Fundamentalsystem (Mathematik)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. April 2021 um 08:46 Uhr durch imported>Aka(568) (→‎Literatur: https).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Als Fundamentalsystem wird in der Analysis jede Basis desjenigen Vektorraums bezeichnet, der aus der Menge der Lösungen eines homogenen linearen gewöhnlichen Differentialgleichungssystems besteht.

Ist ein Fundamentalsystem, so ist definitionsgemäß

die Menge der Lösungen dieses homogenen Differentialgleichungssystems.

Die Kenntnis eines Fundamentalsystems ist Voraussetzung für das Verfahren der Variation der Konstanten, um eine spezielle Lösung von inhomogenen linearen Differentialgleichungssystemen erster Ordnung und inhomogenen linearen Differentialgleichungen höherer Ordnung zu konstruieren.

Fundamentalsystem, (Haupt-)Fundamentalmatrix und Wronski-Determinante

Homogenes lineares Differentialgleichungssystem erster Ordnung

Gegeben sei ein lineares homogenes Differentialgleichungssystem erster Ordnung

mit und der Matrix , deren Koeffizienten sind. Die Lösungen dieses Differentialgleichungssystems werden in der Differentiationsklasse der stetig differenzierbaren Funktionen gesucht.

Hat diese Differentialgleichung zwei verschiedene Lösungen, so sind auch die Summe und Vielfache mit reellen Faktoren wiederum Lösungen. Die Lösungsmenge ist also ein reeller Untervektorraum im Raum aller stetig differenzierbaren Funktionen.

Sind die Koeffizienten der Matrix stetige Funktionen, so kann der Existenz- und Eindeutigkeitssatz von Picard-Lindelöf angewandt werden. Nach diesem ist einerseits jede Lösung der Differentialgleichung schon eindeutig durch ihren Wert im Anfangspunkt des Intervalls bestimmt und andererseits auch jedes Anfangswertproblem mit beliebigem Anfangswert zu diesem Differentialgleichungssystem eindeutig lösbar. Daraus folgt, dass der Lösungsraum -dimensional ist.

Definitionen

Jede Basis dieses -dimensionalen Lösungsraums wird als Fundamentalsystem des linearen Differentialgleichungssystems bezeichnet. Meistens wählt man als Basis dasjenige System von Lösungsfunktionen , für welche der Anfangswert der -te kanonische Einheitsvektor ist.

Ist ein Fundamentalsystem, so bezeichnet man die Matrix als Fundamentalmatrix und ihre Determinante als Wronski-Determinante. Ist für ein die Einheitsmatrix, so bezeichnet man auch als Hauptfundamentalmatrix im Punkt .

Die Fundamentalmatrix ist ebenfalls Lösung einer homogenen gewöhnlichen (matrixwertigen) Differentialgleichung, nämlich von

Der Lösungsraum des ursprünglichen homogenen Systems im ist dann . Ist sogar Hauptfundamentalmatrix in , so löst das Anfangswertproblem zu .

Die Fundamentalmatrix ist für jedes invertierbar. Für die Wronski-Determinante gilt die liouvillesche Formel.

Homogene lineare Differentialgleichung höherer Ordnung

Genauso wie im Fall erster Ordnung ist der Lösungsraum eines linearen Systems höherer Ordnung ebenfalls ein Vektorraum, und jede Basis desselben wird weiterhin als Fundamentalsystem bezeichnet.

Zur Definition der Fundamentalmatrix einer skalaren linearen Differentialgleichung -ter Ordnung

betrachte man zunächst das hierzu korrespondierende Differentialgleichungssystem erster Ordnung, bestehend aus Gleichungen

mit

Hinweis: Der Zusammenhang ist, dass die skalare Gleichung -ter Ordnung genau dann löst, wenn Lösung obigen Systems erster Ordnung ist.

Als Fundamentalmatrix von

bezeichnet man jede Fundamentalmatrix des Systems erster Ordnung

Natürlich heißt Hauptfundamentalmatrix in , falls die Einheitsmatrix ist. bezeichnet man weiterhin als Wronski-Determinante.

Obige Reduktion der Gleichung auf ein System erster Ordnung liefert: Ist ein Fundamentalsystem, so ist

eine Fundamentalmatrix.

