Hövding

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Hövding 1.0

Hövding (schwedisch für ‚Häuptling‘) ist der weltweit erste[1] Airbag für Radfahrer. Das auch als „Airbag-Helm“ oder „unsichtbarer Helm“ rezipierte Schutzsystem wird als Kragen um den Hals getragen. Sensorgesteuert wird ein Sturz des Trägers erkannt und der Airbag innerhalb einer Zehntelsekunde aufgeblasen, der beim Aufprall als eine Art luftgefüllter Fahrradhelm den Kopf schützt. Verschiedene externe Untersuchungen (u. a. der Stanford University) ergaben, dass ein Hövding im Vergleich zu klassischen Fahrradhelmen einen bis zu achtmal besseren Schutz gewährt.

Das innovative Schutzsystem erhielt verschiedene Auszeichnungen und wird von der Europäischen Union im Rahmen des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 gefördert.[2]

Das seit 2005 entwickelte Produkt ist nach Angaben des schwedischen Herstellers Hövding Sverige AB auf 16 Märkten in Europa sowie in Japan verfügbar und wurde bisher mehr als 300.000 Mal verkauft.[3] Auch sollen, laut eigener Angabe, über 5000 Menschen bei einem Unfall durch den Hövding geschützt worden sein.[4]

Geschichte

Hövding 2.0 ausgelöst

Seit dem 1. Juli 2005 müssen Kinder unter 15 Jahren in Schweden kraft Gesetz beim Radfahren einen Helm tragen. Im Vorfeld wurde eine Debatte darüber ausgelöst, ob auch für Erwachsene eine Fahrradhelmpflicht gelten soll.

Infolge dieser Debatte und Umfragen, die zeigten, dass Radfahrer sich einen attraktiveren oder idealerweise unsichtbaren und dennoch Sicherheit bietenden Helm wünschten, befassten sich die Schwedinnen Anna Haupt und Terese Alstin während ihres Industriedesign-Studiums an der Universität Lund mit dem Projekt „Helm der Zukunft“. Das Projekt wurde zu ihrer Masterarbeit.[5] Haupt und Alstin erhielten ein Stipendium zur Weiterentwicklung ihres Konzepts nach Abschluss des Studiums.[6]

2005 gewannen Haupt und Alstin den schwedischen Innovationspreis Innovationsbron Ideas Grant, der ihnen die Mittel für die ersten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten verschaffte. 2006 gewann der Hövding den führenden skandinavischen Gründerwettbewerb Venture Cup in Schweden. Dadurch wurde die Gründung des Unternehmens Hövding Sweden AB im selben Jahr ermöglicht. Nach sieben Jahren Forschung und Entwicklung wurde aus dem Konzept das marktfähige Produkt Hövding.[6][5]

2014 waren Haupt und Alstin Finalistinnen des Europäischen Erfinderpreises.[6] Hövding erhielt im Rahmen des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 Fördermittel in Höhe von 1,37 Millionen Euro für den Zeitraum von 2016 bis 2020.[2]

Modellvarianten

Hövding 1.0
 Das erste auf den Markt gebrachte Modell des Hövding wird heute als Hövding 1.0 bezeichnet. Es war in zwei Größen (Small, Medium) erhältlich und wog rund 750 bzw. 800 Gramm.
Hövding 2.0
Die folgende Modellvariante war der Hövding 2.0, angeboten in drei Größen (Small, Medium, Large), die im Vergleich zum ersten Modell vergrößert wurden. Der Reißverschluss wurde verlängert. Die Mechanik und die Elektronik wurden verbessert, was zu einer Gewichtsreduzierung um etwa 100 Gramm geführt hat (Gesamtgewicht: rund 600 bis 700 Gramm). Der Hövding 2.0 ist außerdem für den Gebrauch mit mehr Arten von Fahrrädern (bspw. Miniräder und Falträder) angepasst. Der USB-Anschluss wurde von der Vorder- auf die Rückseite des Produkts verlegt.[7]
Hövding 3.0
Ende Oktober 2019 wurde die dritte Modellgeneration eingeführt. Diese wurde abermals um 100 Gramm (Gesamtgewicht: 800 Gramm) schwerer. Neu sind eine per Bluetooth verbundene App, die Notfallkontakte via SMS bei einem Unfall informiert als auch eine Größenverstellung, sodass man diese Modellgeneration nur noch in einer Größe kaufen kann. Außerdem wurde der bisherige Mini-USB-Stecker zugunsten eines USB-C Anschlusses aufgegeben. Äußerlich hat sich zu Vorgängergeneration nur wenig geändert: Die Gaskartusche auf der Rückseite ist nicht mehr komplett mit Stoff verhüllt und der Verschluss auf der Vorderseite wurde umgestaltet.

Unternehmen

Der schwedische Hersteller Hövding Sverige AB mit Sitz in Malmö wurde im Jahr 2006 gegründet und ist seit dem 16. Juni 2015 börsennotiert (Nasdaq First North, Stockholm, sowie Börse Frankfurt).[5][8] Zum 31. Dezember 2017 beschäftigte das Unternehmen 33 Mitarbeiter und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2017 einen Umsatz von 56,7 Millionen Kronen (knapp 5,8 Mio. Euro).[9] Nach eigenen Angaben wurden Stand März 2021 über 300.000 Hövding verkauft.[10]

Rezeption

2015: Test durch Folksam

Die schwedische Versicherungsgesellschaft Folksam testet seit 2012 regelmäßig Fahrradhelme. Im Jahr 2015 testete sie den Hövding 2.0 als einen von 18 Helmen für Erwachsene. Der Hövding bietet dem Test zufolge eine mindestens dreimal bessere Stoßdämpfung als alle klassischen Fahrradhelme. Nach EU-Helmstandard (EN 1078) darf auf den Kopf keine Beschleunigung größer 250g wirken. Während die klassischen Helme im Mittel eine Translationsbeschleunigung von 175g erreichten (minimal 140g, maximal 242g), kam der Hövding auf nur 48g. Auch die auf den Kopf wirkende Rotationsenergie wurde deutlich besser reduziert als bei herkömmlichen Helmen.[11]

