Sperrklausel

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(Weitergeleitet von 5%-Hürde)

Eine Sperrklausel ist eine Regelung in einem Verhältniswahlrecht, nach der Parteien oder Listen unterhalb eines bestimmten Anteils an allen Stimmen nicht bei der Verteilung der Mandate berücksichtigt werden. Damit soll einer „Zersplitterung“ des Parlaments entgegengewirkt werden.

Neben dieser „expliziten“ Sperrklausel gibt es auch eine "implizite" (auch: faktische) Sperrklausel. Sie meint die nötige Mindestmenge an Stimmen einer Partei, um den Anspruch auf ein erstes Mandat zu erhalten. Diese Mindestmenge ergibt sich bereits aus der Anzahl der zu besetzenden Mandate und dem genutzten Sitzzuteilungsverfahren.

Bei einer expliziten Sperrklausel wird die Höhe der Sperre durch ein Gesetz vorgeschrieben (z. B. 5 % der abgegebenen Stimmen). Ist nur von „Sperrklausel“ die Rede, ist in der Regel eine explizite Sperrklausel gemeint.

Vorteile von expliziten Sperrklauseln

Die Rechtfertigung von Sperrklauseln ist, die „Zersplitterung“ der Sitzverteilung zu verhindern und damit eine stabile Mehrheit für die Regierungsbildung zu ermöglichen und zu sichern.[1][2][3][4]

Ohne Sperrklauseln finden sich bei Verhältniswahlen häufig viele kleine Parteien im Parlament, teils auch Splittergruppen. Dies erschwert die Regierungsbildung. Oft ist in so einem Fall die Koalitionsmehrheit nur knapp, so dass Klein- und Kleinstparteien ein relativ hohes Gewicht bei Entscheidungen zukommen kann.

Nachteile von expliziten Sperrklauseln

Durch eine Sperrklausel verringert sich die Anzahl der Parteien im Parlament. Gleichzeitig modifiziert sie die Gleichheit der Wahl, weshalb die Einführung und die Höhe einer Sperrklausel gegen die Gefahr, die von der Parteienzersplitterung ausgeht, abgewogen werden muss. Ein Gegenbeispiel gegen das Argument, das Parteizersplitterung die Funktionsfähigkeit von Volksvertretungen beeinträchtigt, zeigt sich am Beispiel der Niederlande mit zurzeit 17 Parteien, wo Parteien mit nur einem Sitz erlaubt sind.

Eine Kritik von expliziten Sperrklauseln ist, dass Wahlsysteme mit Sperrklauseln zu Verzerrungen führen und die Gleichheit der Wahl modifizieren, weil Stimmen für an der Sperrklausel scheiternde Parteien verfallen, die übrigen Stimmen dafür ein höheres Gewicht erhalten. Sperrklauseln seien außerdem problematisch, da sie sich auf das Wahlverhalten auswirken könnten. So könnte aus wahltaktischen Überlegungen heraus eine „große Partei gewählt“ werden, weil die Stimme nicht an eine Partei „verschenkt“ werden soll, die voraussichtlich nicht über die festgelegte Hürde kommt. Andererseits könne eine Stimme auch als Leihstimme an eine Partei vergeben werden, die ansonsten an der Sperrklausel scheitern könnte. Eine immer wieder diskutierte Möglichkeit zur Begrenzung des taktischen Wahlverhaltens ohne gleichzeitige Aufhebung der Sperrklausel ist die Einführung einer Ersatzstimme.[5]

Einzelne Politiker sehen Sperrklauseln dagegen grundsätzlich kritisch. So wertet Hans-Christian Ströbele Sperrklauseln als grundsätzlich undemokratisch, da sie neuen politischen Bewegungen den Weg in die Parlamente erschweren würden.[6] Ebenso kritisierte Ralf-Uwe Beck, Bürgerrechtler und einer der Vorsitzenden des Vereins Mehr Demokratie, den Status quo und nannte als Lösung entweder die „Fünf-Prozent-Sperrklausel zu senken oder abzuschaffen“ oder „eine Ersatzstimme für die Wähler, die davon ausgehen, dass die von ihnen favorisierte Partei möglicherweise an der Sperrklausel hängen bleibt.“[7]

