Deutscher Kaiser

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Der Deutsche Kaiser war von 1871 bis 1918 das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches. Grundlage war zunächst Artikel 11 der Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871 sowie daraufhin der Bismarckschen Reichsverfassung vom 16. April 1871. Die vorherige Bezeichnung für den Funktionsträger in der Verfassung des Norddeutschen Bundes lautete „Präsidium des Bundes“ oder „Bundespräsidium“. Die Verfassungsnorm behielt diese ältere Bezeichnung bei, die in der Praxis jedoch völlig hinter dem Kaisertitel zurücktrat.

Das Präsidium des Bundes und damit der Titel „Deutscher Kaiser“ stand verfassungsgemäß dem König von Preußen zu. Ein neuer preußischer König wurde gleichzeitig neuer Deutscher Kaiser. Es handelte sich um zwei verschiedene Ämter, die stets in Realunion durch denselben Mann ausgeübt wurden (nicht in bloßer Personalunion, da verfassungsmäßige Verbindung der Ämter). Der Kaiser setzte den Bundeskanzler bzw. Reichskanzler ein, die Exekutive. Außerdem hatte der Kaiser weitere Befugnisse, die er allerdings teilweise mit dem Bundesrat ausübte. Der Kaiser war kein Alleinherrscher: Alle seine Amtshandlungen mussten vom Kanzler oder (ab 1878) von einem Staatssekretär gegengezeichnet werden.

In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs gab es drei Amtsträger: Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. Im November 1918, gegen Ende des Ersten Weltkrieges, sank das Ansehen des Kaisers dramatisch. Mehrere Parteien forderten seinen Rücktritt. Aus Furcht vor der einsetzenden Novemberrevolution verkündete Reichskanzler Max von Baden am 9. November 1918 eigenmächtig die Abdankung des Kaisers und von Kronprinz Wilhelm. Wilhelm II. ging am gleichen Tag ins Exil in die Niederlande, formell verzichtete er erst am 28. November 1918 auf seine Titel und Rechte.

Vorgeschichte

Im 19. Jahrhundert wurden die Verfassungen in vielen Ländern modernisiert, meist im Sinne der konstitutionellen Monarchie. Bei Bedarf kam es zu „Neuerfindungen der Monarchie“, wie es der Historiker Jürgen Osterhammel ausdrückt. Das geschah, außer in Deutschland, auch zum Beispiel in Frankreich oder Japan. Auch bestehende Monarchien erhielten einen anderen Stellenwert.[1]

Vom Mittelalter zum 19. Jahrhundert

Der mittelalterliche fränkische Herrscher Karl der Große, wie ihn sich 1513 der Maler Albrecht Dürer vorgestellt hat.

Der Titel lehnte sich an den der Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation an, der Römischer Kaiser beziehungsweise Römischer König gelautet hatte. Als solche hatten sich die Kaiser bis ins Hochmittelalter auch selbst verstanden. Die später aufkommende Bezeichnung deutscher König bzw. König der Deutschen wurde von ihnen nie verwendet und erst ab der Frühen Neuzeit bezeichneten sie sich zusätzlich als König in Germanien. Die Bezeichnung „deutscher Kaiser“ bezieht sich in dem Zusammenhang auf ihren beschreibenden Charakter im alten deutschen Reich.[2] Im Jahr 1806 hatte Franz II. die „deutsche Kaiserkrone“ niedergelegt, womit das Alte Reich erloschen war.

Von 1815 bis 1866 gab es den Deutschen Bund. Dieser Staatenbund war keine Monarchie und hatte auch kein Oberhaupt. Das einzige und damit oberste Organ war der Bundestag. Der Bundestagsgesandte aus Österreich führte nach Art. 5 der Bundesakte den Vorsitz im Bundestag, was eher ein Ehrentitel und nicht mit zusätzlicher Macht verbunden war. Österreich wurde die „Präsidialmacht“ genannt und sein Gesandter der „Präsidialgesandte“. Bei der Frage eines Reichsoberhaupts in den Jahren 1848 bis 1850 war der Kaisertitel als Rückgriff auf das Mittelalter gedacht; laut Frankfurter Reichsverfassung vom März 1849 war ein Kaiser der Deutschen vorgesehen. Für die Erfurter Union 1849–1850 sollte der Titel „Reichsvorstand“ bzw. „Unionsvorstand“ lauten.

