Benutzer:Liberaler Humanist/Die Auswirkungen des Klarnamensgesetzes auf die Wikipedia
Unter dem Orwellschen Titel „Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz“ kündigte die österreichische Bundesregierung ein Gesetz zur „Ausweispflicht im Internet“ an. Vorgestellt wurde dieses Vorhaben in den Fernsehnachrichten durch eine mit Jähzorn, aber wenig technischer Sachkenntnis ausgestattete Person. Mittlerweile wurde der bereits vom Ministerrat verabschiedete Gesetzesentwurf veröffentlicht. Ein Blick in den Entwurf zeigt mehrere Anforderungen, die für die Wikipedia nur mit Änderungen der Projektgrundsätze erfüllbar sind.
Zusammenfassung
§ 3 Abs. 1 Z1 legt den Anwendungsbereich des Klarnamensgesetz fest auf „Diensteanbieter eines Online-Informationsangebotes“ , die selbst oder durch Nutzer ihrer Seite ein Forum – in § 2 Abs. 3 definiert als “die online-Funktion zum Austausch von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt (Posting) von Nutzern mit einem größeren Personenkreis anderer Nutzer“ betreiben, das auf „das auf Nutzer in Österreich ausgerichtet ist“. §3 Abs. 2 Z 1 schränkt diese Geltungsbereich ein auf „Diensteanbieter, deren Dienst im Inland mehr als 100.000 registrierte Nutzer hat“, „deren im vorangegangenen Jahr in Österreich erzielter Umsatz 500.000 Euro übersteigt“ (Z2) oder die nach Z 3 Presseförderung beziehen. Die deutschsprachige Wikipedia hatte mit heutigem Datum 3.167.000 registrierte Benutzer. Es existiert, insbesondere aufgrund der Löschung von IP-Adressen nach drei Monaten keine Möglichkeit, die Herkunft all dieser Accounts auszuwerten. Ein T-Test spricht jedoch dafür, dass über 400.000 Accounts von Österreichern registriert wurden. Wie in §3 weiter ausgeführt trifft im Zweifelsfall der Rundfunk- und Telekom Regulator eine Schätzung über die Nutzerzahlen. Auf Basis der o.g. Schätzung würde der Regulator zum Schluss kommen, dass die Wikipedia in den Anwendungsbereich des Klarnamensgesetz fällt. Das Projekt, bzw. der Diensteanbieter, die WMF, muss sich daher überlegen, wie es dieses Gesetz befolgen kann.
§3 Abs. 1 bestimmt, dass Nutzer ein „Registrierungsprofil“ anlegen müssen. Der Begriff „Registrierungsprofil“ wird nicht definiert, es ist wird im Folgenden angenommen, dass damit ein Nutzerprofil gemeint ist. Abs. 4 lautet wie folgt: „Im der Authentisierung dienenden Registrierungsprofil hat sich jeder Nutzer unter Angabe von Vorname, Nachname und Adresse als Poster zu registrieren. Dabei hat er einen Nutzernamen festzulegen, der im Forum als Bezeichnung für den Verfasser des Postings aufscheint.“ Um die Eingabe von falschen Angaben zu unterbinden ist eine Überprüfung der Identitätsverifikation vorgesehen: „Der Diensteanbieter hat im Wege der Ausgestaltung des Vorgang der Registrierung für die Überprüfung der Identität des Nutzers auf der Grundlage von Dokumenten, Daten oder Informationen, die von einer glaubwürdigen und unabhängigen Quelle stammen, zu sorgen.“ Zu jeder Neuanmeldung muss daher jemand einen Meldezettel, Lichtbildausweis oder ähnliche Dokumente auf Konsistenz und Echtheit überprüfen. Jedoch: „Nach durchgeführter Überprüfung sind die für die Überprüfung verwendeten Dokumente und Informationen unverzüglich zu löschen.“, der Diensteanbieter erspart sich somit die sichere Aufbewahrung dieser Daten, muss jedoch nachweisen, diese Dokumente überprüft zu haben. Der Schreibzugang darf erst nach Überprüfung der persönlichen Daten gewährt werden, gemäß Abs. 5 sind „routinemäßig periodisch vorgenommenen Überprüfungsvorgängen“ - worauf bleibt unklar- durchzuführen, „Registrierungsprofile“ sind auf Verlangen des Benutzers oder nach mehr als einem Jahr Inaktivität zu löschen.
