Fallanalytiker

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Ein Fallanalytiker (auch: Profiler und Profilersteller) ist meist ein Angehöriger der Polizei, der zur Aufklärung von schweren Verbrechen operative Fallanalyse betreibt.

Beschreibung

Bei der Fallanalyse zieht der Fallanalytiker Schlüsse auf Basis kriminalistischer Erkenntnisse anhand von Indizien, Spuren am Tatort und den Umständen der Straftat. Dabei schließt er auf das Verhalten des Täters und kann unter Umständen daraus Muster erkennen, die auf statistischer Basis mit spezifischen sozio-ökonomischen Merkmalen in Verbindung gebracht werden können. Insofern ist es nicht unbedingt die Psychologie, sondern vielmehr sind es zuerst die Kriminalistik, und dann die Kriminologie und die Soziologie, die als wichtigste Hilfswissenschaften hinzugezogen werden. An kriminalistischen Hilfstechniken werden von Fallanalytikern unter anderem DNA-Analyse und Daktyloskopie eingesetzt.

Eine Fallanalyse kann unter bestimmten Umständen Entscheidungshilfen für die Strukturierung von Ermittlungen geben, zum Beispiel dass eine Ermittlung im regionalen Raum beginnen und sich auf 20- bis 40-jährige Männer konzentrieren sollte. Daraufhin kann dann spezialisierter gefahndet werden, oder Massen-DNA-Tests von geringerem logistischen Aufwand durchgeführt werden.

Abgrenzung

Ein Fallanalytiker erstellt keine „psychologischen Täterprofile“, wie fälschlich angenommen wird. Auch fertigt er kein charakteristisches Erscheinungs- und Persönlichkeitsbild eines unbekannten Straftäters, da dies nicht möglich ist. Der Begriff „Profiler“ oder „Profiling“ wird für seine Tätigkeit, weil inhaltlich unzutreffend, vermieden.[1] Auch beim US-amerikanischen FBI gibt es keine Position oder Aufgabenbeschreibung für „Profiler“ oder das „Profiling“, man spricht dort vielmehr von „criminal investigative analysis“, die von speziell ausgebildeten FBI-Kriminalbeamten ausgeführt wird.

Entwicklung

Geschichte

Bereits im Altertum begann man, Typologien zu entwickeln. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale sollten Verbrechen erklären und womöglich vorhersagen. Erste Ansätze finden sich im 5. Jahrhundert v. Chr. bei dem Begründer der wissenschaftlichen Medizin Hippokrates. Die Unterscheidung menschlicher Persönlichkeiten in Phlegmatiker, Sanguiniker, Melancholiker und Choleriker wurde von Galen (2. Jh. n. Chr.) vorgenommen.

Der italienische Mediziner und Anthropologe Cesare Lombroso entwickelte als Anhänger des Darwinismus 1876 die Lehre vom deliquento nato – vom geborenen Verbrecher. Nach seinen Gesichtszügen, nach sozialen, seelischen und körperlichen Merkmalen sollte der „geborene Verbrecher“ zu erkennen sein. Lombrosos Theorien waren bereits zu seinen Lebzeiten heftig umstritten.

1921 wurde die Kriminalbiologie durch die Konstitutionsbiologie des deutschen Psychiaters Ernst Kretschmer bereichert. Einen Hang zu bestimmten Straftaten oder Vergehen, wie Homosexualität, die damals noch strafrechtlich verfolgt wurde, ordnete Kretschmer bestimmten Körperbautypen zu. Dabei unterschied er die Konstitutionstypen Pykniker, Leptosom, Athletiker und Dysplastiker. In der Praxis haben sich diese Erkenntnisse nicht bestätigt, was ihrer Verbreitung jedoch wenig Abbruch tat.

In den frühen 1930er Jahren praktizierte der erfolgreiche Kriminalkommissar Ernst Gennat bereits die Fallanalytik.

Die operative Fallanalyse ist keine amerikanische Erfindung; Täterprofile wurden schon früher von Kriminalpolizeibehörden in aller Welt verwendet. Das englische Synonym Profiling wurde erstmals 1978 von Robert Ressler, dem Leiter der Abteilung Verhaltensforschung des FBI, in populärliterarischen Veröffentlichungen geprägt. Innerhalb deutscher Ermittlungsbehörden wird der Begriff weitgehend vermieden.

