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Der Völkermord an den Herero und Nama fand während der Kriege gegen die Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908, sowie in der Folgezeit, in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika statt. Als hauptverantwortlich für die genozidale Kriegsführung gilt der deutsche General Lothar von Trotha, der in den Kriegsjahren 1904 bis 1905 das Kommando über die Schutztruppe des Reichs innehatte und einen Vernichtungsbefehl erließ. Auch nach Trothas Abberufung kam es bei den in Lager gesperrten oder zur Zwangsarbeit genötigten Angehörigen der Herero und Nama zu tausenden von Toten. Weit über 75% der Herero-Bevölkerung starb zwischen 1904 und 1911.

Die Herero gedenken der Opfer alljährlich durch den Hererotag und bemühten sich Jahrzehnte um die offizielle Anerkennung durch die Vereinten Nationen als Opfer eines Genozids. Die deutsche Bundesregierung nahm zur Bewertung des Ereignisses lange keine Stellung und wies noch im August 2012 eine etwaige Verantwortung für einen Völkermord von sich.[1] Am 10. Juli 2015 erkannte die Bundesregierung die Ereignisse als Völkermord an.[2]

Genozidale Kriegsführung während des Herero-Kriegs

Im Vorfeld des Aufstandes der Herero waren diese durch die deutschen Kolonisten ihrer Weidegründe beraubt worden; es kam zur Verarmung und zu schwerer Diskriminierung der indigenen Bevölkerung; Vergewaltigungen und Morde an Herero wurden milde bestraft. So begann der durch Existenzängste geschürte Aufstand gegen die Kolonialmacht im Januar 1904 mit dem Angriff der Ovaherero unter Samuel Maharero auf deutsche Einrichtungen und Farmen. Da die Schutztruppe der Kolonie unter dem Kommando von Gouverneur Theodor Leutwein dem anfangs nicht gewachsen war, entsandte die Reichsleitung umgehend Verstärkung. Im Mai 1904 wurde Generalleutnant Lothar von Trotha das Kommando übertragen, dessen Kriegführung auf die vollständige Vernichtung der Herero abzielte[3]), wobei er vom Chef des Generalstabs Alfred Graf von Schlieffen und Kaiser Wilhelm II. unterstützt wurde.[4]

Schlacht am Waterberg: Beginn des Völkermordes

Am 11. und 12. August 1904 versuchte Trotha in der entscheidenden Schlacht am Waterberg, die versammelten Herero einzukesseln und zu vernichten. Dies gelang jedoch nicht, und ein großer Teil der geschlagenen Herero floh unter schweren Verlusten mit Angehörigen und Vieh nach Osten in die Omaheke-Wüste. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einem Konflikt zwischen Gouverneur Leutwein und Trotha. Ersterer wollte die Herero nun schonen und sie als Arbeitskräfte bei der weiteren Kolonialisierung des Landes einsetzen, Trotha hingegen wollte sie vernichten. Trotha setzte sich durch und riegelte die Omaheke ab, um eine Rückkehr der Herero zu verhindern, „da ich mit den Leuten weder pactieren kann noch ohne ausdrückliche Weisung Seiner Majestät des Kaisers und Königs will […]“. Major Ludwig von Estorff wurde angewiesen, mit seinen Truppen den Flüchtenden nachzusetzen und sie „[…] immer wieder von event. dort gefundenen Wasserstellen zu verjagen […]“.[5]

Von Estorff berichtete später von diesem Einsatz: „Die Herero flohen nun weiter vor uns in das Sandfeld. Immer wiederholte sich das schreckliche Schauspiel. Mit fieberhafter Eile hatten die Männer daran gearbeitet, Brunnen zu erschließen, aber das Wasser ward immer spärlicher, die Wasserstellen seltener. Sie flohen von einer zur andern und verloren fast alles Vieh und sehr viele Menschen. Das Volk schrumpfte auf spärliche Reste zusammen […].“[5] Dieser Taktik rühmte sich noch 1907 der Generalstab in seinem Bericht: „[…] wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur des eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes.“[6]

Proklamation des Vernichtungsbefehls

Lothar von Trotha um 1905
Datei:VonTrothaVernichtungsbefehl.jpg
Letzte erhaltene Kopie Lothar von Trothas Vernichtungsbefehls, Nationalarchiv Botswana

Am 2. Oktober 1904 erließ General von Trotha eine Proklamation an das Volk der Herero, die später als „Vernichtungsbefehl“ bekannt wurde:

„Ich der große General der Deutschen Soldaten sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers[7]

Ergänzt wurde die Proklamation durch den nur der eigenen Truppe zu verlesenden Zusatz:

„Dieser Erlass ist bei den Appells den Truppen mitzuteilen mit dem Hinzufügen, dass auch der Truppe, die einen der Kapitäne fängt, die entsprechende Belohnung zuteil wird und dass Schießen auf Weiber und Kinder so zu verstehen ist, dass über sie hinweggeschossen wird, um sie zum Laufen zu zwingen. Ich nehme mit Bestimmtheit an, dass dieser Erlass dazu führen wird keine männlichen Gefangenen zu machen, aber nicht zu Grausamkeit gegen Weiber und Kinder ausartet. Diese werden schon fortlaufen, wenn zweimal über sie hinweggeschossen wird. Die Truppe wird sich des guten Rufes des Deutschen Soldaten bewusst bleiben.“[8]

Reaktionen aus Deutschland bis zur Rücknahme des Vernichtungsbefehls

Wenige Tage nach dem Eintreffen des trothaschen Vernichtungsbefehls vom 2. Oktober 1904 in Berlin – der Postweg für amtliche Dokumente aus dem Sandfeld dauerte damals gute sechs Wochen – beschloss die Reichsregierung, dass die Proklamation zurückzunehmen sei. Dennoch sollte es noch bis Dezember dauern, bis alle beteiligten Behörden und Dienststellen, die im Kaiserreich vielfach wenig kooperierten, die gefassten Beschlüsse endlich umsetzten. Während der damaligen Debatten im Reichstag wurde die Kriegführung des Generals unter anderem von dem SPD-Führer August Bebel angeprangert: „Eine solche Kriegführung kann jeder Metzgerknecht treiben, dazu braucht man nicht General oder höherer Offizier zu sein.“[9] Trotha, der zur Beendigung des Krieges „die Nation als solche vernichtet“ oder „aus dem Lande gewiesen“ sehen wollte (Brief an den Generalstab vom 4. Oktober 1904), wurde zur Umkehr gezwungen.