Vermeidung der Zersplitterung ohne Sperrklausel

Um auch ohne Sperrklausel eine Zersplitterung des Parlaments zu verhindern, besteht im Schweizer Nationalrat und in vielen kantonalen Parlamenten ein Mindestanzahl von Mandaten, um eine Fraktion zu bilden. Die (eigentliche) politische Arbeit findet in den Kommissionen statt – die an Fraktionen vergeben werden (und nicht an Parteien); die Kommissionen bestehen i. d. R. aus Mandatsträgern von allen Parteien. Mandatsträger aus Parteien, die weniger als die Mindestquote für eine eigene Fraktion erlangt haben, können sich einer von einer anderen Partei gebildeten Fraktion anschließen. Mandatsträger ohne Fraktion haben kaum Einfluss und insbesondere kaum „Schadenpotential“. Im Europäischen Parlament funktioniert ein System der Fraktionen, welches die 206 Parteien[8] in 7 Fraktionen organisiert.

Sperrklauseln in verschiedenen Staaten

Deutschsprachige Staaten

Deutschland

Sperrklauseln gibt es in Deutschland – jeweils in Höhe von 5 Prozent – bei der Bundestagswahl und allen Wahlen der Landesparlamente. Bei Kommunalwahlen[9] und bei Europawahlen[10] gibt es keine Sperrklauseln (mehr). Bei der Wahl zur Bremischen Stadtbürgerschaft gilt weiterhin eine Sperrklausel in Höhe von 5 %. In Berlin gilt für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen eine explizite Hürde in Höhe von 3 Prozent. Auch in Hamburg gilt für Wahlen zu den vergleichbaren Bezirksversammlungen eine 3-Prozent-Sperrklausel. Diese war im Januar 2013 vom Hamburgischen Verfassungsgericht als Bestandteil des Wahlgesetzes zunächst verworfen worden[11], wurde aber schon im Dezember 2013 von der Hamburger Bürgerschaft – nun als Teil der Verfassung – wieder eingeführt.[12]

Die Einführung der Fünf-Prozent-Hürde wurde in der Bundesrepublik Deutschland damit begründet, dass das Fehlen einer Sperrklausel in der Weimarer Republik die Zersplitterung gefördert habe.[13] Damals waren bis zu 17 Parteien im Reichstag vertreten.

Die Sperrklausel für den Bundestag ist – seit dem 8. Juli 1953[14] – durch § 6 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes geregelt. Demnach muss eine Partei bundesweit mindestens fünf Prozent der Stimmen erhalten, um in den Bundestag einzuziehen. Diese Fünf-Prozent-Hürde kann allerdings durch die Grundmandatsklausel überwunden werden: Falls eine Partei mindestens drei Direktmandate erringt, zieht sie mit einer ihrem prozentualen bundesweiten Stimmenanteil entsprechenden Anzahl von Abgeordneten in den Bundestag ein. Auch gilt sie nicht für Parteien nationaler Minderheiten.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Fünf-Prozent-Sperrklausel auf Bundesebene in seiner bisherigen Rechtsprechung bislang grundsätzlich für verfassungsgemäß, wobei es betont, dass „die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden kann“; die aktuellen Verhältnisse seien also zu berücksichtigen.[15] In einigen Bundesländern wurde die Sperrklausel auf kommunaler Ebene aufgrund geänderter Ansichten der Rechtsprechung abgeschafft.

Explizite Ausnahmen von der Sperrklausel gelten auf Bundesebene nach § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG sowie in einigen Ländern (beispielsweise Schleswig-Holstein nach § 3 Abs. 1 S. 2 SchlHWahlG) für nationale Minderheiten. Relevant ist dies insbesondere in Schleswig-Holstein bei der Ausnahmeregelung für die dänische Minderheit, die der SSW repräsentiert.[16]

Bei der Bundestagswahl 2013 wurden durch die 5-Prozent-Sperrklausel 15,7 % aller Wählerstimmen ausgeschlossen.[17]

