Volksabstimmungen in der Schweiz 1877

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Dieser Artikel bietet eine Übersicht der Volksabstimmungen in der Schweiz im Jahr 1877.

In der Schweiz fanden auf Bundesebene drei Volksabstimmungen statt, alle im Rahmen eines einzigen Urnengangs am 21. Oktober. Es handelte sich jeweils um ein fakultatives Referendum.

Abstimmungen am 21. Oktober 1877

Ergebnisse

Nr. Vorlage Art Stimm-
berechtigte
Abgegebene
Stimmen
Beteiligung Gültige
Stimmen
Ja Nein Ja-Anteil Nein-Anteil Stände Ergebnis
17[1] Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken FR k. A. k. A. k. A. 352'061 181'204 170'857 51,47 % 48,53 % ja
18[2] Bundesgesetz betreffend den Militärpflichtersatz FR k. A. k. A. k. A. 351'606 170'223 181'383 48,41 % 51,59 % nein
19[3] Bundesgesetz betreffend die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter und den Verlust der politischen Rechte der Schweizerbürger FR k. A. k. A. k. A. 344'787 131'557 213'230 38,16 % 61,84 % nein

Fabrikgesetz

Mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 erhielt der Bund die Kompetenz, ein schweizweit einheitliches Fabrikgesetz einzuführen. Der vom Parlament angenommene Gesetzesentwurf orientierte sich in hohem Masse an dem seit 1872 gültigen Fabrikgesetz des Kantons Glarus, zurückzuführen auf den Einfluss des zuständigen Glarner Bundesrates Joachim Heer. Er legte unter anderem einen 11-Stunden-Tag fest, regelte die Nacht- und Sonntagsarbeit, gewährte Frauen einen obligatorischen achtwöchigen Schwangerschaftsurlaub (wenn auch ohne gesetzlich garantierte Lohnfortzahlung) und beinhaltete ein Arbeitsverbot für Kinder unter 14 Jahren. Ein Fabrikinspektorat sollte die Einhaltung der Bestimmungen überwachen. Einzige echte Neuheit war die Einführung einer Haftpflicht der Arbeitgeber. Gegen das Gesetz brachten zürcherische Spinnereifabrikanten, der aargauische Industrieverein und der Schweizerische Handels- und Industrieverein ein Referendum zustande. Sie betrachteten die Bestimmungen als «besonders stossende Eingriffe in das freie Spiel der Konkurrenz» und behaupteten, das Gesetz sei aufgrund der schlechten Wirtschaftslage für die Industrie verhängnisvoll. Ihnen gegenüber stand eine breite Allianz von Arbeiterorganisationen, Freisinnigen und Katholisch-Konservativen. Sie bezeichneten das Gesetz als sozialen Fortschritt und als «erste Stufe zur Befreiung aus Knechtschaft und Sklaverei». Die Befürworter der einheitlichen Fabrikgesetzgebung setzten sich knapp durch.[4]

Militärpflichtersatz

Nur vier Monate nach der Ablehnung des Gesetzes über den Militärpflichtersatz präsentierte der Bundesrat im November 1876 einen neuen Entwurf. Den mutmasslichen Motiven für die Ablehnung der ersten Vorlage versuchte er durch mehrere Erleichterungen (beispielsweise einen maximalen Steuerbetrag) zu begegnen. Da der protestantisch-konservative Eidgenössische Verein seine Forderungen nicht erfüllt sah, ergriff er mit Unterstützung des Grütlivereins erneut das Referendum. Während die Befürworter auf die Verbesserungen hinwiesen, warfen die Gegner dem Bund vor, erneut unnötig hohe Steuersätze festgelegt zu haben und vor allem höhere Einnahmen für die Staatskasse generieren zu wollen. Ebenso fördere die geplante Besteuerung der Auslandschweizer Austritte aus dem Schweizer Bürgerrecht. Im Vergleich zur Vorlage des Jahres 1876 fiel die Ablehnung weniger deutlich aus. Daraufhin legte der Bundesrat einen weiteren Entwurf vor, der insbesondere auf die Progression bei den Steuersätzen verzichtete; schliesslich trat das Gesetz im Oktober 1878 in Kraft.[5]

Politische Rechte

Gut ein Jahr, nachdem das Stimmrechtsgesetz in einer Referendumsabstimmung gescheitert war, präsentierte der Bundesrat im Oktober 1876 einen überarbeiteten Gesetzesentwurf und nahm darin die Kritik der fehlenden Differenzierung zwischen Niedergelassenen und Aufenthaltern auf. Am Prinzip, dass nicht nur Niedergelassene, sondern auch Aufenthalter das volle Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten erhalten sollen, wollte er hingegen nicht rütteln, obwohl dies der Hauptkritikpunkt der konservativen Gegnerschaft gewesen war. Erneut brachte der Eidgenössische Verein ein Referendum zustande. Angesichts der nur unwesentlichen Anpassungen waren die Ausgangslage im Abstimmungskampf und die Argumente fast identisch mit jenen von 1876. Zu den damaligen Gegnern gesellten sich die Radikaldemokraten und der Grütliverein, da die zweite Vorlage zu wenig weit gehe und zu sehr verwässert worden sei. 1876 hatten Gegner und Befürworter nur rund 5'000 Stimmen getrennt, dieses Mal siegten die Gegner mit über 80'000 Stimmen Unterschied.[6]

Literatur

  • Wolf Linder, Christian Bolliger und Yvan Rielle (Hrsg.): Handbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen 1848–2007. Haupt-Verlag, Bern 2010, ISBN 978-3-258-07564-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vorlage Nr. 17. In: Chronologie Volksabstimmungen. Bundeskanzlei, 2021, abgerufen am 6. Oktober 2021.
  2. Vorlage Nr. 18. In: Chronologie Volksabstimmungen. Bundeskanzlei, 2021, abgerufen am 6. Oktober 2021.
  3. Vorlage Nr. 19. In: Chronologie Volksabstimmungen. Bundeskanzlei, 2021, abgerufen am 6. Oktober 2021.
  4. Christian Bolliger: Das Ja der katholischen Innerschweiz rettet das Fabrikgesetz. In: Handbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen 1848–2007. S. 43–44 (swissvotes.ch [PDF; 67 kB; abgerufen am 6. Oktober 2021]).
  5. Christian Bolliger: Nationale Militärsteuer scheitert auch im zweiten Anlauf. In: Handbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen 1848–2007. S. 44–45 (swissvotes.ch [PDF; 64 kB; abgerufen am 6. Oktober 2021]).
  6. Yvan Rielle: Stimmrechtsvorlage scheitert im zweiten Anlauf noch deutlicher. In: Handbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen 1848–2007. S. 45–46 (swissvotes.ch [PDF; 69 kB; abgerufen am 6. Oktober 2021]).