Trotha rechtfertigte sich unter anderem in der Deutschen Zeitung und deutete seine Ängste an, eine Niederlage wie Napoleon beim Rückzug aus Moskau 1812 (Schlacht an der Beresina) erleben zu müssen:

„Die Stämme Afrikas führen untereinander so lange Krieg, bis einer zerstört am Boden liegt. Dies mußte auch hier einmal geschehen. Daß ein Krieg in Afrika sich nicht nach den Gesetzen der Genfer Konvention führen läßt, ist selbstverständlich. Die Zurückweisung der Weiber von den Wasserstellen der Kalahari fiel mir sehr schwer. Ich stand aber vor einer Katastrophe für meine Truppe. Wenn ich die kleineren vorhandenen Wasserstellen den Weibern zugänglich machte, so gewärtigte ich in Afrika ein Beresina zu erleben.“[10]

Der Gouverneur von Südwestafrika, Theodor Leutwein, mit dem Trotha nach eigenem Bekunden in ständigem Widerspruch lag, schrieb bereits am 28. Oktober 1904 an das Auswärtige Amt (Kolonial-Abteilung): „Diese Proklamation hat mich schließlich zur Absendung des oben erwähnten Telegramms veranlaßt, da ich der Ansicht bin, daß mit ihr in die Rechte des Gouverneurs eingegriffen worden ist.“ Und weiter: „Nach alledem was ich vorstehend dargelegt habe, bitte ich die hohe Abteilung mir nicht zu verargen, wenn ich eines Tages die Nachricht von meiner erfolgten Abreise sende.“ Leutwein kam sich „durchaus überflüssig“ vor.[11] Die Proklamation blieb die Zerreißprobe zwischen der Landesverwaltung und der Militärführung. Daher schrieb Leutwein am 12. November 1904 erneut an das Auswärtige Amt (Kolonial-Abteilung):

„Aber eine Vernichtungspolitik braucht sie darum doch nicht zu werden, dies nicht aus Liebe zu den Eingeborenen, sondern aus Liebe zu unserer Sache. Denn ich halte eine Vernichtung der Eingeborenen zumal eines so lebenskräftigen Stammes wie die Herero wirtschaftlich für schädlich und militärisch für undurchführbar.“[12]

Der Druck der Öffentlichkeit, besonders der evangelischen Missionskirchen, wuchs. Der Generalstab in Berlin kam am 23. November im Sinne Leutweins zu der Überzeugung, dass der Plan Trothas nicht umzusetzen war. Der Chef des Generalstabes der Armee in Berlin, General Alfred von Schlieffen, stellte den Beschluss an diesem Tag in einem Schreiben an Bernhard von Bülow (Reichskanzler seit dem 17. Oktober 1900) folgendermaßen dar:

„Es wird daher kaum etwas anderes übrig bleiben, als zu versuchen, die Hereros zur Übergabe zu veranlassen. Das wird erschwert durch die Proklamation des Generals von Trotha, der jeden Herero erschießen lassen will. Wenn durch eine neue Proklamation den Hereros, welche sich unseren Truppen stellen, das Leben zugesagt wird, so werden sie der neuen Zusage kaum trauen wollen. Es muß indes versucht werden.“[13]

Tags darauf erhielt dann der Kaiser vom Kanzler einen Brief, dass die von Trotha geforderten Maßnahmen im Widerspruch zu den christlichen und menschlichen Prinzipien ständen und die „vollständige und planmäßige Ausrottung der Herero alles durch die Forderungen der Gerechtigkeit und der Wiederherstellung der deutschen Autorität gebotene Maß überschreiten.“ Zudem trage die Proklamation dazu bei, „dem deutschen Ansehen unter den zivilisierten Nationen Abbruch zu tun.“[14]

Im Hinblick auf die öffentliche Meinung distanzierte sich später auch die Reichsführung von Trotha. Der Kolonialpolitiker Paul Rohrbach hatte bereits am 7. Oktober 1904 mit Blick in die Zukunft festgestellt:

„Die Trothasche Proklamation wird uns bei aller Welt schaden und hier nicht das Mindeste nützen. Die Idee, daß die ‚Schuldigen‘, die Häuptlinge der Hereros, die Mörder der Weißen, je zur Bestrafung in unsere Hände fallen werden, dass das ganze Volk mit seinen Kapitänen je sich uns auf Gnade und Ungnade ergeben könnte oder dass wir jeden Herero einzeln im Sandfeld fangen werden, ist absurd. Wir können anstellen, was wir wollen, so werden wir doch nie darum herumkommen, zu irgendeiner Zeit von uns aus ein Ende mit dem Hererokrieg zu machen und die Hereros wieder heranzuziehen.“[15]

Darum musste Trotha die Proklamation und seinen Befehl am 9. Dezember 1904 auf ausdrücklichen telegraphischen Gegenbefehl des Generalstabes aus Berlin zurücknehmen.[5] Er wurde angewiesen, mit Ausnahme der Rädelsführer das Leben der Herero zu schonen und die von den evangelischen Missionaren angebotene Vermittlungstätigkeit nicht zurückzuweisen. Am 11. Dezember 1904 erhielt Trotha vom Reichskanzler von Bülow telegraphisch die ausdrückliche Unterstützung dafür, nach der Rücknahme des „Vernichtungsbefehls“ die Herero zur Zwangsarbeit einzusetzen und hierfür geeignete Sammellager zu errichten.

Das Generalstabswerk aus dem Jahre 1906 unterschlägt die Maßnahmen vom 9. Dezember 1904 ebenso wie die Anordnung aus Berlin, die Kriegsanstrengungen im Osten (also in die Fluchtrichtung der Herero) fortzusetzen. Tatsache ist, dass der Große Generalstab zusammen mit dem Reichskanzler am 11. bzw. 12. Dezember 1904 in separaten Telegrammen mitteilte, dass die „Veröffentlichung des allerhöchsten Erlasses in deutscher Presse zurzeit nicht beabsichtigt“ sei. Auch das Generalstabswerk von 1906 hielt sich noch an diese Anordnungen, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Geschehnisse in Deutschland längst allgemein bekannt waren. Trotha antwortete auf die beiden Telegramme aus Berlin sogleich, dass er in Südwest „die Publikation nicht mehr verhindern könne“. Am 14. Dezember 1904 erhielt er „in Anerkennung seiner Tätigkeit als Kommandeur der Schutztruppe für Süd-West-Afrika bei Bekämpfung des Hereroaufstandes den königlichen Kronenorden 1. Klasse mit Schwertern am statutenmäßigen Bande.“

Der Plan zur Einrichtung von Lagern wurde daraufhin umgesetzt, während der Krieg im Osten laut oben beschriebenem Geheimbefehl fortgesetzt wurde.

