Ahasver von Brandt

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Ahasver von Brandt (* 28. September 1909 in Charlottenburg; † 18. März 1977 in Heidelberg) war ein deutscher Historiker und Archivar.

Leben

Jugend und Ausbildung

Ahasver von Brandt entstammte einer preußischen Beamten- und Offiziersfamilie. Während seiner Schulzeit verbrachte er längere Zeit im Ausland, unter anderem 1922 und 1923 jeweils fünf Monate in Schweden. Er erlernte dort die Landessprache und baute sich einen dauernden Freundeskreis auf. Schließlich legte er Ostern 1929 das Abitur am Friedrichs-Gymnasium Berlin in Charlottenburg ab. Darauf studierte er von 1929 bis 1934 zunächst Rechtswissenschaft, dann Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 1930 wurde er im Corps Holsatia recipiert.[1] Er beendete 1934 das Studium mit der Promotion bei Fritz Rörig mit einer Arbeit über den Lübecker Rentenmarkt im 14. Jahrhundert. Er war Mitglied der NSDAP.[2]

Berufliche Laufbahn

In den Jahren von 1933 bis 1935 arbeitete er als Journalist bei den Kieler Neuesten Nachrichten. Von 1935 bis 1936 war er Wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität Kiel. Die Vermittlung Rörigs hatte die Entscheidung des Senats erleichtert, ihn auch ohne die vorgeschriebene Ausbildung zum höheren staatlichen Archivdienst einzustellen, wo er dann 1936 die Stelle im Archiv der Hansestadt Lübeck bekam. Dort sollte er trotz zwischenzeitlichem Druck der Nationalsozialisten, welche massenhaft Ariernachweise verlangten, seine wissenschaftliche Publikationstätigkeit aufnehmen können. Schließlich wurde er 1941 zum städtischen Archivrat ernannt. Zu dieser Zeit leistete Brandt allerdings seinen Militärdienst als Reserveoffizier der Marineartillerie ab. Kurz nachdem er im September 1945 aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkam, übernahm er 1946 als Nachfolger des entlassenen Georg Fink die Leitung des Lübecker Stadtarchivs, welches die reichen Urkundenbestände der freien Hansestadt verwaltet und zudem als Archiv der Hanse ein Schwerpunktarchiv für jegliche Mittelalterforschung in Mittel- und Nordeuropa ist. Seit 1950 war er Lehrbeauftragter für Historische Hilfswissenschaften an der Universität Hamburg und wurde 1955 zum Honorarprofessor ernannt. Seit 1962 war er korrespondierendes Mitglied der Monumenta Germaniae Historica. Im selben Jahr erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften an der Universität Heidelberg. Während dieser Zeit wurde er außerdem mit der Goldenen Denkmünze der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit in Lübeck geehrt. 1963 wurde er zum Ehrenmitglied des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde ernannt und erhielt die Senatsplakette der Hansestadt Lübeck. 1965 wurde er Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Im selben Jahr lehnte er einen Ruf an die Universität Hamburg ab. 1974 wurde er emeritiert. Im Februar 1975 erlitt er einen Gehirnschlag und starb 1977 nach langer Krankheit.

Werk

Ahasver von Brandt ist vor allem für die Historischen Hilfswissenschaften und in der Hanseforschung von Bedeutung. Durch zahlreiche Arbeiten hat er viele Aspekte der Hanseforschung gefördert. Brandt legte Untersuchungen über die Bevölkerungsstruktur Lübecks, die Knochenhaueraufstände im 14. Jahrhundert, den Stralsunder Frieden oder über Lübecks Großmachtstellung vor. Seine Untersuchung zur Sozialgeschichte des spätmittelalterlichen Bürgertums, vor allem Lübecks, gilt im Hinblick auf sozialgeschichtliche Quellenauswertung als bedeutend. Brandt engagierte sich außerdem mit Intensität und Beharrlichkeit für die Wiederherstellung des Archivs der Hansestadt Lübeck als geschichtswissenschaftliche Anstalt. Seine Arbeit Werkzeug des Historikers wurde zu einem der meistverkauften Mittelalterbücher in Deutschland. Die Darstellung ist bis heute im Proseminar Geschichte ein wichtiges akademisches Arbeitsmittel. Unvollendet blieb seine Erschließung mehrerer tausend Lübecker Bürgertestamente.