Konstruktion eines Fundamentalsystems

Im allgemeinen Fall ist es schwierig, Fundamentalsysteme zu konstruieren. Möglich wird dies erst durch eine spezielle Struktur der Differentialgleichung. Dazu gehört die skalare Differentialgleichung erster Ordnung, Differentialgleichungssysteme erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten, Differentialgleichungen höherer Ordnung mit konstanten Koeffizienten oder die eulersche Differentialgleichung. Ist eine Lösung der homogenen Differentialgleichung hoher Ordnung bekannt, so kann man das Reduktionsverfahren von d’Alembert verwenden, um die Gleichung auf eine Differentialgleichung mit einer um eins erniedrigten Ordnung zurückzuführen.

Lineare Differentialgleichung erster Ordnung

Es sei eine Stammfunktion von . Dann ist

ein Fundamentalsystem von .

Lineares Differentialgleichungssystem erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Im Fall einer linearen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten

bestimmt man zunächst die Jordan-Normalform der Matrix sowie eine dazugehörige Jordan-Basis . Ist ein komplexer Eigenwert mit zugehörigen Basisvektoren , so möge man in der Jordan-Basis die Basisvektoren so wählen, dass als Basisvektoren zu vorkommen.

Nun geht man jede Kette von Hauptvektoren einzeln durch: Ist eine (vollständige) Hauptvektorkette zum Eigenwert , d. h.

,

so tragen sie zum Fundamentalsystem die (Hauptvektor-)Lösungen

allgemein

bei. Nachdem man alle Hauptvektorketten durchgegangen ist, hat man dann ein (ggf. komplexes) Fundamentalsystem aufgestellt.

Lineare Differentialgleichung höherer Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Ein Fundamentalsystem für eine skalare linearen Differentialgleichung -ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten

kann durch Lösen der charakteristischen Gleichung mit dem charakteristischen Polynom

erfolgen. Seien die (paarweise verschiedenen) Nullstellen von mit Vielfachheiten . Dann trägt die Nullstelle zum (komplexen) Fundamentalsystem die linear unabhängigen Lösungen

bei.

[Zur Erläuterung der Sprechweise: Führt man mit Hilfe der obigen Transformation die skalare Gleichung -ter Ordnung auf ein Differentialgleichungssystem erster Ordnung zurück, so hat die Koeffizientenmatrix als charakteristisches Polynom genau dieses, welches hier angegeben wurde.]

Reelles Fundamentalsystem

Auf obige Weise erhält man stets linear unabhängige Lösungen, welche aber teilweise komplexwertig sein können – die komplexen Lösungen kommen jedoch immer in konjugiert komplexen Paaren vor, da die Differentialgleichung reell war. Nun sind mit auch und beides (reelle) Lösungen, da die Differentialgleichung linear ist. Man kann daher jedes Paar komplex konjugierter Lösungen im (komplexen) Fundamentalsystem durch reelle Lösungen ersetzen. Auf diese Weise erhält man ein reelles Fundamentalsystem. Man beachte hierbei die Eulersche Formel .

Periodisches Differentialgleichungssystem erster Ordnung

Für das System

mit -periodischer stetiger Koeffizientenmatrix kann man zwar nicht explizit ein Fundamentalsystem konstruieren – jedoch macht der Satz von Floquet eine Aussage über die Struktur der Fundamentalmatrizen dieses Systems.

Beispiele

Lineares Differentialgleichungssystem erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Man betrachte das Differentialgleichungssystem

Die Matrix besitzt 1 als einfachen Eigenwert und 2 als doppelten Eigenwert. Ihre Eigenräume lauten Für die Hauptvektorkette zum Eigenwert 2 benötigt man noch

Wähle beispielsweise

Dann muss als Hauptvektor erster Stufe gewählt werden. Es ergibt sich als Fundamentalsystem mit

Lineare Differentialgleichung höherer Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Betrachte nun

Diese Differentialgleichung hat als charakteristisches Polynom , welches die vier Nullstellen besitzt. Daher erhält man zunächst als komplexes Fundamentalsystem

Somit erhält man als ein reelles Fundamentalsystem

Literatur

  • Carmen Chicone: Ordinary Differential Equations with Applications. 2. Auflage. In: Texts in Applied Mathematics, 34. Springer-Verlag, 2006, ISBN 0-387-30769-9.
  • Harro Heuser: Gewöhnliche Differentialgleichungen. Teubner, 1995, S. 250.
  • Gerald Teschl: Ordinary Differential Equations and Dynamical Systems (= Graduate Studies in Mathematics. Band 140). American Mathematical Society, Providence 2012, ISBN 978-0-8218-8328-0 (mat.univie.ac.at).