220-kV-Leitung Ronsdorf–Letmathe

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Einer der Endpunkte der Leitung: Das Umspannwerk Genna. Rechts der erste Mast des letzten noch bestehenden Teilstückes der Leitung

Die 220-kV-Leitung Ronsdorf–Letmathe war eine 33 km lange, zweikreisige Drehstrom-Hochspannungs-Freileitung, die 1922 durch das RWE als erste Hochspannungsleitung dieser Spannungsebene in Europa errichtet wurde. Ihr Bau wurde sowohl als Versuchsaufbau für den noch nicht erprobten Betrieb mit höheren Spannungen als auch als erstes Teilstück eines geplanten Verbundnetzes ausgeführt. Die Erkenntnisse, die durch den Betrieb gewonnen wurden, flossen in den Bau der Nord-Süd-Leitung ein, die sich ihrerseits wiederum zum Rückgrat des deutschen Höchstspannungsnetzes entwickelte.

Bis 2007 war die Leitung noch mit den Originalmasten aus den 1920er Jahren in Betrieb. Im Zuge des Wegfalls der 220-kV-Ebene im Umspannwerk Ronsdorf und des Neubaus einer 380-kV-Schaltanlage im nahe gelegenen Umspannwerk Linde wurde die Leitung entbehrlich und bis auf ein kurzes Teilstück zwischen Hagen-Oege und dem Umspannwerk in Iserlohn-Genna ersatzlos demontiert.

Geschichte

Vorgeschichte

Seit Ende des Ersten Weltkrieges entwickelte sich das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk mit dem Ausbau des Goldenbergwerkes vom örtlichen Kraftwerksbetreiber im Kölner Raum zum überregionalen Energieversorger. Ein mit 110 kV betriebenes Freileitungsnetz verband die Kraftwerke mit den großen Verbrauchern, etwa dem Erftwerk in Grevenbroich und den Industriezentren im Bergischen Land.

Anfang der 1920er Jahre, als das Leitungsnetz bereits über 500 km lang war, bestanden Planungen für ein Verbundnetz mit den Wasserkraftwerken im Südschwarzwald, der Schweiz und Vorarlberg unter der Federführung des damaligen technischen Vorstandes Arthur Koepchen. Als technisches Problem stellte sich jedoch die Aufgabe dar, den Strom über eine Entfernung von rund 700 km wirtschaftlich und ohne größere Übertragungsverluste zu transportieren. Die hierzu zu erstellende Leitung sollte deshalb mit dem Doppelten der damals als technisch maximal möglich geltenden Spannung von 110 kV betrieben werden. Man errechnete, dass bei 220 kV Spannung und einer Stromkreislänge von 400 km bei einer Übertragungsleistung bis 110 MVA der maximale Übertragungsverlust bei 10 % lag.[1][2]

Planung

Bestärkt wurde Koepchens Vision eines 220-kV-Verbundnetzes durch die Tatsache, dass 1921 die Southern California Edison Company (SCE) in den USA eine Freileitung in Betrieb nahm, die mit 150 kV betrieben wurde und auf 220 kV umstellbar war.[3] Sie war Teil eines Wasserkraftprojektes, das die Energie aus dem Big Creek Hydroelectric Plant mit einer 270 Meilen (432 km) entfernten Umspannanlage bei Los Angeles verband.

Das Funktionieren dieses Projektes überzeugte Koepchen von der technischen Machbarkeit höherer Spannungen. Obwohl 220 kV bislang noch nirgendwo in Europa genutzt wurden, ging er das Wagnis ein und plante die Errichtung einer ersten Teststrecke im RWE-Netzgebiet.

Im selben Jahr erwarb das RWE die Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke (BKB) mit Sitz in Helmstedt. Es folgten weitere Pläne zum Verbundnetzausbau, neben der Leitung nach Süden sollte eine zweite Verbundleitung nach Osten ins mitteldeutsche Braunkohlenrevier, an dem die BKB Anteile hatte, gebaut werden und so einen Energieaustausch mit den rheinischen Kohlekraftwerken ermöglichen.

