Berliner Skulpturenfund
Bei einem Skulpturenfund in Berlin im Jahr 2010 wurden Skulpturen der klassischen Moderne wiederentdeckt, die nach ihrer Beschlagnahme durch das nationalsozialistische Regime verschollen waren.
Geschichte
Vor Beginn der Bauarbeiten zum neuen U-Bahnhof Rotes Rathaus der Linie U5 wurden im Jahr 2010 archäologische Rettungsgrabungen durchgeführt. Im Boden unter der heutigen Freifläche, die vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ein dicht bebautes Stadtviertel war, wurden wertvolle Zeugen der Berliner Geschichte vermutet. Tatsächlich fand man unter anderem die Grundmauern des mittelalterlichen Berliner Rathauses.
Spektakulär war der Fund im Keller des Hauses Königstraße 50 (heute Rathausstraße) direkt gegenüber dem Roten Rathaus, wo hochrangige Skulpturen der klassischen Moderne aus dem Trümmerschutt geborgen wurden.[1]
Die sechzehn Kunstwerke sind unterschiedlich gut erhalten. Sie stammen ursprünglich aus deutschen Museen, aus denen sie 1937 beschlagnahmt worden waren, weil sie dem nationalsozialistischen Regime als „Entartete Kunst“ galten. Die meisten der Stücke wurden ab 1938 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, einige wurden auch als Requisiten für den Propagandafilm Venus vor Gericht verwendet.[2] Ab etwa 1942 wurden sie in dem Haus Königstraße 50 in einem Lagerraum des Reichspropagandaministeriums eingelagert.[3] Nach ihrem Wiederauffinden hatten die Wissenschaftler zunächst einen Zusammenhang mit der im vierten Stock des Hauses gelegenen Kanzlei von Erhard Oewerdieck vermutet.[4]
Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass in dem Haus auch umfangreiche Bestände an Gemälden gelagert waren, die jedoch bei der Bombardierung verbrannt sind.[4]
Ausstellung
Elf der Kunstwerke wurden vom 9. November 2010 bis März 2012 im Neuen Museum in Berlin gezeigt.[5] Danach waren sie, inzwischen erweitert, im Rahmen einer Wanderausstellung bisher im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, in der Neuen Pinakothek München, im Museum im Kulturspeicher Würzburg und in der Moritzburg Halle (Saale) zu sehen.[6] In Würzburg waren dabei die in Berlin entdeckte Schwangere von Emy Roeder und ihre von der Künstlerin selbst gefertigte Kopie aus dem Bestand des Museums gemeinsam ausgestellt.[7] Vom 29. September 2013 bis 19. Januar 2014 lief die Ausstellung in Schloss Gottorf in Schleswig, vom 4. April bis 15. Juni 2014 war sie in der Kaiserpfalz in Paderborn zu sehen.[8]
Am 15. und 16. März 2012 fand in Berlin ein wissenschaftliches Symposium statt, bei dem neue Erkenntnisse vorgestellt wurden.[9][10]
Vom 21. September 2018 bis 6. Januar 2019 wurden 16 Skulpturen im Martin-Gropius-Bau in Berlin in der Ausstellung Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland gezeigt, die aus Anlass des Europäischen Kulturerbejahres 2018 stattfand.[11]
Liste der Kunstwerke
- Otto Baum: Stehendes Mädchen, 1930. Abb.
- Karl Ehlers: Frau mit Traube, 1933. Abb.
- Otto Freundlich: Kopf, 1925. Abb.
- Richard Haizmann: Figur, 1929.
- Karl Knappe: Hagar, 1923. Abb.
- Will Lammert: Sitzendes Mädchen I, 1913. (Fragment) Abb.
- Marg Moll: Tänzerin, um 1930. Abb.
- Karel Niestrath: Die Einfältigen und Frommer Mann Abb., 1924
- Emy Roeder: Schwangere, 1918. Abb.: [1], [2]
- Edwin Scharff: Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes, 1917/1921. Abb.
- Naum Slutzky: Weibliche Büste, vor 1931. Abb.
- Fritz Maskos: Somnambule, vor 1924. Zuvor wurde die Skulptur fälschlicherweise als Milly Steger: Kniende (vor 1915) identifiziert. Abb. (Memento vom 6. November 2013 im Webarchiv archive.today)
- Gustav Heinrich Wolff: Weiblicher Akt mit angezogener Linken und Stehende Gewandfigur, 1925 Abb.
- Fritz Wrampe: Reiter, 1933/1934. Abb.
Literatur
- Matthias Wemhoff: Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt, Schnell und Steiner, Regensburg 2011, ISBN 978-3-7954-2463-3. (Begleitband zur Ausstellung)
- Matthias Wemhoff (Hrsg.): Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Entdeckung – Deutung – Perspektive. Begleitband zur Ausstellung mit den Beiträgen des Berliner Symposiums 15.–16. März 2012, Schnell und Steiner, Regensburg 2012, ISBN 978-3-7954-2628-6.
Weblinks
- Synergiepotentiale: Berliner Skulpturenfund: Kooperation zwischen Archäologie, Museen und Kunstgeschichte. Workshop vom 13. Oktober 2011, in der Videothek des Dahlem Humanities Centre an der Freien Universität Berlin
- Tilman Urbach: Berliner Skulpturenfund in der Neuen Pinakothek. (Memento vom 7. März 2013 im Internet Archive) Hörfunkbeitrag vom 31. Oktober 2012 beim Bayerischen Rundfunk
Einzelnachweise
- ↑ Der Vergangenheit auf der Spur. In: BVG Lückenschluss Newsletter. Dezember 2010 (PDF) (Memento vom 31. Dezember 2011 im Internet Archive).
- ↑ Ausstellung: Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Pressemitteilung der Staatlichen Museen zu Berlin, 9. November 2010, archiviert bei DocPlayer.org.
- ↑ Herkunft „Entarteter Kunst“ geklärt. Süddeutsche Zeitung, 14. März 2012, abgerufen am 20. Oktober 2013.
- ↑ a b Matthias Wemhoff: Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Schnell und Steiner, Regensburg 2011, ISBN 978-3-7954-2463-3 (Begleitband zur Ausstellung).
- ↑ Ausstellung: Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Staatliche Museen zu Berlin (Memento vom 22. September 2013 im Internet Archive).
- ↑ Der Berliner Skulpturenfund. Föderales Programm der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (mit einer Liste der bisherigen Ausstellungsorte), abgerufen am 15. Juli 2017.
- ↑ Der Berliner Skulpturenfund. Ausstellungsinfo des Museums im Kulturspeicher, Würzburg, abgerufen am 15. Juli 2017.
- ↑ Der Berliner Skulpturenfund. Ausstellungsinformation beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, abgerufen am 25. März 2014.
- ↑ Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Symposium. Tagungsprogramm bei der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, abgerufen am 20. Oktober 2013.
- ↑ Matthias Wemhoff (Hrsg.): Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Entdeckung – Deutung – Perspektive. Begleitband zur Ausstellung mit den Beiträgen des Berliner Symposiums 15.–16. März 2012. Schnell und Steiner, Regensburg 2012, ISBN 978-3-7954-2628-6.
- ↑ Stars aus dem Untergrund. Welt online, 8. Januar 2018.
Koordinaten: 52° 31′ 8,2″ N, 13° 24′ 29,4″ O