Chirurg von der Weser

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. Juli 2018 um 13:16 Uhr durch imported>Georg Hügler(2234691) (→‎Literatur).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Der sogenannte Chirurg von der Weser (* vor 1220; † vor 1266) war ein westfälischer Chirurg (Wund- und Augenarzt) und Verfasser einer Handschrift mit chirurgischen Texten, verfasst als Kommentare nach den Vorlesungen des burgundischen Wundarztes Wilhelm Burgensis (auch Wilhelm de Congenis genannt), der ihn in Montpellier unterrichtete.

Leben

Der namentlich nicht bekannte „Chirurg von der Weser“ studierte um 1220 bis 1230 an den Universitäten Bologna und Montpellier. An der medizinischen Schule in Montpellier traf er auf Wilhelm Burgensis (de Congenis), lernte dessen Operationsmethoden kennen und schrieb die Vorlesungen nach, die dieser über die Chirurgie des Roger Frugardi gehalten hatte.[1] Diese in der Provence verfassten medizinwissenschaftlichen Abhandlungen fanden weite Verbreitung und begründeten seinen Ruhm.

Das Manuskript Cyrurgia domini et magistri Willehelmi de Congenis beschreibt in Form eines durchgängigen Kommentars die Heilkunde seines Lehrers, die sich wiederum auf die Chirurgie des Roger Frugardi berief, der aus Parma stammte. Wilhelm war der Arzt des Heerführers Simon de Montfort, sein deutscher Schüler, der „Chirurg von der Weser“, verfasste die Handschrift nach dem Tode Wilhelms und widmete sie seinem Herzog „domino meo O. duci“. Dieser wurde als Herzog Otto das Kind von Braunschweig und Lüneburg identifiziert, da eine niederdeutsche Herkunft des Verfassers aus seiner Tätigkeit als Chirurg in Höxter und Corvey im Weserbergland angenommen wird.[2][3]

In einem Zweitkommentar (Notulae) schrieb er zudem über seine eigenen Erfahrungen in einer Praxis in Paris und im Gebiet der Weser. So beschrieb er dort eine chirurgische Behandlung im Bereich des Gesichts, die er bei Magister Henricus an beiden Augen durchgeführt hatte. Dieser war Kanonikus des Stiftes Niggenkerken (Nova ecclesia) zu Höxter. Er hatte sich bei seinen Augenoperationen insbesondere auf Lidplastiken (zur Behandlung von Entropium bzw. Ektropium bei den Symptomen Trichiasis bzw. Epiphora) und den Starstich[4] spezialisiert und für sich eigene Operationsinstrumente entwickelt. Es ist möglich, dass er auch im Umfeld des Herzogs von Braunschweig als Leibarzt fungierte. Somit repräsentierte der „Chirurg von der Weser“ im welfischen Herrschaftsgebiet die neuesten Erkenntnisse im Bereich der plastischen Chirurgie, die er sich in Bologna, Montpellier, Paris und in Deutschland angeeignet hatte und in mehreren Schriften festhielt.[2]

Der Chirurg von der Weser war wie Ortolf von Baierland eine Ausnahme im Berufsstand der Wundärzte, da beide für ihre Ausbildung ein Studium an Medizinschulen absolvierten, was im 13. Jahrhundert eher selten war. Bei Höxter wurden 1988 bei archäologischen Ausgrabungen des Seminars für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen in der untergegangenen Stadt Corvey im Keller eines 1265 zerstörten Hauses westlich der Marktkirche[5] medizinische Instrumente entdeckt, die darauf schließen lassen, dass der Chirurg dort gewohnt haben könnte.[6]

Literatur

  • Ryszard Ganszyniecz: Zur Chirurgie des Wilhelm de Congenis. In: Sudhoffs Archiv (= Archiv für Geschichte der Medizin). Band 13, 1921, S. 166–170.
  • Gundolf Keil: Chirurg von der Weser. In: Burghart Wachinger u. a. (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 1: ‘A solis ortus cardine’ – Colmarer Dominikanerchronist. De Gruyter, Berlin / New York 1978, ISBN 3-11-007264-5, Sp. 1196 f. (books.google.de).
  • Gundolf Keil: Chirurg von der Weser. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 250 f.
  • Hans-Georg Stephan: Der Chirurg von der Weser (ca. 1200–1265). Ein Glücksfall der Archäologie und Medizingeschichte. In: Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte. Band 77. Sudhoffs Archiv, 1993, OCLC 695185673, S. 174–192.
  • Hans-Georg Stephan (mit Gundolf Keil): Medizinische Instrumente, mutmaßlich aus dem Besitz des „Chirurgen von der Weser“. In: Hans-Jürgen Kotzur (Hrsg.): Kein Krieg ist heilig. Die Kreuzzüge. Von Zabern, Mainz 2004, ISBN 3-8053-3240-8, S. 444–446.
  • Barbara Kössel-Luckhardt: Chirurg von der Weser. In: Horst-Rüdiger Jarck, Dieter Lent u. a. (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 8. bis 18. Jahrhundert. Appelhans Verlag, Braunschweig 2006, ISBN 3-937664-46-7, S. 142.

Ausgaben

  • Julius Pagel (Hrsg.): Die Chirurgie des Wilhelm von Congeinna (Congenis) Fragment eines Collegienheftes nach einer Handschrift der Erfurter Amploniana. Reimer, Berlin 1891, OCLC 722104639.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gundolf Keil: Roger Frugardi. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Auflage, Band VIII, Berlin / New York 1992, Sp. 140–153; hier: Sp. 145 f.
  2. a b Barbara Kössel-Luckhardt: Chirurg von der Weser. In: Horst-Rüdiger Jarck, Dieter Lent u. a. (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 8. bis 18. Jahrhundert. Appelhans Verlag, Braunschweig 2006, ISBN 3-937664-46-7, S. 142.
  3. Hans-Georg Stephan: Der Chirurg von der Weser (ca. 1200–1265). S. 174–192.
  4. Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 44.
  5. Gundolf Keil: „blutken–bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 44 f.
  6. Andreas König, Stadtarchäologe: WKE – Thema 26: Der Chirurg –Lebte der berühmte „Chirurg von der Weser“ auch in Corvey? auf hoexter.de.