Mit dem Kommunalvertretungsstärkungsgesetz wurde mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen des Landtags Nordrhein-Westfalen eine Sperrklausel von 2,5 Prozent für Kommunalwahlen in Art. 78 Abs. 1 S. 3 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen eingeführt, die jedoch durch den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage als nicht mit höherrangigem Landesverfassungsrecht, genauer mit der Gleichheit der Wahl mit Urteilen vom 21. November 2017[18] für ungültig erklärt wurde.[19]

Europawahl in Deutschland

Für die Wahlen zum Europaparlament hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) erlassen. In der Fassung vom 8. März 1994 sah es in § 2 Abs. 7 eine Sperrklausel von 5 Prozent vor. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Regelung am 9. November 2011 für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Zur Begründung dieser Entscheidung, die von der Bewertung der Sperrklauseln für nationale Wahlen abweicht, verwiesen die Richter auf strukturelle Unterschiede zwischen dem EU-Parlament und dem Bundestag: Das EU-Parlament wähle keine Regierung, die auf seine andauernde Unterstützung angewiesen sei. Dass die Arbeit des Parlaments durch den Einzug weiterer Kleinparteien unverhältnismäßig erschwert werde, sei nicht zu erkennen.[20]
Der CDU-Bundesparteitag sowie einige SPD-Landesverbände forderten daraufhin Ende 2012 die ersatzweise Einführung einer Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen; die CSU präferierte die Einrichtung von Wahlkreisen und Umstellung auf D’Hondt, was auch zu einer deutlichen Erhöhung der faktischen Sperrklausel führen würde. Auch das Europäische Parlament verabschiedete im November 2012 eine Entschließung, in der die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, „geeignete und angemessene Mindestschwellen“ für die Sitzvergabe einzuführen.[21][22]

Am 13. Juni 2013 beschloss der Deutsche Bundestag eine Drei-Prozent-Sperrklausel für die Europaparlamentswahlen.[6] Dagegen kündigten mehrere kleinere Parteien Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, außerdem organisierte der überparteiliche Verein Mehr Demokratie eine Klage gegen das Gesetz.[23][24][25] Am 26. Februar 2014 verkündete das Gericht das Urteil mit dem Tenor, dass die Drei-Prozent-Sperrklausel verfassungswidrig ist. Um differenzierende Regelungen bei der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien zu rechtfertigen, bedürfe es eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Dieser ist nach Ansicht der Senatsmehrheit nicht gegeben. Das Urteil nimmt in seiner Begründung Bezug auf das Urteil vom 9. November 2011. Somit bestand für die Europawahl 2014 keine Sperrklausel.[26][27]

Liechtenstein

In Liechtenstein gilt für die Wahlen zum Liechtensteinischen Landtag eine Sperrklausel von 8 %. Nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Jahr 1918 galt zunächst ein Majorzwahlrecht ohne Sperrklausel. Im Rahmen des Burgfriedens zwischen den verschiedenen Liechtensteiner Parteien wurde 1936 auf ein Proporzwahlrecht umgestellt und zugleich eine Sperrklausel von 18 % im Wahlgesetz verankert. Im Jahr 1962 hob der Liechtensteiner Staatsgerichtshof diese Sperrklausel auf, da sie der Verfassung widersprach. Im Jahr 1973 wurde schließlich die bis heute gültige Sperrklausel von 8 % in die Landesverfassung aufgenommen.[28]

Österreich

In Österreich existiert eine Vier-Prozent-Hürde bei den Wahlen zum Nationalrat und bei den Landtagswahlen im Burgenland, in Nieder- und Oberösterreich. Bei Landtagswahlen in der Mehrzahl der Bundesländer, nämlich Wien, Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Kärnten, gilt eine höhere Fünf-Prozent-Hürde, in der Steiermark gibt es bei Landtagswahlen überhaupt keine (explizite) Sperrklausel. Die Erreichung eines Grundmandats führt zur Umgehung der jeweiligen Sperrklausel, ist aber in der Steiermark Grundbedingung für die Vertretung im Landtag.

Ebenfalls gibt es gemäß § 77 Abs. 2 Europawahlordnung (EuWO) auch bei den österreichischen Europawahlen eine Sperrklausel. Nach dieser haben Parteien, denen im ganzen Bundesgebiet weniger als 4 % der abgegebenen gültigen Stimmen zugefallen sind, keinen Anspruch auf die Zuweisung von Mandaten.