Bau und Betrieb

Basierend auf dieser Idee, einen Anschluss an das BKB-Gebiet zu erstellen, wurde von 1922 bis 1923 die Testleitung auf einer 33 km langen, von Südwest nach Nordost verlaufenden Trasse im Bergischen Land und im Sauerland errichtet.[4] Würde sich das Projekt als erfolgreich herausstellen, sollte die Leitung westlich und östlich verlängert werden und eine Direktverbindung aus dem Kölner Raum in die Braunschweiger Region herstellen.

Mit der Inbetriebnahme stellten sich schon die ersten Probleme ein: Koronaentladungen an den Isolatoren sorgten für verstärkte Funkenbildung, die der Freileitung schnell den Spitznamen Feuerwerksleitung gaben.[5] Dieses Problem wurde gelöst, indem das RWE in Zusammenarbeit mit AEG, den Siemens-Schuckertwerken und Felten & Guilleaume ein Kupfer-Hohlseil von 42 mm Durchmesser entwickelte.[6] Alternativ hätten – bei Verwendung eines Vollseiles – die Masten verstärkt werden müssen, was sich wiederum auf den Materialverbrauch und somit die Bau- und Betriebskosten niedergeschlagen hätte.

Nachdem die Leitung erfolgreich im Testbetrieb lief, besichtigten Koepchen und Ernst Henke, Direktor und juristischer Vorstand des RWE, die Anlagen der SCE in Kalifornien. Es ergab sich hierbei, dass der Stand der Technik in den USA zum damaligen Zeitpunkt derselbe wie in Deutschland gewesen ist.[7] Anschließend wurden die Anlagen der Pacific Gas and Electric Company besucht, die ebenfalls ihren Strom über eine mehrere hundert Kilometer lange Leitung aus einem Wasserkraftwerk bezogen.

Der Betrieb der Leitung Ronsdorf–Genna und die beiden ebenso erfolgreichen Wasserkraft-Verbundprojekte in Kalifornien überzeugten das RWE dann endgültig von der Machbarkeit des Verbundbetriebes zwischen rheinischer Kohle- und alpiner Wasserkraft. Nachdem im Jahre 1923 die Aktienmehrheit an der Elektrizitäts-AG vormals W. Lahmeyer & Co. übernahm und damit in den Besitz zahlreicher süddeutscher Energieversorger gelang, startete man ein Jahr später, 1924, dann tatsächlich mit dem Projekt.

Die Erfahrungen, die durch die 220-kV-Testleitung gewonnen wurden, flossen ihrerseits wieder beim Bau des als Nord-Süd-Leitung bezeichneten Verbundsystems mit ein. Dieses wurde statt für 220 kV allerdings – als erste Hochspannungsleitung weltweit – gleich für eine noch höhere Spannung von 380 kV dimensioniert.[7]

Verlauf

220-kV-Leitung Ronsdorf–Letmathe (Nordrhein-Westfalen)
UW Genna
UW Ronsdorf
Umspannwerke der Leitung Ronsdorf–Letmathe, Nordrhein-Westfalen

Die Leitung begann am Umspannwerk Genna in Iserlohn-Letmathe, das eine direkte Verbindung zum Pumpspeicherkraftwerk Koepchenwerk besitzt und führte zum alten Umspannwerk von Wuppertal-Ronsdorf, einem wichtigen Knotenpunkt der elektrischen Energieverteilung im Bergischen Land mit Anschluss an die Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Braunkohlerevier.

