Staatsterror

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Staatsterror bezeichnet staatsphilosophisch den gezielten Einsatz der Angst der Bürger vor dem staatlichen Gewaltmonopol als Zwangsmittel des Staates zur Erzwingung der Gesetzestreue seiner Bürger. Nicht zu verwechseln ist der Staatsterror mit dem jüngeren Begriff des Staatsterrorismus.

Staatsterror nach Hobbes

Am prominentesten wurde der Begriff vom Liberalismus des Kontraktualismus von Thomas Hobbes in seiner staatstheoretischen Schrift Leviathan aus dem Jahr 1651 geprägt. Für Hobbes verlieh der Terror dem Staat das notwendige und legale Zwangsmittel zu seiner Konstitution (terror of legal punishment).[1] Die Bewertungen Hobbes reichen dabei von der Feststellung, er habe mit dem terror of legal punishment und seinem Kontraktualismus, also seiner „Staatskonstruktion die Logik der totalitären Regime (…) vorweggenommen“, bis hin zur Meinung, Hobbes habe „ganz im Gegenteil eine erste Begründung für den liberalen (…) Staat geboten.“[2]

Moderne Auffassungen

Polizeistaat

Allgemeiner gefasst werden als Staatsterror auch Formen des Polizeistaates bezeichnet, die keine rechtsstaatliche Grundlage besitzen oder deren rechtsstaatliche Grundlagen in Zweifel gezogen werden.[3]

Die Begründung eines Ausnahmezustandes[4] dient in vielen staatlichen Krisensituationen dem Staat zur Legitimierung von Zwangsmitteln, die gemeinhin als terroristische verurteilt werden.[5]

Totalitarismus und Terror

Staatlicher Terror ist das wichtigste konstituierende Element totalitärer Staaten. Er bedeutet die nicht mehr berechenbare Anwendung physischer Gewalt als permanente Drohung für jeden.[6] Staatsterror wird von Theoretikern des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts zahlreichen Staaten vorgehalten.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Terror des Nationalsozialismus, der mit dem Begriff Staatsterror nicht mehr zu fassen ist, und den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts werden die Grundannahmen der Moderne[7] und ihre Konzepte wie Totalität,[8] Biopolitik, Gouvernementalität kritisch diskutiert.[9] Nach Hannah Arendt war der Terror im 20. Jahrhundert das wichtigste Kennzeichen nationalsozialistischer und stalinistischer totaler Herrschaft.[8]

Geschichtliche Beispiele

Frankreich

Die Terrorherrschaft war eine Periode der Französischen Revolution. Sie begann im Juni 1793 und endete mit der Hinrichtung Robespierres am 27. Juli 1794.

Russisches Kaiserreich und Sowjetunion

Auf der Seite des zaristischen bzw. später bürgerlichen Russlands organisierte sich die staatliche Gewalt in Form des Weißen Terrors. Bei der Etablierung der Oktoberrevolution galt Roter Terror als Gegenmittel zur Konterrevolution und sollte der Konstitution der Sowjetunion dienen. Der Stalinismus gilt als eine moderne und totalitäre Form des Staatsterrors. In diesem Zusammenhang ist auch der Große Terror zu nennen.

Deutsches Reich

Reinhard Bernbeck sieht im „NS-Staat ein exemplarisches Beispiel“ für Staatsterror. Zentral scheint ihm neben der Einschüchterung und der Hervorrufung von Angst durch Willkürmaßnahmen bis zur physischen Gewalt die Unvorhersehbarkeit der staatlichen Maßnahmen bis zur Lebensbedrohung. Ein staatlicher Terrorapparat könne jederzeit und überall zuschlagen. Die Nazi-Zeit ist insofern eine geschichtlich bedeutsame Ausnahme des Staatsterrors, als der größte Teil der „Volksgemeinschaft“ das Regime und seine Terrormaßnahmen unterstützte.[10]

Literatur

Hobbes

  • Thomas Hobbes: Leviathan. Frankfurt am Main 1998, besonders S. 96–98 (Kapitel 30). – Im englischen Original: Of the Office of the Sovereign Representative
  • Leo Strauss: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe (= Gesammelte Schriften. Band 3). Hrsg. von Heinrich und Wiebke Meier. J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2001.
  • Thomas Schneider: Thomas Hobbes’ Leviathan. Zur Logik des politischen Körpers. zu Klampen, Springe 2003.
  • Dieter Hüning (Hrsg.): Der lange Schatten des Leviathan. Hobbes’ politische Philosophie nach 350 Jahren. Duncker und Humblot, Berlin 2005.
  • Jürgen Hartmann: Hobbes, Thomas (…) Leviathan oder Stoff, Form und Gestalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. In: Lexikon der soziologischen Werke. Westermann, Wiesbaden 2001, S. 295.