Schicksal der Herero

Am 2. November 1904 wurde in Ombakala eine Gruppe von 11 Großleuten der Herero bei Verhandlungen von Angehörigen der deutschen Schutztruppe kurzerhand erschossen. Wilhelm Maharero nannte später diesen Vorfall als Grund dafür, nicht mit den Deutschen zu verhandeln und stattdessen lieber auf britisches Gebiet zu flüchten.[16]

Zusammen mit Samuel Maharero erreichten nur etwa 1500 Herero nach einem Todesmarsch durch die Omaheke das britische Protektorat Betschuanaland, wo sie sich niederließen. Eine unbekannte Anzahl Herero kam nach Norden durch, wo sie von den Ovambo aufgenommen wurden. Mehrere hundert Herero erreichten die britische Enklave Walvis Bay, wo sie interniert und dann nach Kapstadt deportiert wurden.

Tausende von Herero überwanden die „Absperrung“ des Sandfeldes und kehrten in ihre alte Heimat zurück. Es war den Deutschen mit ihren geringen Kräften bei fehlender Infrastruktur während des bereits angelaufenen Nama-Aufstandes nicht möglich, mühsame Transporte durchzuführen, um ein engmaschiges Sperrnetz zu errichten. Verarmt, erschöpft und hungernd zogen die Herero nun im Land umher, versteckten sich und wurden nach Ergreifung entweder erschossen, gehängt oder in die Konzentrationslager gebracht.

Trotha war verärgert über das Misslingen seines Sperrriegels und führte dies am 26. Dezember 1904 in der Presse auf die Rücknahme seiner Proklamation zurück. Und weiter schreibt er: „Daß die Vernichtung nicht bis zum letzten Säugling durchzuführen sein würde, darüber konnte ein logisch denkender Mensch nicht im Unklaren sein.“

Ende 1905 wurde Friedrich von Lindequist Gouverneur Deutsch-Südwestafrikas. Er hatte den Posten nur unter der Bedingung angenommen, dass der von ihm aufgrund seiner Unmenschlichkeit abgelehnte von Trotha als Truppenbefehlshaber abgelöst würde. Trotha verließ daraufhin am 19. November 1905 für immer Deutsch-Südwestafrika.[17]

Kriegsführung während des Nama-Kriegs

Angesichts der Vorfälle während des Hererokriegs erhoben sich im Oktober 1904 verschiedene zuvor mit den Deutschen verbündete Stämme der Nama und Orlam unter ihren Kapitänen Hendrik Witbooi und Jakob Morenga. Trotha trat ihnen gegenüber strategisch weitgehend ebenso auf wie gegenüber den Herero, bis er im November 1905 abberufen wurde. Sein Nachfolger Oberst Deimling teilte über den weiteren Kriegsverlauf nur wenig mit, sodass dieser Krieg weitaus schlechter dokumentiert ist. Der größte Teil der Nama und ihrer Verbündeten mussten sich zwar Anfang 1906 geschlagen geben, doch der Kampf mit den afrikanischen Widerständlern zog sich noch bis 1908 hin. Gefangene Nama wurden, wie zuvor auch die Herero, in Konzentrationslagern interniert, in denen annähernd jeder zweite Insasse starb.[5]

Internierung in Konzentrationslagern

Der Begriff „Konzentrationslager“ wird erstmals in den Jahren 1904/05 von Berlin verwendet, um Internierungs- und Sammellager für gefangene Herero und Nama zu bezeichnen. „Erfunden“ hatte ihn der britische Feldmarschall und Politiker Herbert Kitchener, 1. Earl Kitchener, erstmals im Krieg gegen die holländischstämmigen Buren in Südafrika um 1900. Er internierte dort die Frauen und Kinder seiner Feinde. Der Begriff „Konzentrationslager“ zu jener Zeit sollte nicht gleichgesetzt werden mit den Arbeits- und Vernichtungslagern des Nationalsozialismus. Der Begriff „Konzentrationslager“ diente in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts europaweit als Bezeichnung für Gefangenensammellager und ist daher zu relativieren.

Internierung

Gefangene Herero, ca. 1904

Die gefangengenommenen Aufständischen, Männer und Frauen, wurden in Konzentrationslagern interniert und teilweise zu Zwangsarbeit eingesetzt. Schon 1904 waren Gefangenenlager in Okahandja, Windhuk und Swakopmund errichtet worden. Im weiteren Verlauf des Krieges kamen dann weiter mehr oder weniger feste bzw. offene Lager in fast allen Orten des Landes hinzu.

Die Stadt Swakopmund, sowie die Lüderitzbucht mit der Haifischinsel, heute offiziell Shark Island, hatten sich aufgrund der geringen Fluchtmöglichkeiten für die Anlage eines Gefangenenlagers angeboten. Auf der Nordspitze der Insel hatten die Verantwortlichen bereits 1905 ein Lager für einige hundert Herero errichtet. Da deren Aufstand bereits 1904 niedergeschlagen worden war und die deutschen Behörden in diesen Gefangenen keine großes Sicherheitsrisiko mehr sahen, genossen die Inhaftierten relative Bewegungsfreiheit. Soweit gesund, wurden sie tagsüber zu Arbeiten in der Lüderitzbucht herangezogen und gegen abends zur Haifischinsel zurückgebracht.

Zustände in den Lagern

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Die Haifischinsel mit dem Lager in der Lüderitzbucht vor 1910

Erst mit dem Eintreffen von 1.700 kriegsgefangenen Witbooi und Bethanien-Nama im Mai 1906, welche schon bei der Ankunft von Unterernährung und Krankheiten gezeichnet waren, änderten sich diese Verhältnisse drastisch. Da die Zahl der Neuankömmlinge offensichtlich viel zu hoch für die Insel war, forderte die Lagerleitung gleich zu Beginn sofortige Abhilfe sowie Anlieferung von Nahrung und Kleidung, um das Leben der Gefangenen nicht weiter zu gefährden. Laut diesem Bericht starben zahlreiche Herero infolge der örtlichen Feuchtigkeit und Kälte. Schon kurz nach diesem Eintreffen berichtete der Missionar, Ethnologe, Linguist und Historiker Heinrich Vedder von der Rheinischen Missionsgesellschaft bereits sehr kritisch über die Lage auf der Haifischinsel, was jedoch zu diesem Zeitpunkt keinerlei Resonanz hinterließ. Einen neuen Anlauf versuchte der in Lüderitzbucht wohnende Missionar Emil Laaf, der am 5. Oktober 1905 an die Rheinischen Missionsgesellschaft schrieb:

