter Dittbender (1891–1939)
  • Walter Domke (1901–1938)
  • Hans Drach (1914–1941)
  • Wolfgang Duncker (1909–1942); Sohn von Hermann Duncker (1874–1960)
  • Ludwig Ebner (1894–?)
  • Christian Endter (1891–?)
  • Waldemar Faber (1891–1938)
  • Anna Fehler (1905–1959)
  • Leo Flieg (1893–1939)
  • Leo Friedlaender (1895–1937)
  • Max Fuchs (1904–1937)
  • Samuel Glesel (1901–1937)
  • Marta Globig (1901–1991)
  • Alexander Granach (1890–1945)
  • Martin Grothe (1896–1937)
  • Franziska Günther (1900–1986)
  • Hans-Georg Günther (1921–1944)
  • Johannes Günther (1899–1937)
  • Karl Hager (1882–1957)
  • Paul Hager (1912–1942)
  • Otto Handwerg (1905–1937)
  • Marie Hasselbring (1906–1988)
  • Hans Hauska (1901–1965)
  • Hans Hausladen (1901–1938)
  • Frieda Holland (1893–1980)
  • Robert Holland (1916–1966)
  • Willy Holland (1918–?)
  • Artur Hübner (1899–1962)
  • Hans Kippenberger (1898–1937)
  • Hans Knodt (1900–?)
  • Wilhelm Knorin (1890–1938)
  • Bernard Koenen (1889–1964)
  • Paul Koschwitz (1903–1938)
  • Hugo Kruppa (1899–1984)
  • Willi Kühne (1909–1938)
  • Heinrich Kurella (1905–1937)
  • Max Maddalena jun. (1917–1942); Sohn von Max Maddalena sen. (1895–1943)
  • Erwin Marcusson (1899–1976)
  • Kurt Meyer (1888–1944)
  • Hermann Möller (1902–?)
  • Otto Möller (1887–?)
  • Heinrich Most (1904–1938)
  • Rudolf Mühlberg (1898–?)
  • Zenzl Mühsam (1884–1962); Ehefrau von Erich Mühsam (1878–1934)
  • August Müller (1880–?)
  • Heinz Neumann (1902–1937)
  • Karl Oefelein (1909–1938)
  • Max Pfeiffer (1896–?)
  • Louis Rautenberg (1901–1981)
  • Horst Reiter (1915–1938)
  • Walter Reiter (1914–1938)
  • Anna Remmele (1888–1947); Ehefrau von Hermann Remmele
  • Hedwig Remmele (1907–1984); Tochter von Hermann Remmele
  • Hellmut Remmele (1910–1938); Sohn von Hermann Remmele
  • Hermann Remmele (1880–1939)
  • Ewald Ripperger (1902–1938)
  • Paul Ritzmann (1901–1981)
  • Alfred Rohde (1899–1937)
  • Walter Rosenke (1902–1966)
  • Martha Ruben-Wolf (1887–1939)
  • Otto Sannek (1894–1937)
  • Fritz Sauer (1904–1938)
  • Kurt Sauerland (1905–1938)
  • Bruno Schmidtsdorf (1908–1938)
  • Oswald Schneidratus (1881–1937), Vater von Werner Schneidratus
  • Werner Schneidratus (1908–2001)
  • Arno Schrickel (1909–1938)
  • Fritz Schulte-Schweitzer (1890–1943)
  • Nikolaus Seeholzer (1908–1938)
  • Joseph Selbiger (1910–1941)
  • Rudolf Senglaub (1911–1938)
  • Horst Seydewitz (1915–1997)
  • Frieda Siebeneicher (1908–2000)
  • Hertmann Siebler (1901–1994)
  • Gustav Sobottka jun. (1915–1940); Sohn von Gustav Sobottka sen. (1886–1953)
  • Josef Stromtschinski (1889–1938)
  • Heinrich Süßkind (1895–1937)
  • Anna Tieke (1897–1938)
  • Rudolf Tieke sen. (1895–1989)
  • Rudolf Tieke jun. (1916–1938)
  • Otto Unger (1893–1938)
  • Ernst Weißenberg (1912–?)
  • Lothar Wolf (1882–1938)
  • Walter Zobel (1896–1937)

[Wird noch vervollständigt]

Einzelnachweise

  1. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 212
  2. Ochotin; Roginskij: 2000/2001
  3. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 243 f.
  4. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 212
  5. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 212
  6. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 213
  7. Zit. nach Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 221
  8. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 244
  9. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 8
  10. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 220 ff.
  11. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 212
  12. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 9
  13. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 225
  14. Plener; Mussienko (Hrsg.): 2006, S. 147 ff.
  15. Vgl. dazu Verzeichnis der Abkürzungen in Alexander Solschenizyn: Der Archipel GULAG. Bd. 3, 1990, ISBN 3-499-14198-1, S. 546 ff.
  16. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 244
  17. Zit. nach Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 195 f.
  18. Schlögel: Terror und Traum. S. 637; McLoughlin: „Vernichtung des Fremden.“ S. 97; Werth: Mechanism of Mass Crime. S. 232
  19. http://www.russlanddeutschegeschichte.de/kulturarchiv/quellen/erlass.htm; Quelle: Eisfeld, Nr. 36, geschichte der russlanddeutschen - erlaß
  20. http://lists.memo.ru; Opfer des politischen Terrors in der UdSSR, Vorwort, III. Punkt, Deportation von Völkern (Tabelle)
  21. Hedeler; Münz-Koenen (Hrsg.): 2013, S. 222–242
  22. Plener; Mussienko (Hrsg.): 2006, S. 18–143

Literatur

  • Wladislaw Hedeler; Inge Münz-Koenen (Hrsg.): „Ich kam als Gast in euer Land gereist ...“ Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933–1956. Lukas Verlag, Katalog zur Ausstellung, Berlin 2013, ISBN 978-3-86732-177-8
  • Nikita Ochotin; Arsenij Roginskij: Zur Geschichte der „Deutschen Operation“ des NKVD 1937–1938. In: Hermann Weber, Ulrich Mählert (Hrsg.): Verbrechen im Namen der Idee. S. 143–189 und 316–319 (Erstpublikation im Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung. 2000/2001, S. 89–125)
  • Ulla Plener; Natalia Mussienko (Hrsg.): Verurteilt zur Höchststrafe: Tod durch Erschießen. Todesopfer aus Deutschland und deutscher Nationalität im Großen Terror in der Sowjetunion 1937/1938. (Reihe: Texte/Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 27) Berlin: Dietz, 2006, ISBN 3-320-02080-3
  • Wolfgang Ruge: Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2012, ISBN 978-3-498-05791-6
  • Alexander Vatlin: „Was für ein Teufelspack“. Die Deutsche Operation des NKWD in Moskau und im Moskauer Gebiet 1936 bis 1941. Aus dem Russischen übersetzt von Wladislaw Hedeler. Metropol Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86331-090-5

Weblinks