Bürgerbewegung Finanzwende

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Bürgerbewegung Finanzwende
Rechtsform Eingetragener Verein
Sitz Berlin, Deutschland Deutschland
Schwerpunkt Nachhaltige Finanzwirtschaft
Website www.finanzwende.de

Die Bürgerbewegung Finanzwende ist ein 2018 gegründeter Verein, der sich für eine Reform der Finanzmärkte einsetzt. Initiator war der ehemalige Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick (Grüne), der weiterhin als Vorstand und Sprecher des Vereins auftritt. Die Organisation wurde mit dem Ziel gegründet, in Deutschland ein zivilgesellschaftliches und überparteiliches Gegengewicht zur Finanzlobby zu schaffen. Die Organisation finanziert sich hauptsächlich über Zuwendungen von Stiftungen, Spenden und die Unterstützung durch Fördermitglieder.

Geschichte und Kampagnen

Die Bürgerbewegung Finanzwende wurde als Verein Mitte 2018 gegründet. Der Gründer Gerhard Schick, der erstmals 2005 über die Landesliste Baden-Württemberg der Grünen Mitglied des Bundestags war, engagierte sich bereits in der Zeit als Abgeordneter gegen einen übermächtigen Banken- und Versicherungssektor, beklagte dort aber mangelnde Erfolge bei der Regulierung dieser Branche, da „die Lobby am Ende zu wirkmächtig war“. Während des CumEx-Skandals 2018 sah Schick kaum Nichtregierungsorganisationen, die diesen Skandal aufarbeiteten. Er schloss sich daher einer Initiative zur Kontrolle des Finanzmarktes an und gründete den dazugehörigen Verein Bürgerbewegung Finanzwende. Zum Jahreswechsel 2018/2019 legte er sein Bundestagsmandat während der laufenden Legislaturperiode nieder, um sich auf die Arbeit in seinem Verein zu konzentrieren. Vorbild waren nach eigenen Angaben Nichtregierungsorganisationen aus dem Umweltbereich wie BUND, Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe und deren Engagement bei der Aufarbeitung des Dieselskandals.[1][2]

Im Zuge des CumEx-Skandals setzte sich Finanzwende für die Straffreiheit des Whistleblowers Eckart Seith ein. Die Organisation forderte mit einer Petition, Seith das Bundesverdienstkreuz zu verleihen.[3] Seith hatte Informationen und Dokumente zur Verwicklung der Bank Sarasin in den Cum-Ex-Skandal an die zuständigen Behörden in Deutschland und der Schweiz weitergeleitet und wurde deshalb in Zürich vor Gericht gestellt.[4][5] Finanzwende setzte sich außerdem für eine verstärkte Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden in Nordrhein-Westfalen ein, damit CumEx-Vergehen nicht verjähren.[6] Eine Petition mit über 60.000 Unterschriften wurde an den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet gerichtet, um eine bessere Ausstattung von Staatsanwaltschaft und Fahndungsbehörden zu erwirken.[7]

Nach dem P&R-Anlageskandal, bei dem tausende Anleger viel Geld verloren hatten, kritisierte die Finanzwende 2018 bei einer ihrer ersten Aktionen die mangelnde Regulierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und mangelnde Aufsicht über den grauen Kapitalmarkt. Der Verein demonstrierte vor dem Olympiastadion in München mit einem Plakat der Aufschrift „Bafin, aufwachen! Stoppt Betrügereien wie P&R“. Laut dem Handelsblatt hatte diese Protestaktion „Seltenheitswert“.[8]

2019 beauftragte Finanzwende das Institut für Finanzdienstleistungen mit einem Kredittest, bei dem durch Testkäufe 166 Ratenkreditangebote eingeholt wurden. Die Untersuchung war laut Verbraucherzentrale NRW „eine der größten zuletzt durchgeführten Studien“ auf diesem Gebiet und deckte Mängel bei der Kreditberatung auf. So wurde aufgezeigt, dass Beratungsgespräche „lückenhaft“ seien und „häufig nicht dazu geeignet, einem Kreditausfall und damit einhergehender Überschuldung vorzubeugen“.[9]