Norddeutscher Bund

Im Jahr 1867 entstand der Norddeutsche Bund als Bundesstaat. Der König von Preußen übernahm das Präsidium des Bundes. Damit gab es in der Bundesverfassung kein ausdrückliches Staatsoberhaupt. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck wollte dem Norddeutschen Bund weitestmöglich das Aussehen eines Staatenbundes geben und Empfindlichkeiten der anderen Fürsten schonen. Allerdings hatte der Inhaber des Bundespräsidiums viele Befugnisse eines monarchischen Staatsoberhauptes. Einige wie die Gesetzesinitiative oder die Parlamentsauflösung übte allerdings der Bundesrat aus, der aus Vertretern der Gliedstaaten zusammengesetzt war.

Anfang 1870 hatte Bundeskanzler Otto von Bismarck einen Kaiserplan, um das Ansehen des preußischen Königs aufzuwerten. Damit sollte auch der Bund eine bessere Position gegenüber den deutschen Südstaaten und Frankreich erhalten. Der Plan erhielt allerdings kaum das erwünschte Echo. Auch König Wilhelm lehnte einen seiner Meinung nach künstlichen Kaisertitel ab, der ihn an Emporkömmlinge wie Napoleon III. erinnerte.

Einrichtung des Kaisertitels und seine Stellung

Verfassungsänderung 1870/1871

Die süddeutschen Staaten Baden, Bayern, Hessen-Darmstadt und Württemberg traten im Laufe des Deutsch-Französischen Krieges dem Norddeutschen Bund bei. Am 30. November 1870 unterzeichnete der bayerische König Ludwig II. von Bayern den sogenannten Kaiserbrief, in dem er mit Zustimmung der übrigen Fürsten den preußischen König um Annahme eines Kaisertitels bat. Am 10. Dezember lag der Entschluss von Reichstag und Bundesrat vor, den neuen Staat „Reich“ und das Staatsoberhaupt „Kaiser“ zu nennen. Am 18. Dezember suchte die Kaiserdeputation des Reichstags den preußischen König im deutschen Hauptquartier in Versailles auf und bat ihn um die Annahme des Kaisertitels. Wilhelm kam dem auch nach.[3]

Der Bund erhielt in der neuen Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871 den Namen „Deutsches Reich“ und das Bundespräsidium (in Art. 11) zusätzlich den Titel „Deutscher Kaiser“. In der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 kam die neue Bezeichnung an die meisten Stellen, die noch vom „Bundespräsidium“ bzw. „Bundesfeldherrn“ gesprochen hatten.[4]

Annahme des Titels

Somit war Wilhelm seit 1. Januar 1871 Deutscher Kaiser. Allerdings hatte er sich innerlich noch nicht damit endgültig abgefunden. Zum einen wollte er den Königstitel dem Kaisertitel vorangestellt sehen, verstand aber, dass dadurch Süddeutschland verärgert worden wäre. Zum anderen sollte seiner Meinung nach der Titel „Kaiser von Deutschland“ lauten. Dadurch wären aber die Bundesfürsten zu Untertanen des Kaisers geworden und der unitarische (einheitsstaatliche) Charakter des Reiches betont worden. Zudem war nicht „Deutschland“ der verfassungsmäßige Name des nationalen Gesamtstaates, sondern „Deutsches Reich“.[5]