§ 4 Z 1 und Z 2 reduzieren im Vergleich zu den bisherigen Bestimmungen z.B. des § 90 Abs. 7 Telekommunikationsgesetz 2003 bestehende Datenschutzbestimmungen: „Der Diensteanbieter hat Vorname, Nachname sowie die Adresse des Posters einer dritten Person auf deren begründetes schriftliches Verlangen bekannt zu geben. (Z 2)" Ein begründetes Verlangen im Sinne des Abs.1 liegt nur dann vor, wenn „die dritte Person unter Nachweis ihrer Identität glaubhaft macht, dass die Feststellung der Identität des Posters eine unabdingbare Voraussetzung bildet, um wegen des Inhalts eines Postings gegen diesen Poster mittels Privatanklage wegen übler Nachrede (§111 Abs.2 StGB) oder wegen Beleidigung (§115 StGB) strafgerichtlich oder wegen Verletzungen an der Ehre (§1330 ABGB) zivilgerichtlich vorzugehen“ Komplexe Vorgaben stellt Abs. 4 „Bei begründeten Hinweisen, dass durch den Inhalt eines Postings der objektive Tatbestand der üblen Nachrede oderder Beleidigung hergestellt worden sein könnte oder dass der Inhalt sonst den konkreten Verdacht einer Straftat begründen könnte, hat der Diensteanbieter von dem betreffenden Posting eine Aufzeichnung herzustellen, die eine vollständige und originalgetreue Wiedergabe ermöglicht. Über ein Verlangen nach Abs.2 oder ein Ersuchen nach Abs.3 hat er auch diese näher bezeichnete Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen. Beim Diensteanbieter darf keine Verknüpfung zwischen der Identität eines Posters und dem Inhalt eines Postings vorgenommen werden.“
§ 5 schreibt die Einsetzung eines Beauftragten vor, der die Umsetzung und Einhaltung des Klarnamensgesetz sicherstellen soll. Abs. 4 erfordert unter Verweis auf die aus §9 Abs. 4 VstG hervorgehenden Bestimmungen die Benennung eines im Inland wohnhaften und gemäß Abs. 2 „unverzüglich erreichbaren“ Beauftragten. Dieser Beauftragte trägt eine hohe Verantwortung, §8 Abs. 2 bedroht Verfehlungen mit einer Verwaltungsstrafe von bis zu 100.000 €, § 7 legt für den Diensteanbieter Strafen von bis zu 500.000 € beim Erstverstoß fest. § 9 legt eine hohe Schwelle für die Qualität der Datenverifikation fest: „Über den Diensteanbieter ist keine Geldbuße zu verhängen und der verantwortliche Beauftragte ist nicht zu bestrafen, wenn eine Identifikation des Posters als Voraussetzung eines gegen diesen Poster gerichteten gerichtlichen Verfahrens zwar scheitert, der Diensteanbieter aber glaubhaft machen kann, dass er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für eine Überprüfung der Identität gesorgt hat.“. Sollte eine Identifikation eines Benutzers scheitern liegt ein strafbedrohter Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht vor, der laut Erläuterungen zum Entwurf nicht zu bestrafen ist, wenn der „best effort Grundsatz“ eingehalten wird. Laut § 12 soll das Gesetz am 1. September 2020 in Kraft treten, die Vorarbeiten sind bis 31. März 2020 abzuschließen.