Im Zuge der Debatte um den Entzug der Gemeinnützigkeit für zivilgesellschaftliche Organisationen (siehe Attac § Rechtsstreit um die Gemeinnützigkeit) gab die Bürgerbewegung Finanzwende im Februar 2020 bekannt, dass sie nicht mehr als gemeinnützige Organisation geführt werden möchte.[10] Sie verzichte somit nach eigenen Angaben auf einen steuerrechtlichen Status, um ihre politische Schlagkraft und thematische Unabhängigkeit zu stärken. Die Bürgerbewegung Finanzwende arbeitet seitdem als Kampagnenorganisation ohne den steuerlichen Status der Gemeinnützigkeit. Die Bildungsarbeit, der Verbraucherschutz und die Recherche werden seitdem zum Großteil über die gemeinnützige Gesellschaft Finanzwende-Recherche betrieben, die zu diesem Zweck gegründet wurde.[11][10]

Im Kontext der Corona-Hilfsmaßnahmen in den Jahren 2020 und 2021 setzte sich Finanzwende für einen „Lockdown für Dividenden“ ein und forderte, dass Unternehmen, die staatliche Unterstützung erhalten hatten, keine Dividenden ausschütten dürfen.[12] Unter anderem der Autobauer Daimler hatte in der Corona-Krise von Staatshilfen profitiert und im Frühjahr 2021 dennoch eine Dividendenausschüttung angekündigt.[13]

Als Teil einer Verbraucherallianz mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), und dem Bund der Versicherten (BDV) forderte Finanzwende 2021 ein Ende der Riester-Rente.[14] Diese sei oftmals zu teuer und unrentabel, wie die Organisation in einer Studie zuvor gezeigt hatte.[15] Die drei Organisationen porträtierten bei einer Aktion die gealterten Gesichter der Kanzler-Kandidatinnen und -Kandidaten von CDU/CSU, SPD und Grünen. Dabei forderten sie die drei Spitzenkandidaten zu einem klaren Bekenntnis auf, die Riester-Rente zu stoppen.

Ziele und Organisation

Laut Satzung strebt der Verein eine „Mobilisierung der Öffentlichkeit“ für eine „nachhaltige Finanzwirtschaft“ an. Die Ziele des Vereins sollen unter anderem mit der Finanzierung von Studien, der Veranstaltung von Kundgebungen und Unterschriftenaktionen erreicht werden.[2] Der Verein ist Partner des auf europäischer Ebene gegründeten Netzwerks Finance Watch.[16]

Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben Gerhard Schick unter anderem:[16][2][17] Christoph Bautz (Mitgründer von Campact), Norbert Blüm, Peter Bofinger, Peter Eigen (Mitgründer von Transparency International), Gesine Schwan, Axel Troost, Barbara Unmüßig (Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung) und Rainer Voss. Der Verein hatte 2021 mehr als 5000 Fördermitglieder.[18][10]

Positionen

Kritisiert wird die Finanzialisierung des Immobilienmarktes. Diese erfolge unter anderem durch das Anlageinstrument der steuerbefreiten REITs. Sie bilden Anreize, weiteres Geld in den bereits aufgeblähten Immobilienmarkt zu leiten. Dies schade den Mietern, weil auf diese Weise das Mietniveau steige, das mittlerweile in vielen Städten für Wohnmieten eine kritische Höhe erreicht habe. Der Verein fordert deswegen die Abschaffung der Steuerbefreiung.[19][20]

Finanzierung

Der Verein finanziert sich (Stand: 2020) zu etwa 65 % aus Förderungen und zu etwa 27 % aus Mitgliedsbeiträgen, der Rest aus Spenden. Insgesamt lagen die Einnahmen 2020 bei ca. 1,3 Mio. Euro.[21][10] Langfristig, so das Ziel des Vereins, soll die Finanzierung hauptsächlich über Mitgliedsbeiträge stattfinden.[2]

Förderungen kommen u. a. von folgenden Stiftungen:[21][10]

