110. Infanterie-Division (Wehrmacht)

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110. Infanterie-Division

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Aktiv Dezember 1940 bis 3. August 1944
Staat Deutsches Reich NS Deutsches Reich
Streitkräfte Wehrmacht
Teilstreitkraft Heer
Truppengattung Infanterie
Typ Infanterie-Division
Gliederung Gliederung
Aufstellungsort Lüneburg
Spitzname Wikingerdivision[1]
Zweiter Weltkrieg Schlacht von Rschew
Kommandeure
Liste der Kommandeure
Insignien
Truppenkennzeichen 2 Wikingerschiff

Die 110. Infanterie-Division (110. ID) war ein Großverband des Heeres der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Sie wurde im Dezember 1940 aufgestellt und bis Juni 1941 im besetzten Polen stationiert. Von dort aus nahm sie am Überfall auf die Sowjetunion teil. Sie wurde im Juli 1944 an der Ostfront in der Nähe von Minsk in Weißrussland vollständig vernichtet.

Divisionsgeschichte

Die 110. ID wurde als Teil der 12. Aufstellungswelle 1940 in Lüneburg im Wehrkreis X aus Teilen der 12. ID und 30. ID aufgestellt. Außerdem wurde das Heimat-Wachbataillon 400 in die 110. ID integriert. Im Rahmen des "Unternehmens Barbarossa" war die 110. ID in die Heeresgruppe Mitte integriert und nahm im Juni 1941 am Überfall auf die Sowjetunion teil. Im Dezember 1941 befand sich die 110. ID auf dem Rückzug der Frontlinie von Kalinin in südwestliche Richtung. Als Teil der 9. Armee kämpfte die Division 1942 in der Schlacht von Rschew. Wegen schwerer Verluste musste das GR 252 am 2. November 1943 aufgelöst und dessen Überlebende in die Divisionsgruppe 321 eingegliedert werden.

Verlauf der Kesselschlacht bei Minsk vom 29. Juni 1944, 22:00 Uhr bis zum 3. Juli 1944, 22:00 Uhr. Die 110. Infanterie-Division befand sich zu diesem Zeitpunkt zusammen mit der Panzergrenadierdivision „Feldherrnhalle“ an der Spitze der sich in Richtung Westen bewegenden Teile der 4. Armee.

Als Teil der 9. Armee war die 110. ID im März 1944 an einem Kriegsverbrechen beteiligt. Unter deutscher Besetzung Weißrusslands waren die arbeitsfähige Bevölkerung versklavt und die Arbeitsunfähigen deportiert worden. Die zurückgebliebenen Familienmitglieder, die sich nicht mehr selbst versorgen konnten – Frauen, Alte und Kinder –, wurden in drei eigens errichtete Sammellager bei Osaritschi verbracht. Die Lager befanden sich in einem Sumpfgebiet im Niemandsland zwischen deutscher und sowjetischer Frontlinie und sollte eine mögliche sowjetische Offensive stören. Insgesamt 33.000 Menschen, darunter 15.960 Kinder und 13.072 Frauen waren hier ohne jegliche Gebäude und Einrichtung interniert und ein bis zwei Wochen unversorgt gelassen. Gezielt wurden Typhuskranke unter die Insassen gemischt. Die Eingänge wurden vermint.[2]

Die 110. ID errichtete wie die 35. ID und die 129. ID Zwischenlager in Dörfern für die Unterbringung der Deportierten auf ihrem Weg in die Endlager ein. Auch an der Erfassung und dem Transport der Zivilisten im Divisionsbereich war die 110. ID beteiligt. Einheiten der 110. ID stellten Marschkolonnen für die Deportierten zu kleineren Lagern und übernahmen die Bewachung. Fluchtversuche und Widerstand wurden mit Waffengewalt gebrochen. Menschen, die den strapaziösen Marsch nicht durchhielten, insbesondere Kinder und Alte, wurden erschossen. Auch in den Lagern wurde ohne Vorwarnung auf Menschen geschossen, die sich den Zäunen näherten oder Feuer entfachen wollten.[3] Bis zur Befreiung durch die Rote Armee waren ca. 8.000 Menschen gestorben.[2] In der Divisionsgeschichte von Ernst Beyersdorff, wird das Verbrechen, das auch Gegenstand des Kriegsverbrecherprozesses in Gomel 1948 war, verschwiegen.[4]

