ACiLS
Advanced Critical illness Life Support (ACiLS) ist ein viertägiges Ausbildungskonzept, um standardisierte diagnostische und therapeutische Abläufe bei der Versorgung lebensbedroht Erkrankter im nicht-traumatologischen Schockraum auszubilden. Es basiert auf dem Weißbuch Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum, was durch die DGINA erarbeitet und veröffentlicht wurde.[1] Es wurde im Jahr 2022 durch die Arbeitsgemeinschaft (AG) Schockraum der DGINA entwickelt. ACiLS ist ein geschützter Begriff.
Entwicklung
Der Begriff ACiLS wurde erstmals in einer Publikation von Michael Bernhard im Jahre 2014 erwähnt.[2] Bernhard hat darin erstmalig festgehalten, dass die Versorgung (Poly-)Traumatisierter und kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten sich signifikant voneinander unterscheiden und erstmals die Etablierung eines Konzepts gefordert, um die Versorgung dieser Patientengruppe zu strukturieren, standardisieren und zu vereinheitlichen. Vier Jahre später konnte in der OBSERvE-Studie[3] erstmals nachgewiesen werden, dass bei diesem Patientenklientel im Untersuchungszeitraum mit 34 % eine deutlich höhere 30-Tage-Mortalitätsrate vorlag im Vergleich zu Traumapatienten (dort 10–19 %). Weiterhin gab es noch keine einheitlichen und strukturierten Versorgungsvorgaben. Im selben Jahr wurden durch Michael Bernhard, Ingmar Gröning, Henning Biermann und Mark Michael die Arbeitsgruppe ACiLS ins Leben gerufen, mit dem Ziel diese Strukturen zu schaffen. Die Arbeitsgruppe wurde im Jahr 2019 der in Bremen gegründeten AG Schockraum der DGINA zugeordnet, die mit weiteren Arbeitsgruppen (z. B. Versorgungsforschung, Weißbuch) das breite Feld der nicht-traumatologisch kritisch kranken Patienten untersucht. Die in der Folge von Henning Biermann, Ingmar Gröning und Mark Michael geleitete Arbeitsgruppe ACiLS erarbeitete auf Basis des EUSEM Curriculum for Emergency Medicine[4] sowie der Musterweiterbilgungsordnung für klinische Akut- und Notfallmedizin[5] die für den Schockraum notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen, die im Kurssystem vermittelt werden sollten. Um das signifikant breitere Feld an Ursachen für nicht-traumatologischen Erkrankungen abdecken zu können wurde ein theoretisches E-Learning, ca. zwei Arbeitstage umfassend, sowie ein praktischer zwei Tageskurs in Anwesenheit entwickelt.[6] Mit dem Inaugurationskurs wurde das System am 18. und 19. Juni 2022 nach vier Jahren Entwicklungsarbeit durch die drei Arbeitsgruppenleiter in Aachen erstmals eingeführt.
Konzept
Zentrales Kernprinzip des Kurses ist strukturiert zu vermitteln, wie das Schockraumteam vom Leitsymptom des Patienten ausgehend die Hauptprobleme nach ABCDE-Schema benennt und antherapiert, um dann über den Ausschluss von Differentialdiagnosen zu einer Arbeitsdiagnose zu gelagngen, um diese zu behandeln. Basierend auf dem von Gröning et al. entwickelten (PR_E-)AUD²IT-Algorithmus[7] sind sowohl die zwölf E-Learning Fälle aufgebaut, als auch die 16 Kursszenarien, die im interdisziplinären Team im Kurs abgearbeitet werden. Dabei tauchen in der Notfallmedizin etablierte Schemata wie ABCDE oder die Kurzanamnese SAMPLER im Rahmen des (PR_E-)AUD²IT-Algorithmus auf. Besonders im Vergleich zu anderen Kursformaten sind die Leitsymptom orientierten Diagnosekarten (LOD) und Taschenkarten, die beim Ausschluss der Differentialdiagnosen und der Suche nach der wahrscheinlichsten Arbeitsdiagnose unterstützen ein Kernbestandteil des ACiLS-Konzepts.
