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Jenseits des Tales standen ihre Zelte

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Mögliche Urfassung der Ballade im Göttinger Musenalmanach für 1901

Jenseits (des Tales standen ihre Zelte) ist eine Ballade von Börries von Münchhausen, die im Jahr 1900 entstand.[1] Eine starke Verbreitung fand der Text vor allem als Fahrtenlied in der Bündischen Jugend, nachdem er 1920 von Robert Götz vertont und 1932 in seinem Liederbuch Aus grauer Städte Mauern (siehe Aus grauer Städte Mauern) publiziert worden war. In der Zeit des Nationalsozialismus, zumindest den Anfangsjahren, wurde das Lied in abgewandelter Form auch in der Hitlerjugend gesungen, und in den 1960er Jahren erlebte der Schlagersänger Heino mit einer gekürzten Textvariante seinen ersten Erfolg.[2][3]

Geschichte

Börries von Münchhausen veröffentlichte die Ballade vermutlich erstmals in dem von ihm herausgegebenen Göttinger Musenalmanach für 1901.[4] In den Publikationen der ersten Jahre (bis mindestens 1906[5]) erschien sie unter dem Titel Jenseit …; später (spätestens ab 1908[6]) änderte Münchhausen den Titel in Jenseits ab, und ebenso änderte er die Anfangsworte jenseit, diesseit der 1., 3. und 5. Strophe in jenseits, diesseits. Sie wurde dann in einer Reihe von Balladensammlungen Münchhausens unverändert nachgedruckt, unter anderem in Die Balladen und ritterlichen Lieder (1908), Das Balladenbuch (1924) und zuletzt in der fünf Jahre nach dem Tod des Autors erschienenen Ausgabe letzter Hand (Das dichterische Werk in zwei Bänden, Band 1: Das Balladenbuch, 1950).[7]

Robert Götz, ein Komponist zahlreicher Lieder für den Wandervogel und die bündische Jugend, vertonte die Ballade 1920.[8] Wahrscheinlich verbreitete sich das Lied danach zunächst vor allem durch mündliche Überlieferung.[9] Der erste nachgewiesene Druck dieser Vertonung datiert erst von 1932[10] in der von Götz selbst zusammengestellten Sammlung Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld – Neue Lieder einer deutschen Jungenschaft, die in dem der Jugendbewegung nahestehenden Verlag Günther Wolff erschien. Dieser Druck weist bedeutungsverändernde Textvarianten auf: In Strophe 4, Vers 1 ist „knabenfrische Wangen“ durch „jugendfrische Wangen“ ersetzt, in Strophe 5, Vers 4 tritt statt des Singulars „jener Reiterbube lachte“ der Plural auf: „jene Reiterbuben lachten“. Damit verschwindet die homoerotische Bedeutung aus dem Lied.[11] Hinzu kommen einige weitere Textveränderungen, die auf einen Prozess des Zersingens hindeuten, also eine Veränderung des Liedtextes in der mündlichen Weitergabe.[12] In Neue Jungenlieder – Nachtrag zum Liederbuch St. Georg (Günther Wolff, Plauen 1934) findet sich ebenfalls diese Fassung.[13]

Weitere Drucke und Überlieferungen bieten diverse Variationen. So stand gemäß Jürgen Reulecke in einer Anfang 1934 im Verlag Günther Wolff erschienenen Ausgabe von Uns geht die Sonne nicht unter – Lieder der Hitlerjugend in Bezug auf die zitierten Stellen „knabenfrisch“ und der „Reiterbube“ im Singular, während das von Baldur von Schirach Ende 1933 herausgegebene Liederbuch Blut und Ehre – Lieder der Hitlerjugend „jugendfrisch“ und den Plural „Reiterbuben“ hat.[14] Ein von Gerd Benoit 1934 im Verlag „Grenze und Ausland“ herausgegebenes Liederbuch Aus allen Gauen hingegen beließ die homoerotischen Anspielungen im Text, bot aber eine weitere Textvariante sowie eine andere Melodie mit der Herkunftsangabe „Bündische Jugend, Gau Rheinland 1931“.[15]