Auswirkungen auf die Wikipedia
Die Rechtsanwaltskammer kritisierte im Oktober 2018 die „mangelhafte Qualität der Gesetzgebung“. Auch der Entwurf zum Klarnamensgesetz ist in die Menge schlecht gemachter Gesetze einzureihen. Dem aufmerksamen Leser ist eventuell das Wort „Registrierungsprofil“ aufgefallen. Was ist ein „Registrierungsprofil“? Außerhalb dieses Entwurfs taucht der Begriff wenige Male in Zusammenhang mit einer Software zur Verwaltung von Apple-Geräten auf. Ist damit ein „Benutzerkonto“ gemeint oder ist das „Registrierungsprofil“ ein Verwaltungsakt? Die Verwendung eines erfundenen Begriffs an zentraler Stelle ist für die Qualität des Entwurfs und die Kompetenz der Autoren bezeichnend und stellt in Frage, ob die unklare Umsetzbarkeit solch rätselhafter Vorgaben ein bei der Erstellung berücksichtigtes Ziel war . Absicht dieses Gesetzes war wie ursprünglich behauptet die Erleichterung der Verfolgung von Straftaten im Netz. Es liegen keine Informationen vor, die auf ein Scheitern derselben aufgrund der mangelnden Identifizierbarkeit von Postingurhebern hindeuten. In Österreich gab es bislang keine Verurteilung aufgrund von Bearbeitungen in der Wikipedia. Dies liegt nicht daran, dass keine Vorgänge zur Anzeige gebracht worden wären. Die bisherige Erfahrung ist, dass die Polizei bei Gefahr in Verzug zwar tätig wird, Verfahren aber eingestellt werden. Es sind auch keine Zivilrechtsverfahren bekannt, die in Österreich aufgrund von WP-Bearbeitungen geführt worden wären. Obwohl es bislang keinen Fall gab, in dem das Klarnamensgesetz in der Wikipedia zur Anwendung gekommen wäre müssten, um diesem zu entsprechen, aufwändige Änderungen an Mediawiki und dem Verwaltungsapparat der Wikipedia vorgenommen werden.
Das Klarnamensgesetz schließt die aktive Teilnahme von anonymen Nutzern aus. Dies allein ist noch kein Problem, eine Benutzerkontenpflicht würde in der Wikipedia auf zumindest teilweise Zustimmung stoßen. Eine Freischaltung von Nutzerkonten würde die einzige amtsbekannte, die Wikipedia heimsuchende österreichische Person von ihren Umtrieben abhalten, vorausgesetzt diese wäre an österreichische IP-Adressen gebunden.
Das Hauptproblem ist der Umsetzung eines Verifikationsprozesses. Dokumente zu überprüfen stellt einen Arbeitsaufwand dar, der mit den vorhandenen Ressourcen von WMAT nicht durchgeführt werden kann. §3 Abs. 4 legt explizit fest, dass die zur Verifikation verwendeten Daten und Dokumenten nach Abschluss der Verifizierung zu löschen sind. Aufgrund dieser Löschungspflicht ist es nicht möglich, sich für den jeweiligen Benutzer zum Preis von wenigen Euro einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu beschaffen und zu archivieren. Fraglich ist, ob Benutzer den Betreiber von der Löschungspflicht entbinden können und es dem Betreiber so ermöglichen können, trotz der Strafdrohung aus § 7 Abs. 1 Z 1 die Aufbewahrung der zur Verifizierung vorgelegten Dokumente wie z.b. eines Meldezettels und einer Eidesstattlichen Erklärung zu ermöglichen. Mit diesem Prozedere könnte zumindest für die realnamentlich der Gemeinde bekannten und aktiven Benutzer eine gesetzeskonforme Verifikation erreicht werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass z.B. die digitale Vorlage einer manipulierbaren Ausweiskopie dem best-effort Grundsatz entspricht. Die Anwerbung von Neuautoren insbesondere aus den Bundesländern ist kaum noch möglich, wenn zur Verifikation eine persönliche Vorsprache in der WMAT-Geschäftsstelle samt eventueller Anreise aus den Bundesländern notwendig ist.