„Eine große Zahl der Leute ist krank, meist an Skorbut, und es sterben wöchentlich 15–20. Samuel Izaak, der mein Dolmetscher ist, sagte mir unlängst, daß seit dem 4. März, an welchem Tage er sich den Deutschen gestellt hatte, 517 von seinen Leuten gestorben seien. Heute ist diese Zahl noch größer. Von den Herero sterben ebenso viele, sodass man im ganzen durchschnittlich wöchentlich 50 rechnen kann. Wann wird dieser Jammer ein Ende nehmen? Die Leute werden ganz gut versorgt, sowohl mit Kleidung als auch mit Proviant, letzteren können sie nicht alle essen. Aber das Klima ist zu ungünstig...[18]

Es stellte sich heraus, dass etliche Gefangene den südlichen Winter mit seinem nasskalten Seeklima nicht vertrugen und trotz ausreichender Verpflegung mit Reis und anderen Grundnahrungsmitteln oft zu erschöpft und krank waren, als dass sie die angebotene Nahrung hätten essen können.

Nach anhaltendem Bitten der Mission entschloss sich der Kommandeur der Schutztruppe, Oberst Berthold Deimling noch im Dezember 1906, zumindest die Frauen und Kinder in das riesige ehemalige Nachschublager Burenkamp nahe Lüderitzbucht zu bringen. Der umstrittene Oberst von Deimling, der schon am Waterberg eine Abteilung geführt hatte, bekannte sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifismus und stand der Deutschen Friedensgesellschaft vor.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen besuchte der Nachfolger Deimlings, Major Ludwig von Estorff, am 8. April 1907 das Lager auf der Haifischinsel. Nach den besorgniserregenden Berichten, die ihm bisher vorgelegen hatten, wollte er sich nun selbst ein Bild von der Lage machen und war schlichtweg entsetzt.[19] Waren schon im Winter die Menschen elendig gestorben, so stiegen jetzt, je näher der Sommer kam, die Todesraten noch drastischer. Es ist anzunehmen, dass die zusammengedrängten Menschen an all jenen Krankheiten starben, unter denen auch die deutsche Truppe litt: Skorbut und Seuchen wie Typhus und Ruhr, deren Diagnose und Bekämpfung damals schwierig waren.

Wesentlich verschärft wurde das Problem in Swakopmund durch das dortige Trinkwasser, das mit Krankheitserregern infiziert und abführend war. Bekannt unter dem Namen „Swakopmundia-Diarrhoe“ ließen als Folge des Trinkwassergenusses auch viele Swakopmunder Deutsche vom Wassertrinken ab und wandten sich eher dem desinfizierenden Alkohol zu. Wie es um die Tropenmedizin in Deutsch-Südwest bestellt war und welche Probleme sich auftaten, kann man in Dr. Alexander Lions Standardwerk (sh. Literaturhinweis) nachlesen. Hinzu kam, dass es deutschen Dienststellen während dieses Krieges oft aufgrund der langen, schwierigen und gefährlichen Transportwege nicht einmal gelang, die eigene Truppe mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Der Nachschub musste per Schiff übers Meer gebracht und mit langsamen Maulesel- oder Ochsenplanwagen über unwirtliche Sandwege geschafft werden. Oft verhedderten sich die langen Leinen der Treiber und ließen die Karawane stoppen, nicht selten brach auch ein Rad, dessen Auswechseln ebenfalls Zeit kostete. Geländegängige Automobile waren noch nicht entwickelt - ein amtlicher Versuch mit zwei LKW war im Sand gescheitert. Während der gesamten deutschen Kolonialzeit Südwestafrikas fuhr dort keine einzige Benzinkutsche mehr.

Noch am Tag seines Besuches auf der Insel, am 8. April 1907, handelte v. Estorff und ließ am 10. April folgende Meldung an das Oberkommando der Schutztruppen in Berlin telegraphieren:

Ich habe am 8. April befohlen, daß Hottentotten der Haifisch-Insel nach Burenkamp bei Lüderitzbucht zu verbringen, soweit Sicherheit besteht. Flucht dort zu verhindern. Hauptmann von Zülow, Kommandant Lüderitzbucht, meldet Befehl in Ausführung. Samuel Izaak mit Frauen, Kindern bereits in Burenkamp. Ausreichende Bewachung gewährleistet. Kettengefangene interniert. Veranlassung zur Maßregel ist Meldung von Zülow’s, daß von 245 Männern nur periodisch 25 arbeitsfähig alle übrigen sich nur noch an Stöcken fortbewegen, sodaß weiterer Verbleib auf Haifisch-Insel Hottentotten einem langsamen aber sicheren Tod entgegenführt. Von September 06 sind von 1.795 Eingeborenen 1.032 auf Haifisch-Inseln gestorben. Für solche Henkersdienste, mit welchen ich auch meine Offiziere nicht beauftragen kann, übernehme ich keine Verantwortung, besonders nicht, da Ueberführung und Festhaltung Hottentotten auf Haifisch-Insel Bruch Versprechens bedeutet, das ich mit Genehmigung Kommandeurs Samuel Izaak und Leuten bei Uebergabe gegeben habe.[20]

In Berlin reagierte man zunächst schockiert. Erst durch dieses Kabel wurden dem Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Kolonialdirektor Bernhard Dernburg, die unerträglichen Zustände auf der Haifischinsel bekannt und er forderte genauen Bericht an. Gleichzeitig stimmte er den Maßnahmen von Estorffs zu. Der hatte Zerreißproben mit dem Gouvernement in Windhuk zu bestehen. Wie v. Estorff, in seinem Antworttelegramm an das Auswärtige Amt angab, hatte der als Gouverneur bestimmte Referent im Gouvernement, Hintrager, ihn gebeten, die Herero „wieder nach Insel zurück zu bringen unter Hinweis, daß England in Südafrika 10.000 Weiber Kinder in Lagern sterben ließ.[21]

Am 26. April 1907 verfasste das Distriktamt Lüderitzbucht, den Forderungen des Kolonialdirektors Dernburg folgend, einen genauen Bericht über den Gesundheitszustand und die Zahl der nun von der Haifischinsel auf das Festland verlegten Gefangenen mit ihren Frauen und Kindern. Danach wird deutlich, dass am 24. April 1907 von den 573 überlebenden Nama 123 Personen so schwer erkrankt waren, dass nur noch mit dem Tod zu rechnen war. Von den restlichen 450 Menschen waren 50 Prozent der Männer, 25 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Kinder erkrankt und hatten teilweise Aussicht auf Heilung.[22]

Neben all dem Leid für die Häftlinge gab es auch immer wieder Zeichen der Menschlichkeit. So bemühten sich Ärzte mit den damaligen unzureichenden Mitteln ebenso um die Gefangenen wie Zivilpersonen, welche versuchten, mit Rohkostbrei der Skorbut Herr zu werden.[23] Die zahlreichen Protestschreiben von niederen Beamten, Privatpersonen und Pfarrern über die Jahre hinweg blieben meist ungehört, dokumentieren jedoch das Dahinsiechen der Herero und zeigen, dass viele Deutsche vom Verhalten ihrer Behörden entsetzt waren.

