Aenne Biermann

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Aenne Biermann Selbstporträt (1931)

Aenne Biermann (geboren 3. März 1898 in Goch am Niederrhein als Anna Sibylla Sternefeld; gestorben 14. Januar 1933 in Gera) war eine deutsche Fotografin der Neuen Sachlichkeit.

Werdegang

Anna Sibylla Sternefeld wurde als drittes Kind einer jüdischen Fabrikantenfamilie geboren. 1920 heiratete sie Herbert Biermann, einen Sohn des ebenfalls jüdischen Kaufhausbesitzers Max Biermann (1856–1922) und zog zu ihm nach Gera. Das Paar hatte zwei Kinder.

Klaviersaiten eines Flügels, 1928
Umschlag ihres zu Lebzeiten erschienenen Buches 60 Fotos, Klinkhardt & Biermann 1930

Als Autodidaktin kam sie Anfang der 1920er Jahre zur Fotografie. Zunächst fotografierte sie im familiären Rahmen ihre Kinder, dann Pflanzen und Dinge des Alltags wie das heimische Klavier[1]; der Geraer Geologe Rudolf Hundt bat sie schließlich, scharfe und detailgenaue Fotos der von ihm gesammelten Gesteine zu machen. Im Laufe weniger Jahre professionalisierte sie ihr Schaffen immer mehr, wobei sie sich der Stilrichtung des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit verpflichtete.[2] Ihr Werk umfasst Sachaufnahmen sowie die Sujets Porträt, Landschaft und Stillleben.

Sie entwickelte eine neue Perspektive auf die Architektur wie ihre Nachbargebäude, fixierte Landschaften in spannungsgeladenen Bildkompositionen und porträtierte Menschen aus Unter- oder Aufsichten sowie mit ungewöhnlichen Bildausschnitten. Sie experimentierte mit Mehrfachbelichtungen, Collagen und Spiegelungen.

1928 hatte Biermann ihre erste Ausstellung mit großformatigen Pflanzenfotografien im Graphischen Kabinett von Günther Franke in München bestritten und kurz danach wegweisende Arbeiten im Kunstblatt veröffentlicht. 1930 fand in Jena die erste größere Ausstellung ihrer Werke statt. Charakteristisch für ihr Werk sind Makroaufnahmen von Personen und Gegenständen. Wie Lucia Moholy, Florence Henri und Germaine Krull war Biermann auf internationalen Fotoausstellungen der frühen 1930er Jahre vertreten. Zwischen 1929 und 1931 erweiterte sie ihr fotografisches Spektrum, die Aufnahmen von Boulevards in Paris und ihre Aktaufnahmen mit starken Lichtkontrasten und extremen Bildschnitten wirken heute noch modern.

Mit 34 Jahren starb Aenne Biermann im Januar 1933 – wenige Tage vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten – an einem Leberleiden. Die nationalsozialistische Verfolgung und Enteignung ihrer Angehörigen erlebte sie nicht mehr. Ihr Mann und die Kinder konnten nach Palästina emigrieren. Ihr etwa 3000 Negative umfassendes Archiv wurde in Triest beschlagnahmt, nach Deutschland zurückgeschickt und gilt seit dieser Zeit größtenteils als verschollen.[3]

Würdigung

Das Geraer Museum für Angewandte Kunst, das Aenne Biermann einen eigenen Raum seiner Dauerausstellung widmet, vergibt seit 1992 alle zwei Jahre den Aenne-Biermann-Preis für deutsche Gegenwartsfotografie. Im Stadtteil Lusan war eine – mittlerweile geschlossene – Regelschule nach ihr benannt. Am 5. Dezember 2009 wurde der Geraer Volkshochschule der Name „Aenne Biermann“ verliehen.[4] Bereits seit 2008 trägt ein Triebfahrzeug der Geraer Straßenbahn ihren Namen.