Zwar ist es möglich, ein von mehreren Bearbeitern zu unterzeichnendes Protokoll zur Datenüberprüfung anzulegen, dass dies den Ansprüchen des best-effort Grundsatz entspricht ist zu bezweifeln. Begrenzte Ressourcen sind kein Argument für die mangelnde Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Ebenso wie mangelnde Sicherheitsvorkehrungen im Fall eines Datendiebstahls die Haftung eines Diensteanbieters bedingen können sind mangelnde Ressourcen zur Umsetzung einer professionellen Userverifikation kein Grund, der WMAT von der Einhaltung höchster Standards ausnehmen würde. Die Verwendung einer externen Lösung scheint die einzige Möglichkeit zu sein, um den Vorgaben dieses Gesetzes zu entsprechen. Dafür ausschlaggebend ist nicht nur die Pflicht zur exakten Überprüfung der Daten, sondern auch § 4 Abs. 4, der verlangt, dass die Benennung von Userdaten gegenüber Dritten durch eine externe Stelle erfolgen muss: „Bei begründeten Hinweisen, dass durch den Inhalt eines Postings der objektive Tatbestand der üblen Nachrede oder der Beleidigung hergestellt worden sein könnte oder dass der Inhalt sonst den konkreten Verdacht einer Straftat begründen könnte, hat der Diensteanbieter von dem betreffenden Posting eine Aufzeichnung herzustellen, die eine vollständige und originalgetreue Wiedergabe ermöglicht.“ Es ist dem Dienstanbieter nicht möglich, eine Aufzeichnung eines Postings zu erstellen ohne den Inhalt des Postings nicht zu erfassen. Fortsetzend legt §4 Abs. 4 jedoch fest: “Beim Diensteanbieter darf keine Verknüpfung zwischen der Identität eines Posters und dem Inhalt eines Postings vorgenommen werden.“. Es ist dem Dienstanbieter dem zufolge nicht möglich, selbst eine solche Auskunft an Dritte zu geben, da ihm dabei unweigerlich der Inhalt des Postings und die Identität des Benutzers kenntlich würden. Die Nutzung einer externen, spezialisierten Stelle zur Benutzerverifikation ist aus Gründen der Sorgfaltspflicht nicht nur notwendig, da dem Diensteanbieter nur entweder der Inhalt seiner Postings oder dessen Identität kenntlich werden darf ist die Nutzung einer externen Lösung zur Identifikation unumgänglich.
Es gibt zahlreiche Anbieter für Identifikationslösungen, die allerdings nicht gratis sind. Laut Epicenter.works habe die Telekom Austria für die Festschreibung der Verwendung des Systems „Mobile Connect Global ID“ geworben, der Rundfunk- und Telekom Regulator scheint dieses System zu unterstützen, laut einem Bericht des Standard ist der Entwurf auf dieses System zugeschnitten. Mobile Connect ist eigentlich ein Anmeldesystem, das Passwörter durch eine Verfikation über Mobilfunkgeräte ersetzen soll.
