Über die Entstehung der Arten

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Titelseite der 1. Auflage von 1859

Über die Entstehung der Arten (englisch On the Origin of Species) ist das Hauptwerk des britischen Naturforschers Charles Darwin. Es wurde am 24. November 1859 veröffentlicht und gilt als grundlegendes Werk der Evolutionsbiologie. Der vollständige Titel lautete: On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life. Darwin bearbeitete insgesamt sechs Auflagen. In der sechsten Auflage (1872) lautete der Kurztitel The Origin of Species.

Darwin legte in diesem Werk zahlreiche Belege für seine Theorie vor, dass sich Tier- und Pflanzenarten durch natürliche Selektion im Laufe langer Zeiträume verändern und dass alle heute existierenden Lebewesen von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Bereits auf seiner Weltreise mit der HMS Beagle (1831–1836) hatte Darwin Belege für seine später als Darwinismus bezeichnete Evolutionstheorie gesammelt. Später vermehrte er seine Erkenntnisse durch Experimente und wissenschaftliche Korrespondenz.

Darwins Werk in der Geschichte der Biologie

Im Verlauf der Geschichte der Biologie wurden unterschiedliche evolutionäre Konzepte entwickelt. Es gab zwar bei einzelnen Anatomen und in Teilen der Öffentlichkeit eine wachsende Unterstützung solcher Ideen, aber sie erschienen als spekulativ und wissenschaftlichen Methoden kaum zugänglich. Annahmen über eine Transmutation der Arten standen im Gegensatz zu der kirchlichen Lehre, dass die Arten unveränderliche Schöpfungswerke seien, die einen festen Platz in einer Scala Naturae hätten und der Mensch einzigartig und nicht verwandt mit dem Tierreich sei.

Darwin wandte sich in seinem Buch an ein gebildetes Laienpublikum; tatsächlich erregte sein Buch großes Interesse. Da er bereits ein angesehener Wissenschaftler war, wurden seine Aussagen sehr ernst genommen und seine Argumente führten zu regen naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Diskussionen. Sein Buch wurde im Sinne des Anliegens von Thomas Henry Huxley und dem X-Club eingeordnet, die eine Säkularisierung der Wissenschaft anstrebten und für den philosophischen Naturalismus warben. Bis ungefähr 1880 kamen die Wissenschaftler mehrheitlich zur Überzeugung, dass die Evolution mit Stammbaum der Lebewesen und gemeinsamem Ursprung Tatsache sei. Die meisten Forscher lehnten aber den von Darwin vorgeschlagenen Mechanismus ab, nämlich die natürliche Selektion als Motor der Evolution. Während des „Niedergangs des Darwinismus“ (einem von Julian Huxley geprägten Schlagwort) in der Zeit von 1880 bis 1930 gab es zahlreiche alternative Konzepte, mit deren Hilfe man die Evolution erklären wollte. Mit der Entwicklung der synthetischen Evolutionstheorie in den 1930er und 1940er Jahren wurde Darwins Annahme der evolutionären Anpassung durch natürliche Selektion zu einem vereinheitlichenden Prinzip der Lebenswissenschaften.

Grundgedanken von Darwins Theorie

Photographie Darwins zur Zeit der Publikation der Origins

Darwins Theorie der Evolution beruht auf Fakten und Schlussfolgerungen, die der Biologe Ernst Mayr folgendermaßen zusammenfasste:[1]

  • Jede Art bringt genügend Nachkommen hervor, sodass die Population wachsen würde, wenn alle Nachkommen überlebten (Tatsache).
  • Trotz (periodischer) Schwankungen bleiben Populationen stets etwa gleich groß (Tatsache).
  • Ressourcen wie Nahrung sind begrenzt und ihr Umfang im Verlauf gleich bleibend (Tatsache).
  • Daraus folgt ein Kampf ums Überleben (Schlussfolgerung).
  • Die Individuen einer Population unterscheiden sich deutlich voneinander (Tatsache).
  • Diese Variationen sind erblich (Tatsache).
  • Individuen, die weniger gut an ihre Umwelt angepasst sind, haben eine geringere Überlebenschance und weniger Nachkommen. Individuen, die besser an ihre Umwelt angepasst sind, haben eine höhere Überlebenschance und mehr Nachkommen. Sie vererben ihre Eigenschaften. Dies resultiert in einer natürlichen Selektion (Schlussfolgerung).
  • Dieser langsam voranschreitende Vorgang führt dazu, dass Populationen von Lebewesen besser an ihre Umwelt angepasst sind. Wenn sich Veränderungen anhäufen, entstehen neue Spezies (Schlussfolgerung).