Beamte verpacken Schädel von Herero in Kisten für den Transport nach Berlin

In den Lagern kam es auch zu Menschenversuchen: Der Stabsarzt Hugo Bofinger injizierte Gefangenen auf der Suche nach einem Heilmittel gegen Skorbut verschiedene Substanzen, darunter Zitronensaft, Arsen und Opium und untersuchte dann die Effekte durch Autopsien nach dem Tod der Betroffenen.[24] Weiterhin wurden hunderte Schädel von gestorbenen Herero zu ethnologischen Untersuchungen sowie als Museumsstücke ins Deutsche Reich verschifft. Hererofrauen wurden gezwungen, die Gebeine vor dem Transport zu reinigen.

Zwangsarbeit

Trotz dieser Maßnahmen mussten Männer und Frauen der Herero, Witbooi- und Bethanier-Nama, welche wieder gesundet waren, genauso wie zur Zeit ihrer Inhaftierung auf der Haifischinsel, Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau leisten, wo sie in teilweise unmenschlicher Art weiter ausgebeutet wurden. So sind von 2.014 Häftlingen aus dem Lager Haifischinsel zwischen Januar 1906 und Juni 1907 1.359 während des Baues der Südbahn zwischen Lüderitzbucht und Keetmannshoop verstorben.[25]

Bilanz des Völkermords

Vom um 1904 auf rund 80.000 bis 100.000 Personen geschätzten Hererovolk lebten 1911 nur noch 15.130 Personen.[26] Der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika hatte also 65.000 bis 85.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama das Leben gekostet.[5][26][27][28][29][30]

Bewertung durch die Vereinten Nationen

Durch die Vereinten Nationen wurde 1948 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes beschlossen. Eine offizielle Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama besteht dadurch jedoch nicht; die Herero und Nama bemühen sich stattdessen seit Jahrzehnten um eine Anerkennung vor den Vereinten Nationen.[31]

Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist der 1985 veröffentlichte Whitaker-Report, der 1983 von der Unterkommission für Diskriminierungsprävention und Minderheitenschutz der UN-Menschenrechtskommission in Auftrag gegeben wurde. Der Bericht nannte explizit das Massaker an den Herero als Beispiel für Völkermord; diese scharfe Formulierung wurde aber nicht in den Resolutionsentwurf der Unterkommission eingearbeitet; vielmehr wurde der Whitaker-Bericht dankend zur Kenntnis genommen mit der Formulierung, dass zu den Erkenntnissen und Vorschlägen des Berichts gegensätzliche Meinungen geäußert worden seien.[32]

Haltung in der Bundesrepublik Deutschland

Gedenkstätte für die Opfer der Herero und Nama am Antikolonialdenkmal in Bremen
Schrifttafel an der Gedenkstätte

Bundeskanzler Helmut Kohl besuchte 1995 Namibia als erster deutscher Kanzler seit 1904. Er vermied dabei ein Zusammentreffen mit Hereroabgesandten. Die damalige deutsche Regierung und das Bundesaußenministerium bedauerten das Geschehene, wollten aber keine Verantwortung für die Geschehnisse zur Zeit des Deutschen Kaiserreiches übernehmen und verneinten einen Völkermord mit dem Hinweis, dass die UN-Völkermordkonvention nicht rückwirkend gelte.[1] Sie verwies darauf, dass seit 1990 hunderte Millionen Euro Entwicklungshilfe für Namibia geleistet wurden (800 Millionen bis 2014[33]). Allerdings wird diese vor allem durch die alleinregierende SWAPO der Ovambo verwaltet und gelangt daher kaum zu den Herero, die eine materielle Wiedergutmachung Deutschlands speziell für ihre Volksgruppe einfordern.

Repräsentanten der Herero argumentierten in der Vergangenheit, dass nach der vierten Haager Konvention von 1899 Repressalien gegen die Zivilbevölkerung der Verlierer schon damals untersagt gewesen seien. Laut Arte-TV vom 3. August 2004 verlangte ein Sprecher der Herero in Berlin von den Deutschen das Eingeständnis der Schuld und ein Bekenntnis zur kolonialen Vergangenheit. Er verwies auf die Holocaustmahnmale und sah sein Volk benachteiligt, da nirgends die Schlacht am Waterberg erwähnt werde.

Im Jahr 2009 wurde unweit des umgewidmeten Bremer Antikolonialdenkmals ein Erinnerungsort im Gedenken an die Opfer des Völkermords in Namibia 1904–1908 und der Schlacht am Waterberg im Nelson-Mandela-Park eingeweiht. Die Gedenkstätte besteht aus Steinen der Omahekewüste, in der unzählige Herero verdursteten.

Juristische Forderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere seit 2002

Im Jahr 2002 wurde vor einem US-Gericht von US-Anwälten der Kanzlei Musolino & Dessel im Auftrag der „Herero People’s Reparations Corporation“ (HPRC) des Hereroführers Kuaima Riruako, seit 2003 Parteivorsitzender der National Unity Democratic Organisation, und 199 einzelnen Herero Klage in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar eingereicht.[34] Nachdem die HPRC bereits 1999 mangels Antragsberechtigung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gescheitert war, erhoffte sie sich, auf diesem Wege den politischen Druck auf die Bundesrepublik zu erhöhen. Während die Klage vor dem District Court in Washington, D.C. gegen die Bundesrepublik Deutschland als mit dem Deutschen Reich völkerrechtlich identischer Staat daran scheiterte, dass sie aufgrund ihrer Staatenimmunität der Einleitung eines Verfahrens widersprechen konnte, ruhen die nach dem Alien Tort Claims Act eingeleiteten Verfahren gegen die Deutsche Bank (Rechtsnachfolgerin der Disconto-Gesellschaft), die Terex-Corporation und die Deutschen Afrika-Linien (Rechtsnachfolgerin der Woermann-Linie) seit der deutschen Ankündigung einer Versöhnungsinitiative im Jahre 2004.[35]

