Gelegenheitsprostitution

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Unter Gelegenheitsprostitution wird die nicht gewerbsmäßige, sondern die nebenerwerbliche bzw. spontan aus bestimmten Situationen entstehende männliche oder weibliche Prostitution verstanden. Insbesondere als Nebenerwerb wird sie oft als Straßenprostitution ausgeübt.

Prostituierte in Berlin, 2001

Die deutsche Ministerin Manuela Schwesig forderte 2015 in der Debatte[1] um das Prostituiertenschutzgesetz eine Gleichstellung der Gelegenheits- mit anderen Formen der Prostitution, um ein „Schlupfloch“ zu stopfen.[2] Das Gesetz trat am 1. Juli 2017 in Kraft. Seitdem gibt es für Prostituierte (einschließlich Gelegenheitsprostituierte) eine Anmeldepflicht.

„Hobbyprostituierte“

Sogenannte „Hobbyprostituierte“ sind Männer oder Frauen, die eigentlich anderen Berufszweigen nachgehen oder ihren Lebensunterhalt auf anderer Grundlage bestreiten und sich nur nebenerwerblich prostituieren; solche Frauen werden auch als „Hobbyhuren“ oder „Hobbynutten“ bezeichnet. Sie erlangen dabei ein Nebeneinkommen (materielle Gruppe) oder leben sexuelle Phantasien aus, die sie in einer Partnerschaft nicht ausleben können (sexuelle Gruppe). Anders gelagerte Motivationen finden sich jeweils in der sozialen Gruppe und der pathologischen Gruppe, wobei der Übergang oft fließend ist.

Die nebenerwerblich Tätigen machen den Großteil der in Deutschland aktiven Prostituierten aus. Meist verstehen sich diese Männer oder Frauen weder als Stricher noch als Callboys/-girls oder gar professionelle Prostituierte.

Anbahnung

Diskotheken und ihr Umfeld sind oft auch „Kontaktbörsen“ für Gelegenheitsprostitution

Die Anbahnung von Gelegenheitsprostitution findet häufig abends oder nachts beim oder nach dem Besuch von Diskotheken, Bars oder Saunen oder in deren Umgebung statt. Einige Freier gehen bewusst auf die Suche nach Menschen, die ihren sexuellen Präferenzen entsprechen, und bieten diesen nicht mit den Gepflogenheiten der Szene vertrauten Menschen beträchtliche Summen für sexuelle Kontakte an. Mangelnde Erfahrung vieler Gelegenheitsprostituierter kann dabei zum Problem werden: seien es überzogene finanzielle Forderungen der Gelegenheitsprostituierten, seien es ungewöhnliche Sexualpraktiken, die der Freier im Sinn hatte und die die Gelegenheitsprostituierten überfordern oder gar schockieren. Darüber hinaus findet die Anbahnung von Gelegenheitsprostitution durch Kontaktanzeigen in Tageszeitungen, oft auch in Anzeigenblättern oder Szenemagazinen statt. Zunehmend spielt das Internet eine Rolle und ermöglicht auf vielfältige Art Kontaktanbahnungen, insbesondere durch entsprechende Kontaktbörsen.

Ausübende Personenkreise

Materielle Gruppe

Unter diesem Personenkreis finden sich Studenten,[3] Auszubildende, aber auch Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger, welche die Prostitution (oft nur eine fest begrenzte Zeit lang) ausüben, um sich wirtschaftlich abzusichern, bis sich ihre persönliche und finanzielle Situation wieder erholt bzw. stabilisiert hat. Darüber hinaus finden sich hier oft „am Rande der Gesellschaft lebende Personen“, wie zum Beispiel Obdachlose, Straßenkinder,[4] Asylbewerber, geduldete Flüchtlinge etc., die teils keine Sozialhilfe oder andere (regelmäßige) finanzielle Unterstützungen beziehen, sondern ihren Lebensunterhalt durch Sachleistungen, Betteln, Gelegenheitsjobs oder Kleinkriminalität etc. bestreiten und die Prostitution meist nur von Zeit zu Zeit ausüben.[5] Bei Drogenabhängigen ist dabei der Übergang zur sogenannten Beschaffungsprostitution fließend.