Aktuelle Entwicklungen

Die operative Fallanalyse wird von speziell fortgebildeten erfahrenen Polizisten, Kriminalisten (nicht Kriminologen) und einigen Psychologen durchgeführt. Sie verfügen über die gleichen polizeilichen Erfahrungen und haben die gleichen polizeiinternen Aus- und Fortbildungen. In der Regel sind es Kriminalbeamte, die nach ihrer Polizeiausbildung mit Studium an einer Fachhochschule noch ein Studium der Psychologie an einer Universität absolviert haben.[1] In Deutschland gibt es beim Bundeskriminalamt (BKA) und bei den Landeskriminalämtern (LKA) eine Reihe von operativen Fallanalytikern. (Rechts-)Psychologische Institute der Universitäten werden auch als wissenschaftliche Experten, beispielsweise durch Forschungsaufträge (Drittmittelprojekte) zur Evaluation konsultiert. Dabei werden allerdings kriminologische und sozialwissenschaftliche Institute weit häufiger hinzugezogen, da diese Fächer wesentlich wichtigere Hilfswissenschaften für die Fallanalyse stellen als die Psychologie. Äußerst selten wird die Psychiatrie als Hilfswissenschaft hinzugezogen, im Gegensatz zur Rechtsmedizin.

In den USA werden Fallanalytiker unter anderem beim FBI in der Akademie in Quantico ausgebildet. Daneben gibt es unterschiedlichste private Ausbildungsinstitute. Polizeidienststellen sind dort weitgehend unabhängig und können selbst entscheiden, ob sie externe Kräfte bei Fällen hinzuziehen.

Lage in Deutschland

In den Landeskriminalämtern der Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten derzeit (Stand Oktober 2012) etwa 80 Fallanalytiker, beim Bundeskriminalamt acht.[2]

Siehe auch

Literatur

  • Oliver Bidlo: Profiling. Im Fluss der Zeichen. Oldib Verlag, Essen, 2011, ISBN 978-3-939556-21-3.
  • Thomas P. Busch, Heiner Kleihege: Qualitätsstandards und praktischer Nutzen von schriftlichen Täterprofilen. In: Clemens Lorei (Hrsg.): Tagung: Polizei & Psychologie (= Schriftenreihe Polizei Wissenschaft). Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt, 2003, ISBN 3-935979-12-6, ISSN 1610-7500, S. 175–186.
  • Thomas P. Busch: Immer wieder Töten (Rezension zu: P. Fink (2001): Immer wieder Töten: Serienmörder und das Erstellen von Täterprofilen (2. völlig durchges. Auflage), Hilden: Verlag Deutsche Polizeiliteratur. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 85 (4), S. 319–329.
  • Thomas P. Busch, Oskar Berndt Scholz: Die Generierung empirischer Täterprofile: Eine post-hoc Klassifikation am Beispiel der Tötung des Intimpartners. In: Wolfgang Bilsky, Cordula Kähler (Hrsg.): Berufsfelder der Rechtspsychologie. Dokumentation der 9. Arbeitstagung der Fachgruppe Rechtspsychologie in der deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vom 13.–15. September 2001 [CD-ROM]. Westfälische Wilhelms-Universität, Münster, 2001, ISBN 3-00-008097-X.
  • Thomas P. Busch, Oskar Berndt Scholz: Die regelgeleitete Generierung psychologischer Täterprofile: Eine post-hoc Klassifikation am Beispiel der Tötung des Intimpartners. Kriminalistik, 55 (8–9), 2001, S. 549–556.
  • Harald Dern, Alexander Horn: Operative Fallanalyse bei Tötungsdelikten. Eine kriminologische und methodische Bestandsaufnahme im Jahr 2008. Kriminalistik 10/2008, S. 543–549.
  • Christiane Gelitz (Hrsg.): Profiler & Co. Kriminalpsychologen auf den Spuren des Verbrechens. Schattauer, Stuttgart, 2013, ISBN 978-3-7945-2962-9.
  • Joachim Käppner: Profiler. Auf der Spur von Serientätern und Terroristen. Hanser, Berlin 2013, ISBN 978-3-446-24368-2.
  • Axel Petermann: Auf der Spur des Bösen. Ein Profiler berichtet. Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2010 ISBN 978-3-5483-7325-6.
  • Heike Würstl: Analyse eines Erpresserschreibens (= Schriftenreihe der Thüringer Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei 1). Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt/Main, 2004, ISBN 3-935979-43-6.
  • Cornelia Musolff, Jens Hoffmann (Hrsg.): Täterprofile bei Gewaltverbrechen: Mythos, Theorie und Praxis des Profilings. Springer, Berlin 2001, ISBN 978-3-5406-7360-6.
  • Alexander Horn: Die Logik der Tat. Droemer, München, 2014, ISBN 978-3-426-27626-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Polizeilicher Fallanalytiker. Bundeskriminalamt, archiviert vom Original am 31. März 2001; abgerufen am 6. August 2016 (Beschreibung der „Operativen Fallanalyse“ in Deutschland).
  2. Michael Kraske: Der Monster-Jäger. Die Zeit 6/2012, 9. Oktober 2012, abgerufen am 9. Oktober 2012.