Die Person aus dem Eingangs verlinkten Video stellt sich zum Entsetzen sachkundiger Kreise als der Minister für EU, Kunst, Kultur und Wahrheit Medien heraus. In dessen Nachrichtenauftritt wird auf eine Softwarelösung verwiesen. Ebenso legen die Erläuterungen zum Gesetzesentwurf eine solche Lösung nahe: „Die Verpflichtung des Diensteanbieters wäre beispielsweise dann erfüllt, wenn die für die Rechtsverfolgung notwendigen Daten mittels 2-Faktor-Authentifizierung mit Mobiltelefonnummer bestätigt werden oder der Diensteanbieter sichergestellt hat, dass er –gegebenenfalls in Kooperation mit dem Betreiber des Telefondienstes –bei begründeten Anfragen, die für die Rechtsverfolgung notwendigen Daten in Erfahrung bringen kann.“. Die Nutzung eines Dienstes wie Mobile Connect minimiert den Verwaltungsaufwand für den Diensteanbieter, nimmt eine Dokumentation der Userverifikation vor, was nicht möglich ist, wenn man die zur Information vorgelegten Daten wieder löschen muss und verhindert ein Datenschutzproblem, da die Daten gar nicht erst zu jedem verifizierenden Websitebetreiber gelangen. Die periodische Überprüfung der Datenkorrektheit ist ebenfalls nur möglich, wenn man wie ein Provider regelmäßig, z.b. durch Rechnungen in Kontakt steht und falsche Daten, z.b. eine Adresse durch rücklaufende Briefe auffallen. Abgesehen davon, dass bei Mobile Connect bzw. dem Provider eine Liste der Websites, bei der eine Person ein Nutzerkonto hat entsteht und dem sicherheitsrelevanten Problem eines einzigen, physischen Zugangspunkts für alle Konten einer Person scheint das von der GSM Association unterstützte Mobile Connect eine praktikable Lösung zur Userverfikation zu sein, die – für die WP relevant – Mehrfachkonten nicht auf legalem Wege zulässt. Die offenbar Kosten werden in den Erläuterungen zum Entwurf auf 4 Jahre mit 100.000€, die für 50 Unternehmen anfallen angegeben. Proportional würden für WMAT damit Kosten von 500 € pro Jahr anfallen, die mit dem gegenwärtigen Budget finanziert werden können. Allerdings handelt es sich bei Mobile Connect um proprietäre Software, die für den verifizierenden Seitenbetreiber nicht kostenlos ist und samt APIs in Mediawiki mangels freier Lizenz nicht einbaubar ist. Sollte es die Nutzung von Mobile Connect die einzige Klarnamensgesetzkonforme Möglichkeit zur Userverifikation sein müsste der Projektgrundsatz der Verwendung freier Lizenzen aufgegeben werden. Die Zustimmung der globalen Gemeinde zu einem solchen Schritt ist unwahrscheinlich. Sollte es keine Lösung geben, die nicht aus Kosten- oder Urheberrechtsgründen ausscheidet oder nicht gesetzeskonform umsetzbar sein wäre der Schreibzugang für Österreicher in der derzeitigen Form nicht aufrecht zu erhalten.
Neben diesem Hauptproblem zeigen sich mehrere vergleichsweise harmlose Nebenprobleme. Gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 gilt das Klarnamensgesetz für Diensteanbieter, deren Umsatz in Österreich über 500.000 € liegt. WMAT hatte 2018 einen Umsatz von 433.000 €. Sollte die 100.000 Nutzer-Schwelle umgangen werden können wäre eine Ausweitung der Aktivitäten wäre damit nur in geringem Ausmaß möglich, aufgrund der Inflation müssten mittelfristig v.a. Verwaltungsaufgaben ins Ausland verlagert werden, Spenden aus Österreich müssten in jedem Fall unter der Schwelle gehalten werden, z.b. beim Hochschulprojekt oder der BDA-Kooperation wäre sicherzustellen, dass daraus kein geldwerter Vorteil entstünde.
WMAT wäre gemäß § 5 verpflichtet, einen persönlich haftenden Beauftragten mit Wohnsitz im Inland für die Einhaltung der aus dem Klarnamensgesetz hervorgehenden Bestimmungen einzusetzen. Aufgrund dieser Haftung ist es bei einer nicht einwandfreien Verifikationslösung nicht möglich, jemanden zu finden, der die Funktion des Beauftragten samt der Haftung übernimmt. Aus diesem Grund sind andere Lösungen als die vom Gesetzgeber nahe gelegte nicht praktikabel. Ohne Sicherheit für den Beauftragten, nicht mit existenzbedrohenden Strafen belegt zu werden kann ein solcher nicht gefunden werden, weshalb Überlegungen zur eigenhändigen Überprüfung von Dokumenten und der Schaffung eines eigenen Dokumentationsprotokolls nicht umsetzbar erscheinen.