Im Juli 1944 wurde die 110. ID im Zuge der sowjetischen Sommeroffensive Operation Bagration als Teil der 4. Armee in der Kesselschlacht von Minsk in Weißrussland fast völlig vernichtet. Am 30. Juni 1944 erreichte die 110. ID die Beresina; die Pioniere der Division erbauten unter erschwerten Bedingungen wie massierten Angriffen sowjetischer Schlachtflugzeuge und Artillerie-Dauerfeuer eine Behelfsbrücke über den Fluss. Fliehende Truppenteile wie z. B. versprengte Einheiten der Panzergrenadier-Division „Feldherrnhalle“, 78. Sturm-Division etc. drängten zunehmend auf die Pionierbrücke und verstärkten die Massenpanik der sich auflösenden Heeresgruppe Mitte. Am 1. Juli 1944 konnte sich die stark dezimierte Division nach schweren Verlusten aus dem Wald von Schorowez zurückziehen, erreichte den Meldekopf bei Borowino, welcher die zurückweichenden Truppen auffangen sollte, und wurde schließlich am 7. Juli 1944 16 Kilometer südwestlich von Minsk durch weit überlegene sowjetische Truppen gestellt. Angesichts der aussichtslosen Lage ordnete Generalleutnant von Kurowski die Kapitulation der wenigen Überlebenden an.[5] Von Kurowski und die Überreste seiner Kampfgruppe gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Am 3. August 1944 wurde die 110. Infanterie-Division aufgrund fehlenden Personals vollständig aufgelöst. In Lüneburg findet sich ein Denkmal der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Angehörigen der 110. ID.

Unterstellungen der 110. Infanterie-Division während des Zweiten Weltkriegs

Datum Armeekorps Armee Heeresgruppe Ort Schauplatz
Dezember 1940 in Aufstellung 11. Armee C Lüneburg Deutschland
Januar 1941
Mai 1941 WK XI Panzergruppe 2
Juli 1941 XXXXII zur Verfügung OKH Mitte Wilna Ostfront, Zentralabschnitt
August 1941 XXIII 9. Armee Smolensk
September 1941 VI
Oktober 1941 Panzergruppe 3 Wjasma
November 1941 zur Verfügung Klin
Dezember 1941 VI 9. Armee Rschew
Januar 1942
Februar 1942 XXVII
März 1942 XXIII
April 1942 XXVII
Mai 1942 XXIII
Januar 1943
April 1943 LV 2. Panzerarmee Brjansk
September 1943 9. Armee
Januar 1944 Rogatschew
Februar 1944 LVI Bobruisk
April 1944 XXXXI
Mai 1944 zur Verfügung
Juni 1944 XXXIX 4. Armee Orscha

Gliederung

  • Infanterie-Regiment 252
  • Infanterie-Regiment 254
  • Infanterie-Regiment 255
  • Artillerie-Regiment 120
    • I. Abteilung
    • II. Abteilung
    • III. Abteilung
    • IV. Abteilung
  • Panzerjäger-Abteilung 110
  • Aufklärungs-Abteilung 110
  • Nachrichten-Abteilung 110
  • Pionier-Bataillon 110
  • Nachschubtruppen