Literatur

  • Anne Seith: Überall Schmodder: Der Grünenpolitiker Gerhard Schick hat sein Bundestagsmandat niedergelegt. Er denkt, er könne anderswo mehr bewirken. In: Der Spiegel. Nr. 4, 2019, S. 43 (online).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Peter Dausend, Horand Knaup: „Alleiner kannst du gar nicht sein“: Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst. dtv, 2020, ISBN 978-3-423-43782-0, S. 385 f. (google.com [abgerufen am 7. September 2021]).
  2. a b c d Anne Seith: Ex-Abgeordneter Schick. Warum ein Politiker glaubt, er könne als Nichtpolitiker mehr bewirken. In: Der Spiegel. Nr. 4, 2019, S. 43 (online).
  3. Marcel Gyr, Stefan Häberli: Verbale Giftpfeile aus Deutschland im Zürcher Cum-ex-Prozess. NZZ, 27. März 2019
  4. Die Justizschlacht um den Cum-Ex-Skandal. Capital, 27. März 2019
  5. Johannes Ritter, Zürich: Urteil im Cum-Ex-Skandal: „Ein schmutziges Urteil in einem schmutzigen Verfahren“. In: FAZ.net. 11. April 2019, abgerufen am 8. September 2021.
  6. Petition an Laschet: NRW soll schärfer gegen Cum-Ex-Steuerbetrug ermitteln. In: FAZ.net. 7. September 2020, abgerufen am 8. September 2021.
  7. Marcus Jung: Bürgerbewegung Finanzwende: Politik reagiert auf „Soko Cum-Ex“-Petition. In: werk=FAZ.net. 4. Mai 2021, abgerufen am 8. September 2021.
  8. Lars-Marten Nagel, Getrud Hussla: Vorwürfe gegen Aufsicht – P&R-Geschädigte nehmen Bafin unter Feuer. Handelsblatt, 17. Oktober 2018.
  9. Sally Peters: Armut, Überschuldung und Finanzdienstleistungen. In: Christian, Wolfgang Schuldzinski (Hrsg.): Beiträge zur Verbraucherforschung. Band 12. Verbraucherzentrale NRW, 2020, ISBN 978-3-86336-928-6, ISSN 2197-943X, S. 127 ff. (ratgeber-verbraucherzentrale.de [abgerufen am 8. September 2021]).
  10. a b c d e Markus Frühauf: Kritische Stimme: „Wir verstehen uns als Gegengewicht zur Finanzlobby“. In: FAZ.net. 26. Juli 2021, abgerufen am 8. September 2021.
  11. Caspar Dohmen, Stephan Radomsky: Steuern: Angriffslustig statt gemeinnützig. In: Süddeutsche Zeitung. 2. Februar 2021, abgerufen am 8. September 2021.
  12. Daimler erntet viel Kritik: Dividendenerhöhung trotz Kurzarbeitergeldes. Tagesschau (ARD), 31. März 2021.
  13. Daimler soll die Dividende stoppen Süddeutsche Zeitung, Caspar Busse, 22. März 2021
  14. Verbraucherallianz: „Riester-Rente muss weg“. ZDF, 11. Mai 2021
  15. Riester-Rentenversicherungen: Was für die Vorsorge übrig bleibt. (PDF; 323 kB) Finanzwende.de, 1. Dezember 2020.
  16. a b Caspar Dohmen: Gerhard Schick gründet Verein Finanzwende. In: Süddeutsche Zeitung. 12. September 2018, abgerufen am 8. September 2021.
  17. Die Gründungsmitglieder der Bürgerbewegung Finanzwende e. V. Abgerufen am 8. September 2021.
  18. Markus Frühauf: Marktmacht: Blackrock fühlt sich zu Unrecht am Pranger. In: FAZ.net. 5. Mai 2021, abgerufen am 8. September 2021.
  19. Rendite mit der Miete: Finanzialisierung des Wohnraums beenden. Abgerufen am 17. Februar 2022.
  20. Gerhard Schick: Die Bank gewinnt immer. Campus, Frankfurt/Main 2020, ISBN 978-3-593-51275-4, S. 95.
  21. a b Finanzwende-Jahresbericht 2020 (PDF; 4,0 MB) Finanzwende, 2021