Die juristische Betrachtung der Folgen der deutschen Kolonialherrschaft und des Herero-Aufstandes befindet sich bisher noch im Anfangsstadium. Neben den verfahrensrechtlichen Problemen, die insbesondere Klagen vor nationalen Gerichten bereiten, besteht grundsätzliche Unsicherheit schon im Hinblick auf die anwendbaren Regeln des materiellen Völkerrechts. Während ein Teil der deutschen Völkerrechtswissenschaft die heutige Anspruchsberechtigung der Herero vornehmlich unter Hinweis auf zeitgenössische Rechtsvorstellungen der europäischen Völkergemeinschaft verneint,[36] meinen andere, die Völkerrechtswidrigkeit einzelner Aspekte der deutschen Kolonialherrschaft unter Rückgriff auf rechtstheoretische Erwägungen belegen zu können.[37] Eine endgültige juristische Klärung könnte wohl nur Namibia durch eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof herbeiführen. Die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens wäre allerdings ebenfalls problematisch.

Am 15. November 2007 richtete der namibische Außenminister Marco Hausiku ein Schreiben an den damaligen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, das auf einen namibischen parlamentarischen Antrag zur Unterstützung der von den Herero geforderten Reparationen zurückgeht.[38]

Heidemarie Wieczorek-Zeuls Besuch am Waterberg 2004

Am 14. August 2004 nahm die damalige Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul an einer Gedenkfeier zum 100. Jahrestag in Okakarara am Waterberg teil, bei der unter anderem Szenen des Aufstands von Angehörigen der Herero nachgespielt wurden. Die Ministerin war die erste offizielle Vertreterin einer deutschen Regierung, die an einer Gedenkfeier zu den Ereignissen teilnahm. In einer Rede bekannte sie sich zur politischen und moralischen Verantwortung Deutschlands für das damalige Vorgehen der deutschen Truppen, mit den Worten: „Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde […]. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen ‚Vater unser‘ um Vergebung unserer Schuld.“[39] Hierauf gegründete Entschädigungszahlungen schloss sie jedoch aus; allerdings wolle die Bundesregierung die Entwicklungshilfe für Namibia in Höhe von jährlich 11,5 Millionen Euro fortsetzen.[40][41][42]

Entschuldigung der Familie Trotha 2004

Im November 2004 trafen sich Mitglieder der Familie Trotha mit dem Häuptling der Ovaherero, einer Gruppe des Herero-Volkes in Namibia, dem Nachkommen des damaligen Oberhäuptlings (Kapitän) Samuel Maharero, Ombara Alfons Maharero, in Ginsheim am Rhein, um sich zu entschuldigen. Eine gemeinsame schriftliche Erklärung wurde abgegeben, in der die Familie „als Bürger des heutigen Deutschlands und als Christen zusammen mit Ihnen, unseren Gästen aus Namibia, im ,Vater unser‘ den Herrn um Vergebung“ bat.[43] Im Oktober 2007 reisten elf Mitglieder der Familie von Trotha auf Einladung des Hererohäuptlings nach Omaruru, um sich öffentlich für die Taten des Generals von Trotha zu entschuldigen und um Vergebung zu bitten.[44]

„Wir schämen uns für die fürchterlichen Ereignisse, die sich vor einem Jahrhundert in Namibia abgespielt haben“.[45]

Thilo von Trotha

Rückgabe von Totenschädeln 2011–2014

Im Jahr 2011 besuchte eine hochrangig besetzte Delegation aus Namibia Deutschland, um 20 Totenschädel von deutschlandweit geschätzten ca. 3.000 Schädeln in der Berliner Charité zur Rückführung nach Namibia in Empfang zu nehmen. Diese Schädel waren seinerzeit nach Deutschland verbracht worden und konnten so nicht bestattet werden. Mitglieder der namibischen Delegation beklagten sowohl vor wie während des Besuches eine weitgehende Ignoranz durch die damalige Bundesregierung.[46] Während der Übergabefeierlichkeiten der Totenschädel kam es zu einem Eklat, als die einzige anwesende offizielle Vertreterin der Bundesregierung, Staatsministerin Cornelia Pieper, vorzeitig die Veranstaltung verließ und den namibischen Minister so brüskierte. Anlass waren für sie Buhrufe aus dem Publikum wegen ihrer als unzureichend empfundenen Rede. Staatssekretärin Emily Haber erklärte später auf eine kleine Anfrage, dass die „aufgebrachte Stimmung und die konfrontative Grundhaltung einiger Teilnehmer“ Anlass für den Sicherheitsdienst der Charité waren, Pieper aus dem Saal zu führen.[47][48]

Ebenfalls im Jahr 2011 wurden an der Universität Freiburg 14 Schädel als Herero-Schädel identifiziert, sie wurden 2014 in die Republik Namibia zurückgeführt.[49]

Entwicklungen im Jahr 2015

Im Juli 2015 reisten Vertreter der Herero unter Führung von Vekuii Rukoro, dem Paramount Chief of the OvaHerero, nach Berlin mit der Intention dem Bundespräsidenten eine von prominenten deutschen Politikern mitunterzeichnete Petition des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht.“ zu überreichen. Zwar empfing der Bundespräsident die Gruppe nicht persönlich, das Dokument konnte jedoch einem Beamten seines Hauses übergeben werden.[50] Das Dokument forderte den Bundespräsidenten, den Bundestag und die Bundesregierung auf:[51]

  • den Völkermord an den OvaHerero und Nama offiziell anzuerkennen;
  • die Nachfahren der Genozidopfer förmlich um Entschuldigung zu bitten;
  • sich für die Identifizierung und Rückgabe aller nach Deutschland verschleppten Gebeine von Menschen aus Namibia und anderen ehemaligen Kolonien einzusetzen;
  • sich zu einem bedingungslosen und offenen Dialog über Versöhnungsmaßnahmen mit den Nachfahren der Genozidopfer und mit der namibischen Regierung bereit zu erklären.

