Akt von Gnesen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Denkmal in Kołobrzeg (Kolberg) zur Erinnerung an den Akt von Gnesen. Im Rahmen des Akts erfolgte die Gründung des ersten Bistums in Pommern unter dem Bischof Reinbern.
Die Speerspitze der Heiligen Lanze, Schatzkammer (Wien)

Der Akt von Gnesen (polnisch Zjazd gnieźnieński, englisch Congress of Gniezno) im Februar/März 1000 führte zur Errichtung der Kirchenprovinz Gnesen und zur Rangerhöhung Bolesławs durch Kaiser Otto III.

Der vermutlich entscheidende Auslöser der Reise des Kaisers Otto nach Gnesen war der Märtyrertod Bischof Adalberts von Prag, der am 23. April 997 von den heidnischen Pruzzen erschlagen worden war. Nach den hagiographischen Quellen ist Otto nach Gnesen aufgebrochen, um die Reliquien Adalberts zu bekommen.[1] Nach Thietmar von Merseburg war das Ziel der Reise am Grabe des hl. Adalbert (orationis causa) zu beten. Außerdem sollte sie zur Gründung des Erzbistums Gnesen führen.[2] Um das Weihnachtsfest 999 brach Otto III. von Rom zu der Fahrt nach Gnesen auf. Am 17. Januar ist er nördlich der Alpen am bayerischen Staffelsee nachweisbar.[3] Zum ersten Mal taucht am Staffelsee der Zusatz zum Kaisertitel auf, aus dem man weitreichende Absichten für die Reise geschlossen hat: Servus Jesu Christi et Romanorum imperator Augustus secundum voluntatem Dei salvatorisque nostrique liberatoris (Diener Jesu Christi und Kaiser der Römer, Augustus nach dem Willen Gottes, unseres Erlösers und Retters). Auf der ganzen Fahrt wurde diese Devotionsformel dem Kaisertitel hinzugefügt und nach der Rückreise in die Formel servus apostolorum (Diener der Apostel) abgeändert. Mit diesen Formeln stellte sich der Kaiser in die Tradition der Ausbreitung des christlichen Glaubens.[4]

Die Quellen betonen bei der Fahrt die vielfältigen Ehren, die Otto nördlich der Alpen erwiesen worden sind. Nach Thietmar von Merseburg sei nie ein Kaiser ruhmvoller aus Rom ausgezogen und dorthin zurückgekehrt.[5] In Eulau am Bober wurde Otto ehrenvoll von Bolesław empfangen und nach Gnesen geleitet. Der ehrenvolle Empfang zeigt, dass Boleslaw von der Ankunft des Kaisers nicht überrascht wurde.

Otto zog barfuß in Gnesen ein und wurde von Bischof Unger von Posen an das Grab des heiligen Adalbert geleitet. Otto errichtete für Adalbert einen Altar und gründete in Gnesen eine Kirchenprovinz, der die drei Bistümer Kolberg, Krakau und Breslau unterstellt wurden. Otto III gab Bolesław eine Kopie der Heiligen Lanze und Bolesław I. Chobry schenkte dem Kaiser dafür eine Armreliquie des hl. Adalbert.[6] Die drei namentlich genannten Bischöfe Poppo von Krakau, Johannes von Breslau und Reinbern von Kolberg wurden dem Erzbistum Gnesen unterstellt. Die Gründung des Erzbistums Gnesen wurde ohne die Zustimmung des Posener Bischofs Unger durchgeführt. Die verweigerte Zustimmung des Ortsbischofs zur Gründung eines Erzbistums bedeutete kirchenrechtlich ein Veto. Doch hatte der Einspruch Ungers in der Praxis keine Bedeutung. Thietmar erzählt mit deutlicher Kritik (ut spero, legittime[7]), dass der Kaiser das Erzbistum errichtet habe.

Mit der kirchlichen Unabhängigkeit Polens war eine Aufwertung der Herrschaft Boleslaws verbunden. Strittig ist jedoch, ob es sich um eine Aufwertung als König oder eine Aufwertung als Freund des Kaisers gehandelt habe. Nach Thietmar von Merseburg habe Otto Bolesław vom tributarius (Tributpflichtigen) zum dominus (Herrn) erhoben.[8] Es ist in den sächsischen Quellen die einzige Nachricht über eine Rangerhöhung Bolesławs.[9] Sächsische Quellen berichten erst 1025 von einer Königserhebung.[10] Hingegen berichtet die im 12. Jahrhundert entstandene Chronik Polens des Gallus Anonymus von einer Königserhebung Bolesławs durch Otto. Der Kaiser soll Boleslaw als „Bruder und Mithelfer des Imperiums“ (fratrem et cooperatorem imperii constituit) ausgezeichnet und „zum Freund und Genossen des römischen Volkes“ (populi Romani amicum et socium) gemacht haben.[11] Die Königserhebung bestand dabei nur aus einem weltlichen Akt, indem der Kaiser die Krone Boleslaw aufs Haupt setzte. Es werden keinerlei kirchliche Akte oder Zeremonien erwähnt.[12] Mehrere Akte waren jedoch bei einem Freundschaftsbündnis üblich: der Austausch von Reliquien und Geschenken, die Betonung der demonstrativen Einheit durch ein mehrtägiges Gelage, die Bezeichnung als frater, amicus und socius.[13] Die Erwartungen Boleslaws scheinen jedenfalls erfüllt worden sein, denn er gab Otto ein glanzvolles Geleit ins Reich zurück und begleitete ihn über Magdeburg nach Aachen. In Aachen soll Otto nach der Öffnung des Karlsgrabes Bolesław gar einen Thronsessel aus dem Grab des Karolingers geschenkt haben.[14]

Quellenlage

Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, der sein Amt von 1009 bis 1018 innehatte, ist aus der Perspektive des Krieges zwischen Bolesław und Heinrich II. verfasst worden. In seiner Darstellung über den Akt von Gnesen ist Thietmar sehr zurückhaltend. Deutlich wird die Abneigung gegen Bolesław erkennbar.