Schweiz

In der Schweiz gibt es bei Wahlen auf eidgenössischer Ebene (Nationalrat und Ständerat) keine Sperrklauseln. Allerdings kennen zehn der insgesamt 26 Schweizer Kantone Sperrklauseln in unterschiedlicher Höhe für die Wahl zum jeweiligen Kantonsparlament. Der Kanton Genf kennt eine Sieben-Prozent-Hürde, der Kanton Neuenburg eine Drei-Prozent-Hürde. Der Kanton Schwyz verwendet bei 100 zu vergebenden Mandaten eine Ein-Prozent-Hürde, es kann also nicht lediglich ein Restmandat erzielt werden. Genauso muss im Kanton Tessin bei 90 zu vergebenden Mandaten explizit mindestens 1/90 der Stimmen (Hare-Quote) erreicht werden.

Im Kanton Zürich muss in mindestens einem Wahlkreis die Fünf-Prozent-Hürde erreicht werden. Falls dies der Fall ist, nimmt die betreffende Partei in allen Wahlkreisen an der Sitzverteilung teil. In den Kantonen Waadt und Basel-Stadt wird eine Partei nur in Wahlkreisen berücksichtigt, wo die Fünf- bzw. Vier-Prozent-Hürde überwunden wurde, die Stimmen in den übrigen Wahlkreisen verfallen.

In den Kantonen Aargau und Zug muss eine Partei entweder 3 % erreichen, oder in mindestens einem Wahlkreis 5 %.

Im Kanton Wallis berechtigt das Erreichen der Acht-Prozent-Hürde in mindestens einem Unterwahlkreis zur Teilnahme an der Sitzverteilung im jeweiligen übergeordneten Wahlkreis.

Europäische Staaten

Albanien 3 % der gültigen Stimmen für Einzelparteien, 5 % für Mehrparteienbündnisse, jeweils auf Wahlgebietsebene (nur in der Region Tirana praktisch relevant)[29]
Belgien 5 % (auf Wahlkreisebene)
Bosnien-Herzegowina 3 % (auf Wahlkreisebene)
Bulgarien 4 %
Dänemark
Färöer
2 % oder ein Wahlkreismandat (d. h. ein im Großwahlkreis erzieltes Mandat; die Großwahlkreise sind Mehrmandatswahlkreise mit 10 zu 20 nach dem D'Hondt-Verfahren zu vergebende Mandate; im größten Großwahlkreis, Seeland, würde eine Partei also mit ungefähr 5 % ein Wahlkreismandat erzielen)
keine Sperrklausel bei der Løgtingswahl[30]
Deutschland 5 % der gültigen Zweitstimmen oder 3 Direktmandate zur Teilnahme am Verhältnisausgleich auf Bundesebene; 5 % der gültigen (Berlin: abgegebenen) Zweitstimmen auf Landesebene; 3-%-Hürde bei der Europawahl wurde vom Bundesverfassungsgericht verworfen, daher 2014 und 2019 keine Sperrklausel; keine Sperrklausel auf Kommunalebene mit Ausnahme der Bezirksverordnetenversammlungen Berlin und Hamburg (3 %) sowie der Wahl zur Stadtgemeinde Bremen (5 %); Sperrklausel bei der Wahl der Bezirksvertretungen und der Regionalversammlung Ruhr in Nordrhein-Westfalen (2,5 %)
Estland 5 %
Georgien 7 % regional, 1 % Parlamentswahlen (ehemals 5 %)
Griechenland 3 %
Island 5 % (nur für Ausgleichsmandate)
Italien