Aus § 3. Abs 5 geht die Pflicht, laut Erläuterungen im Rahmen „Routinemäßiger periodischer Überprüfungen die Richtigkeit der Daten zu hinterfragen.“ Da die Erfüllung der Verifikationspflicht annehmbarerweise nur über eine externe Stelle möglich ist kann dieser Punkt einem solchen externen Anbieter überlassen werden. § 3 Abs. 6 Z 1 verlangt, dass ein „Registrierungsprofil“ auf Verlangen eines Nutzers oder der damit offenbar synonyomen „Abmeldung des Posters vom Online-Informationsangebot“ zu löschen ist. Die Löschung von Benutzerkonten ist zurzeit nicht möglich. Aus Lizenzgründen ist es unzulässig, ein Benutzerkonto und damit den zur Autorennennung notwendigen Usernamen zu löschen. Z 3 schreibt vor, dass bei länger als einem Jahr dauernder Inaktivität ein „Registrierungsprofil“ zu löschen ist. Auch dafür wäre eine lizenzkonforme Lösung zu finden.
§ 4 schafft eine Sicherheitslücke. Es wird jedermann erlaubt, unter Vorgabe einer Klagsabsicht, deren tatsächliche Durchführung für die Sache nicht relevant ist, vom Diensteanbieter die Identität eines Nutzers zu erhalten. Diese Möglichkeit zur Erlangung von Useridentitäten wird – wahrscheinlich ist das nicht unbeabsichtigt – Nutzer davon abhalten, Selbstdarstellern und PR-Agenturen zu widersprechen oder Artikel zu editieren, die gewisse „Dokumentarfilmer“ als ihr Eigentum betrachten. Es ist nicht ersichtlich, warum Dritten eine solche Auskunftsmöglichkeit über Benutzeridentitäten eingeräumt wird und diese nicht wie bisher den Behörden vorbehalten bleibt. Gegenwärtig ist es gemäß § 90 Abs. 7 TKG 2003 und § 53 Abs. 3a Sicherheitspolizeigesetz nur Gerichten, Staatsanwaltschaften oder den Sicherheitsbehörden erlaubt, von einem Websitebetreiber die IP-Adresse und vom Provider die Daten des Anschlussinhabers erheben. Gemäß § 74 Strafprozessordnung haben diese Behörden bei der Verarbeitung solcher Daten das Datenschutzgesetz und den Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Befürworter dieses Gesetzes behaupten, damit die im öffentlichen Raum bestehende Ausweispflicht auch im Netz umzusetzen. Diese besteht jedoch nur gegenüber der Polizei, nicht jeder dahergelaufenen Person. Man stelle sich gewisse Gruppen vor, die vor einer Synagoge, einem Parteilokal oder einer sonstigen Veranstaltung eine private Ausweiskontrolle zum Zweck der Erfassung ideologischer Gegner durchführen. Warum das im Internet möglich sein soll ist nicht sinnhaft erklärbar.
Eine Lösung mit minimalen Schäden?