Brandts lange Zeit meinungsführende Fixierung auf die mittelalterliche Geschichte Lübecks und seine negative Einschätzung der folgenden Jahrhunderte, insbesondere des 17./18. Jahrhunderts, als „verkümmert und erstarrt“ werden heute eher kritisch gesehen.[3]

Schriften

  • Der Lübecker Rentenmarkt von 1320–1350. Kiel 1935 (Universität Kiel, Diss., 1934).
  • Lübeck und die deutsche Erhebung 1847–1848. Gedenkschrift zur Hundertjahrfeier der Revolution. Antäus-Verlag, Lübeck 1948.
  • als Herausgeber: Städtewesen und Bürgertum als geschichtliche Kräfte. Gedächtnisschrift für Fritz Rörig. Schmidt-Römhild, Lübeck 1953.
  • Geist und Politik in der lübeckischen Geschichte. Acht Kapitel von den Grundlagen historischer Größe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1954.
  • Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften (= Urban-Bücher 33, ZDB-ID 995319-x). Kohlhammer, Stuttgart 1958 (zahlreiche Auflagen).
  • Die Hanse und die nordischen Mächte im Mittelalter (= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften. Heft 102, ISSN 0570-5649). Westdeutscher Verlag, Köln u. a. 1962.
  • Die Deutsche Hanse als Mittler zwischen Ost und West (= Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Bd. 27, ISSN 0570-5665). Westdeutscher Verlag, Köln u. a. 1963.
  • Regesten der Lübecker Bürgertestamente des Mittelalters. Auf Grund der Vorarbeiten von Eduard Hach, Fritz Rörig u. a. bearbeitete und herausgegeben. 2 Bände. Schmidt-Römhild, Lübeck;
    • Band 1: 1278–1350 (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck. Bd. 18, ZDB-ID 520795-2). 1964;
    • Band 2: 1351–1363 (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck. Bd. 24). 1973, ISBN 3-7950-0424-1.
  • Die gesellschaftliche Struktur des spätmittelalterlichen Lübeck. In: Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa. Reichenau-Vorträge 1963–1964 (= Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte. Vorträge und Forschungen. Bd. 11, ISSN 0452-490X). Thorbecke, Konstanz u. a. 1966, S. 215–240 (Auch Sonderabdruck. ebenda 1966).
  • Lübeck. Bild und Wesen einer alten Großstadt. Weiland, Lübeck 1965 (2., veränderte Auflage ebenda 1972).
  • Percy Ernst Schramm (1894–1970). In: Hansische Geschichtsblätter. Bd. 89, 1971, ISSN 0073-0327, S. 1–4 (Auch Sonderabdruck. Böhlau, Köln u. a. 1971).

Literatur

  • Olof Ahlers: Nachruf Ahasver v. Brandt. Überarbeitete Fassung des vor dem Vortrag von Prof. Dr. Boockmann am 28. April 1977 vor dem Verein vorgetragenen Totengedenken. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde. Bd. 57, 1977, S. 181–184.
  • Klaus Friedland, Rolf Sprandel (Hrsg.): Lübeck, Hanse, Nordeuropa. Gedächtnisschrift für Ahasver von Brandt. Köln 1979, ISBN 3-412-00879-6.
  • Peter Classen: Ahasver von Brandt. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. Bd. 35, 1979, S. 712–713.
  • Peter Classen: Ahasver von Brandt 28.9.1909 – 18.3.1977. In: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1978. Heidelberg 1979, S. 71–73, ISSN 0341-2865.
  • Antjekathrin Graßmann: Ahasver von Brandt. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck. Band 12. Wachholtz, Neumünster 2006, ISBN 3-529-02560-7, S. 43 ff.
  • Wolfgang Leesch: Die deutschen Archivare 1500–1945. Band 2: Biographisches Lexikon. Saur, München u. a. 1992, ISBN 3-598-10605-X, S. 77.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Kösener Corpslisten 1960, 75, 489.
  2. Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970. Göttingen 2005, S. 38.
  3. Siehe beispielhaft Gisela Jaacks: „Trostlose Düsternis“ oder „unvergeßliche Werte“? Lübecks Kultur um 1700. In: Wolfgang Sandberger (Hrsg.): Bach, Lübeck und die norddeutsche Musiktradition. Bericht über das Internationale Symposion der Musikhochschule Lübeck, April 2000. Kassel u. a. 2002, S. 9–26.