In Japan prostituieren sich im Rahmen des Enjokōsai aber auch Schulmädchen, um als Gegenleistung teure Designerwaren oder Geld zu bekommen.

Der Personenkreis dieser Gruppe hat zur Prostitution selbst meistens ein neutrales bis distanziertes Verhältnis. Diese Gruppe steht in der Hierarchie unter der sexuellen Gruppe (siehe unten), ist aber dennoch sehr beliebt, da sich die Nutzer nicht als „ausbeuterische Freier“ sehen, sondern als „Unterstützer“ und „Helfer“. Manche Frauen und Männer nutzen ihre Sexualität bewusst oder unbewusst für die eigene Vorteilsgewinnung. Ein bekanntes Beispiel ist die Sekretärin, die mit ihrem Chef ein Verhältnis hat, um dadurch eine bessere Position in der Firma und ein höheres Einkommen zu erzielen.

Sich balgende Prostituierte im „Backstagebereich“ (Berlin, 2001)

Sex gegen Vorteile wird sowohl von Männern als auch von Frauen angewendet und kommt in vielen Situationen vor: In der Ehe, in der Geschäftswelt oder auch in Sportvereinen etc. Manche Menschen aus der Dritten Welt täuschen eine Liebesbeziehung vor und bieten Sex mit dem Partner oder der Partnerin, damit sie eine Heirat in Betracht ziehen können, obwohl sie den oder die Auserwählte eigentlich nicht lieben. Später können sie im Falle einer erfolgreichen Heirat in das Zielland übersiedeln und im besten Fall einer geregelten Arbeit nachgehen. Diese Ehen funktionieren oftmals erstaunlich gut und es kann nicht in jedem Fall von einem Betrug gesprochen werden. Dies war ebenso der Fall, wenn ein potentieller Partner (meist die Frau) in den vergangenen Jahrzehnten nicht berufstätig gewesen ist und nach einer Trennung ihre Versorgung bzw. die der Kinder gefährdet war. Viele solcher „Zweckehen“ werden heute noch nicht primär aus Liebe geschlossen, sondern um einen sozialen Tauschvorgang zu institutionalisieren, ein Vermögen zu sichern oder die eigene Attraktivität auch ohne tiefe emotionale Beziehung über das Angebot sexueller Dienstleistungen für das wirtschaftliche Überleben zu nutzen. Inwieweit soziale Tauschvorgänge über einen längeren Zeitraum auch mit Gegenleistung durch Wohnraum, Ausbildung oder andere Güter ohne tiefe emotionale Beziehung als Prostitution gelten können, ist auf wissenschaftlicher Basis derzeit noch nicht geklärt.

Sexuelle Gruppe

Hier finden sich zumeist partnerschaftlich und familiär gebundene Personen (Filmbeispiel: Belle de jour von Luis Buñuel, 1967, mit Catherine Deneuve), welche die Prostitution für sich als Spielfeld für persönliche erotische Abenteuer nutzen und betreiben. Diese Gruppe steht in der Verbrauchergunst am höchsten, da der vorausgesetzte „Spaßeffekt für beide Seiten“ das schlechte Gewissen vieler Kunden, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, beruhigt. Der finanzielle Aspekt ist hier eher nebensächlich und wird als großmütige Spende für gemeinsamen Spaß verstanden (siehe hierzu auch Swingerclub oder auch Cruising). Viele „Hobbyprostituierte“, die in diesen Bereich fallen, arbeiten nicht selten auch im Pornofilmbereich als Darsteller. Auch gibt es in dieser Gruppe oft Übergangsformen zur pathologischen Gruppe, die aufgrund ihrer Pathologie ein gesteigertes Interesse an Sexualität (oder an speziellen Formen von Sexualität) besitzen und diese nicht befriedigend in (stabilen) Partnerschaften ausleben können.[6]