Das Klarnamensgesetz erzeugt für die Wikipedia ein Trilemma zwischen der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, der Einhaltung der Projektgrundsätze und der Aufrechterhaltung autorenfreundlicher Zustände. Ein Gleichgewicht zwischen diesen Erfordernissen zu finden ist nicht möglich. Vielleicht hat es sich bezahlt gemacht, dass wir den Hinweisen aus dem geleakten „Projekt Ballhausplatz“ nicht nachgegangen sind und die ÖVP lässt uns mit einem Wink mit dem Zaunpfahl davonkommen. Die Wikipedia zählt über drei Millionen Benutzerkonten. Unter den Anwendungsbereich des Klarnamensgesetz fallen Websites mit mehr als 100.000 registrierten Benutzern in Österreich. Dass IP-Adressen, mit denen eine Verortung von Benutzern möglich ist gelöscht werden ist kein Nachweis dafür, dass diese nicht aus Österreich stammen. Insgesamt haben 203.000 Benutzer mehr als 10 Bearbeitungen. Inaktive Konten zu löschen reicht nicht aus, um unter die Schwelle zu fallen. Würde man die Herkunft neu angemeldeter Konten erfassen und diese Werte auf die Gesamtbestandszeit des Projekts hochrechnen, so würde die Schwelle wohl auch überschritten. § 3 Abs. 2 Z 1 bezieht sich auf die Gesamtzahl der Benutzerkonten, nicht die Zahl der im jeweiligen Jahr aktiven Benutzer. Inaktive Benutzer können nicht von der Benutzerzahl abgezogen werden, da sie nach einem Jahr Inaktivität zu löschen sind. Es ist der Wikipedia nicht möglich nachzuweisen, dass sie weniger als 100.000 registrierte Benutzer aus Österreich hat, sämtliche Annahmen und bekannten Daten sprechen jedoch dafür. Zumindest im ersten Jahr würde die Wikipedia unter den Anwendungsbereich des Klarnamensgesetz fallen. Nach diesem ersten Jahr wären jedoch sämtliche inaktive Konten zu löschen. Übrig bleiben würde wenige hundert im jeweiligen Jahr aktive Konten aus Österreich, mit denen die Wikipedia nicht mehr in den Anwendungsbereich fiele.
Eine Erfüllung des Klarnamensgesetzes wäre mit hohem Aufwand verbunden, wäre aber aufgrund der Löschung inaktiver Accounts nach einem Jahr nicht mehr erforderlich. Einfacher wäre es, bereits im Voraus sicherzustellen, dass in keinem Fall mehr als 100.000 von Österreichern angelegte Benutzerkonten existieren. Zu diesem Zweck könnte noch ein Jahr lang die Verortung von angemeldeten Benutzern festgestellt werden. Benutzerkonten, die sich aus anderen Ländern als Österreich anmelden erhalten ein anderes Flag als solche, die sich aus Österreich anmelden. Kurz vor dem Stichtag bestehen drei Benutzergruppen: Eine erste von Benutzern, die sich nicht aus Österreich angemeldet habe, eine zweite von Benutzer, die österreichische IP-Adressen genutzt haben oder eine .at-Emailadresse hinterlegt haben und eine dritte, die sich im Erhebungszeitraum nicht angemeldet hat. Die dritte Gruppe ist zur Darlegung ihres Status aufzufordern, Benutzerkonten aus dieser Gruppe werden dabei in die ersten beiden Gruppen eingeordnet. Am Stichtag sind sämtliche Konten aus der dritten Gruppen, die bis dahin keine Darlegung ihres Status getroffen haben zu löschen. Da das Klarnamensgesetz die Löschung von „Registrierungsprofilen“ vorsieht müssen auch hinterlegte Emailadressen, anhand derer ein Beweis der Eigentümerschaft nach dem Stichtag möglich wäre gelöscht werden. Die Löschung von Benutzerkonten ist daher als dauerhaft anzusehen. Übrig bleibt eine große Zahl an Nichtösterreichern und eine ungleich kleinere und wahrscheinlich unter der Schwelle von 100.000 liegende Zahl an Österreichern. Dem Verlust von zahlreichen inaktiven Accounts stünden eine erhebliche Ersparnis allein durch den nicht notwendigen Umbau samt Schaffung einer aufgrund der API nicht unter einer freien Lizenz stehenden Version von Mediawiki, für deren Einführung eine Zustimmung nicht sicher wäre. Eine solche Maßnahme würde auf Widerstand stoßen, angesichts dessen nicht sicher erscheint, dass ein Rückzug aus Österreich samt Schließung des Schreibzugangs für Österreicher nicht die einfachere Option wäre.