Aostatal[Anm. 1]
3 %
2/35, also etwa 5,714 % (doppelte Hare-Quote)
Kosovo 5 %
Kroatien (Sabor) 5 % (auf Wahlkreisebene)
Lettland 5 %
Liechtenstein 8 % (seit 1973, zuvor 18 %)
Litauen Seimas: 5 % (Parteien), 7 % (Parteienbündnisse)
Moldawien 5 % (Parteien), 3 % (Parteilose), 12 % (Parteienbündnisse)
Montenegro 3 %
Niederlande 1/150, also etwa 0,667 % (Hare-Quote)
Nordzypern 5 %
Norwegen 4 % (nur für Ausgleichsmandate)
Österreich 4 % der gültigen Stimmen oder ein Grundmandat; Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich: 4 %; andere Bundesländer: 5 %; Steiermark: Grundmandat notwendig
Polen 5 % (Parteien), 8 % (Parteienbündnisse)
Rumänien 5 % (Parteien), 8 % bzw. 10 % (Parteienbündnisse)
Russland 7 %
San Marino 3,5 %
Schweden 4 % (oder 12 % in einem Wahlkreis) bei Reichstagswahlen, 3 % bei Wahlen zum Provinziallandtag, keine Sperrklausel auf kommunaler Ebene[Anm. 2]
Schweiz Keine Sperrklausel im Nationalrat; Mindestquote von 5 Mandaten zur Bildung einer parteieigenen Fraktion. Bei zehn Kantonsparlamenten Sperrklauseln von 1 % bis 8 % (siehe oben).
Serbien 5 %
Slowakei 5 % (Parteien), 7 % (Parteienbündnisse aus zwei Parteien), 10 % (Parteienbündnisse)
Slowenien 4 %
Spanien 3 % (pro Wahlkreis, also nicht Gesamtstaatebene; die faktische Sperrklausel ist in den meisten Wahlkreisen wegen der geringen Zahl der zu vergebenden Mandate wesentlich höher)
Tschechien 5 % der gültigen Stimmen (8 % für Zweiparteienbündnisse, 11 % für Mehrparteienbündnisse)[31]
Türkei 7 %
Ukraine 5 %
Ungarn 5 % (10 % für Zweiparteienbündnisse, 15 % für Mehrparteienbündnisse)[32]
Zypern 2/56 ≈ 3,57 % (doppelte Hare-Quote)
Europäische Union je nach Wahlkreis Sperrklausel von 0% bis 5%, in einzelnen Wahlkreisen >10% faktische Sperrklausel, keine Sperrklausel auf Parlament-Ebene
  1. Das Aostatal ist eine autonome Region mit Sonderstatut
  2. Bei Wahlen in Schweden wird eine modifizierte Variante des Sainte-Laguë-Verfahrens verwendet, die kleinere Parteien etwas benachteiligt. Kommunen mit weniger als 12.000 Einwohnern – dies sind ca. ein Drittel der 290 schwedischen Kommunen – haben einen Gemeinderat von 31 Mitgliedern, was auch ohne formale Sperrklausel vergleichbare Hürden für kleine Parteien schaffen kann.

Weitere Staaten

Argentinien 3 % der Wahlberechtigten auf Wahlkreisebene (nur in der Provinz Buenos Aires praktisch relevant)[33]
Israel 3,25 %
Kasachstan 7 %
Neuseeland 5 % oder 1 Direktmandat[34]
Osttimor 4 %[35]

Länder ohne Sperrklauseln

Es gibt mehrere Länder ohne Sperrklauseln, z. B. Südafrika, Portugal, Finnland und Nordmazedonien. Sie haben Verhältniswahlsysteme ohne eine gesetzliche Sperrklausel (in den letzten drei Ländern allerdings durch getrennte Wahlbezirke eine höhere faktische Sperrklausel).

In Frankreich gibt es die Sperrklausel nur auf der Wahlkreisebene für den ersten Wahlgang, erreicht der Kandidat keine 50 % bzw. die absolute Mehrheit, reicht im zweiten die relative Mehrheit bei einem Quorum von 12,5 % aller Stimmen.[36] Alle Politiker werden somit direkt vom Volk gewählt, vergleichbar der Erststimme in Deutschland, hierbei allerdings ohne Parteien-Sperrklausel. Die Parlamentarier schließen sich in der Nationalversammlung zum größten Teil wieder zu Fraktionen zusammen.