Bismarck bevorzugte „Deutscher Kaiser“, weil dies an die römisch-deutschen Kaiser erinnerte und mehr nach auctoritas (Ansehen) statt nach potestas (Amtsgewalt) klang. Ferner hatte bereits der Kaiserbrief diese Formel enthalten, ganz zu schweigen von der neuen Verfassung. Wilhelm blieb beharrlich und wollte mit der Kaiserwürde an sich tatsächliche Machtbefugnisse verbunden sehen. Am 17. Januar drohte er noch mit Thronverzicht. Selbst nach Überwindung dieser Krise hielt er am Wunsch fest, Kaiser von Deutschland zu werden. Er fand sich am Morgen des 18. Januar widerwillig mit der Lösung des badischen Großherzogs Friedrich ab, der im Spiegelsaal von Versailles einfach ein Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ ausrief. Der 1. Januar war der Tag des Amtsbeginns, der 18. Januar „der Tag der Amtseinweisung und Amtsergreifung“.[6]

In seiner Ansprache nahm Wilhelm I. zwar Bezug auf das 1806 erloschene römisch-deutsche Kaisertum, zwischen beiden Ämtern gab es jedoch keine rechtliche Kontinuität. Deshalb riet Bismarck Friedrich III. auch davon ab, sich in der Tradition der römisch-deutschen Kaiser als Friedrich IV. anreden zu lassen, als dieser 1888 den Thron bestieg.[7]

Die Bundesverfassung kannte keinen Verfassungseid des Präsidiums bzw. später des Kaisers. Dennoch legten Friedrich III. und Wilhelm II. anstandslos und freiwillig jeweils ein Reichsverfassungsgelöbnis vor dem Reichstag ab. Einen Eid kannten sie aus der preußischen Verfassung. In Preußen hätte die Verweigerung des Eides eine schwere Krise ausgelöst, denn der König hätte dann seine königlichen Rechte nicht ausüben können. Er wäre dennoch König gewesen und folglich Inhaber des Bundespräsidiums. Die Bindungen aus der Bundesverfassung galten für den Kaiser überhaupt bereits durch Annahme des Amtes, nicht erst durch eine Eidesleistung.[8]

Stellung im politischen System

Der Kaiser war ein konstitutioneller Monarch, kein Selbstherrscher. Trotz seiner starken verfassungsrechtlichen Stellung war er weniger mächtig als etwa der Präsident der Vereinigten Staaten. Er war nicht Teil der Regierung, sondern setzte den Reichskanzler als verantwortlichen Minister ein. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers wurden nicht rechtswirksam, wenn sie nicht vom Reichskanzler gegengezeichnet wurden. Dies galt auch zum Beispiel für Reden, für die der Kaiser sich die vorherige Billigung des Reichskanzlers einholen musste. Es gab also kein „persönliches Regiment“, keine persönliche Politik des Kaisers, auch nicht in der Zeit Wilhelms II., der in manchen Äußerungen einen anderen Eindruck vermittelte.[9]

Anders als andere Verfassungen der Zeit nannte die deutsche den Monarchen nicht ausdrücklich „unverletzlich“. Man wandte allerdings die preußischen Regelungen entsprechend an, so dass der Kaiser auch nicht vor ein Strafgericht gestellt werden konnte. Der Reichskanzler übernahm die politische Verantwortung mit Blick auf das Parlament.[10] Aus dieser politischen und juristischen Verantwortung wurde erst im Oktober 1918 eine parlamentarische: In den letzten knapp zwei Wochen des Kaiserreichs musste ein Kanzler zurücktreten, wenn der Reichstag ihm das Misstrauen aussprach.