Publikationsnachweise aus den weiteren Jahren der Zeit des Nationalsozialismus liegen nicht vor; in der im Dezember 1934 „parteiamtlich genehmigten“ Ausgabe von Uns geht die Sonne nicht unter – Lieder der Hitlerjugend im Tonger Verlag fehlt das Lied. Doch gibt es diverse Zeugnisse, dass es weiterhin gesungen wurde, wenn auch nicht immer klar ist, in welcher Textfassung. So erinnerte sich Heinrich Böll daran, dass ein Major mit seiner Jungengruppe „in abgelegenen Parkecken“ dieses Lied gesungen habe, das „verboten“ gewesen sei, was als „Akt außerordentlicher Tapferkeit“ gegolten habe; freilich habe er auch vor Nazi-Liedgut wie „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt“ nicht zurückgeschreckt.[16] Der Volkskundler Paul Alpers berichtete 1941 in der Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft für die Urgeschichte Nordwestdeutschlands, Die Kunde, über das Singen der Ballade als Soldatenlied. Er dokumentierte verschiedene Textvarianten, die auf den Zersingungsprozess zurückgingen (unter anderem „dunkelblaue Augen“ für „knabenfrische Wangen“ und „Weinen“ statt „Lachen“), und zitierte einen Gewährsmann, der angab, das Lied sei in seiner Anfangszeit als Soldat „plötzlich“ aufgetaucht und habe durch seine „schwermütige, getragene Melodie“ und das Geheimnisvolle und Unwägbare des Textes Eindruck gemacht. Später sei es „wieder zurückgetreten, ja fast verschwunden“; nur die „‚alten‘ Soldaten“ sängen es noch gern.[17]

Börries von Münchhausen äußerte sich zu dem Lied in einem Briefwechsel von 1942, der im Freiburger Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ehemals Deutsches Volksliedarchiv) dokumentiert ist. Oberst Wilhelm Volrad von Rauchhaupt (1895–1969)[18] hatte dem Autor berichtet, dass Rekruten seiner Kavallerieschwadron das Lied aus dem Arbeitsdienst mitgebracht hätten. Es sei bei ihnen sehr beliebt gewesen und habe bei langen Ritten geholfen, ein Einschlafen der Reiter zu verhindern.[19] Münchhausen antwortete:

„[…] Ja, diese Jenseits-Ballade gehört seit Jahrzehnten zu meinen meistgesungenen Gedichten, schon die bündische Jugend hatte sie für sich entdeckt, dann geriet sie in die Hitlerjugend, dann unter die Soldaten. Mir ist die Wahl gerade dieses Liedes immer einer der unerklärlichsten Vorgänge meines Lebens gewesen, denn das Gedicht spricht ja (wenn auch in äußerster Dezenz und Verhüllung) von der Liebe des jungen Königs zu einem seiner Reiterbuben. Aber die Jugend hat das gottlob einfach nicht verstanden und durch zwei ganz unscheinbare Veränderungen ausgelöscht. Statt ›knabenfrische Wangen‹ singen sie ›jugendfrisch‹ und statt ›und jener Reiterbube lachte auch‹ – ›und alle Reiterbuben‹.“

Brief vom 21. November 1942[20]

Dieses „Zersungenwerden“ durch die Jugend hieß der Autor ausdrücklich gut, da „ich selber sehr normal in diesem Punkte bin“, wie er weiter schrieb.[20]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Lied in zahlreichen Liederbüchern nachgedruckt, mit unterschiedlichen Textvarianten, meist jedoch mit „jugendfrischen“ statt „knabenfrischen“ Wangen. So fand sich das Lied in Der Grünschnabel, erschienen 1953 bei Voggenreiter, in dieser Fassung, während das groß angelegte Liederbuch Der Turm, ebenfalls bei Voggenreiter erschienen, auf die ursprüngliche Textfassung Münchhausens zurückging. Sofern nur „knabenfrisch“ durch „jugendfrisch“ ersetzt ist, der Singular „jener Reiterbube“ im letzten Vers aber erhalten bleibt, wird der homoerotische Bezug erst durch die Andeutung ganz am Ende des Liedes erkennbar. Die Mundorgel, das Liederbuch des CVJM, brachte zur Melodie von Götz eine Neufassung des Textes mit gänzlich anderem Inhalt unter dem Titel Hoch überm Tale, die sich im ersten Vers („Hoch überm Tale standen unsre Zelte“) sowie einigen weiteren Wendungen an die Ballade Münchhausens anlehnte.[21]

Zur Verbreitung des Liedes haben die Tonaufnahmen beigetragen, die in der Bundesrepublik entstanden. Der Montanara Chor nahm das Lied bald nach seiner Gründung 1958 auf und publizierte es in den folgenden Jahren auf zahlreichen Schallplatten. Die Single von Heino mit Jenseits des Tales, 1965 veröffentlicht, erzielte einen enormen Verkaufserfolg.