Ausstellungen mit Werken Aenne Biermanns fanden unter anderem 2002 im Deutschen Museum in München sowie 2003 und 2007 im Sprengel-Museum in Hannover statt.[5] Ein Bestand von 24 Arbeiten, 11 Negativen und 17 kleinformatigen Archivabzügen sowie anderer Archivalien wird vom Museum Ludwig in Köln gehalten und wurde 2018 erstmals vollständig in einer Ausstellung gezeigt.[6] Eine umfassende Präsentation mit etwa 100 Fotografien und umfangreichem Archivmaterial im Wesentlichen aus der Stiftung Ann und Jürgen Wilde wurde vom 12. Juli bis 13. Oktober 2019 in der Pinakothek der Moderne in München gezeigt.[7]

Die Villa der Familie Biermann in Gera-Untermhaus wurde 2019 versteigert und soll abgerissen werden. Die Stadt Gera engagiert sich nicht.[8] Die historische Villa Biermann wurde im September 2020 abgerissen.[9] Ein Privatunternehmen plant an gleicher Stelle einen Wohnneubau.[10]

In ihrer Geburtsstadt Goch wurde im Jahr 2020 eine Straße nach ihr benannt.[11]

Literatur

  • Aenne Biermann. 60 Fotos. Mit einer Einleitung von Franz Roh, Gestaltung: Jan Tschichold, Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1930
    • nachgedruckt 2019 (mit einem Kommentar des Fotohistorikers Hans-Michael Koetzle), Klinkhardt & Biermann, München 2019, ISBN 978-3-94361-659-0
  • Ute Eskildsen (Hrsg.): Aenne Biermann. Fotografien 1925 - 33 (= Serie Folkwang), Berlin: Nishen, 1987, ISBN 978-3-88940-019-2 und ISBN 3-88940-019-1
  • Ute Eskildsen: Biermann, Aenne, in: Jutta Dick/Marina Sassenberg (Hrsg.): Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert, Rowohlt, Reinbek 1993, ISBN 3-499-16344-6, S. 67–70
  • Kai Uwe Schierz (Hrsg.): Wunder über Wunder. Wunderbares und Wunderliches im Glauben, in der Natur und in der Kunst, 18. November 2007 bis 13. Januar 2008, Kunsthalle Erfurt, Kerber Verlag, Bielefeld 2007, ISBN 978-3-86678-115-3
  • Simone Förster, Thomas Seelig (Hrsg.): Aenne Biermann. Fotografin. Scheidegger & Spiess, Zürich 2020, ISBN 978-3-85881-673-3

Weblinks

Commons: Aenne Biermann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Süddeutsche Zeitung: "Mir ist so kühl". Abgerufen am 14. Dezember 2019.
  2. Aenne Biermann. Vertrautheit mit den Dingen. In: Die Pinakotheken. Abgerufen am 7. August 2021.
  3. Hans-Peter Jakobson: Fasziniert vom Eigenleben der Dinge. Zum 75. Todestag der Geraer Fotografin Aenne Biermann. In: Ostthüringer Zeitung, 12. Januar 2008.
  4. Sylvia Eigenrauch: Volkshochschule Gera heißt Aenne Biermann. In: Ostthüringer Zeitung, 7. Dezember 2009.
  5. Aenne Biermann auf kunstaspekte.de
  6. Name der Fotografin: Aenne Biermann. In: ludwig.museenkoeln.de. Museum Ludwig, 13. Juni 2018, abgerufen am 13. Juni 2018.
  7. Aenne Biermann. Vertrautheit mit den Dingen. Die Pinakotheken, abgerufen am 11. Juli 2019.
  8. Stefan Trinks: Fotovilla in Gefahr. faz.net, 26. September 2019, abgerufen am 27. September 2019.
  9. Biermannvilla in Gera wird abgerissen. otz.de, 24. September 2020, abgerufen am 6. Februar 2021.
  10. Parkvilla Biermann. Abgerufen am 6. Februar 2021.
  11. Bekanntmachung auf goch.de