Soziale Gruppe

In dieser Gruppe sind Männer oder Frauen, die sich prostituieren, weil sie der festen Überzeugung sind, gesellschaftliche Tabus und Vorurteile zu bekämpfen. Oft sehen sie sich in einer sexuellen „Missionars-“ oder „Aufklärungstätigkeit“. Diese Gruppe wird oft belächelt, da sich darunter auch zahlreiche Selbstdarsteller befinden, die dadurch versuchen, persönliche Defizite zu kompensieren, indem sie vorgeben „gegen gesellschaftliche Widerstände“ und für eine „gute Sache“ zu kämpfen. Dennoch wurde auch von einigen Personen aus dieser Gruppe etwas erreicht, wie z. B. durch Felicitas Weigmann, die erstmals gerichtlich durchsetzen konnte, dass Prostitution nicht mehr als sittenwidrig gilt, oder Stephanie Klee, die die gerichtliche Einklagbarkeit von Prostitutionslohn zu Wege brachte.

Pathologische Gruppe

Dieser Personenkreis gilt als äußerst problematisch und wird in der „Szene“ auch nicht gerne gesehen, weil die Angehörigen dieser Gruppe meistens eine massive Vorschädigung (Missbrauch, Vergewaltigung oder ähnliches) mitbringen, die sie durch die Ausübung von Prostitution zu verarbeiten, zu kompensieren oder zu reinszenieren versuchen.[6][7][8] Oftmals sind sie gar nicht in der Lage, eine normale, stabile Beziehung zu führen. Viele von ihnen haben zudem weder Schulabschluss noch Ausbildung und sind daher massiv gefährdet, in die Zwangsprostitution abzurutschen, weil sie keine ausreichende emotionale und/oder soziale Stabilität und kaum andere Erwerbsmöglichkeiten besitzen. Einen im Umgang weniger problematischen Sonderfall innerhalb dieser Gruppe stellen die Sexsüchtigen dar, insbesondere weil bei diesen die klinische Abgrenzung zur Sexuellen Gruppe oft schwierig ist.

Literatur

  • Marcel Feige: Das Lexikon der Prostitution. Das ganze ABC der Ware Lust. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verl., Berlin 2003, ISBN 3-89602-520-1.
  • Elisabeth von Dücker (Hrsg.): Sexarbeit. Prostitution – Lebenswelten und Mythen. Ed. Temmen, Bremen 2005, ISBN 3-86108-542-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Problematisches Prostitutionsschutzgesetz. Zweifelhafte Hilfe für Sexarbeiterinnen in taz.de vom 4. Januar 2016, abgerufen am 28. Januar 2016 (Archiv).
  2. Manuela Schwesig will Prostitution strenger regulieren. In: Spiegel Online. 11. Juli 2015, abgerufen am 3. Mai 2020.
  3. Vgl. z. B. Birger Menke: Studentenjob Hure – Auf der Uni dank Liebeslohn. SPIEGEL Online vom 29. Januar 2008 (Archiv).
  4. Warme Suppe gegen die Kälte. Die Presse, Print-Ausgabe, 13. Dezember 2015, abgerufen am 28. Januar 2016
  5. Dokumentarfilm von Sabine Derflinger: Schnelles Geld. Easy Money, (PDF-Datei; 899 kB), Österreich 2004 (Archiv).
  6. a b Wolfgang Wöller, Luise Reddemann: Trauma und Persönlichkeitsstörungen: Ressourcenbasierte Psychodynamische Therapie (RPT) traumabedingter Persönlichkeitsstörungen. Schattauer Verlag, Stuttgart, 2013, ISBN 3-7945-2754-2.
  7. Wolfgang Wöllner: Traumawiederholung und Reviktimisierung nach körperlicher und sexueller Traumatisierung. Fortschr. Neurol. Psychiat. 2005 (73); S. 83–90, Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart – New York, doi:10.1055/s-2004-830055; ́ Online-Publikation: 11. Oktober 2004, ISSN 0720-4299 (Archiv).
  8. Prostitution als Reinszenierung erlebter Traumata. Podiumsdiskussion mit Dr. Ingeborg Kraus am 28. März 2014 in München (Archiv). Trauma als Voraussetzung für und Folge der Prostituierung. Vortrag von Frau Dr. Ingeborg Kraus, anlässlich der Fachtagung „Über die Schäden durch die Prostitution“. München, 4. / 5. Dezember 2015 (Archiv).