Der Kaiser bzw. der Reichskanzler bzw. das Auswärtige Amt vertrat das Reich nach außen. Krieg und Frieden erklärte und schloss der Kaiser. Allerdings bedurften Staatsverträge der Zustimmung von Bundesrat und Reichstag, um innerstaatliches Recht zu werden.[11]

Das Reichsheer und die Kaiserliche Marine standen zu aller Zeit, Frieden wie auch Krieg, unter dem Befehl des Kaisers. Für Kommandoakte galt die Ministerverantwortlichkeit bzw. Gegenzeichnungspflicht nicht, da der Kaiser dafür in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber agierte.[12][13]

Amtsträger

Die drei Träger des Titels, Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II., waren die Könige von Preußen. Wilhelm I. war bereits seit 1858 Regent für seinen erkrankten Bruder und seit 1861 preußischer König. Seit dem 1. Juli 1867 war er Inhaber des Bundespräsidiums, seit dem 1. Januar 1871 zugleich Kaiser. Er starb am 9. März 1888 mit 90 Jahren.

Sein Sohn Friedrich III. wurde sogleich neuer preußischer König und deutscher Kaiser. Der 57-Jährige starb nach nur 99 Tagen im Amt an Kehlkopfkrebs. Ihm folgte sein 29-jähriger Sohn als Wilhelm II. So amtierten im „Dreikaiserjahr“ 1888 alle drei Kaiser, die es in der Geschichte des Kaiserreichs gegeben hat.

Ende des Kaisertums 1918

Entwicklung bis zum 9. November

Reichskanzler Max von Baden auf dem Weg zum Reichstag, Oktober 1918

Kaiser Wilhelm II. hatte sich am 29. Oktober 1918 ins deutsche Hauptquartier ins belgische Spa begeben. Während es in der Heimat politisch gärte, sah er seine wichtigste Unterstützung in der Armeeführung. Mittlerweile war Reichskanzler Prinz Max von Baden in das Lager derjenigen übergetreten, die eine Abdankung zur Beruhigung des unzufriedenen Volkes befürworteten.

Das Kabinett in Berlin diskutierte am 31. Oktober über die Vor- und Nachteile einer Abdankung des Kaisers. Sie müsse jedenfalls offiziell „freiwillig“ erfolgen. Allerdings war sowohl die politische als auch die militärische Führung innerlich zerstritten über diese Frage. Die Generäle Paul von Hindenburg und Wilhelm Groener von der Obersten Heeresleitung bestärkten den Kaiser in Spa, nicht abzudanken. Die Söhne Wilhelms wiederum hatten ihrem Vater versprochen, keine Regentschaft zu übernehmen.[14]

Bald darauf, am 3. November, brach in Kiel die Revolution aus. Am 7. November forderte die SPD, die bereits an der Reichsleitung beteiligt war, den Thronverzicht des Kaisers und des Kronprinzen am folgenden Tag. Max machte daraufhin sein Abschiedsgesuch bekannt und setzte sich und den Kaiser damit unter Druck: Ein Kanzler im Sinne der Obersten Heeresleitung hätte zur Revolution geführt, ein Kanzler der bürgerlichen Mitte hätte keine Reichstagsmehrheit gehabt, ein Sozialdemokrat hätte ohne Abdankung des Kaisers nicht zur Verfügung gestanden. Aus Verantwortungsgefühl akzeptierten die Sozialdemokraten einen Kompromiss, indem sie die Abdankung erst für den 9. November forderten.[15]

Der Reichskanzler bemühte sich weiter um die Abdankung, eine Forderung, der sich auch die Linksliberalen und die Zentrumspartei anschlossen. Die Oberste Heeresleitung unterstützte Wilhelm zunächst bei seinem Plan, an der Spitze des Heeres die beginnende Revolution in Deutschland niederzuschlagen. Doch am 8. November erkannte sie, dass dies aussichtslos wäre.[16] Am Vormittag des 9. November bekam Wilhelm zu hören, dass die Kommandeure nicht mehr hinter ihm stünden.