Inhalt und Deutung

In der ersten Strophe der Ballade wird aus der Perspektive eines jungen Königs „ein Naturbild“ gezeichnet, wodurch erzähltechnisch eine Dichotomie zwischen den Schauplätzen „Diesseits“ und „Jenseits“ hergestellt wird, wie Karl Konrad Polheim verdeutlicht:

„[...] keineswegs die herkömmliche prächtige, aber sanfte Abendstimmung, kein friedlich zum Himmel aufsteigender Rauch, sondern ein roter Abendhimmel, vor dem der Rauch – und nicht umsonst ist hier ein dunkler Vokal eingesetzt – quoll (was wir vielleicht am besten mit ‚qualmte‘ wiedergeben könnten), ein verdüsterter, zerrissener Abendhimmel also, eine unheimliche, bedrohliche Erscheinung. Damit scheint allerdings das Singen des ganzen Heeres nicht übereinzustimmen.“[22]

In der zweiten Strophe „führt das Szenarium weiter, förmlich wie mit einer Gummilinse“ herangezogen. Die singenden Reiterbuben putzen das Pferdegeschirr, während zwei Figuren hervorgehoben werden – nämlich einer der Reiterjungen und die Marketenderin. Weil sich erst im weiteren Verlauf der Ballade herausstellt, dass die männliche im Gegensatz zur weiblichen Figur bedeutend für den König ist, kann in der Erwähnung der Marketenderin ein erzähltechnisches Ablenkungsmanöver gesehen werden, das darauf abzielt, dass der Leser zunächst die Frauenfigur als mögliches Liebesobjekt vermutet. Das Gespräch der beiden Figuren im Heerlager dreht sich um den Verbleib des Königs, wodurch zur dritten Strophe übergeleitet wird.[23]

Jürgen Reulecke konstatiert, der königliche Hauptcharakter der Ballade befinde sich in einem „erotischen Zwiespalt zwischen den Reizen einer Marketenderin und den ‚knabenfrischen Lippen‘ eines Reiterbuben, der gleichzeitig für das Heer, also den Männerbund steht“. Im Heerlager „jenseits des Tales“ fragt dieser nämlich die herbeitänzelnde – und damit sich offenbar in sexueller Hinsicht anbietende – Marketenderin nach dem Verbleib des Königs, da diese sicherlich darüber Bescheid wisse. Der daraufhin in der dritten Strophe stattfindende Ortswechsel rückt nun die Verzweiflung der Königsfigur ins Zentrum, indem eine „drastische Gebärde“ geschildert wird: Der Hauptcharakter versucht sein Liebesleid erfolglos mit kühlender Erde zu mindern. Nachdem in der 4. Strophe deutlich wird, dass der König „diesseits des Tales“ innerlich mit sich ringt, da er sich selbst den einzigen Ausweg aus seinen Liebesqualen, nämlich einen erotisch gefärbten Umgang mit dem Reiterjungen, verbietet, blickt er hinüber zu seinem in der 5. Strophe von einem Lachen ergriffenen Heer ins Abendrot. Dass auch „jener Reiterbube“ lacht, wird im letzten Vers der Ballade deutlich. Es besteht also, wie von Jürgen Reulecke vertreten, die positive Interpretationsmöglichkeit, dass dem Lachen etwas Befreiendes anhaftet, da der König sich nun „zum Männerbund und gegen die Verführung der Marketenderin entschieden“ hat.[24][25] Eine konträre Deutung besteht darin, das „Lachen in dem ganzen Heere“ damit zu erklären, „dass sich die Soldaten über ihren jungen König lustig“ machen, da er die Marketenderin offenbar ablehnt.[26] Karl Konrad Polheim konstatiert gar, dieser letzte Vers sei ein „erbarmungsloser Schluss“, der das „Lachen“, das im ganzen Heer zu vernehmen ist, „grausam verschärft“, da es „zusammengezogen“ wird „auf […] den einen Knaben, auf den es dem König ankommt“. Die Tragödie der Königsfigur werde dadurch vollendet, und durch dieses „schließende Wort“ sei es Münchhausen gelungen, „Inneres durch Äußeres auszudrücken“.[27]