Vorgeschichte von Darwins Theorie

Cuviers Untersuchung von 1799 über lebende Elefanten und Elefanten-Fossilien war ein Beitrag zur Frage des Aussterbens von Arten.

In späteren Ausgaben seines Buches führte Darwin evolutionäre Vorstellungen bis auf Aristoteles zurück.[2] Dabei zitiert er einen Text von Aristoteles, der die Vorstellungen von Empedokles zusammenfasst.[3] Die christlichen Kirchenväter und mittelalterliche Gelehrte neigten zu einer allegorischen Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte, waren also nicht auf eine wörtliche Auslegung festgelegt.[4] Sie beschrieben die mythologische und heraldische Bedeutung von Organismen und verglichen ihre Gestalt. Man betrachtete die Natur als instabil und launisch, geprägt von der Existenz monströser Mischwesen und der Spontanzeugung von Organismen.[5]

Die protestantische Reformation förderte eine wörtliche Interpretation der Bibel, auch in Bezug auf die Erschaffung der Welt. Unter den Naturwissenschaftlern gab es eine Neigung zu Erklärungen im Sinne der mechanistischen Philosophie von René Descartes und dem Empirismus von Francis Bacon.

Nach den Unruhen im Verlaufe des englischen Bürgerkrieges bemühten sich Mitglieder der Royal Society darum zu zeigen, dass die Wissenschaft keine Bedrohung für die Kirche und die politische Stabilität darstellten. Der englische Naturforscher John Ray entwickelte in der Folge eine einflussreiche Variante der natürlichen Theologie mit einer Taxonomie, die vorsah, dass die biologischen Arten unveränderlich und mitsamt ihrer Anpassung von Gott erschaffen seien und dass Varianten durch Umweltbedingungen verursacht wären. Dabei würden in Gottes Schöpfung die fleischfressenden Raubtiere ihrer Beute einen gnädigen und schnellen Tod bereiten. Allerdings würde das Leiden, das durch Krankheitserreger verursacht wird, in diesem Konzept zum Problem der Theodizee beitragen.

Darwins Buch

Datei:Was besagt Darwins Evolutionstheorie?.webm Darwin schrieb im März 1855 in einem Brief: „Ich arbeite hart an meinen Notizen, sammle und vergleiche sie, um in etwa zwei oder drei Jahren ein Buch mit allen Fakten, die ich zusammentragen kann und die für und wider die Unveränderlichkeit der Arten sprechen, zu schreiben.“[6] Auch der britische Zoologe und Forschungsreisende Alfred Russel Wallace entwickelte unabhängig von Darwin Ideen zur Evolution, die auf Variation und natürlicher Selektion beruhten. Nachdem Russel Darwin 1858 seine im Ternate-Manuskript zusammengefassten Überlegungen zur Begutachtung zugeschickt hatte, sah sich Darwin zur Veröffentlichung seiner eigenen über zwanzig Jahre entwickelten Ideen zum Thema gedrängt. Am 1. Juli 1858 wurden auf Anregung von Darwins Freunden Charles Lyell und Joseph Hooker Auszüge aus der wissenschaftlichen Arbeit Darwins und Russels vor der Linnean Society of London vorgetragen. Der Vortrag wurde nur wenig beachtet. Der Vorsitzende der Linnean Society bemerkte im Mai 1859, dass es in dem Jahr 1858 keine bemerkenswerten Entdeckungen gegeben hätte.[7]

Ende 1859 war Darwin jedoch endlich soweit: Sein Werk trug den vollständigen Titel On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life. Die erste deutsche Übersetzung des Paläontologen und Zoologen Heinrich Georg Bronn erschien 1860 unter dem Titel Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzen-Reich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vollkommensten Rassen im Kampfe um's Daseyn. Diese Übersetzung nahm sich jedoch Veränderungen und „Reinigungen“ heraus.[8] 1876 folgte die Übersetzung von Julius Victor Carus, die meist als Standardübersetzung verwendet wird: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um’s Dasein (Stuttgart, E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, 1876).