Sie verlief vom Umspannwerk Genna an der Lenne bei Iserlohn-Letmathe entlang, überquerte das Nahmertal bei Hagen-Hohenlimburg, die Bundesautobahn 45, bei Hagen-Dahl die Volme führte südlich an Breckerfeld-Zurstraße vorbei, querte das Ennepetal bei Peddenöde, führte nördlich an Ennepetal-Rüggeberg vorbei, querte das Heilenbecker Bachtal bei Wellenbecke, und östlich von Beyenburg die Wupper in Höhe des Beyenburger Stausees. Endpunkt der Leitung war das alte Ronsdorfer Umspannwerk.

Die Masten der Leitung waren Tannenbaummasten und unterschieden sich in ihrer Form etwas von den später eingesetzten Masten für 220-kV-Leitungen der RWE, da sie mit weniger Materialverbrauch errichtet wurden, breitere Traversen haben und über eine eckige Mastspitze verfügen.

Koordinaten

Umspannwerk Genna: !551.3597565507.607118551° 21′ 35,1″ N, 007° 36′ 25,6″ O
Altes Umspannwerk Ronsdorf: !551.2208335507.215833551° 13′ 15,0″ N, 007° 12′ 57,0″ O
Neues Umspannwerk Linde: !551.2322225507.233056551° 13′ 56,0″ N, 007° 13′ 59,0″ O

Rückbau

Die alte 220-kV-Schaltanlage im Umspannwerk Ronsdorf wurde 2007 demontiert und durch eine bereits einige Jahre vorher errichtete 380-kV-Anlage im nahegelegenen Umspannwerk Linde ersetzt, die an die 380-kV-Leitung OpladenDauersberg angebunden ist. Auch wurde im Umspannwerk Genna der 220-kV-Transformator entfernt, sodass die Anlage heute nur noch über die Hochspannungsebene von 220 kV verfügt.

Im Zuge dieser Umstellung und aufgrund des hohen Alters der Leitungsmasten wurde die Leitung auf einem Großteil ihrer Länge zwischen Wuppertal-Ronsdorf und Oege (Punkt Ochsenkopf) im Anschluss vollständig demontiert.

Der letzte noch verbliebene Abschnitt auf Originalmasten zwischen dem Punkt Ochsenkopf und Genna soll in den nächsten Jahren aufgrund des Alters erneuert werden, wobei die neuen Mastkonstruktionen für eine Spannung von 110 kV ausgelegt sein werden. Diese neue, ca. 1,3 km lange Leitung erhält dann die neue Bauleitnummer 1385. Es müssen jedoch nicht alle Masten erneuert werden, so stammt der letzte Mast vor der Einführung ins Umspannwerk Genna (siehe Bild) aus dem Jahr 1993, der südliche Endmast aus dem Jahr 2007.[8]

Einzelnachweise

  1. Theo Horstmann, Klaus Kleinekorte: Strom für Europa – 75 Jahre RWE-Hauptschaltleitung Brauweiler 1928-2003. Klartext Verlag Essen 2003
  2. W. Wolff: Die Entwicklung der Hohlseile. In: Elektrotechnische Zeitschrift 47/1926, S. 969f
  3. Big Creek Hydroelectrical System, Powerhouse 1 (Memento vom 27. Februar 2014 im Internet Archive), Seite 8, abgerufen am 4. November 2016
  4. Leonhard Müller: Handbuch der Elektrizitätswirtschaft: Technische, wirtschaftliche und rechtliche Grundlagen. Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2001, S. 32
  5. Hermann Roser: Hier berichtet die Abteilung E. In: RWE Verbund, Heft 2, 1953, S. 18–23
  6. Walter Schossig: Kabel und Leitungen (Memento vom 4. November 2016 im Internet Archive), Chronik der Elektrotechnik, abgerufen am 2. November 2016
  7. a b Ulrich Pleitgen: In Gedanken bei Arthur Koepchen (1878–1954), abgerufen am 2. November 2016
  8. 110-kV Hochspannungsfreileitung Genna – Pkt. Ochsenkopf, Bauleitnummer (Bl.) 1385, Ersatzneubau der Maste Nr. 2-7. Landschaftspflegerischer Begleitplan, November 2013/Mai 2014