Abu Omar
Osama Nasr Mostafa Hassan (arabisch حسن مصطفى أسامة نصر) oft auch genannt Imams Abu Omar (* 18. März 1963 in Alexandria, Ägypten) war Imam einer Moschee in Mailand. Sein Fall erlangte Bekanntheit, weil er am 17. Februar 2003 in Mailand in einer klandestinen Operation der CIA auf offener Straße entführt und mit einem kleinen Flugzeug über Deutschland nach Ägypten verschleppt wurde.
2009 konnte ein Mailänder Gericht 22 US-Staatsbürger zu fünf Jahren Gefängnis verurteilen, ein Angeklagter wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, drei Amerikaner wurden mit dem Verweis auf diplomatische Immunität freigesprochen.
Leben
Nach Verhaftung 1993 in Ägypten lebte er seit 1997 in Italien, wo er 2001 als politischer Flüchtling anerkannt wurde, nachdem die islamistische Organisation Gamaa Islamija, der er angehörte, von der ägyptischen Regierung verboten worden war.
Seine Entführung spielt eine Rolle in der Debatte um sogenannte Extraordinary renditions (dt. „außerordentliche Auslieferung“, in diesem Zusammenhang ein Euphemismus).
Die Entführung
Die Chicago Tribune berichtete, laut albanischen Geheimdienstmitarbeitern sei er 1995 von der CIA in Albanien angeworben worden und der beste Informant über islamische Fundamentalisten im albanischen Exil gewesen, wo er vier Jahre lang für eine islamische Wohltätigkeitsorganisation arbeitete.[1] Am 17. Februar 2003, etwa einen Monat vor Beginn des Irakkriegs, wurde er mittags in Mailand auf offener Straße in einen Wagen gezerrt, zum Luftwaffenstützpunkt Aviano Air Base des US-Militärs gebracht, von dort zur Ramstein Air Base in Deutschland und schließlich nach Ägypten geflogen.[2] Laut amnesty international wurde er nach mehr als einjähriger Gefangenschaft zunächst freigelassen, kurz darauf Mitte 2004 aber erneut festgenommen und saß mehrere Jahre in Haft. Am 11. Februar 2007 erklärte sein Anwalt Montasser al-Zayat, Abu Omar sei wieder bei seiner Familie und wolle im Prozess gegen seine Entführer aussagen.[3]
Abu Omar erklärte sich stets für unschuldig. Er sagte aus, die CIA habe ihm zwei Millionen Dollar und die US-Staatsbürgerschaft angeboten, wenn er Stillschweigen über seine Geschichte bewahren würde.[4]
Der Fall Abu Omar
Silvio Berlusconi, zum Zeitpunkt der Entführung noch Premierminister Italiens, hatte wiederholt bestritten, dass seine Regierung Kenntnis von diesen Vorgängen gehabt habe. Auch Nicolò Pollari, von 2001 bis 2006 Leiter des italienischen Sicherheitsdienstes Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare, sagte stets, der italienische Geheimdienst hätte nichts von der CIA-Operation gewusst. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat hingegen durch Verhöre des ehemaligen Vize-Leiters des SISMI, Marco Mancini, und mehrerer ebenfalls verhafteter Mitarbeiter erfahren, dass der SISMI den CIA dabei aktiv unterstützt hatte. Weiter berichteten italienische Medien, dass der Geheimdienst Journalisten bestochen hatte, um die Operation zu vertuschen und an der Aufdeckung beteiligte Politiker und Richter zu diskreditieren. Renato Farina, Chefredakteur der rechten Tageszeitung Libero, gestand, mit dem SISMI zusammengearbeitet zu haben und dafür bezahlt worden zu sein.[5] In seiner Zeitung war unter anderem ein gefälschtes Dossier publiziert worden, dem zufolge Romano Prodi (zu diesem Zeitpunkt Gegenkandidat Berlusconis bei der Wahl zum Premierminister) als Präsident der EU-Kommission die illegalen CIA-Flüge in Europa genehmigt habe. Giuseppe D'Avanzo und Carlo Bonini, Journalisten der Zeitung La Repubblica, die über die Entführung Abu Omars recherchierten, wurden vom SISMI bespitzelt und abgehört.
In Italien wird gegen 26 amerikanische Entführer sowie gegen 7 Italiener, darunter den ehemaligen Chef des Geheimdiensts, seit Juni 2007 verhandelt;[6] der Oberstaatsanwalt von Mailand stellte im Juli 2007 einen formellen Auslieferungsantrag gegen die 26 US-Bürger, die per Haftbefehl gesucht werden, an die USA. Unter den Gesuchten befinden sich die mutmaßlichen CIA-Agenten Eric Robert Hume, Harry Kirk Elarbee und James Kovalesky.