Der Forderungskatalog solle bis zum 2. Oktober 2015 umgesetzt werden, dem Tag, an dem sich Trothas Proklamation des Vernichtungsbefehls zum 111. Mal jährt.[51]

Am 9. Juli bezeichnete der Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert die Kolonialverbrechen in einem Zeitungsbeitrag als Völkermord. Wer vom Genozid an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich spreche, der müsse auch die Verbrechen des deutschen Militärs gegen die einheimische Bevölkerung im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika so bezeichnen.[52] Der Historiker und Genozidforscher Medardus Brehl ordnete Lammerts Stellungnahme als „wichtiges Signal an die Herero-Gemeinschaft in Namibia“ ein.[53] Bei einem Besuch in Namibia Anfang Oktober 2015 bekräftigte Lammert diese Position, machte aber zugleich deutlich, dass dies keine offizielle Erklärung im Namen der deutschen Regierung sei.[54]

Am 10. Juli 2015 erklärte auch das Auswärtige Amt, der Satz „Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord.“ sei die künftige politische Leitlinie der deutschen Bundesregierung. Eine diesbezügliche gemeinsame Erklärung mit der Regierung von Namibia, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, sei in Vorbereitung.[55]

Für die Vertreter der Herero blieben ungeachtet der Anerkennung wichtige Fragen jedoch weiterhin offen. Neben der Anerkennung als Völkermord sind dies die offizielle Entschuldigung der deutschen Regierung, die Rückgabe aller menschlichen Überreste aus deutschen Sammlungen sowie Versöhnungsmaßnahmen einschließlich der Zahlungen von Reparationen. Zum Ablauf der Frist für die Umsetzung des Forderungskataloges verurteilte Rukoro am 1. Oktober 2015 bei einer Pressekonferenz am Ort der Proklamation des Vernichtungsbefehls die Untätigkeit der deutschen Regierung. Insbesondere moniert wurde, dass die deutsche Regierung ausschließlich mit der namibischen Regierung, nicht aber auch mit Vertretern von Opferorganisationen verhandle.[56] In Deutschland wurde dieser Aspekt mit einer Kampagne des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht.“ unter dem Titel “Not about us without us!“ betont, bei der vom 12. bis 15. Oktober Delegierte von Herero-Organisationen in Deutschland Gespräche führten und an Veranstaltungen teilnahmen.[57]

Literatur

  • Kreienbaum, Jonas: „Ein trauriges Fiasko“. Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika 1900–1908. Hamburg: Hamburger Edition, 2015.
  • Medardus Brehl: «Diese Schwarzen haben vor Gott und Menschen den Tod verdient.» Der Völkermord an den Herero 1904 und seine zeitgenössische Legitimation. in: Micha Brumlik; Irmtrud Wojak (Hgr.): Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Campus Verlag, 2004, ISBN 978-3593372822
  • Mihran Dabag; Horst Gründer; Uwe-K. Ketelsen: Kolonialismus, Kolonialdiskurs und Genozid. Fink, 2004, ISBN 978-3770540709
  • Jürgen Zimmerer (Hrsg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen. Links Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-86153-303-0
  • Olusoga D, Erichsen CW. 2010. The Kaiser's Holocaust: Germany's Forgotten Genocide And The Colonial Roots Of Nazism. London: Faber & Faber. ISBN 978-0571231416

