Am deutschen Wesen mag die Welt genesen

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Wehrschatzmarke des Deutschen Schulvereins aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.

Am deutschen Wesen mag die Welt genesen ist ein politisches Schlagwort, welches auf Emanuel Geibels Gedicht Deutschlands Beruf von 1861 zurückgeht. Geibel setzt sich darin für die Einheit Deutschlands ein und ruft die Einzelstaaten zur Einigung unter einem deutschen Kaiser, dem seit 1861 als König von Preußen regierenden Wilhelm I., auf, wie es nach den „Einigungskriegen“ schließlich 1871 auch geschah. Das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen mag, ist als das geeinte deutsche Staatswesen zu verstehen, von dem eine Friedenswirkung auf das europäische Staatengefüge ausgehen werde.[1]

Das Schlagwort Am deutschen Wesen mag die Welt genesen wurde später von der politischen Führung verwendet und wohl auch umgedeutet. Kaiser Wilhelm II. verwendete es zum Beispiel in seiner Rede am 31. August 1907 im Landesmuseum in Münster.[2] Versteht man Wesen unter Missachtung des geschichtlichen Kontexts als Wesen im philosophischen Sinn, kann es gegen die Intention Geibels als Aufforderung an die Welt missverstanden werden, „deutscher zu werden“. Dem entsprach die verbreitete Zuspitzung des Geibel’schen mag zu soll: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.[3] Bundespräsident Theodor Heuss erteilte dieser Interpretation 1952 eine Absage: „Es ist kein Volk besser als das andere, es gibt in jedem solche und solche. Amerika ist nicht ‚God’s own country‘, und der harmlose Emanuel Geibel hat einigen subalternen Unfug verursacht mit dem Wort, daß am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen werde.“[4]

Deutschlands Beruf

Die 7 Strophen des Gedichts:[5]

Soll’s denn ewig von Gewittern
Am umwölkten Himmel brau’n?
Soll denn stets der Boden zittern,
Drauf wir unsre Hütten bau’n?
Oder wollt ihr mit den Waffen
Endlich Rast und Frieden schaffen?

Daß die Welt nicht mehr, in Sorgen
Um ihr leichterschüttert Glück,
Täglich bebe vor dem Morgen,
Gebt ihr ihren Kern zurück!
Macht Europas Herz gesunden
Und das Heil ist euch gefunden.

Einen Hort geht aufzurichten,
Einen Hort im deutschen Land!
Sucht zum Lenken und zum Schlichten
Eine schwerterprobte Hand,
Die den güldnen Apfel halte
Und des Reichs in Treuen walte.

Sein gefürstet Banner trage
Jeder Stamm, wie er’s erkor,
Aber über alle rage
Stolzentfaltet eins empor,
Hoch, im Schmuck der Eichenreiser
Wall’ es vor dem deutschen Kaiser.

Wenn die heil’ge Krone wieder
Eine hohe Scheitel schmückt,
Aus dem Haupt durch alle Glieder
Stark ein ein’ger Wille zückt,
Wird im Völkerrath vor allen
Deutscher Spruch aufs neu erschallen.

Dann nicht mehr zum Weltgesetze
Wird die Laun’ am Seinestrom,
Dann vergeblich seine Netze
Wirft der Fischer aus in Rom,
Länger nicht mit seinen Horden
Schreckt uns der Koloß im Norden.

Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen.

Erklärung

Die Laun' am Seinestrom bezieht sich auf das Zweite Kaiserreich Napoleons III. in Frankreich, während der Fischer in Rom den seit 1846 amtierenden Papst Pius IX. bezeichnet und wie der päpstliche Fischerring Bezug nimmt auf die Berufung Petri und seines Bruders Andreas zu „Menschenfischern“ (Mk 1,17 EU). Der Koloß im Norden kann als das Russische Kaiserreich verstanden werden.

Literatur

  • Geflügelte Worte. Zitate, Sentenzen und Begriffe in ihrem geschichtlichen Zusammenhang, hg. von Kurt Böttcher u. a. Leipzig 1985, S. 501 f.
  • Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker: Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte. Leipzig, 2002, S. 279–283

Einzelnachweise

  1. Ulrich Roos, Deutsche Außenpolitik: Eine Rekonstruktion der grundlegenden Handlungsregeln, S. 177 Fn. 202 books.google
  2. Internetportal Westfälische Geschichte Landesmuseum Münster / Festmahl für die Provinz Westfalen
  3. Duden – Das große Buch der Allgemeinbildung, Seite 286 books.google
  4. Theodor Heuss: Ansprache zur Eröffnung der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 30. November 1952 https://www.zeit.de/reden/die_historische_rede/heuss_holocaust_200201
  5. Textquelle: Emanuel Geibel: Heroldsrufe. Aeltere und neuere Zeitgedichte. Stuttgart 1871, S. 116–118