Viele der Probleme des Klarnamensgesetz, z.B. das „Registrierungsprofil“ oder die Zuschneidung des Gesetzes auf ein Produkt, das aber noch keine Adressen verarbeitet lassen sich durch einen Gesetzgebungsprozess frei von Sachkompetenz erklären. Vielleicht erwartet man mit konsistenten Gesetzen zu viel von einer Regierung, die von einem Rechtswissenschaftsabbrecher geführt wird. Es gibt allerdings Gründe, die gegen Inkompetenz als die alleinige Problemursache sprechen. „Message Control“ ist einer der Begriffe, der die sonst oft von Schweigsamkeit geprägte Regierungstätigkeit prägt. Bereits vor der Wahl 2017 zeigte sich eine ungute Nähe der ÖVP zu den Glossenzeitungen, deren Berichterstattung zur ÖVP an die Huldigungen in Sektenpostillen erinnerte. Die Urheberrechtsnovelle zeigt, dass die Konservativen zuweilen als politischer Arm der Medienindustrie agieren. Auch in Österreich liegen zumindest Teile der Medienlandschaft im besonderen Interesse der ÖVP, die Kosten für Regierungsinserate in vornehmlich Boulevardmedien stiegen 2018 auf 6,5 Mio. €.
Ins Konzept der Message Control passen keine Räume, in denen Bürger ihre Positionen austauschen und zu einer anderen als der von oben herab verordneten Meinung kommen können. Dass sich das Klarnamensgesetz vor allem gegen virtuelle Räume zum dem der Demokratie zugrunde liegenden Diskurs richtet wird an §3, Abs. 3 deutlich, der Verkaufs- und Produktbewertungsportale vom Geltungsbereich des Gesetzes ausnimmt. Die Enzyklopädie als Werkzeug der Aufklärung ist für eine Partei, in der nicht wenige Anhänger des Austrofaschistischen Ständestaats herumlaufen, die als identitätsstiftendes Ideal eine in der Realität so nie existente ländliche, vormoderne Gesellschaft zeichnet und die ganz generell Gesellschafts- und Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts mit Marktradikalismus mischt wahrscheinlich tatsächlich „Das Böse“. Freies Wissen ist nicht mit der Message Control vereinbar. Das medienpolitische Ideal dieser Regierung scheinen wie in vielen Dingen die 1930er zu sein, in denen es eine geringe Zahl an Medien gab, die nur in eine Richtung funktionierten. Eine Reduktion der Neuen Medien hätte für die regierungsnahen Medien – bis auf wenige Ausnahmen steht der gesamte Mediensektor der ÖVP nahe- auch den Vorteil einer geringeren Zahl an Alternativen, die theoretisch zu einer höheren Leserzahl und damit zu höheren Tarifen für Inserate führen würde.
Wir können daher nicht davon ausgehen, in Fragen wie der des Artikel 13 politische Unterstützung zu erhalten und müssen damit rechnen, dass uns noch weitere Fallstricke ausgelegt werden. Deren Umgehung mag Ungemach und Kollateralschäden bei gänzlich unbetroffenen Benutzern aus anderen Ländern bedingen, dass zahlreiche inaktive Nicht-Österreicher nach einer Rückkehr ihren Account gelöscht finden müssen wird für Unruhe sorgen. Trotz dieser Störungen, ob derer die betroffenen unbeteiligten Deutschen und Schweizer zu Recht die Vermeidung der Kollision mit dem Problem Österreich fordern könnten dürfen wir nicht zurückweichen. Als das aufklärerische Vorhaben der Gegenwart befinden wir uns moralisch im Recht. Unsere Kontrahenten sind schlechte Menschen, die Falsches tun. Wenn man ihnen wie auch schon bei Artikel 13 länger zuhört kann man diese jedoch nicht mehr in einer Weise ernst nehmen, als dass die von ihnen ausgehende Problematik noch ernsthaft und unüberwindbar erschienen.