Der (PR_E-)AUD²IT-Algorithmus umfasst dabei die folgenden Behandlungsschritte[1][7]:
Präparation
Vorbereitungsphase. Nach Aktivierung des nicht-traumatologischen Schockraumteams der interdisziplinären Notaufnahme gibt der Teamleiter ein kurzes Briefing, welches Krankheitsbild erwartet und was vorbereitet wird. Die für die Versorgung des Patienten notwendigen Geräte und Medikamente werden getestet und bereit gelegt.
Ressourcen
Vorbereitungsphase. Im zweiten Schritt werden alle weiteren notwendigen Abteilungen über die Ankunft des Schockraumpatienten informiert. Das kann zum Beispiel die Radiologie für eine mutmaßlich anstehende CT-Untersuchung, oder die Intensivstation sein, die den Patienten nach Diagnostik, Therapie und Stabilisierung weiterversorgt. Das Schockraumteam wird eventuell um weitere Teammitglieder anderer Fachabteilungen verstärkt.
_ Pause und Team-Time-Out
Abschluss der Vorbereitungsphase und Vorbereitung auf die Versorgungsphase. In einem Team-Time-Out erfolgt ein letztes Briefing und die Rückmeldung des Teams über den Abschluss der Vorbereitungsphase. Die Aufgaben in der Erstversorgung werden verteilt. Mit Eintreffen des Notfallpatienten führt der Teamleiter in dieser Phase eine Inaugenscheinnahme (in anderen Systemen „5-second-round“ genannt) durch, um sicherzustellen, dass lebensbedrohliche Situationen erfasst werden und der Patient durch die Übergabezeit keinen Schaden nimmt. Dann beginnt die Übergabe durch den Rettungsdienst.
Erstversorgung
Erfassung der Hauptproblematik und des Leitsymptoms. In dieser, in anderen Systemen „primary survey“ benannte Phase, wird das Leitsymptom und die Hauptproblematik des Patienten mit dem bewährten <c>ABCDE-Schema herausgefunden und lebensbedrohliche Probleme sofort behandelts[8]:
- c ritical bleeding (sofortiges Stoppen kritischer Blutungen)
- A irway (Sicherung der Atemwege)
- B reathing (Sicherstellung der Beatmung)
- C irculation (Sicherung des Kreislaufs)
- D isability (Erkennen neurologischer Defizite)
- E xposure (Betrachtung von Exposition und Umfeld, Wärmemanagement)
Die in der Erstversorgung wesentlichen Vitalparameter sind Atemfrequenz, SpO2, etCO2, Blutdruck, Puls, Blutzucker, Summenscore auf der Glasgow Coma Scale (GCS) und die Körpertemperatur.[1] Zum Abschluss dieser Phase wird in einem weiteren Team-Time-Out das führende Leitsymptom und die Probleme des Patienten benannt, sowie die nächste Phase geplant.
Anamnese
Die Anamneseerhebung erfolgt mit dem „SAMPLER“-Schema, was durch „OPQRST“ ergänzt werden kann. Gerade bei kritisch kranken nicht-traumatologischen Patienten, die noch ansprechbar sind, ist die Anamneseerhebung enorm wichtig.[1]
Untersuchung
Die körperliche Untersuchung wird in diesem Schritt erneut durchgeführt und intensiviert. Die Reihenfolge ergibt sich aus den zuvor nach der Erstversorgung priorisierten Problemen.