Die Regierung von Italien (damals Kabinett Berlusconi III; Mai 2008-November 2011 Kabinett Berlusconi IV) lehnte es ab, das Gesuch an die USA weiterzuleiten.[7] Die italienische Regierung hat vielmehr im Oktober 2007 einem parlamentarischen Ermittlungsausschuss mitgeteilt, „dass der mögliche Kontakt zwischen der amerikanischen und italienischen Regierung in diesem Fall durch staatliche Geheimhaltung geschützt würde“.[8] Im November 2009 verurteilte das Gericht in Mailand 23 CIA-Agenten zu hohen Haftstrafen.[9]
Da beim Flug von Italien nach Deutschland auf dem Weg nach Kairo Schweizer Luftraum überflogen wurde, ermittelt auch die dortige Bundesanwaltschaft. Eine Liste der gesuchten Geheimdienstmitarbeiter veröffentlichte die Schweizer Zeitung Blick.[7] In Deutschland ermittelte 2005 die für Ramstein zuständige Staatsanwaltschaft Zweibrücken.[10]
Außerdem nannte der Sonderbeauftragte des europäischen Parlaments Dick Marty, der die Kooperation europäischer Regierungen beim System der Black sites untersuchte, den Fall Abu Omar in seinem Abschlussbericht „unzweifelhaft einen der wohlbekanntesten und bestdokumentierten Fälle von ‚außerordentlicher Überstellung‘ (extraordinary rendition)“.[11]
Am 12. Februar 2013 verurteilte ein Berufungsgericht in Mailand den ehemaligen SISMI-Direktor Nicolò Pollari zu 10 Jahren Haft und sprach Abu Omar und seiner Frau 1 Million Euro Schadensersatz zu.[12] Pollaris Stellvertreter Marco Mancini wurde zu 9 Jahren Haft verurteilt, der Leiter des CIA-Stützpunktes in Rom, Jeffrey Castelli, in absentia zu 7 Jahren Haft, zwei weitere CIA-Mitarbeiter ebenfalls zu Haftstrafen. Pollari kündigte an, gegen dieses Urteil beim Corte Suprema di Cassazione Berufung einzulegen.
Der von der italienischen Justiz gesuchte CIA-Agent Robert Seldon Lady wurde im Juli 2013 in Panama festgenommen, jedoch nicht ausgeliefert.[13]
Auf der Hacker-Konferenz Black Hat 2013 in Las Vegas[14] berichtete der NBC-News-Journalist Matthew Cole, wie die Metadaten der Handyverbindung (also nicht Gesprächsinhalte, sondern Infos darüber, wer wann wen wie lange anrief) die CIA-Operation verrieten und Dutzende Agenten enttarnten.[15] Seit etwa Mai 2013 ist die Aufzeichnung von Metadaten in vielen Ländern dank der Enthüllungen von Edward Snowden allgemein bekannt.
Weblinks
- Audio: Der Fall Abu Omar vor Gericht Rekonstruktion eines staatlichen Kidnappings (MP3; 42,0 MB) Deutschlandfunk Feature in der Reihe Dossier Von Aureliana Sorrento 5. Juli 2013 43:42 Min 1/2 Jahr online
Einzelnachweise
- ↑ Chicago Tribune: Abducted imam aided CIA ally, 3. Juli 2005
- ↑ Die Zeit: Abflug in die Folterkammer, 1. Dezember 2005
- ↑ BBC-News: Egypt releases ‚rendition‘ cleric, 12. Februar 2007
- ↑ Anna Maldini: Hartes Urteil schafft keine Klärung - Im Prozess um CIA-gesteuerte Entführung: Zehn Jahre Haft für Italiens ehemaligen Militärgeheimdienstchef, 14. Februar 2013
- ↑ La Repubblicà: Farina, confessione in prima pagina, 8. Juli 2006
- ↑ Spiegel Online International: CIA Kidnappers Accused by Italian Court, 8. Juni 2007
- ↑ a b Schweizer Blick: Die Liste , 1. Februar 2007
- ↑ Menschenrechte in EU-Mitgliedstaaten (Pressemitteilung von Human Rights Watch)
- ↑ Hohe Haftstrafen für CIA-Entführung eines Imams in Mailand beantragt (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive) - Mailänder Staatsanwaltschaft zwölf Jahre Haft für den Ex-Direktor des italienischen Geheimdienstes SISMI, Nicolo Pollari, beantragt. 28. Oktober 2010
- ↑ US-Stützpunkte in Deutschland: Drehscheibe für Folterflüge? - Monitor (WDR), 21. Juli 2005; Verschleppung: Deutsche Justiz ermittelt gegen US-Geheimdienst - SpOn, 12. Nov. 2005
- ↑ D.Marty(Bericht): Alleged secret detentions in Council of Europe member states Information Memorandum II, (pdf, S. 8; 260 kB)
- ↑ Ex-Chef von Militärgeheimdienst zu Haftstrafe verurteilt, Süddeutsche, 12. Februar 2013
- ↑ Ex-CIA-Kader wieder auf dem Heimweg. Kleines Intermezzo in Panama. Gestern war der ehemalige Chef der CIA-Zentrale von Mailand in Panama verhaftet worden. Die italienische Justiz fordert seit 2009 eine Auslieferung von Robert Seldon Lady. Doch nun ist er laut US-Behörden wieder unterwegs in die USA. In: SRF. 19. Juli 2013 (srf.ch).
- ↑ www.blackhat.com
- ↑ Ole Reißmann: Telefonüberwachung: Handydaten verraten illegale CIA-Operation. Online auf spiegel.de vom 2. August 2013.
Personendaten | |
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NAME | Omar, Abu |
ALTERNATIVNAMEN | Hassan, Osama Nasr Mostafa (wirklicher Name); Omar, Imams Abu |
KURZBESCHREIBUNG | ägyptischer Imam einer Moschee in Mailand |
GEBURTSDATUM | 18. März 1963 |
GEBURTSORT | Alexandria, Ägypten |