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Bundesregierung: Deutschland hat keinen Völkermord an Herero und Nama begangen. In den detaillierten Antworten auf eine kleine Anfrage heißt es, „Wenn der Begriff [Genozid] als völkerrechtlicher Terminus verwendet wird, […] gilt, […] dass die Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht rückwirkend angewendet werden kann. Bewertungen historischer Ereignisse unter Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen, die [… noch nicht] in Kraft waren, werden von der Bundesregierung nicht vorgenommen.“
  2. Deutsche Kolonialverbrechen: Bundesregierung nennt Herero-Massaker erstmals „Völkermord“, Spiegel Online vom 10. Juli 2015.
  3. „Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muß […]“, in einem Brief an Generalstabschef Graf von Schlieffen, 5. Oktober 1904, in: Michael Behnen: Quellen zur deutschen Außenpolitik im Zeitalter des Imperialismus 1890–1911. Darmstadt 1977, S. 292.
  4. Schlieffen: „Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.“ In: Dominik J. Schaller: »Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss: Kolonialkrieg und Völkermord in «Deutsch-Südwestafrika» 1904–1907«. In: Journal of Genocide Research. 6:3, S. 398.
  5. a b c d e Dominik J. Schaller: »Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss: Kolonialkrieg und Völkermord in «Deutsch-Südwestafrika» 1904–1907«. In: Journal of Genocide Research.
  6. Die Kämpfe der deutschen Truppen in Deutsch-Südwestafrika, Band 1, S. 207, zitiert nach: Reinhart Kößler; Henning Melber: Völkermord und Gedenken. Der Genozid an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 1904–1908. In: Irmtrud Wojak, Susanne Meinl (Hrsg.): Völkermord. Genozid und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Campus, Frankfurt am Main 2004 (= Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 8), S. 49.
  7. Jan-Bart Gewald: The Great General of the Kaiser. In: Botswana Notes and Records. Band 26, S. 74.
  8. Bundesarchiv Potsdam, Akten des Reichskolonialamtes, RKA, 10.01 2089, Bl. 23, Handschriftliche Abschrift der Proklamation an das Volk der Herero und des Zusatzbefehls an die Kaiserliche Schutztruppe, 2. Oktober 1904. Vgl. Der Einsatz der Telegraphie im Krieg gegen Afrikaner (PDF; 1,4 MB), S. 195.
  9. Sten. Ber., Bd. 202, S. 4104 (30. Januar 1905).
  10. Walter Rahn: Sanitätsdienst der Schutztruppe für Südwestafrika während der Aufstände 1904–1907 und der Kalahari-Expedition 1908. op. cit., S. 83, abweichend bei Gerhard Pool: Samuel Maharero. op. cit., S. 293.
  11. RKA 2089, Bl. 21–22, Leutwein an Auswärtiges Amt, 28. Oktober 1904.
  12. RKA 2089, Bl. 98–99, Leutwein an Auswärtiges Amt, 12. November 1904.
  13. RKA 2089, Bl. 3ff., Schlieffen an den Reichskanzler, 23. November 1904.
  14. RKA 2089, Bl. 8–11, Bülow an Wilhelm II., 24. November 1904.
  15. Paul Rohrbach: Aus Südwest-Afrikas schweren Tagen. Thalacker, Berlin 1907.
  16. Horst Drechsler: Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Akademie, Berlin 1984, S. 161–163.
  17. Jürgen Zimmerer: Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia. Lit, Münster 2004, ISBN 3-8258-7473-7, S. 56; Mark Cocker: Rivers of Blood, Rivers of Gold. Europe's Conquest of Indigenous Peoples. Pimlico, London 1999, ISBN 0-7126-6576-5, S. 339.
  18. Bundesarchiv Berlin, RKA Nr. 2140, Bl. 18: Missionar Laaf an Rheinischen Mission, 5. August 1906
  19. Goethe-Institut: Kulturzentrum in von Estorffs Windhuker Haus eröffnet, 12. September 2002 http://www.kulturportal-deutschland.de/kp/quartal.html?sparteid=5&jahr=2002&quartal=3
  20. Bundesarchiv Berlin, RKA Nr. 2140, Bl. 88: Estorff an Schutztruppe, Berlin, 10. April 1907
  21. Bundesarchiv Berlin, RKA Nr. 2140, Bl. 94: Estorff an Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Berlin, 14. April 1907
  22. BAB, RKA Nr. 2140, Bl. 111: Bericht des Distriktamtes Lüderitzbucht an Gouvernement, Windhuk, 26. April 1907
  23. Rautenberg, Hulda: Das alte Swakopmund Swakopmund, Neumünster 1967
  24. Casper Erichsen & David Olusoga: The Kaiser's Holocaust: Germany's Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism. Faber and Faber, 2010, S. 225.
  25. Nationalarchiv Windhuk, Akte 456 des Zentralbureaus des Gouvernements von Deutsch-Südwestafrika, D IV 1.3: Feldzug gegen die Hereros, 1905–1906: Kriegsgefangene, 1904–1913, Bd. 5; entnommen aus: Zimmerer/Zeller, S. 83
  26. a b Medardus Brehl: »Diese Schwarzen haben vor Gott und Menschen den Tod verdient« Der Völkermord an den Herero 1904 und seine zeitgenössische Legitimation. In: Irmtrud Wojak, Susanne Meinl (Hrsg.): Völkermord. Genozid und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Campus, Frankfurt am Main 2004 (= Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 8), S. 77–97.
  27. Torben Jorgensen, Eric Markusen: The Genocide of the Hereros. In: Israel W. Charny (Hrsg.): Encyclopedia of Genocide. Band 1, 1999, S. 288.
  28. Samuel Totten, Paul Robert Bartrop, Steven L. Jacobs: Genocide of Herero People. In: Dictionary of Genocide: A–L. 2008.
  29. Jon Bridgman; Leslie J. Worley: Genocide of the Hereros. In: Samuel Totten, William S. Parsons: A Century of Genocide: Critical Essays and Eyewitness Accounts. 2008, ISBN 0-415-99084-X, S. 25.
  30. Walter Nuhn: Sturm über Südwest. Bernard & Graefe, 2007, ISBN 3-7637-6273-6.
  31. Les Herero, un peuple de la Namibie victime de génocide perpétré par les allemands, demandent réparation (frz.)
  32. UN Whitaker Report on Genocide, 1985, paragraphs 14 to 24 (engl.)
  33. Auswärtiges Amt: Namibia: Politische Beziehungen.
  34. Thilo Thielke: Massaker in Südwest-Afrika Wie die Hereros um Wiedergutmachung kämpfen. In: Der Spiegel. 25. Juni 2008.
  35. FAZ am Sonntag Nr. 33.
  36. Jörn A. Kämmerer, Jörg Föh: Das Völkerrecht als Instrument der Wiedergutmachung?. Eine kritische Betrachtung am Beispiel des Herero-Aufstandes. In: Archiv des Völkerrechts. Band 42, 2004, S. 294–328.
  37. M. Jaguttis: Koloniales Unrecht im Völkerrecht der Gegenwart. In: Henning Melber (Hrsg.): Genozid und Gedenken. Frankfurt am Main 2005, S. 121–140.
  38. Stefan Fischer: Herero-Antrag in Deutschland, in: Allgemeine Zeitung vom 26. November 2007, abgerufen am 1. November 2008.
  39. Deutsche Botschaft Windhuk: Rede von Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bei den Gedenkfeierlichkeiten der Herero-Aufstände am 14. August 2004 in Okakarara, abgerufen am 11. Juli 2015.
  40. Dominik Baur: Deutschlands erster Völkermord. „Das Röcheln der Sterbenden verhallte in der erhabenen Stille“. In: Der Spiegel. 13. August 2004.
  41. Wieczorek-Zeul in Namibia. Deutschland entschuldigt sich für Kolonialverbrechen. In: Der Spiegel. 15. August 2004.
  42. Manuskript der Rede von Heidemarie Wieczorek-Zeul am 14. August 2004.
  43. trotha.de|Versöhnung nach 100 Jahren
  44. derstandard.at|Deutsche Entschuldigung für Herero-Massaker
  45. sueddeutsche.de – Gedenken an Herero-Genozid (Memento vom 13. Dezember 2007 im Internet Archive)
  46. Elena Beis: Der verleugnete Völkermord. In: Die Tageszeitung. 29. September 2011.
  47. Allgemeine Zeitung, Windhoek: Entschädigung „war kein Thema“, 2. Dezember 2011.
  48. nzz.ch: Eklat bei der Übergabe der namibischen Schädel (Panorama, NZZ Online). Abgerufen am 5. Oktober 2011.
  49. pr.uni-freiburg.de: Rückführung von Schädeln aus Namibia – Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungsmanagement. Abgerufen am 22. Juni 2014.
  50. aljazeera.com: Forgotten genocide: Namibia's quest for reparations - Al Jazeera English, Zugriff am 14. Oktober 2015
  51. a b genocide-namibia.net: Appell/Petition 2015 - genocide-namibia.net, Zugriff am 14. Oktober 2015
  52. Bundestagspräsident Lammert nennt Massaker an Herero Völkermord, Zeit.de vom 8. Juli 2015, abgerufen am 15. Oktober 2015
  53. Genozidforscher zur Kolonialgeschichte. Warum „Entschuldigung“ so schwierig ist, tagesschau.de, abgerufen am 10. Juli 2015.
  54. dw.com: Is Germany moving closer to paying reparations for Namibian genoicide? | Africa | DW.COM | 08.10.2015, Zugriff am 15. Oktober 2015
  55. Regierung bekennt sich zu Völkermord. Artikel im Portal tagesschau.de. 10. Juli 2015, abgerufen am 10. Juli 2015.
  56. southernafrican.news: Namibian groups up the ante in reparations claim against Germany, Zugriff am 15. Oktober 2015
  57. genocide-namibia.net: 12.-14.10.2015 - "Not about us without us!" events with OvaHerero guests in Berlin - genocide-namibia.net, Zugriff am 15. Oktober 2015

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