Differentialdiagnosen und Diagnostik
Basierend auf den bisherigen Untersuchungen werden an dieser Stelle die Differentialdiagnosen formuliert und mittels Diagnostik ausgeschlossen. Um keine wesentlichen Diagnosen zu übersehen arbeitet das ACiLS-Kurskonzept an dieser Stelle mit Leitsymptomorientierten Diagnosekarten, auf denen die zum Leitsymptom passenden wesentlichen Diagnosen stichpunktartig gelistet sind und mittels entsprechender Diagnostik ausgeschlossen werden können.
Interpretation
An dieser Stelle wird das Mosaik der erhobenen Befunde zusammengesetzt um eine Arbeitsdiagnose zu stellen.
to do
Nach Stellung der Arbeitsdiagnose erfolgt die spezifische Therapie nach den Leitlinien der Fachgesellschaften und nach lokalen Protokollen. Weitere Maßnahmen werden geplant und nach Abschluss des nicht-traumatologischen Schockraums ein Debriefing durchgeführt.
Ausbildung
Die Ausbildung von ACiLS findet ausschließlich in den vom ACiLS-Kurskomitee zertifizierten Kurszentren statt. Das Ausbilder zu Trainee-Verhältnis ist dabei mindestens 1:3. Nach den zwölf ca. 60 minütigen theoretischen E-Learning Einheiten, die innerhalb von sechs Wochen bearbeitet werden und mit theoretischer Prüfung abgeschlossen werden, folgt der zweitägige Präsenzkurs, der ebenfalls von einer Prüfung beendet wird. Erst dann kann das ACiLS-Zertifikat erworben werden, was eine Gültigkeit von fünf Jahren hat.[1]
Rezeption
Die Entwickler des Kurses, Mark Michael, Henning Biermann und Ingmar Gröning haben ihr Konzept 2022 in Frontiers in Medicine, einem hochrangigem internationalen peer-review Jounal veröffentlicht und damit über die Grenzen Deutschlands hinaus das Kurssystem beschreiben können.[9] Der Inaugurationskurs und damit der Start des ACiLS-Kurssystems hat ein großes Medienecho in der Szene der Notfallmedizin und Notfallpflege hinterlassen.[10][11][12]
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Bernhard M: Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum In Notfall + Rettungsmedizin 25, 1–14 (2022). https://doi.org/10.1007/s10049-022-00997-y
- ↑ Bernhard M et al.: Management of critically ill patients in the resuscitation room. Different than for trauma? In Anaesthesist 2014 Feb;63(2):144-53. doi:10.1007/s00101-013-2258-7
- ↑ Bernhard M et al.: Resuscitation room management of critically ill nontraumatic patients in a German emergency department In European Journal of Emergency Medicine 25.4 (2018): e9-e17
- ↑ European Society For Emergency Medicine: [1]; abgerufen am 1. Oktober 2022.
- ↑ Bundesärztekammer: (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018 (PDF; 5,87 MB); abgerufen am 1. Oktober 2022.
- ↑ DGINA-Notfallcampus: [2]; abgerufen am 1. Oktober 2022
- ↑ a b Gröning I et al.: Das (PR_E-)AUD2IT-Schema als Rückgrat für eine strukturierte Notfallversorgung und Dokumentation nichttraumatologischer kritisch kranker Schockraumpatienten In: Notfall + Rettungsmedizin https://doi.org/10.1007/s10049-021-00878-w
- ↑ Hodgetts TJ et al.: ABC to <C>ABC: redefining the military trauma paradigm In: Emergency Medicine Journal 2006;23:745-746.
- ↑ Michael M, Biermann H, Gröning I et al.: Development of the Interdisciplinary and Interprofessional Course Concept “Advanced Critical Illness Life Support" In: Frontiers in Medicine 2022;9:939187. doi:10.3389/fmed.2022.939187
- ↑ News Papers EU: [3]; abgerufen am 1. Oktober 2022.
- ↑ UK Aachen: [4]; abgerufen am 1. Oktober 2022.
- ↑ FAST TRACK Blog: [5]; abgerufen am 1. Oktober 2022.