KZ Osthofen

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Eingang ehemaliges KZ Osthofen
Appellplatz mit Blick auf direkt angrenzendes Wohngebiet
Ehemalige Schlafräume

Das Konzentrationslager Osthofen in Osthofen bei Worms (Rheinland-Pfalz) bestand vom 6. März 1933 bis Juli 1934.

Vorgeschichte

Am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, erließ Reichspräsident Paul von Hindenburg die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, die der Abwehr „kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ dienen sollte. Sie setzte viele Grundrechte außer Kraft und ermöglichte es den Nationalsozialisten, politische Gegner ohne Anklage und Beweise in „Schutzhaft“ zu nehmen. Opfer waren in erster Linie Kommunisten, weshalb Funktionäre dieser Partei zu den ersten Insassen des Konzentrationslagers in Osthofen gehörten. Inhaftiert wurden aber auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Angehörige der ihnen angeschlossenen Verbände sowie des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und der „Eisernen Front“.

Auch jüdische Bürger wurden von Anfang an verfolgt – vor allem, wenn sie einer linken politischen Gruppierung angehörten. Ab Mitte 1933 gerieten darüber hinaus Angehörige der Zentrumspartei, Juden, Katholiken, Siebenten-Tags-Adventisten, tatsächliche oder angebliche Separatisten, Zeugen Jehovas und andere Regimegegner ins Visier der Verfolgungsbehörden.

Entstehung

Zum 1. Mai 1933 ordnete der Staatskommissar für das Polizeiwesen im Volksstaat Hessen, Werner Best, die Schaffung eines Konzentrationslagers für den Volksstaat in Osthofen bei Worms an. Dafür wurde eine stillgelegte Papierfabrik ausgewählt. Dort sollten alle jene Einwohner Hessens interniert werden, die die Polizei aus politischen Gründen verhaftet und länger als eine Woche festgehalten hatte. Tatsächlich bestand dieses Konzentrationslager jedoch schon seit Anfang März 1933, und die ersten Häftlinge wurden ebenfalls vor der offiziellen Eröffnung eingeliefert. Bereits am 6. März kamen einzelne Häftlinge aus dem Ort Osthofen selbst im KZ an. Der erste größere Transport mit ungefähr 80 politischen „Schutzhäftlingen“ musste unter scharfer Bewachung den Fußweg von Worms nach Osthofen antreten. Ehrenamtlicher Lagerleiter war der in Osthofen gebürtige SS-Sturmbannführer Karl d’Angelo. Bewacht wurde das Lager anfangs von zu Hilfspolizisten ernannten SS- und SA-Männern aus Worms und Umgebung. Im Herbst 1933 wurden die SA-Männer von SS-Männern aus Darmstadt und Offenbach abgelöst. Hans Gaier wurde von Christoph Weitz, einem Betroffenen und Augenzeugen, in seinem Bericht über Folterungen im Gestapo-Gefängnis Worms und im KZ Osthofen im Jahr 1933 als Sadist bezeichnet.[1]

Ehemaliges Amtsgericht, Schwerdstraße 18, Osthofen

Mit Errichtung des einzigen frühen Konzentrationslagers des Volksstaates Hessen hatte Werner Best eines der ersten regulären staatlichen KZ im Deutschen Reich geschaffen und gleichzeitig die Bekämpfung der Gegner des NS-Regimes seiner neu geschaffenen politischen Landespolizei unterstellt. Im Unterschied zu anderen Konzentrationslagern wie in Dachau kam es im KZ Osthofen zu keinen Todesfällen. Zudem war die Zahl der „Schutzhäftlinge“ in Hessen relativ gering. Dennoch litten auch sie unter Misshandlungen, Demütigungen, Krankheiten, harter Arbeit und schlechten hygienischen Verhältnissen. Mindestens 3.000 Häftlinge waren insgesamt in diesem Konzentrationslager. Die Haftdauer betrug in der Regel 4 bis 6 Wochen, in Einzelfällen bis zu einem Jahr. Für den Vollzug des „verschärften Arrestes“ wurde das Gelände einer benachbarten leer stehenden Holzmühle und zeitweise auch das Amtsgerichtsgefängnis in Osthofen genutzt. Die Häftlinge, die in der „Alten Holzmühle“, auch Lager II genannt, untergebracht waren, wurden, von der Außenwelt und ihren Mithäftlingen streng isoliert, systematisch terrorisiert und gefoltert. Die Ernährung bestand hauptsächlich aus ungewürzter dünner Suppe und etwas Brot.

