Gierseilfähre

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Schema einer Gierfähre

Datei:Gierfähre Rathen.webm

Rollfähre in Polle/Weser in Betrieb
Gierponte auf dem Rhein vor Düsseldorf, kolorierter Kupferstich, 1729

Eine Gierseilfähre (auch Gierfähre, Gierponte oder Fliegende Brücke[1] genannt) ist ein Fährtyp, der zur Fortbewegung die Strömung des zu überquerenden Flusses ausnutzt.

Die Technik der Gierfähre (von gieren im Sinne einer Drehbewegung um die Hochachse des Schiffes) erfand der Niederländer Hendrick Heuck aus Nijmegen im Jahr 1657, um den Verkehr über die breite Waal zu erleichtern.

Funktionsweise

Eine Gierseilfähre hängt an einem langen Drahtseil, das sich kurz vor der Fähre aufteilt. Ein Seilende ist am Bug und eines am Heck der Fähre befestigt. Verändert sich nun die Länge der Enden zueinander, verändert sich auch der Anstellwinkel der Fähre zum Strom. Dieses Einstellen der Seilenden geschieht heute mit Motorkraft, im Übrigen ist die Fähre motorlos. Der Druck des anströmenden Wassers drängt sie an das Ufer. Das Drahtseil wird im Fluss verankert und für die Schifffahrt mit Bojen markiert. Damit die Fahrrinne frei bleibt, liegt der Anker für das Drahtseil nicht in der Flussmitte. Alternativ kann die Schräglage gegen die Strömung auch durch entsprechend große Ruder an der Fähre erfolgen, dann ist kein aufspaltendes Gierseil notwendig.

Eine andere Technik – die Rollfähre – benutzt statt eines Y-Gierseils zwei getrennte Seile, die an Laufkatzen oder Laufrollen auf einer mit Hilfe von zwei an den Ufern stehenden Pylonen hoch über dem Wasser gespannten Stahltrosse laufen, wodurch die Flussschifffahrt nicht behindert wird. Nach diesem Prinzip funktionieren die Basler Fähren und mehrere Fähren an der Weser, z. B. die von Polle. Es gibt auch Gierseil-Rollfähren mit nur einem Seil, wie bei den Donaufähren in Matting (1854 gebaut)[2] und der Solarflotte in Ulm. Der Antrieb erfolgt in Polle durch zwei, in Matting und in Ulm nur durch ein Ruder, die durch Eindrehen in die Strömung des Flusses die gewünschten Kräfte erzeugen.

Mathematische und physikalische Grundlagen

Durch richtige Einstellung des Winkels α der Fähre relativ zur Strömung wird zunächst dafür gesorgt, dass die Kräfte – genauer: die Vektorsumme von Seilkräften plus Strömungkräften – insgesamt auf die Fähre kein Drehmoment ausüben. Das geschieht weitgehend autonom, das heißt mit minimaler Unterstützung des Fährmannes, sowie nur durch den oben erwähnten Hilfsmotor: Bis zur Einstellung des richtigen Winkels dreht sich die Fähre unter dem Einfluss des oben erwähnten Drehmoments genügend langsam eigenständig dazu um die Hochachse.

Der Vektor der resultierenden Kraft kann nunmehr in zwei senkrechte Komponenten, die Längskomponente Ky = K sin α  sowie die Querkomponente Kx = K cos α  zerlegt werden. Die Längskomponente wird durch die Seilkräfte kompensiert. Durch die verbleibende Querkomponente sorgt das System durch den Druck der Strömung für die motorlose Überquerung des Flusses.

Verbreitung

Ein Grund für die Verbreitung von Gierfähren auf Elbe, Saale, Main und Neckar zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Kettenschifffahrt. Kettenschleppschiffe zogen sich und angehängte Frachtschiffe entlang einer längs im Fluss liegenden Kette flussaufwärts. Die Kette wurde von den Kettenschiffen vorne vom Grund des Flusses aufgehoben, über das Deck gezogen und hinten wieder in den Fluss abgelassen. Eine Überkreuzung dieser Kette mit dem Seil vorhandener Seilfähren war nicht möglich. Daher erfolgte mit der Einführung der Kettenschifffahrt eine Umstellung dieser Fähren auf Gierseilfähren. Die Umstellung musste von den Kettenschleppschifffahrtsgesellschaften bezahlt werden.

Deutschland

Eine hohe Dichte an Gierfähren gibt es in Deutschland auf der Elbe und der Weser.

Elbe

Die beiden Elbfähren in Barby und Breitenhagen sind mit der Saalefähre in Groß Rosenburg durch die 3-Fähren-Tour, einen 24 km langen Rundweg, verbunden.

Saale

Mulde

Weser

Bis nach 2000 waren noch zwei weitere Fähren in Betrieb: Die Gierseilfähre zwischen Hehlen und Daspe wurde 2004 nach einem Brückenneubau außer Betrieb genommen und in Bodenwerder aufgelegt[4]. In Hajen (Emmerthal) verkehrte zuletzt 2011 die Fähre auf das gegenüberliegende Ufer bei Grohnde, sie wurde ersatzlos verschrottet[5].