Die Figur des jungen Königs ist im Text der Ballade nicht mit einem konkreten historischen Vorbild assoziiert. Der Autor Börries von Münchhausen hat sich offenbar nie zu einer möglichen historischen Vorlage geäußert.[28] Allerdings hat Münchhausen 1924 in Das Balladenbuch und auch später seine Balladen nach Ort und Zeit der Handlung geordnet und dabei oft auch Jahreszahlen angegeben, nicht jedoch bei diesem Werk. Jenseits ist der letzte Text im Abschnitt „Mittelalter“ des Kapitels „Deutschland“; danach folgt der Abschnitt „Dreißigjähriger Krieg“. Beide Abschnitte sind ansonsten chronologisch geordnet. Karl Konrad Polheim meint daher, dass die Handlung nach den Daten der vorhergehenden und der folgenden Ballade zwischen 1559 und 1608 spielen sollte.[29]

Der Historiker Jürgen Reulecke vertritt die These, es könnte sich hierbei um den als Sechzehnjähriger im Jahr 1268 auf Befehl von Karl von Anjou hingerichteten Konradin handeln, da im 19. Jahrhundert eine breite sowie romantisch gefärbte Konradin-Überlieferung aufblühte, in die sich von Münchhausens Ballade gut einfügt.[30] Nach anderer Ansicht könnte sich der Text auf eine Episode des späteren Preußenkönigs Friedrich II. beziehen, wonach dieser seine als Mann verkleidete Jugendliebe Anna Karolina Orzelska bei einem Heerlager-Besuch in seinem Gefolge mitgeführt habe.[31] Wieder einer anderen Ansicht zufolge könnte sich der Text auf die Darstellung des Ostgotenkönigs Teja in Felix Dahns Roman Ein Kampf um Rom (1876) beziehen.[32]

Verwendung in der Hitlerjugend

Die Ballade fand sich Ende 1933 und Anfang 1934 in zwei Liederbüchern der Hitlerjugend, jedoch in unterschiedlichen Textfassungen. In dem 1933 erschienenen Liederbuch Blut und Ehre waren die beiden homoerotischen Hinweise getilgt, in dem Anfang 1934 beim Verlag Günther Wolff veröffentlichten Liederbuch Uns geht die Sonne nicht unter blieben sie erhalten.[33] Die Ende 1934 publizierte Fassung von Uns geht die Sonne nicht unter hat das Lied gar nicht mehr, es gibt bislang auch keine späteren Publikationsnachweise aus der NS-Zeit. Verschiedene Zeitzeugen geben an, dass das Singen des Liedes dann verboten[34] oder untersagt[35] gewesen sei, möglicherweise wegen der offenbar bekannten Verbindungen der Ballade zur Homosexualität.

Aus dem Vergleich der genannten Liederbücher schließt Jürgen Reulecke, dass der Reichsjugendführer Baldur von Schirach, der Herausgeber von Blut und Ehre, in den Text eingegriffen habe. Interviews mit Zeitzeugen weisen ihm zufolge darauf hin, „dass es offenbar innerhalb der Hitlerjugend eine entsprechende Verfügung gegeben haben muss“. Mit dem „Austausch zweier Wörter“ sei so „die gesamte homoerotische Anspielung, der eigentliche Pfiff und Sinn des Liedes, getilgt“ worden.[33] Der Grund könne nicht die Ermordung des für seine Homosexualität bekannten SA-Führers Ernst Röhm gewesen sein, da Blut und Ehre bereits im Jahr vor dem sogenannten Röhm-Putsch herauskam. Reulecke sieht daher zwei andere mögliche Erklärungen: Bereits 1933 liefen Gerüchte um, Schirach sei homosexuell; er sei angesichts der Bedeutung der Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus darauf angewiesen gewesen, sich als „‚normaler‘ Mann“ zu profilieren. Zudem suchte sich die Hitlerjugend von Unterwanderungsversuchen der Bündischen Jugend abzugrenzen, indem sie den Bündischen „die gleichgeschlechtliche Freundesliebe“ als eines ihrer „Hauptmerkmale“ unterstellte.[36] Der Historiker Franz Wegener sieht in Schirachs Eingriff einen beispielhaften „Übergang von der freiheitsliebenden rebellischen Jugend Weimars in die totalitäre Gedankenkontrolle der HJ“.[37] Reulecke betont hingegen eine Kontinuität rechtsradikaler deutscher Männerbünde und die Eignung von literarischen Texten Münchhausens für ideologische Verwendungszwecke der Nationalsozialisten.[38]