Ziel der frühen Konzentrationslager war die Ausschaltung jeglicher politischer Opposition und die Einschüchterung der Bevölkerung, die durch umfangreiche Presseberichte unterstützt wurde. Die regionale Presse im ganzen Volksstaat Hessen berichtete ab Mai 1933 in beinahe gleichlautenden Berichten von der Einrichtung des Konzentrationslagers Osthofen. In den kommenden Wochen konnte man fast täglich in den regionalen Blättern lesen, wer aus der Umgebung verhaftet und nach Osthofen gebracht worden war. Die Existenz dieses Lagers blieb somit keinem Zeitgenossen verborgen. Die Zustände dort wurden in den Berichten stark verharmlost. Ihren eigentlichen Zweck, die übrige Bevölkerung abzuschrecken, haben sie in vielen Fällen aber sicher erreicht. Prominentester Häftling war Carlo Mierendorff, über dessen Inhaftierung und Misshandlung beispielsweise die illegale Zeitung „Der Rote Stoßtrupp“ in der Ausgabe vom 5. Oktober 1933 informierte.[2]

Fluchten

Am 28. April 1933 gelang Wilhelm Vogel die Flucht, als er den Wagen des Lagerkommandanten Karl d’Angelo waschen sollte. Er nutzte eine unbeobachtete Minute, um auf eine vorbeifahrende Bahn aufzuspringen.[3]

Mit der Hilfe von Mitgefangenen[4] sowie seiner Verlobten gelang Max Tschornicki am 3. Juli 1933 die Flucht aus dem Konzentrationslager.[5][6] Seine Flucht hatte weitreichende Folgen. Nicht nur wurde die Bewachung des KZs verstärkt, eine Besuchssperre verhängt sowie einige Häftlinge schwer bestraft, auch seine Familie wurde in „Schutzhaft“ genommen.[7] Tschornicki schilderte seine Erlebnisse später in der Pariser Emigration auch Anna Seghers, die seine Schilderungen für ihren Roman Das siebte Kreuz verwandte,[8][9] den sie zwischen September 1938 und Oktober 1939 schrieb.[10]

Auflösung

Das Ende des Lagers Osthofen kam relativ schnell. Im Herbst 1933 wurde Best als Landespolizeipräsident abgesetzt. Im Mai 1934 beauftragte Heinrich Himmler, der bayerische Polizeichef und Reichsführer SS, den Dachauer KZ-Kommandanten Theodor Eicke, die bestehenden Konzentrationslager zu übernehmen, umzuorganisieren und zu vereinheitlichen. Das Konzentrationslager Osthofen wurde im Juli 1934 als eines der letzten frühen KZ aufgelöst. Damals saßen noch 84 Personen aus Hessen in „Schutzhaft“.

Viele ehemalige Häftlinge hielten sich in der Hoffnung, dass die NS-Diktatur nur kurze Zeit andauern würde, nach ihrer Entlassung mit politischen Aktivitäten zurück. Andere flohen ins Exil oder kämpften im Spanischen Bürgerkrieg gegen das faschistische Franco-Regime. Viele wurden von der Gestapo beobachtet, wiederholt verhaftet und verhört. Einige kamen später in die Konzentrationslager in Dachau, Buchenwald, Mauthausen, im Emsland oder in die Strafdivision 999 (offiziell „Bewährungseinheit“).

Nachnutzung

Ab Sommer 1934 stand das Gebäude leer und wurde im Oktober 1936 zwangsversteigert. Die Eheleute Bühner erwarben das Gelände und siedelten ihre Firma, die Möbelfabrik Hildebrand & Bühner G.m.b.H, dahin um. Dort wurden von 1942 bis 1945 auch Zwangsarbeiter eingesetzt. Nach dem Konkurs der Firma wurde das Gelände und die Gebäude vermietet. Zu den Mietern gehörte eine Plastik-Recyclingfirma und auch ein Weinlager.[11]

Lagergemeinschaft

Eine Gruppe von ehemaligen Häftlingen schlossen sich 1972 mit Unterstützung der Vereinigung der verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten zu einer Lagergemeinschaft zusammen. Am 27. Mai 1972 fand eine Kundgebung vor dem Gebäude des früheren Konzentrationslagers statt. Damit wollten die Häftlinge daran erinnern, was dort geschehen war. Dies stieß unter anderem bei der Bevölkerung vor Ort auf Widerstand. Die Häftlinge wurden zum Teil als Nestbeschmutzer beschimpft. Nach dem Willen der Bevölkerung sollte auch wie bisher die besondere Vergangenheit der Fabrikanlage verdrängt werden. Erst nach langem Ringen mit dem damaligen Besitzer durfte die Lagergemeinschaft im Jahr 1978 eine Gedenktafel an der Außenmauer, kaum sichtbar für Passanten, anbringen. Die Gedenktafel war 50 mal 50 Zentimeter groß und aus Bronze gefertigt. Die Enthüllung der Gedenktafel erfolgte am 18. November 1978.[12]

Die Inschrift der Gedenktafel lautet:

  • HIER WAR 1933-35 DAS HESSISCHE KZ LAGER OSTHOFEN
  • NIEMALS WIEDER!

Literarische Umsetzung

Die in Mainz als Netty Reiling geborene Schriftstellerin Anna Seghers setzte dem Konzentrationslager Osthofen in ihrem im Pariser Exil geschriebenen und in Mexiko 1942 erstveröffentlichten weltbekannten Roman Das siebte Kreuz ein literarisches Denkmal. Gestützt auf die Zeitungs- und Zeitzeugenberichte von Emigranten erzählt Anna Seghers die Geschichte der Flucht von sieben Häftlingen, von denen nur einer ins rettende Exil in die Niederlande gelangte. Am Beispiel der Reaktionen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ihrer rheinhessischen Heimat zeichnet die Autorin ein authentisches Gesamtbild der Gesellschaft der mittleren 1930er Jahre unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Im Roman heißt das Lager in literarisch gewollter Verfremdung „Westhofen“ und steht als Symbol für Misshandlung und Ermordung in Konzentrationslagern schlechthin. Im Unterschied zur Romanhandlung hat es im realen Konzentrationslager Osthofen keine Todesfälle gegeben.