Bei der Wahl zum libyschen Nationalkongress 2012 gab es keine Sperrklausel für die 80 durch Verhältniswahl gewählten Sitze. Dadurch gelang es 21 Parteien, ins Parlament einzuziehen; 15 von diesen erhielten nur einen Sitz. Weitere 120 der insgesamt 200 Sitze wurden von vornherein an unabhängige parteilose Abgeordnete vergeben. Eine mögliche Regierungsbildung durch einzelne Großparteien wird so bereits im Grundsatz vermieden.

Natürliche Sperrklausel

Selbst Lander ohne Sperrklausel haben die natürliche Sperrklausel, auch faktische Sperrklausel genannt. Diese wird verursacht durch die Hürde, den ersten Sitz zu erreichen. Die Anzahl der Stimmen, die notwendig ist, damit eine Partei mindestens ein Sitz bekommt unter der Annahme der proportionalen Vertretung, errechnet sich nach der Formel . Das bedeutet, dass in einem Bezirk mit vier Sitzen erst etwas mehr als 20 % der Stimmen einen Sitz garantieren. Unter günstigeren Umständen kann die Partei auch mit weniger Stimmen einen Sitz gewinnen.[37] Der wichtigste Faktor bei der Bestimmung der natürlichen Schwelle ist die Anzahl der vom Bezirk zu besetzenden Sitze. Andere, weniger wichtige Faktoren sind die Sitzzuteilungsformel (D'Hondt, Sainte-Laguë, LR-Droop oder Hare) und die Anzahl der kandidierenden politischen Parteien. Im Allgemeinen führen kleinere Bezirke zu einer höheren natürlichen Sperrklausel, und umgekehrt.[38]

Rechtsstatus

Das deutsche Bundesverfassungsgericht lehnte 2011 und 2014 eine Sperrklausel für das Europäische Parlament wegen der Verletzung der Wahlgleichheit ab.[39] Die Parlamentarische Versammlung des Europarates erklärte 2004 die 10% Sperrklausel der Türkei als zu hoch und forderte die Türkei auf sie zu senken.[40] Am 8. Juli 2008 entschied die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mit 13 zu vier Stimmen, dass die in der Türkei verhängte 10 %-Hürde nicht das Recht auf freie Wahlen verletzt. Sie stellte fest, dass derselbe Schwellenwert in einem anderen Land gegen die Konvention verstoßen könnte. Im Falle der Türkei war dies gerechtfertigt, um die instabile politische Situation der letzten Jahrzehnte zu stabilisieren.[41][42]