Allerdings war ja bereits 1932 in dem von Robert Götz selbst zusammengestellten Liederbuch Aus grauer Städte Mauern, vermutlich dem Erstdruck des Liedes mit Melodie, eine Fassung erschienen, die ebenfalls die beiden als anstößig empfundenen Stellen entfernt hatte.[39] Dies spricht nicht gegen eine hitlerjugendinterne Verfügung, relativiert aber Deutungen, die die Veränderungen allein Baldur von Schirach oder den Nationalsozialisten zuordnen.

Marcel Reich-Ranicki schreibt in seiner Autobiographie, dass das Lied in der Mitte der 1930er-Jahre sogar beim Jüdischen Pfadfinderbund Deutschlands gesungen wurde, da es keine jüdischen Wanderlieder gegeben habe:

„Wir sangen also […] ‚Jenseits des Tales standen ihre Zelte‘, ohne uns darum zu kümmern, daß ihr Autor, Borries von Münchhausen, nun ein begeisterter Nazi war. Kurz: Wir übernahmen bewußt und unbewußt die Lieder, […] die von der Hitlerjugend gesungen wurden, wo übrigens ‚Jenseits des Tales‘ nach dem Röhmputsch untersagt war, wohl wegen der homoerotischen Anklänge.“[35]

Interpretationen des Liedes durch Heino

Der Schlagersänger Heino erzielte 1965 mit einer Interpretation der Ballade seinen ersten Hit. Von der Single wurden über 100.000 Stück verkauft. Heino sang die geänderte Textfassung aus der Veröffentlichung von Robert Götz; die vierte Strophe mit den homoerotischen Motiven des Originaltextes ließ er komplett aus.[40]

2014 nahm er das Lied für sein Volksmusik-Metal-Album Schwarz blüht der Enzian neu auf, mit einem stark veränderten Text.[41] Der Journalist Ulli Tückmantel beschrieb 2018, wie sehr der ursprüngliche Text durch Heinos Adaption seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt worden sei:

„[…] der Sänger […] dichtete in einem reichlich wirren und komplett zerstörten Text nun dem jungen König ein Techtelmechtel mit einer Marketenderin an. Denn in einem Heino-Text küssen schwule Könige natürlich keine Reiterbuben.“[40]

Vor dem Hintergrund, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Heino als „Heimatbotschafter“ beauftragte, kritisierte Tückmantel in einem anderen Artikel, dass Heino von der SS verwendetes Liedgut unkritisch übernommen habe, wozu Jenseits des Tales standen ihre Zelte jedoch nicht gehört.[42]

Ausgaben (Auswahl)

Text der Ballade

  • Jenseit …. In: Börries von Münchhausen (Hrsg.): Göttinger Musenalmanach für 1901. Lüder Horstmann, Göttingen 1901, S. 85 (Digitalisat auf archive.org).
  • Jenseit. In: Börries von Münchhausen: Balladen. 2. Auflage. Lattmann, Berlin 1906, S. 95.
  • Jenseits. In: Die Balladen und ritterlichen Lieder des Freiherrn Börries von Münchhausen. 3. Auflage (4. Tausend). Fleischel, Berlin 1908, S. 41f. Auch im 13. Tausend desselben Titels, Fleischel, Berlin 1912, S. 39f.
  • Jenseits. In: Das Balladenbuch des Freiherrn Börries von Münchhausen. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart/Berlin 1924, S. 83.
  • Jenseits. In: Das Balladenbuch des Freiherrn Börries von Münchhausen. Ausgabe letzter Hand. Band 1 von Das dichterische Werk in zwei Bänden. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1950, S. 108f.