Idee der Teilabdankung

Wilhelm entwickelte zusammen mit Graf Schulenburg den Plan einer Teilabdankung. Nach streng konservativer Auffassung besaß die preußische Krone eine alte Tradition. Das deutsche Kaisertum existierte hingegen sowieso nur aufgrund der Reichsverfassung und stellte eine geradezu republikanische Präsidialfunktion dar. Wilhelm wollte als Kaiser, nicht aber als König zurücktreten. Nach einigem Zögern ließ Wilhelm seine Absicht fernmündlich der Reichskanzlei in Berlin mitteilen (ca. 14:00 Uhr des 9. November).[17]

Allerdings fehlte damit noch die eigentliche Abdankung. Außerdem sah die Verfassung keine Trennung beider Ämter vor. In einem Regentschaftsplan von Ende Oktober hatte Reichskanzler Max gedacht, dass ein dreiköpfiger Regentschaftsrat in Preußen eingesetzt werden könnte. Dafür wäre ein verfassungsänderndes Gesetz in Preußen, aber nicht auf Reichsebene nötig gewesen. Der Regentschaftsrat hätte dann automatisch auch die Präsidialbefugnisse auf Reichsebene übernommen.[18]

Eine Teilabdankung hätte auf Reichsebene die Einsetzung eines Reichsverwesers erfordert, wofür die Zustimmung von Reichstag und Bundesrat erforderlich gewesen wäre. Eine solche Zustimmung war mehr als fraglich. Obendrein richtete sich der Volkszorn gegen Wilhelm als Kaiser ebenso wie gegen ihn als König. Auch auf das feindliche Ausland hätte eine Teilabdankung wie eine Provokation gewirkt.[19]

Pressemitteilung und Regentschaftsplan

Die Mitteilungen aus Spa über Wilhelms Bereitschaft abzudanken waren undeutlich. Dennoch hatte der Reichskanzler den Eindruck gewonnen, dass die volle Abdankungserklärung bald folge und dass nur noch die Frage der richtigen Formulierung die Sache verzögere. Weil der Aufstand in Berlin direkt bevorstand, wollte der Reichskanzler nicht länger warten. Gegen 12 Uhr mittags gab die Reichskanzlei an die Presse, dass der Kaiser und König ebenso wie der Kronprinz auf den Thron verzichte – obwohl Letzterer in den Mitteilungen aus Spa gar nicht erwähnt worden war. Fragwürdig war auch die Ankündigung Max von Badens, er werde einem Regenten die Ernennung des MSPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert zum Reichskanzler vorschlagen, und dass eine Nationalversammlung über die künftige Staatsform entscheiden werde.[20]

An die Einsetzung von Regenten oder Reichsverwesern war nicht mehr zu denken. Um den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern, wollte Max die Reichskanzlerschaft Ebert direkt übertragen. Dazu musste die Abdankung des Kaisers bereits feststehen, was die Eile miterklärt. Ebert nahm die Reichskanzlerschaft an. Max stellte noch die Frage nach einer Regentschaft. Ebert lehnte ab, dafür sei es zu spät. Max’ Mitarbeiter hatten dazu geraten, vor Übertragung der Kanzlerschaft die Einsetzung eines Reichsverwesers zu verlangen, der die monarchischen Rechte ausgeübt hätte. Max setzte sich aber nicht nachdrücklich dafür ein, weil ihm die Autorisation Wilhelms fehlte. So konnte ein Vakuum entstehen: Ohne Stellvertretung war die kaiserliche Gewalt dem Zugriff der Revolutionäre ausgeliefert.[21]

Ernst Rudolf Huber kritisiert daran, dass Max bereits die Verfassung gebrochen habe: erstens durch die eigenmächtige Veröffentlichung einer angeblichen Abdankung, zweitens durch die Übertragung des Reichskanzleramts. Max hätte, nachdem er für eine Lücke an der Spitze des Reichs gesorgt hatte, diese Lücke auch schließen müssen. Er hätte sich nicht plötzlich auf eine fehlende Autorisation berufen sollen, sondern sich dazu bekennen müssen, dass er eine Regentschaft oder Reichsverweserschaft inzwischen für undurchführbar hielt.[22]