Darwin argumentiert in diesem Buch für die These, dass Gruppen von Organismen (heutzutage als Populationen bezeichnet) sich allmählich durch den Vorgang der natürlichen Selektion entwickeln. Das Konzept natürlicher Selektion wurde durch das Buch erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt (vgl. Darwinismus). Darwin legte detaillierte wissenschaftliche Belege vor, die er durch eigene Experimente sowie während seiner Reise nach Südamerika, zu den Galápagos-Inseln und nach Australien an Bord der HMS Beagle von 1831 bis 1836 und seit seiner Rückkehr gesammelt hatte, stellte seine Theorie vor und hinterfragte dabei das Konzept von der „Konstanz der Arten“. Der Begriff Evolution fehlt in der ersten Auflage von 1859 noch.[9] Allerdings verwendet Darwin das Verb evolvieren.[10]

Darwin unterstützte seine Argumentation später durch seine beiden Bücher über Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl (1871) sowie zum Thema Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren (1872).

Die erste Auflage von 1250 Exemplaren kam am 22. November 1859 in den Handel, aber die Zahl der Bestellungen war bereits größer, daher war diese Auflage sofort vergriffen.[11]

Im Schlusssatz seines Werkes ordnete Darwin die wissenschaftstheoretische und gesellschaftspolitische Bedeutung seines Werkes durch eine Anspielung auf die „kopernikanische Wende“ in der Kosmologie ein:[12]

„Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und daß, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.“

Den Hinweis auf den Schöpfer fügte Darwin erst in der 2. Auflage von 1860 ein. Damals neigte er noch zum Deismus. In den folgenden Jahren tendierte er aber immer stärker zum Agnostizismus, ließ diesen Schluss-Satz aber dennoch stehen.[13]

Heute befindet sich das Originalmanuskript Darwins in der National Library of Scotland. Die in dem Buch vorgestellten Ideen bilden die Basis der heutigen wissenschaftlichen Evolutionstheorien.

Darwins Argumentation

Sein Buch sah Darwin „als eine lange Kette von Beweisen“.[14] Mit diesen Worten beginnt er die Zusammenfassung im letzten Kapitel, in der sich die Art seines Argumentierens gut nachvollziehen lässt. Darwin war stets bemüht, Pro- und Kontra-Argumente zu einzelnen Befunden gegeneinander abzuwägen.[15]

Darwin beginnt hier mit fünf Einwänden (ohne Pro- und Kontra-Argumente durchzunummerieren): Erstens lege die Vollkommenheit der komplexen Organe und Instinkte die Entstehung durch eine höhere Intelligenz nahe – der Glaube, dass diese Organe durch die Anhäufung zahlreicher geringer Abänderungen immer vollkommener wurden, erscheint dem Betrachter schwer vorstellbar. Zweitens gibt es einen markanten Unterschied zwischen Arten und Varietäten – diese sind untereinander meist fruchtbar, jene fast nie. Diese Beobachtung legt die Vorstellung von streng abgegrenzten, unwandelbaren Arten nahe. Drittens scheint es schwer vorstellbar, dass jede einzelne Art sich von jeweils einem Ausgangspunkt weit verbreitet hat, z. T. sogar weltweit. Viertens sollten wir unter den Versteinerungen eine unendliche Zahl von Zwischenformen finden. Und fünftens sei die Zeit seit dem Festwerden der Erde jedenfalls nach den Berechnungen des Physikers William Thomson (wahrscheinlich nicht mehr als 200 Millionen Jahre) zu kurz für die ganze Evolution.

Darwin gab Antworten auf diese Einwände und präsentierte daraufhin die „Tatsachen und Beweise“, „die für die Theorie sprechen“. Insgesamt bringt er 17 Pro-Argumente, wobei er folgende Argumentationsweise praktiziert: Er präsentiert empirische Befunde, die mit Hilfe seiner Theorie verständlich werden, während sie bei der alternativen Theorie – der Erschaffung konstanter Arten – unverständlich bleiben. Wenn man seine Theorie zugrunde legt, „erscheinen diese Tatsachen nicht mehr als merkwürdig, sondern als durchaus selbstverständlich“.