Lied mit Melodie von Robert Götz

  • Jenseits des Tales standen ihre Zelte. In: Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld. Neue Lieder einer deutschen Jungenschaft. Bearbeitet und zusammengestellt von Robert Götz. Günther Wolff, Plauen 1932, S. 3f.
  • Jenseits des Tales standen ihre Zelte. In: Blut und Ehre. Liederbuch der Hitlerjugend. Herausgegeben von Baldur von Schirach. Deutscher Jugendverlag, Berlin 1933.
  • Jenseits des Tales standen ihre Zelte. In: Uns geht die Sonne nicht unter. Lieder der Hitlerjugend. Zusammengestellt zum Gebrauch für Schulen und Hitler-Jugend vom Obergebiet West der Hitler-Jugend. Günther Wolff, Plauen 1934, S. 114f.
  • [Ohne Titel]. In: Neue Jungenlieder. Nachtrag zum Liederbuch Sankt Georg. Liederbuch der deutschen Jugend. Herausgegeben von Walter Gollhardt. Günther Wolff, Plauen 1934, S. 378f.
  • Jenseits des Tales. In: Der Turm. Zweiter Teil. Herausgegeben von Konrad Schilling unter Mitwirkung von Helmut König, Dieter Dorn und Hans Schwark. 3. Auflage, Voggenreiter, Bad Godesberg 1957. Auch in: Der Turm. Gesamtausgabe. 453 Lieder für Jungen. 5. Auflage, Voggenreiter, Bad Godesberg 1962, Nr. 173.
  • Jenseits des Tales. In: Deutsche Lieder. Ausgewählt und eingeleitet von Ernst Klusen. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1980, S. 394.

Lied mit anderer Melodie

  • Ballade. In: Aus allen Gauen. Lieder wie sie ein Volk zeichnen. Zum ein- und mehrstimmigen Singen und Spielen auf allen Instrumenten herausgegeben von Gerd Benoit. Grenze und Ausland, Berlin 1934, S. 56f.