Einzelnachweise

  1. AFP: Bundesverfassungsgericht: Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahl unzulässig. In: zeit.de. 9. November 2011, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  2. www.dradio.de
  3. Bundestag Glossar. Abgerufen am 24. Mai 2022.
  4. Saarland wählt mit Sperrklausel. Abgerufen am 24. Mai 2022.
  5. Martin Fehndrich: Sperrklausel. wahlrecht.de, 4. September 2006, abgerufen am 6. August 2013.
  6. a b Zeit Online: Bundestag beschließt Drei-Prozent-Hürde für Europawahlen. 14. Juni 2013, abgerufen am 6. August 2013.
  7. Mitteldeutsche Zeitung: Mehr Demokratie fordert Neuregelung des Wahlrechts. In: Mitteldeutsche Zeitung. 24. September 2013, archiviert vom Original am 19. Oktober 2013;.
  8. Europäisches Parlament: Fakten und Zahlen März 2022
  9. Wilko Zicht: Übersicht über die Wahlsysteme bei Kommunalwahlen. 4. März 2010, abgerufen am 21. Dezember 2013.
  10. Der Bundeswahlleiter: Das Wahlsystem - Der Bundeswahlleiter. Abgerufen am 26. November 2018.
  11. VerfG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2013, Az. HVerfG 2/11 (PDF; 418 kB)
  12. Bericht des NDR vom 13. Dezember 2013 (Memento vom 11. September 2014 im Internet Archive)
  13. Raban Graf von Westphalen: Deutsches Regierungssystem, 2015, ISBN 9783486808445, S. 501, Digitalisat.
  14. wahlrecht.de: Die Entwicklung des Wahlgesetzes zum 2. Bundestag, abgerufen am 14. Mai 2012.
  15. Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 82, 322, 29. September 1990
  16. www.juraexamen.info
  17. www.bpb.de
  18. Verfassungsgerichtshof NRW, Urteile von 21. November 2017, Az. VerfGH 9/16; Az. VerfGH 11/16; Az. VerfGH 15/16-18/16; Az. VerfGH 21/16.
  19. LTO: VerfGH NRW: Sperrklausel verfassungswidrig. In: Legal Tribune Online. (lto.de [abgerufen am 22. November 2017]).
  20. Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts, abgerufen am 9. November 2011.
  21. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. November 2012 zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2014 (2012/2829(RSP)). europarl.europa.eu. 22. November 2012. Abgerufen am 3. November 2019.
  22. www.wahlrecht.de
  23. Zeit Online: Piraten klagen gegen Drei-Prozent-Hürde. 8. Oktober 2013, abgerufen am 18. Oktober 2013.
  24. Zeit Online: NPD klagt gegen Drei-Prozent-Hürde. 14. Juni 2013, abgerufen am 6. August 2013.
  25. Zeit Online: Mehr Demokratie e. V. klagt gegen Drei-Prozent-Hürde. 10. Oktober 2013, abgerufen am 18. Oktober 2013.
  26. Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht ist unter den gegenwärtigen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen verfassungswidrig. In: Pressestelle Bundesverfassungsgericht. Pressestelle Bundesverfassungsgericht. 26. Februar 2014. Abgerufen am 3. März 2014.
  27. Reinhard Müller: Europawahlen: Drei-Prozent-Hürde verfassungswidrig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Februar 2014. Abgerufen am 3. März 2014. 
  28. Artikel 46 (3) der Landesverfassung lautet: “Die Mandatszuteilung erfolgt unter den Wählergruppen, die wenigstens acht Prozent der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben.”
  29. The Electoral Code of the Republic of Albania (Memento vom 31. März 2010 im Internet Archive), Artikel 162; vor der Wahl 2009 waren es bei völlig anderem Wahlsystem 2,5 % bzw. 4 % der gültigen Stimmen auf nationaler Ebene (nur für die Vergabe von Ausgleichssitzen; Direktmandate wurden ohne weitere Bedingungen an den stimmenstärksten Kandidaten zugeteilt). Siehe auch Politisches System Albaniens#Parlament.
  30. Lögtingswahlgesetz § 34; das Løgting hat 33 Sitze, aber eine Partei mit weniger als 1/33 der Stimmen könnte durch die Aufrundung beim Divisorverfahren ein Mandat erzielen
  31. 247/1995 Sb. Zákon o volbách do Parlamentu České republiky. Abgerufen am 11. Juli 2021 (tschechisch).
  32. Act CCIII of 2011 On the Elections of Members of Parliament (Memento vom 26. April 2018 im Internet Archive), Art. 14 Abs. 1 und 2
  33. Código Electoral Nacional (Memento vom 8. Mai 2013 im Internet Archive), Artikel 160
  34. Electoral Commission: What is MMP? Abgerufen am 10. Oktober 2021.
  35. Timor Agora: PN APROVA BAREIRA ELEISAUN PARLAMENTAR 4%, 13. Februar 2017, abgerufen am 23. März 2017.
  36. https://www.wahlrecht.de/ausland/franzoesisch.html
  37. Report on Thresholds and other features of electoral systems which bar parties from access to Parliament (II) (Britisches Englisch) In: www.venice.coe.int . 2010. Abgerufen am 26. August 2018.(englisch)
  38. Report on Thresholds and other features of electoral systems which bar parties from access to Parliament. In: www.venice.coe.int . 2008. Abgerufen am 26. August 2018.(englisch)
  39. Karlsruhe vs. EU Wahlrechtsreform könnte in die dritte Runde gehen. EURACTIV MEDIA NETWORK BV..
  40. Resolution 1380, 2004, Europarat
  41. Grand Chamber judgment, Yumak und Sadak v. Turkey, no. 10226/03.
  42. Negating Pluralist Democracy: The European Court of Human Rights Forgets the Rights of the Electors, Kurdish Human Rights Project Legal Review 11 , pp. 67-96. ISSN 1748-0639.

Literatur

Weblinks