Albert Derichsweiler

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Datei:DerichsweilerAlbert.jpg
Albert Derichsweiler
Albert Derichsweiler (links) während einer Kundgebung an der Berliner Universität 1934. In der Mitte Rektor Eugen Fischer.

Albert Derichsweiler (* 6. Juli 1909 in Bad Niederbronn/Elsass; † 6. Januar 1997 in München) war ein hochrangiger nationalsozialistischer Studentenfunktionär in der NS-Zeit, unter anderem Bundesführer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB) von 1934 bis 1936. Nach dem Krieg engagierte er sich als Kommunal- und Landespolitiker in der Deutschen Partei und der FDP.

NS-Karriere

Derichsweiler war seit 1929 Mitglied der Hitler-Jugend. Er studierte von 1931 bis 1937 Rechtswissenschaft in Bonn, Münster und Köln. Seit Dezember 1930 Mitglied der NSDAP, Mitgliedsnummer 394.037, trat er 1931 in den NSDStB und in die SA ein. Nach seinem Wechsel nach Münster gehörte er von 1931 bis 1935 der dortigen CV-Verbindung Sauerlandia an, der er im Wintersemester 1932/33 als Senior vorstand.[1]

Im April 1933 wurde er zum NSDStB-Hochschulgruppenführer und zugleich Führer der Studentenschaft Münster ernannt. Im Mai desselben Jahres trat er als Redner bei der Bücherverbrennung in Münster auf. Das NS-Regime trieb die Gleichschaltung entschlossen voran; Derichsweiler machte in den folgenden Monaten schnell Karriere, unter anderem als 'Kreisführer West' des NSDStB, Kreisleiter der Deutschen Studentenschaft und Stabsleiter des CV, bevor er am 1. August 1934 als „Reichsleiter“ die Bundesführung des NSDStB übernahm.

In dieser Funktion, die er bis November 1936 innehatte, profilierte sich Derichsweiler als Verfechter einer kompromisslosen Ausschaltung der traditionellen Studentenverbindungen, die sich nach einer kurzen Phase des Widerstandes im Verlauf des Jahres 1935 mehrheitlich selbst auflösten, um der Eingliederung zu entgehen (siehe auch Geschichte der Studentenverbindungen) oder in den NSDStB eingliederten. Bereits im Mai 1935 war er selbst aus seiner Verbindung ausgetreten.[1] Am 25. Juni 1935 erließ er in seiner Funktion als „Führer des NSDStB“ Richtlinien für die weltanschauliche Schulung in den Korporationen. Im Zuge dieser Entwicklung kam es immer wieder zu Machtkämpfen mit der von dem Nationalsozialisten Andreas Feickert geführten Deutschen Studentenschaft, da beide Organisationen die politische Führung der Studentenschaft für sich beanspruchten. Um diese für die NS-Führung störende Rivalität zu beenden, wurden schließlich sowohl Derichsweiler als auch Feickert abgesetzt und ihre Funktionen unter Gustav Adolf Scheel in einer einheitlichen Reichsstudentenführung zusammengeführt.

Derichsweiler wurde anschließend als SA-Obersturmführer in den Stab von Rudolf Heß berufen und trat nach eigenen Angaben „bis zum Kriegsende nicht weiter hervor“. Tatsächlich bekleidete er in den Folgejahren zahlreiche Ämter und Funktionen des NS-Staates, z. B. Reichsredner der NSDAP, Mitglied des einflusslosen Reichstages (1936 bis 1938),[2] Gauobmann der DAF sowie 1943 kurzzeitig Präsident der Gauarbeitskammer im Warthegau, bevor er die letzten beiden Kriegsjahre als Soldat bei der Waffen-SS verbrachte, mit dem letzten Rang SS-Obersturmführer.

Derichsweiler tat sich als Ideologe hervor, als er während der Verschärfung des Kirchenkampfes 1936 Hitlers Parole „Positives Christentum[3] so interpretierte, dass damit nicht die christlichen Konfessionen, sondern eine allgemeine positive Religiosität gemeint sei und sich aus dieser Formel deshalb nicht auf eine von Hitler garantierte Schutzwirkung für die Kirchen im Sinne einer Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum schließen lasse[4].

Nachkriegszeit

Nach Kriegsende war Derichsweiler zunächst als Kaufmann tätig und engagierte sich dann in der national-konservativen Deutschen Partei, deren hessischer Landesvorsitzender er Anfang der 50er Jahre war.[5] 1952 wurde er in den Stadtrat von Frankfurt am Main gewählt. Bereits ein Jahr später wechselte er zur FDP. Am 12. Januar 1955 rückte er für August-Martin Euler in den Hessischen Landtag nach. Er verließ am 2. Mai 1956 die FDP-Fraktion und schloss sich der FDP-Abspaltung Freie Volkspartei an, deren Bundesgeschäftsführer er war. Mit dieser kehrte Derichsweiler schließlich 1957 zur DP zurück und wurde dort erneut zum hessischen Landesvorsitzenden gewählt und behielt dieses Amt bis 1959. Nach dem Zusammenschluss von DP und GB/BHE kandidierte er bei der Bundestagswahl 1961 für das Fusionsprodukt Gesamtdeutsche Partei erfolglos auf der hessischen Landesliste und im Bundestagswahlkreis Hanau.[6]