So wird etwa die in der Taxonomie oft auftretende Schwierigkeit, zwischen Varietäten und Arten zu unterscheiden, verständlich, wenn – wie Darwin meinte – Varietäten beginnende Arten sind. Die Regel, dass „die Natur keine Sprünge macht“ (natura non facit saltum), passt gut zu Darwins Theorie, die mit einer Häufung kleiner aufeinanderfolgender günstiger Abänderungen rechnet. Verständlich wird auch, „dass nicht alle Einrichtungen in der Natur absolut vollkommen sind“. „Geben wir zu, dass die geologischen Urkunden hochgradig lückenhaft sind“, passen auch diese zu Darwins Theorie. „Die Ähnlichkeit des Knochengerüstes der Menschenhand, des Fledermausflügels, der Ruderflosse des Tümmlers und des Pferdefußes“ erklärt „sich leicht aus der Theorie der Abstammung mit geringen, allmählich aufeinanderfolgenden Abänderungen“.

Die sechs Auflagen während Darwins Lebenszeit

  • 1. Auflage, John Murray, London 1859 – 1250 Exemplare
  • 2. Auflage, John Murray, London 1860 – 3000 Exemplare
  • 3. Auflage, John Murray, London 1861 – 2000 Exemplare
  • 4. Auflage, John Murray, London 1866 – 1500 Exemplare
  • 5. Auflage, John Murray, London 1869 – 2000 Exemplare
  • 6. Auflage, John Murray, London 1872 – 3000 Exemplare

Weiterführende Literatur

  • Keith Francis: Charles Darwin and The Origin of Species. Greenwood Publishing Group, 2007, ISBN 0-313-31748-8.
  • Wolfgang Lefèvre: Die Entstehung der biologischen Evolutionstheorie. Ullstein, Frankfurt/M. u. a. 1984; Suhrkamp, Frankfurt/M. 2009 (Vorgeschichte, Argumentation, erste Rezeption von Darwins Buch).
  • Charles Darwin: Die Entstehung der Arten. Kommentierte und illustrierte Ausgabe, Hrsg. von Paul Wrede und Saskia Wrede, VCH-Wiley Verlag, Weinheim 2013, ISBN 978-3-527-33256-4.

Weblinks

Deutsch
Englisch
Commons: On the Origin of Species – Sammlung von Bildern

Quellen

  1. Ernst Mayr: The Growth of Biological Thought. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts 1982, ISBN 0-674-36446-5, S. 479–480.
  2. Charles Darwin: The Origin of Species by Means of Natural Selection. 6. Auflage. John Murray, London 1872, S. xiii (darwin-online.org.uk).
  3. Englische Übersetzung der Physik von R. P. Hardie und R. K. Gaye (1930)
  4. Roger Forster, Paul Marston: Reason, Science and Faith. Monarch, Crowborough 1999, ISBN 1-85424-441-8, S. 26–27.
  5. Peter J. Bowler: Evolution. The History of an Idea. 3. Auflage. University of California Press, Berkeley 2003, ISBN 0-520-23693-9, S. 27, 43, 45.
  6. an William Darwin Fox am 19. März 1855; zitiert nach Ronald W. Clark: Charles Darwin. Biographie eines Mannes und einer Idee. S. Fischer, Frankfurt/M. 1985, S. 118.
  7. Browne: Charles Darwin: The Power of Place. S. 33–42.
  8. Storch, Welsch, Wink: Evolutionsbiologie. Berlin–Heidelberg 2001.
  9. Ernst Mayr: Evolution und die Vielfalt des Lebens. Springer Verlag, Berlin / Heidelberg / New York, 1979, S. 81.
  10. There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been originally breathed into a few forms or into one; and that, whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity, from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have been, and are being, evolved.
    ” Aus Charles Darwin: The Origin of Species. 1. Aufl., 1859, S. 490.
  11. Adrian Desmond, James Moore: Darwin. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 541 (zuvor bei Paul List, München 1992; engl. Orig. London 1991).
  12. zitiert nach der Übersetzung aus dem Jahr 1963 von Carl W. Neumann für die Ausgabe im Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart.
  13. Franz Stuhlhofer: Charles Darwin – Weltreise zum Agnostizismus. 1988, S. 69–92 („Darwins religiöse Einstellung“) und 99f.
  14. Zitate nach der Übersetzung von Carl W. Neumann für die Ausgabe im Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1963, Kap. 15.
  15. Zur damaligen Argumentationslage siehe Lefèvre: Entstehung, S. 69–106.