Mysterienkult

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Als Mysterienkult oder Mysterienreligion wird ein Kult oder eine Religion bezeichnet, deren religiöse Lehren und Riten vor Außenstehenden geheim gehalten werden und der deshalb auch als Geheimkult bezeichnet wird. Die Aufnahme in eine solche Kultgemeinschaft erfolgt gewöhnlich durch spezielle Initiationsriten.

Das Wort Mysterium geht auf altgriechisch μυστήριον mysterion („Geheimnis“) und dieses wiederum auf altgriechisch μύειν myein „schließen“ zurück. Für Nichtinitiierte war der Mysterienkult „geschlossen“. Die initiierten Mitglieder wurden Mysten (zu altgriechisch μύστης mýstēs) genannt.

Verständnis

Solche antiken und spätantiken, spirituellen Kulte waren keine Religionen im neuzeitlichen Verständnis. Sie entstanden im Rahmen des vorherrschenden griechisch-römischen Polytheismus sowie des frühen Christentum und des Judentums. Sachlich ist eine Definition schwierig, weil die Mysterienkulte ihr Geheimnis weitgehend gewahrt haben (Arkanprinzip). Ihre Mythen und Riten können meist nur mit großer Ungewissheit und vielen Mutmaßungen anhand antiker Schriften und archäologischer Funde rekonstruiert werden.

Merkmale solcher Kulte sind:

  • Exklusivität der spirituellen Erfahrung: Mit der Einweihung (initatio) in den Kult werden den Adepten besondere Einsichten und Geheimnisse offenbar;
  • die Kulte bestehen neben dem weithin verbreiteten offiziellen Kult für dieselbe Gottheit;
  • Synkretismus, das heißt die Vermischung von Gottheiten und die Integration anderer Glaubensvorstellungen und Religions- bzw. Kultpraktiken.[1]

Große Teile der griechischen und römischen Bevölkerung waren Anhänger von Mysterienkulten. Der übliche Ahnenkult (d. h. die fiktive Abstammung von antiken Göttern) reichte zu bestimmten Zeiten nicht mehr aus. In den Mysterienkulten waren die verehrten Gottheiten nicht von Geburt an göttlich; sie hatten wie ein Mensch Schmerz und Tod erfahren und diesen dann überwunden. Dadurch waren sie dem Menschen näher als die Götter der alten Polisreligion.

Grundsätzlich war für die Mysterienkulte das Erlebnis des Geheimnisvollen charakteristisch, wobei eine Kultgottheit im Mittelpunkt stand und eine vielfältige rituelle Praxis an entsprechend ausgestatteten Kultstätten praktiziert wurde. Priester und Anhängerschaft stammten aus den unterschiedlichsten sozialen Gruppen.

Die bekanntesten Mysterienkulte der antiken Welt sind die Mysterien von Eleusis, die samothrakischen Mysterien, der Dionysoskult, der Kult des Liber Pater in Rom und in Süditalien, der Mithraskult, der Kybele- und Attiskult, der Isis- und Osiriskult. Einige dieser Kulte stammen offensichtlich aus dem Orient; ob sie alle orientalischen Ursprungs sind, wie manchmal behauptet wird, ist jedoch unsicher. Die eleusinischen Mysterien, die samothrakischen Mysterien und der Dionysoskult gelten weithin eher als nationalgriechisch.

Allgemeine Motive von Mysterienkulten sind der sterbende und auferstehende Gott, der Mutterkult und die Wiedergeburt und Unsterblichkeit. Man hat diese drei Phänomene in ein System gebracht, indem man den Mysteriengott als einen mit den Jahreszeiten sterbenden und auferstehenden Vegetationsgott erklärt hat. Der Vegetationsgott ist naturgemäß mit der Mutter Erde eng verbunden, weniger einleuchtend dagegen ist die Auffassung, dass im Kreislauf des Daseins die Verheißung eines ewigen Lebens im Jenseits erkennbar sein soll. Gewiss ist jedenfalls, dass der sterbende und auferstehende Gott und die Große Mutter das im Kreise laufende Leben geschaffen und in Gang gebracht haben.

Mysterienkulte im römischen Reich

Das Imperium Romanum gab religiösen Kulten prinzipiell weite Entfaltungsmöglichkeiten. Durch das Militär, aber auch Händler breitete sich der aus Aegyptus stammende Isis-Kult aus. Der ursprünglich in Asia entstandene Kybele- und Attiskult und der aus dem iranisch-persischen Kulturraum stammende Mithras-Kult konnten sich über weite Teile der römischen Provinzen ausdehnen. Auch der griechische Dionysos-Kult fand Anhänger und gab der römischen Administration Anlass für einen der wenigen frühen staatlichen Eingriffe. Im Jahre 186 v. Chr. wurden die dionysischen Bacchanalien mit der Begründung untersagt, dass die Initiation die Form sexueller Ausschweifungen hatte.

Mysterienkulte und Gnosis

Wilhelm Bousset (1907) sah einen engen Zusammenhang zwischen den antiken Mysterienkulten und der Gnosis. Nach seiner Auffassung waren Mysterienkulte Teil des gnostischen Verständnisses der ‚Welt‘.[2] Einen Zusammenhang sah auch Hans Jonas (1964), der die Einflüsse aber anders gewichtete und speziell die hellenistischen Mysterienkulte als einen Teil der gnostischen Weltanschauungen betrachtete.[3] D. H. Wiens (1982) wiederum sah die Gnosis in keinem direkten Zusammenhang zu den Mysterienkulten, wenn auch einige der verwendeten Begrifflichkeiten dies nahezulegen scheinen.[4]

Literatur

Übersichtsdarstellungen
Einführungen, Gesamtdarstellungen und Untersuchungen
  • Walter Burkert: Antike Mysterien, Funktionen und Gehalt. Beck, München 2003, ISBN 3-406-34259-0.
  • Konrad Dietzfelbinger: Mysterienschulen. Diederichs, München 1998, ISBN 978-3-424-01355-9.
  • Thorsten Fleck: Isis, Sarapis, Mithras und die Ausbreitung des Christentums im 3. Jahrhundert. In: Klaus-Peter Johne u. a. (Hrsg.): Deleto paene imperio Romano. Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und ihre Rezeption in der Neuzeit. Steiner, Stuttgart 2006, ISBN 3-515-08941-1, S. 289–314.
  • Marion Giebel: Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69106-0.
  • Hans Kloft: Mysterienkulte der Antike. Götter, Menschen, Rituale. 3., durchgesehene Auflage, Beck, München 2006, ISBN 3-406-44606-X.
  • Will-Erich Peuckert: Geheimkulte. Heidelberg 1951.
  • Max Ortner: Griechisch-römisches Religionsverständnis und Mysterienkulte als Bausteine der christlichen Religion. Dissertationsschrift, Universität Wien, Oktober 2009, doi:10.25365/thesis.8093.

Anmerkungen

  1. Hans Kloft: Mysterienkulte der Antike. Götter, Menschen, Rituale. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-73659-9, S. 10
  2. Wilhelm Bousset: Hauptprobleme der Gnosis (= Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, Heft 10). Göttingen 1907, S. 274 f.
  3. Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist. Erster Teil: Die mythologische Gnosis (= Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, Band 33). 4. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1988 (Erstauflage 1934; 3. Aufl. 1964, FRLANT 51), S. 80.
  4. Devon H. Wiens: Mystery Concepts in Primitive Christianity and in Its Environment. Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II, 23,2 Berlin/New York 1982, S. 1248–1284