Staatsrechtliche und -philosophische Literatur (Staatsterror, Ausnahmezustand)

Begriff im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen und Fragen

  • Alexander George (Hrsg.): Western State Terrorism. Polity Press, 1991, ISBN 0-7456-0931-7.
  • J. Patrice McSherry: Predatory States: Operation Condor and Covert War in Latin America. Rowman & Littlefield Publishers, 2005, ISBN 0-7425-3687-4.
  • Habib Souaïdia: Schmutziger Krieg in Algerien. Bericht eines Ex-Offiziers der Spezialkräfte der Armee (1992–2000). Chronos, Zürich 2001, ISBN 3-0340-0537-7.
  • Roland Kaufhold: Ohne Hass keine Versöhnung: ein Gespräch mit David Becker. In: psychosozial. Nr. 58 (4/1994), S. 105–120 (online bei HaGalil).

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Thomas Hobbes: Leviathan. Frankfurt am Main 1998, besonders S. 96–98. – Im englischen Original: Chapter XXX: Of the Office of the Sovereign Representative. Vgl. Peter Schröder. In: Dieter Hüning (Hrsg.): Der lange Schatten des Leviathan. Hobbes’ politische Philosophie nach 350 Jahren. Duncker und Humblot, Berlin 2005, besonders S. 189 ; Thomas Schneider: Thomas Hobbes’ Leviathan. Zur Logik des politischen Körpers. zu Klampen, Springe 2003, S. 137. Ingo Elbe in Der Leviathan für das 21. Jahrhundert dazu: „Schneider spricht (…) von der ‚Macht des Staates, die als Propaganda das Bewußtsein und als Terror die Gemütsbewegungen der Menschen erfasst‘ (137). Die gesamte Anlage der Philosophie Hobbes’ laufe auf das Konstrukt der erst durch den staatlichen Schrecken integrierten Individuen hinaus.“ (PDF; 146 kB).
  2. Jürgen Hartmann: Hobbes, Thomas (…) Leviathan oder Stoff, Form und Gestalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. In: Lexikon der soziologischen Werke. Westermann Verlag. Wiesbaden 2001. S. 295.
  3. Polizeistaat ohne Rechtsstaat ist Staatsterror. Bernhard Zangl und Michael Zürn (1999): Weltpolizei oder Weltinterventionsgericht? Zur Zivilisierung der Konfliktbearbeitung. In IP Internationale Politik 54 (8) Ausgabe 1999 ISSN 1430-175X; Vgl. auch Zangl, Bernhard und Michael Zürn: Frieden und Krieg. Sicherheit in der nationalen und postnationalen Konstellation, Frankfurt am Main 2003.
  4. Vgl. Carl Schmitt: „Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat.“ (Politische Theologie, S. 19).
  5. Vgl. in der deutschen Geschichte: Jesuitengesetz von 1872 und das Sozialistengesetz von 1878; Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung; Ermächtigungsgesetz „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“; Notstandsgesetz.
  6. Franz Neumann: Notizen zur Diktatur. In: Franz Neumann: Demokratischer und autoritärer Staat. Studien zur politischen Theorie. Frankfurt am Main 1967, S. 236.
  7. Vgl. insb. Zygmunt Bauman: Dialektik der Ordnung
  8. a b Vgl. Hannah Arendt (1955): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft
  9. Vgl. insb. die Literatur bei Michel Foucault und Giorgio Agamben.
  10. Reinhard Bernbeck: Terror von oben: die NS-Zeit und archäologische Erinnerung. Eine Spurensuche auf dem Tempelhofer Feld. In Sozialmagazin 5–6 2018, S. 47–56, online verfügbar auf academia.edu