Literatur

  • Karl Konrad Polheim: ‚zersungen und vertan‘. B. v. Münchhausens Ballade Jenseits und das Lied Jenseits des Tales. In: Wernfried Hofmeister, Bernd Steinbauer (Hrsg.): Durch aubenteuer muess man wagen vil. Festschrift für Anton Schwob zum 60. Geburtstag (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe. 57). Institut für Germanistik, Innsbruck 1997, ISBN 3-901064-20-6, S. 351–361.
  • Jürgen Reulecke: »Ich möchte einer werden so wie die …« Männerbünde im 20. Jahrhundert. Campus, Frankfurt am Main/New York 2001, ISBN 3-593-36727-0, S. 121–128; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Börries von Münchhausen: Das dichterische Werk in zwei Bänden. Band 1: Das Balladenbuch. Ausgabe letzter Hand. 65.–69. Tausend, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1951, S. 8.
  2. vgl. Reulecke 2001, S. 121–123.
  3. Ulli Tückmantel: Heinos „Heimat“ ohne Historie: Heino und sein Geschäft mit problematischem Liedgut. WZ, 23. März 2018; Ulli Tückmantel: Heimatkongress: Ina Scharrenbach – eine Ministerin mit „Vaterlandsliedern“. WZ, 20. März 2018.
  4. Börries von Münchhausen: Jenseit … In: Börries von Münchhausen (Hrsg.): Göttinger Musenalmanach für 1901. Verlag von Lüder Horstmann, Göttingen 1901, S. 85; Textarchiv – Internet Archive
  5. Börries von Münchhausen: Balladen. 2. Auflage. Lattmann, 1906, S. 96; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  6. Börries von Münchhausen: Die Balladen und ritterlichen Lieder. 3. Auflage (4. Tausend). Fleischel, Berlin 1908, S. 41 f.
  7. Polheim 1997, S. 353.
  8. Robert Götz: „Ich wollte Volkslieder schreiben“. Gespräche mit Ernst Klusen (= Forschungen zur westfälischen Musikgeschichte, ISSN 0932-8432, Band 3). Hans Gerig, Köln 1975, ISBN 3-87252-094-6, S. 119.
  9. Polheim 1997, S. 359.
  10. Polheim 1997, S. 357. Polheim schreibt: „[A]uch Nachforschungen konnten keine frühere Publikation ausfindig machen.“ Reuleckes Angabe eines Drucks von 1924 (Reulecke 2001, S. 123) lässt sich nicht nachweisen.
  11. Polheim 1997, S. 357f.
  12. Polheim 1997, S. 351 und 358f.
  13. Polheim 1997, S. 352f.
  14. Reulecke 2001, S. 123.
  15. Polheim 1997, S. 353f und 360.
  16. Heinrich Böll: Brief an einen jungen Katholiken (1958). In: Werke, Band 10, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, S. 441–458, hier: S. 449.
  17. Nach Polheim 1997, S. 361; die angegebene Quelle ist Paul Alpers: Eine Münchhausen-Ballade wurde Soldatenlied. In: Die Kunde, Jg. 9 (1941), Nr. 7. S. 153f.
  18. DNB 1035391619
  19. Abgedruckt unter dem Titel Schicksale eines Reiterlieds in: Wilhelm Volrad von Rauchhaupt: Preußisches Herz. Erzählungen eines Offiziers. 3. vermehrte Auflage. Gerhard Schulz, Hamburg 1957, DNB 453924387, S. 63–67 (hier ohne Münchhausens Antwortschreiben). Gemäß Rauchhaupts Angaben wurde der Text erstmals als Offener Brief an Münchhausen zu dessen 70. Geburtstag 1943 im Berliner Lokal-Anzeiger veröffentlicht, vgl. das Vorwort in Preußisches Herz, S. 5.
  20. a b zitiert nach: Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Sonderausgabe. Dörfler, Eggolsheim o.J., ISBN 978-3-89555-679-1, S. 254.
  21. Ernst Klusen: Zur Situation des Singens in der Bundesrepublik Deutschland. II. Die Lieder. Edition Gerig, Köln 1975, S. 69; Textfassung bei Georg Nagel: Unterdrückte Homoerotik. Börries von Münchhausens „Jenseits des Tales“ (1907). Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie.
  22. Polheim 1997, S. 355.
  23. Polheim 1997, S. 356.
  24. Reulecke 2001, S. 121 ff.
  25. Polheim 1997, S. 356.
  26. Georg Nagel: Unterdrückte Homoerotik. Börries von Münchhausens „Jenseits des Tales“ (1907). Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie.
  27. Polheim 1997, S. 356f.
  28. Polheim 1997, S. 355.
  29. Polheim 1997, S. 355.
  30. Reulecke 2001, S. 122 f.
  31. Heribert Limberg (Hrsg.): Liederbuch für Nordrhein-Westfalen: ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Liedes in Nordrhein-Westfalen. Möseler, Wolfenbüttel 1998, ISBN 3-7877-1101-5, ISMN 979-0-2037-5101-4 (Suche im DNB-Portal), S. 46 f. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  32. Hans Schmitt: Jenseits des Tales – Beschreibung. Datenbankeintrag zur Ausstellung Von Navajos und Edelweißpiraten – Unangepasstes Jugendverhalten in Köln 1933–1945, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln vom 23. April bis zum 23. August 2004; abgerufen am 14. September 2022.
  33. a b Reulecke 2001, S. 123.
  34. Heinrich Böll: Brief an einen jungen Katholiken (1958). In: Werke, Band 10, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, S. 441–458, hier: S. 449.
  35. a b Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben. 5. Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05149-6, S. 63f.
  36. Reulecke 2001, S. 123f.
  37. Franz Wegener: Barth im Nationalsozialismus. Kulturförderverein Ruhrgebiet, Gladbeck 2016, ISBN 1-5197-9333-2, S. 109 f.
  38. Jürgen Reulecke: Im Vorfeld der NS-Schulungslager. Männerbundideologie und Männerbunderfahrungen vor 1933. In: Gideon Botsch, Josef Haverkamp (Hrsg.): Jugendbewegung, Antisemitismus und rechtsradikale Politik: Vom „Freideutschen Jugendtag“ bis zur Gegenwart. De Gruyter / Oldenbourg, München 2014, ISBN 3-11-030622-0, S. 152 f.
  39. Polheim 1997, S. 351 und 358f.
  40. a b Ulli Tückmantel: Heinos „Heimat“ ohne Historie: Heino und sein Geschäft mit problematischem Liedgut. WZ, 23. März 2018.
  41. Textfassung siehe Booklet.
  42. Ulli Tückmantel: Heimatkongress: Ina Scharrenbach – eine Ministerin mit „Vaterlandsliedern“. WZ, 20. März 2018.
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