Kommandeure

Divisionskommandeure der 110. ID
Dienstzeit Dienstgrad Name
10. Dezember 1940 bis 24. Januar 1942 Generalleutnant Ernst Seifert
01. Februar 1942 bis 1. Juni 1943 Generalleutnant Martin Gilbert
01. Juni bis 25. September 1943 Generalleutnant Eberhard von Kurowski
25. September bis 1. Dezember 1943 Oberst Albrecht Wüstenhagen
01. Dezember 1943 bis 11. Mai 1944 Generalleutnant Eberhard von Kurowski
011. bis 15. Mai 1944 Generalmajor Gustav Gihr
15. Mai bis Juli 1944 Generalleutnant Eberhard von Kurowski
Generalstabsoffiziere (Ia) der 110. ID
Dienstzeit Dienstgrad Name
10. Dezember 1940 bis 3. November 1941 Oberstleutnant Heinrich Gäde
Februar 1942 Major Wilhelm Freiherr von Malzahn
10. April 1942 bis 20. September 1943 Oberstleutnant Karl Kleyser
10. Dezember 1943 bis Juli 1944 Oberstleutnant Karl Bieling

Auszeichnungen

Insgesamt wurden neun Divisionsangehöriger mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet und 83 mit dem Deutschen Kreuz in Gold.

Ritterkreuzträger
Dienstgrad Name Einheit Verleihungsdatum
Oberfeldwebel Friedrich Fluhs Zugführer 5. Kp./GR 255 4. Nov. 1943
Hauptmann Walter Westenberger Bataillonskommandeur I. Btl./GR 255 12. Nov. 1943
Major Deert Jacob Reeder Bataillonskommandeur II. Btl./GR 254 30. Nov. 1943
Oberleutnant Ulrich Roggenbau Kompaniechef 7. Kp./GR 254 30. Nov. 1943
Leutnant Heinz Fritzler Führer 1. Kp./Divisions-Füsilier-Btl. 110 5. Dez. 1943
Hauptmann Heinz Möhring Bataillonskommandeur II. Btl./GR 255 6. März 1944
Obergefreiter Adolf Waßmann MG-Schütze 6. Kp./GR 255 16. März 1944
Feldwebel Hugo Großmann stellvertretender Führer 3. Kp/GR 252 26. März 1944
Oberfähnrich Hermann Tönnies Ordonnanz-Offizier Stab I. Btl./GR 255 20. Apr. 1944

Denkmal an die 110. Infanterie-Division

Ein Veteranenverband ließ im Jahr 1960 einen Gedenkstein in Lüneburg aufstellen. Die Stadt Lüneburg sagte zu, das Denkmal zu bewahren und zu pflegen. Im Jahr 2020 klagten ein Überlebender des Holocaust, sowie zwei weitere Menschen jüdischen Glaubens auf Verhüllung des Denkmals, da sie sich durch den Stein in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sahen. Die Stadt hatte inzwischen neben dem Stein eine erläuternde Tafel mit der Aufschrift „Erinnerungskultur ist zeit- und kontextgebunden“ aufgestellt.[6]

Literatur

  • Ernst Beyersdorff: Geschichte der 110. Infanterie Division. Podzun Verlag, Bad Nauheim 1965.
  • Karl Kleysex: Archivmaterial der 110. Infanterie Division. Selbstverlag des Traditionsverbandes.
  • Traditionsverband der 110. Infanterie-Division: Fragmente aus dem Rußlandfeldzug der 110. Infanterie Division. Selbstverlag.
  • Georg Tessin: Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939–1945, Band 6: Die Landstreitkräfte. Nr. 71–130. 2. Auflage. Osnabrück 1979, ISBN 3-7648-1172-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. https://kunstraum.leuphana.de/veranstaltungen/hinterbuehne.html
  2. a b Christian Gerlach: In: Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Wehrmacht und Vernichtungspolitik. Militär im nationalsozialistischen System. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, S. 103; Christoph Rass: „Menschenmaterial“. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945. Schöningh, Paderborn 2003, S. 386 (online).
  3. Christoph Rass: „Menschenmaterial“. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945. Schöningh, Paderborn 2003, S. 394–401 (online).
  4. Christoph Rass: „Menschenmaterial“. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945. Schöningh, Paderborn 2003, S. 388 (online).
  5. Ernst Beyersdorff: Geschichte der 110. Infanterie Division. Podzun Verlag, 1965, S. 150–158.
  6. DER SPIEGEL: Lüneburg: Holocaust-Überlebender klagt auf Verhüllung von Wehrmachtsdenkmal - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 12. September 2020.