Flucht und Abdankung

Wilhelm am belgisch-niederländischen Grenzübergang Eysden, 10. November 1918

Gegen 14:00 Uhr kam in der Reichskanzlei die Mitteilung aus Spa an, dass Wilhelm eine Teilabdankung beabsichtige. Erst jetzt informierte Berlin ihn darüber, dass bereits die Vollabdankung verkündet worden war. Etwa gleichzeitig rief Philipp Scheidemann von der MSPD ein Hoch auf die Republik aus. Ebert war darüber empört, weil erst eine Nationalversammlung die Frage der Staatsform entscheiden solle; nun erst bedrängte Ebert den Prinzen Max, Reichsverweser zu werden. Doch Max lehnte ab, und überhaupt war die Revolution bereits zu weit fortgeschritten.[23]

In Spa war man über Max’ Eigenmächtigkeit empört. Wilhelm wollte einen förmlichen Protest gegen die Abdankungserklärung einlegen. Hindenburg riet Wilhelm dagegen, die Krone niederzulegen und in die neutralen Niederlande abzureisen. Wilhelm ließ sich auch überreden, dass der Protest nicht öffentlich sein solle. Durch dieses Schweigen nahm er den verkündeten Thronverzicht hin. Die Oberste Heeresleitung war damals wohl schon dazu bereit, mit den Revolutionären in Berlin zusammenzuwirken.[24]

Am 10. November 1918 gegen sieben Uhr morgens überschritt Wilhelm die Grenze zu den Niederlanden, wo er sein Exil fand und schließlich 1941 starb. Die längste Zeit lebte er auf Haus Doorn, das heute ein Museum ist. Anhänger wie Gegner der Monarchie verurteilten Wilhelms Abreise als Fahnenflucht. Huber: „Erst dieser Akt besiegelte das Ende der preußisch-deutschen Monarchie.“[25]

Wilhelm unterschrieb am 28. November 1918 die Erklärung seiner Abdankung, wobei er die Beamten und Soldaten vom Treueeid entband. Der Kronprinz folgte am 1. Dezember mit einer eigenen Erklärung. Damit war die Monarchie auch formell beendet.[26] Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 hob schließlich öffentlich-rechtliche Vorteile durch Geburt oder Stand auf (Art. 109) und damit die Privilegien des Adels, einschließlich der Besetzung von staatlichen Funktionen.

Siehe auch

Literatur und Film

Einzelnachweise

  1. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C.H. Beck, München 2009, S. 829, 838 f.
  2. Zur informellen Verwendung des deutschen Königs-/Kaisertitels im alten „deutschen Reich“ siehe Reichsdeputationshauptschluss; Otto von Freising, Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten; Ulrich von Hutten sowie die Kaiserchronik (1150).
  3. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u. a.] 1988, S. 740/741, 746/747, 750.
  4. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 750/751.
  5. Vgl. Rudolf Weber-Fas: Epochen deutscher Staatlichkeit. Vom Reich der Franken bis zur Bundesrepublik. W. Kohlhammer, Stuttgart 2006, S. 134.
  6. Vgl. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 751–753.
  7. John C. G. Röhl: Wilhelm II., S. 784/785.
  8. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 809 f., 1012 f.
  9. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 814/815.
  10. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 815.
  11. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 931/932, 941.
  12. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band III: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 1003.
  13. Wilhelm Deist: Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr. In: ders.: Militär, Staat und Gesellschaft. Oldenbourg, München 1991, ISBN 3-486-55920-6 (broschiert), ISBN 3-486-55919-2 (Gewebe), S. 2.
  14. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart [u. a.] 1978, S. 656–658.
  15. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 661–663.
  16. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 669.
  17. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 680/681.
  18. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 631.
  19. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 682.
  20. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 684.
  21. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 688/689.
  22. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 689.
  23. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 691 f.
  24. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 699.
  25. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 702.
  26. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 706.