Donau

Auf der Donau gibt es vollständig handbetriebene Gierseilfähren in:

Die Donaufähre Mariaposching–Stephansposching ging nach einem Unfall am 19. April 2016 außer Betrieb[6] und wurde Anfang 2019 durch eine frei fahrende Motorfähre ersetzt.[7]

Rhein und Sieg

Gierfähre Altrip, Rhein (1958)

Auch auf dem Rhein wurde dieser Fährtyp zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert zur Überquerung des Stroms genutzt. Zu Beginn noch als „fliegende Brücken“ bezeichnet, gab es solche Fähren zunächst an der Mannheimer Rheinschanze (1669)[8] und in Köln mit der Deutzer Gierponte (ab 1674), später auch in Düsseldorf (ab 1689),[9] zwischen Bonn und Vilich, Koblenz und Ehrenbreitstein (siehe Fliegende Brücke (Koblenz)), Neuwied und Weißenthurm (1817) sowie zwischen Altrip und Mannheim (1891). Heute gibt es auf dem Rhein nur noch wenige Gierseilfähren, beispielsweise in Basel und in Plittersdorf (Rastatt). Die Basler Fähren sind nur für Fußgänger benutzbar und haben wegen der nahegelegenen Rheinbrücken nur eine geringe verkehrstechnische Bedeutung. Sie werden hauptsächlich aus historischen und touristischen Gründen erhalten. Als Besonderheit haben die Fähren in Basel keine Gierseile, sondern das Halteseil wird zum Umkehren der Anströmung mit einem Schwengel auf die jeweils andere Bootsseite gelegt. Ansonsten sind es vereinfachte Rollfähren, bei denen sich das Halteseil mittels eines Läufers an einem Tragseil bewegt. Dies ist entsprechend hoch über den Rhein gespannt, um die Rheinschifffahrt nicht zu behindern.

Auf der Sieg ist nahe ihrer Mündung in den Rhein die Siegfähre zwischen Troisdorf-Bergheim und Bonn-Geislar als Einmann-Gierfähre noch in Betrieb.

Regnitz (Franken)

  • Die Gierseilfähre in Pettstadt ist die älteste in Franken und lässt sich bis ins 14. Jahrhundert belegen.[10] Sie ist nach wie vor in Gebrauch.
  • Die Chance-Jugend-Fähre in Bamberg existiert dagegen erst seit 2012. Sie quert die Regnitz bei Mühlwörth.[11]

Österreich

In Österreich verkehren über die Donau vier Rollfähren:

Schweiz

Die meist mit Schwengel, selten mit dem V-förmigen Gierseil ausgestatteten Seilfähren sind an verschiedenen Orten in der Schweiz als Fußgängerübergänge erhalten geblieben. Oft werden sie in Naherholungsgebieten von den Gemeinden betrieben oder unterstützt. Das Führen einer Fähre bedarf spezieller Zulassungsprüfungen, um die Sicherheit zu gewährleisten. So gibt es noch folgende Seilfähren mit regelmäßigen Fährbetrieb:

Niederlande

Galerie

Literatur

  • Hans Wolfgang Kuhn: Frühe Gierponten. Fliegende Brücken auf dem Rhein im 17. und 18. Jahrhundert. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv 6 (1983), S. 25–64.

Weblinks

Commons: Gierseilfähren – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gierponte – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. SLUB Dresden: Practische Darstellung der Brückenbaukunde nach ihrem ganzen Umfange. Abgerufen am 28. September 2022 (deutsch).
  2. Fähre Matting
  3. Ein Floß für die Weser. (Nicht mehr online verfügbar.) ARD, archiviert vom Original am 25. Januar 2017; abgerufen am 25. Januar 2017 (Filmszene ab 00:21:35).
  4. Tage der Weserfähre sind gezählt. Gemeinde Hehlen, abgerufen am 3. September 2019.
  5. Fähre Hajen wird verschrottet. DeWeZet, abgerufen am 3. September 2019.
  6. Unterschriftenaktion für Erhalt der Fähre (Memento vom 30. Oktober 2016 im Internet Archive)
  7. Die neue Donaufähre "Posching" ist endlich da. Bayerischer Rundfunk, abgerufen am 3. September 2019.
  8. Die "fliegende Brücke" bei Mannheim. LEO-BW, abgerufen am 6. Januar 2020.
  9. J.F. Wilhelmi: Panorama von Düsseldorf und seinen Umgebungen. J.H.C. Schreiner'sche Buchhandlung, Düsseldorf 1828, S. 11
  10. Die Regnitzfähre. Gemeinde Pettstadt, abgerufen am 28. Mai 2022.
  11. Chance Jugend Fähre Bamberg. Ludwig-Donau-Main-Kanal, abgerufen am 28. Mai 2022.