Derichsweiler wurde 1978 zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie gewählt.[7]

Literatur

  • Sebastian Felz: Albert Derichsweiler (1909–1997). Die Karriere eines Brandstifters. In: Anja Gussek, Daniel Schmidt, Christoph Spieker (Hrsg.): Öffentliche Zensur und Bücherverbrennung in Münster. Eine Dokumentation herausgegeben aus Anlass der Enthüllung einer Gedenktafel am 6. Mai 2009 (= Geschichtsort Villa ten Hompel Aktuell 12). Villa ten Hompel, Münster 2009, ISBN 978-3-935811-05-7, S. 21–37. (Kapitel Online als PDF; 1,13 MB)
  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik (= Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Band 6). Synchron, Heidelberg 2004, ISBN 3-935025-68-8, S. 38–39.
  • Albrecht Kirschner: Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Vorstudie „NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter“ der Kommission des Hessischen Landtags für das Forschungsvorhaben „Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“. Hrsg.: Hessischer Landtag. Wiesbaden 2013, S. 8, 23, 26–29, 31–32, 34–36, 39, 49 (Download [PDF; 479 kB]).
  • Jochen Lengemann: Das Hessen-Parlament 1946–1986. Biographisches Handbuch des Beratenden Landesausschusses, der Verfassungsberatenden Landesversammlung und des Hessischen Landtags (1.–11. Wahlperiode). Hrsg.: Präsident des Hessischen Landtags. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-458-14330-0, S. 234 (hessen.de [PDF; 12,4 MB]).
  • Jochen Lengemann: MdL Hessen. 1808–1996. Biographischer Index (= Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen. Bd. 14 = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen. Bd. 48, 7). Elwert, Marburg 1996, ISBN 3-7708-1071-6, S. 105.
  • Joachim Lilla, Martin Döring, Andreas Schulz: Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Droste, Düsseldorf 2004, ISBN 3-7700-5254-4, S. 95–96.
  • Albert Derichsweiler, Internationales Biographisches Archiv 35/1959 vom 17. August 1959, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  • Rainer Pöppinghege: Die Bücherverbrennung als Karrieresprungbrett: „Reichsstudentenbundsführer“ Albert Derichsweiler (1934–1936). In: GDS-Archiv, Bd. 9, 2011, S. 137–155.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Geschichte der KDStV Sauerlandia (PDF; 174 kB), S. 4.
  2. Albert Derichsweiler in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
  3. aus dem NSDAP-Parteiprogramm von 1920
  4. Auch diejenigen Christen, die den ehrlichen Willen haben, ihrem Volke zu dienen, müßten bekämpft werden, so wurde in einem studentischen Schulungslager gesagt. Wenn das Parteiprogramm von „positivem Christentum“ rede, so sei damit in Wirklichkeit nicht das Christentum, sondern ganz allgemein eine positive Religiosität gemeint. Man habe das nicht gleich offen aussprechen können. Denn der Arzt könne einem Kranken nicht die volle Wahrheit sagen. Diese Ausführungen sind von dem Reichsamtsleiter Derichsweiler ausdrücklich bestätigt worden. Quelle (Memento vom 24. September 2015 im Internet Archive), An die evangelische Christenheit und an die Obrigkeit in Deutschland, Kanzelabkündigung der Bekennenden Kirche Deutschlands am Sonntag. den 23. August 1936. Druck: Schlesische Bekenntnissynode Naumburg; Hg. Heinrich Benckert; Brehmer & Minuth, Breslau 1936; Derichsweilers Angriff auch in Der 20. Juli 1944 und das Erbe des deutschen Widerstandes. Hgg. Günter Brakelmann, Manfred Keller. Lit, Münster 2005 ISBN 3-8258-8561-5, S. 48; wieder in Margot Käßmann, Anke Silomon Hgg.: Gott will Taten sehen. Christlicher Widerstand gegen Hitler. C. H. Beck, München 2013, ISBN 3-406-64453-8; beide online einsehbar
  5. Christof Brauers: Die FDP in Hamburg 1945 bis 1953. München 2007, ISBN 978-3-89975-569-5, Seite 587. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  6. http://www.kgparl.de/online-volksvertretung/mdb-d.pdf{{Toter Link|url=http://www.kgparl.de/online-volksvertretung/mdb-d.pdf |date=2018-08 |archivebot=2018-08-22 19:59:54 InternetArchiveBot }} (Link nicht abrufbar)
  7. Carsten Krystofiak: Zeitreise: Ostfront am Kanal – Recherchen ohne Ende: Der Historiker Christian Steinhagen weiß alles über »Das braune Münster«. In: Ultimo, Nr. 11/13, 13. Mai 2013 – 26. Mai 2013, S. 8f.