Erinnerung

Seit 1986 besteht der Förderverein Projekt Osthofen e. V., der sich der Erinnerungsarbeit verschrieben hat. Außerdem gibt es dort ein Dokumentationszentrum. Ein Raum ist Anna Seghers gewidmet.

Von 16. bis 29. April 2018 widmete sich im Raum Frankfurt am Main und Mainz das Lesefest „Frankfurt liest ein Buch“ Anna Seghers‘ Roman „Das siebte Kreuz“, in dem es auch um das Lager Osthofen geht. Unter anderem lasen und diskutierten Robert Stadlober, Martin Wuttke, Petra Roth, Gudrun Landgrebe und Wilhelm von Sternburg. Ferner gab es mehrere Fahrten zur KZ-Gedenkstätte Osthofen.[13]

Unterrichtsmaterialien und Literatur

  • Angelika Arenz-Morch: Das KZ Osthofen 1933/34 – Ein Überblick, In: Angelika Arenz-Morch, Stefan Heinz (Hrsg.): Gewerkschafter im Konzentrationslager Osthofen 1933/34. Biografisches Handbuch (= Gewerkschafter im Nationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration, Bd. 8). Metropol, Berlin 2019, ISBN 978-3-86331-439-2, S. 11–51.
  • Ralph Erbar: Das Konzentrationslager Osthofen. In: Denk-mal! Denkmäler im Unterricht. Band 1: Allgemeine Denkmäler. Bad Kreuznach 1997, S. 263–280 (Information des Pädagogischen Zentrums Rheinland-Pfalz 4/97). ISSN 0938-748X.
  • Paul Grünewald: KZ Osthofen. Materialien zur Geschichte eines fast vergessenen Konzentrationslagers, Röderberg-Verlag, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-87682-709-4.

Weblinks

Commons: Gedenkstätte Osthofen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Karl Klemm, Volker Ochs, Der Erinnerung Namen geben, DGB Region Südhessen, S. 31. Abgerufen am 11. Januar 2020.
  2. Dennis Egginger-Gonzalez: Der Rote Stoßtrupp. Eine frühe linkssozialistische Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Lukas Verlag, Berlin 2018, S. 676.
  3. Susanne Urban-Fahr und Angelika Arenz-Morch: Das Konzentrationslager Osthofen 1933/34. Hrsg.: Förderverein Projekt Osthofen e.V. Osthofen 2000, S. 28 (Online [PDF; 196 kB]).
  4. Klaus Drobisch, Günther Wieland: System der NS-Konzentrationslager. 1933–1939. Akademie-Verlag, Berlin 1993, ISBN 3-05-000823-7. S. 163.
  5. Angelika Arenz-Morch, Martina Ruppert-Kelly: Die Gedenkstätte KZ Osthofen. Hrsg.: Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz. Osthofen 2010, S. 11 (politische-bildung-rlp.de [PDF]).
  6. Bei Drobisch wird der 5. Juli genannt, am 6. Juli erschien die Fluchtmeldung in der „Mainzer Tageszeitung“. Drobisch, System der NS-Konzentrationslager, S. 163.
  7. Sven Langhammer: Fluchten aus Konzentrationslagern von 1933 bis 1937. In: Widerständige Wege (= informationen Nr. 68). November 2008 (widerstand-1933-1945.de [PDF]).
  8. Klaus Drobisch, Günther Wieland: Das System der NS-Konzentrationslager: 1933–1939. Akademie Verlag, 1993, ISBN 978-3-05-000823-3, S. 169.
  9. Wolfgang Benz (Hrsg.): Frühe Lager. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52962-3. S. 181–184.
  10. Bernhard Spies: Kommentar, zu: Anna Seghers: Werkausgabe. Das siebte Kreuz, Aufbau, Berlin 2000, S. 445–496.
  11. Die Gedenkstätte Osthofen. (PDF) (Nicht mehr online verfügbar.) In: Blätter zum Land. Landeszentrale politische Bildung Rheinland-Pfalz, archiviert vom Original am 13. August 2019;.
  12. KZ Osthofen - Erstes Gedenken, abgerufen am 13. August 2019.
  13. Marie-Sophie Adeoso: Wo Georg Heislers Flucht begann. Das Konzentrationslager Osthofen nahe Worms diente Anna Seghers als Vorlage für ihren Roman "Das siebte Kreuz" / Ein Besuch. (Mit einem Interview mit Wilhelm von Sternburg) In: Frankfurter Rundschau vom 16. April 2018, S. 32–33.

Koordinaten: 49° 42′ 28,3″ N, 8° 19′ 32,8″ O