2016: Stanford University

Ein Team von Bioingenieuren der US-amerikanischen Stanford University führte 2016 mit dem Hövding 2.0 eine Reihe von Falltests durch und kam zu dem Schluss, dass das Risiko einer Gehirnerschütterung im Vergleich zu herkömmlichen Helmen um das Achtfache reduziert ist. Die Dicke und Steifigkeit des Hövding wurde als nahezu perfekt beim Schutz vor Gehirnerschütterungen und Kopfverletzungen beschrieben. Sie stellten jedoch fest, dass der Luftdruck im Helm für eine optimale Leistung entscheidend ist. Wenn er sich nur teilweise aufbläst, könnte der Hövding weniger Schutz bieten als ein Helm aus expandiertem Polystyrol.[12][13]

Medien über den Hövding 2.0

In der WDR-Magazinsendung Servicezeit wurde im September 2018 eine Auslösung des Airbags im Selbstversuch gezeigt. Der Hövding erinnerte den Tester an einen dicken Anorak-Kragen. Der Kaltgasgenerator, der bei Auslösung den Airbag mittels Helium aufbläst, sei beim Tragen deutlich zu spüren. Die Akkus sollen circa neun Stunden am Stück halten. Es wurde angemerkt, dass Unfallszenarien denkbar sind, in denen ein normaler Helm besser schütze: Bei einem Frontalcrash mit einem anderen Radfahrer würde der Hövding erst beim Sturz auslösen, während ein normaler Helm direkt schützt.[14]

Im November 2018 kam die Redaktion von Radfahren.de, einem Internetportal des Fachverlags BVA BikeMedia, zu der Ansicht, dass der Hövding einen Nachteil gegenüber herkömmlichen Helmen hat: „Wenn man gegen ein Hindernis in Kopfhöhe fährt, kann der Airbag nicht auslösen. Als weitere, kleine Einschränkung kommt hinzu, dass man ihn gelegentlich aufladen muss.“ Der Hövding richte sich vor allem an aufrecht sitzende Alltagsradfahrer, die bisher keinen Helm nutzen. Sportlichen Fahrern drücke die Technik im Kragen umso mehr an den Hinterkopf, je weiter sie den Kopf in den Nacken legen. Ansonsten wurde der Hövding in der Reportage nebst Test positiv aufgenommen.[15]

In einem Test der Zeitschrift Fit for Fun wurden im Januar 2019 einige Vor- und Nachteile des Hövding benannt. So wurde neben dem vergleichsweise hohen Preis vor allem eine mögliche Veränderung der Sitzhaltung bzw. Kopfposition bei sportlichen Radmodellen durch den relativ starren Kragen kritisiert. Für Rennradfahrer sei er nicht empfehlenswert.[16]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Siehe bspw.: Schutz für Helmmuffel. In: Focus Online, 19. Februar 2013, abgerufen am 7. Juni 2018.
  2. a b Airbag-Helm für Fahrradfahrer. Website der Europäischen Union, abgerufen am 7. Juni 2018.
  3. Hövding | Über uns - Hövding früher, heute und in Zukunft. Abgerufen am 2. Juni 2021 (deutsch).
  4. Unsere Vision | Hövding - Airbag für Radfahrer. Abgerufen am 26. November 2020 (deutsch).
  5. a b c Über uns. hovding.de, abgerufen am 7. Juni 2018.
  6. a b c Terese Alstin, Anna Haupt (Schweden): Finalistinnen des Europäischen Erfinderpreises 2014. Website des Europäischen Patentamts, abgerufen am 7. Juni 2018.
  7. Fragen und Antworten. hovding.de, abgerufen am 7. Juni 2018.
  8. Airbag-Helmhersteller Hövding geht an die Börse: „Der Airbag-Helm ist nicht nur für Fahrradfahrer“. In: Manager Magazin, 15. Juli 2015, abgerufen am 7. Juni 2018.
  9. Årsredovisning 2017. Jahresabschluss zum Geschäftsjahr 2017 der Hövding Sverige AB, abgerufen am 7. Juni 2018 (schwedisch; PDF).
  10. https://hovding.com/hovdingstories/
  11. Bicycle helmet test 2015 by Folksam. Folksam, 2015 (englisch; PDF). Siehe auch Elva populära cykelhjälmar för vuxna: Testresultat 2015. folksam.se (schwedisch). Abgerufen am 7. Juni 2018.
  12. Taylor Kubota: Stanford researchers show air bag bike helmets have promise. In: Stanford News, 3. Oktober 2016, abgerufen am 7. Juni 2018 (englisch).
  13. Mehmet Kurt u. a.: Modeling and Optimization of Airbag Helmets for Preventing Head Injuries in Bicycling. In: Annals of Biomedical Engineering, 45. Jg., Nr. 4, April 2017, doi:10.1007/s10439-016-1732-1, S. 1148–1160.
  14. Nico Rau: Der Airbag für Fahrradfahrer. In: WDR: Servicezeit, 4. September 2018, abgerufen am 9. Februar 2019.
  15. Hövding: Der sichere Airbag-Helm für City-Biker. In: Radfahren.de, 27. November 2018, abgerufen am 9. Februar 2019.
  16. Katharina Klein: Test: Der Fahrrad-Airbag von Hövding – was kann der „Helm am Hals“? In: Fit for Fun, 19. Januar 2019, abgerufen am 9. Februar 2019.