Die bis 1113 geführte Chronik Polens des Gallus Anonymus beabsichtigt den Glanz und die Bedeutung von Bolesławs Herrschaft zu verdeutlichen. In seiner Beschreibung des Besuches Ottos in Gnesen stützte er sich auf den nicht erhaltenen Bericht über das „Leben des hl. Adalbert“. Die Reise Kaiser Ottos nach Gnesen schildert er als eine Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Adalbert. Als zweites Motiv nennt Gallus den Wunsch Ottos III. den Ruhm Bolesławs kennenzulernen (gratia glorosi Bolezlaui cognoscendi famam).

Beurteilung in der Forschung

Mit der Gründung der Kirchenprovinz und der ehrenvollen Aufwertung des polnischen Herrschers förderte Otto den Prozess der Unabhängigkeit des Herrschaftsgebietes nachhaltig.[15] In der Geschichtswissenschaft galt der Akt von Gnesen als „Sternstunde“ und „erster Höhepunkt“ in der Geschichte deutsch-polnischer Beziehungen[16] sowie als „welthistorisches Ereignis“, das der gesamten westslawisch-ungarisch-deutschen Region für das kommende Jahrtausend seinen Stempel aufgedrückt habe.[17]

Quellen

  • Galli Anonymi cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum. Ed. Carolus Maleczyński. (Monumenta Poloniae Historica, NS. 2.) Kraków 1952.
  • Johann Friedrich Böhmer: Regesta imperii 2/3: Die Regesten des Kaiserreiches unter Otto III. 980 (983–1002), neubearb. von Mathilde Uhlirz. Graz/ Köln 1956, Nrn. 1327–1390c, hier Nrn. 1341a–1349.
  • Thietmar von Merseburg, Chronik. Neu übertragen und erläutert von Werner Trillmich. Mit einem Nachtrag von Steffen Patzold. (= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Bd. 9). 9., bibliographisch aktualisierte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-534-24669-4.

Literatur

  • Gerd Althoff: Otto III. (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance). Primus-Verlag, Darmstadt 1997, ISBN 3-89678-021-2, S. 136–147.
  • Michael Borgolte: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“ (= Europa im Mittelalter. Bd. 5). Akademie Verlag. Berlin 2002, ISBN 3-05-003749-0 (Rezension).
  • Johannes Fried: Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der „Akt von Gnesen“ und das frühe polnische und ungarische Königtum. Eine Bildanalyse und ihre historischen Folgen (= Frankfurter historische Abhandlungen. Bd. 30). Steiner-Verlag, Stuttgart u. a. 1989, ISBN 3-515-05381-6.
  • Knut Görich: Ein Erzbistum in Prag oder Gnesen? In: Zeitschrift für Ostforschung, Bd. 40 (1991), ISSN 0044-3239, S. 10–27 (doi:10.25627/19914015264).
  • Gerard Labuda: Der „Akt von Gnesen“ vom Jahre 1000. Bericht über die Forschungsvorhaben und -ergebnisse. In: Quaestiones Medii Aevi Novae, Bd. 5 (2000), S. 145–188.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Gerd Althoff: Otto III. Darmstadt 1997, S. 135.
  2. Thietmar, Chronik IV, 44.
  3. Gerd Althoff: Otto III. Darmstadt 1997, S. 136.
  4. Gerd Althoff: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. 2. erweiterte Auflage, Stuttgart u. a. 2005, S. 190.
  5. Thietmar IV, 44.
  6. Jörg Schwarz: Herrschaftsbildungen und Reiche 900–1500. Bd. 2, Stuttgart 2006, S. 21.
  7. Thietmar IV, 45
  8. Thietmar, Chronik V, 10.
  9. Knut Görich: Die deutsch-polnischen Beziehungen im 10. Jahrhundert in der Betrachtung der sächsischen Quellen. In: Frühmittelalterliche Studien 43, 2009, S. 315–325, hier: S. 319.
  10. Gerd Althoff, Hagen Keller: Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024. (Gebhardt – Handbuch der deutschen Geschichte, 10. völlig neu bearbeitete Auflage), Stuttgart 2008, S. 302.
  11. Gallus Anonymus I, 6.
  12. Gerd Althoff: Otto III. Darmstadt 1997, S. 143.
  13. Gerd Althoff, Hagen Keller: Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024. (Gebhardt – Handbuch der deutschen Geschichte, 10. völlig neu bearbeitete Auflage), Stuttgart 2008, S. 301.
  14. Gerd Althoff: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. 2. erweiterte Auflage, Stuttgart u. a. 2005, S. 192; Johannes Fried: Otto III. und Boleslaw Chrobry – das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der „Akt von Gnesen“ und das frühe polnische und ungarische Königtum. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Stuttgart 2001, S. 97.
  15. Gerd Althoff/Hagen Keller: Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024. (Gebhardt – Handbuch der deutschen Geschichte, 10. völlig neu bearbeitete Auflage), Stuttgart 2008, S. 295f.
  16. Herbert Ludat: An Elbe und Oder um das Jahr 1000. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und der slavischen Mächte. Köln u. a. 1971, S. 81.
  17. Johannes Fried: Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der „Akt von Gnesen“ und das frühe polnische und ungarische Königtum. Eine Bildanalyse und ihre historischen Folgen. Stuttgart 1989, S. 81.