Analogisierung (Gesellschaft)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Icon tools.svg

Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Portals Soziologie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Soziologie auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Hilf mit, die inhaltlichen Mängel dieses Artikels zu beseitigen, und beteilige dich an der Diskussion. (Artikel eintragen)

Der Begriff Analogisierung bezeichnet im gesellschaftlichen Kontext einen sich in jüngerer Zeit verstärkt ausbildenden Gegentrend zur Digitalisierung der Gesellschaft bzw. der digitalen Transformation, der die Auswirkungen und Folgen der massenhaften Verbreitung digitaler Systeme und deren Eindringen in alle Lebensbereiche des Menschen kritisch betrachtet und Alternativen vorschlägt.

Der Begriff ist dabei nicht im eigentlichen Wortsinn (siehe Analog) zu verstehen, sondern gründet sich vielmehr auf den Sachverhalt, dass von vielen Menschen das Wort Analog mit veraltet, althergebracht aber auch konventionell assoziiert und damit als Gegenteil von digital gesehen wird, das mit fortschrittlich und modern verknüpft ist. Dabei ist genau diese pauschal positive Konnotation durch weite Teile der Gesellschaft und deren unreflektierte Rezeption digitaler Systeme, Medien und Verhaltensweisen ein Hauptkritikpunkt.

Entstehung

Jeder Trend erzeugt über kurz oder lang auch einen Gegentrend, so auch die Digitalisierung. Wer von ständiger Erreichbarkeit und Ablenkbarkeit durch mobile digitale Geräte genervt ist, wer Nachhaltigkeit über die nächste digitale Gerätegeneration hinaus erwartet oder wer zum Lesen eines Artikels kein Computersystem bei sich tragen will, wird sich bald nach Alternativen umsehen und ggf. feststellen, dass Digitalisierung kein Allheilmittel ist, sondern ein Hilfsmittel, das man auch kritisch betrachten kann.[1] Wer sich dann bewusst nicht-digitalen Systemen zuwendet und sich dazu mit Gleichgesinnten austauscht, ist Teil des Gegentrends Analogisierung.[2][3][4][5][6]

Abwägung

Digitale Systeme bringen eine enorme Leistungsfähigkeit und Flexibilität mit sich, was bei niedrigen Preisen ihre Anwendung in vielen Bereichen rechtfertigt. Bezieht man jedoch weitere Aspekte mit ein, wie z. B. zur Herstellung kurzlebiger Geräte erforderliche und knapper werdende Rohstoffe, den Energieverbrauch oder die Nachhaltigkeit über viele Jahre hinweg (Archivierung), so kann die Entscheidung durchaus anders ausfallen (z. B. für ein Buch aus Papier, das man auch nach 100 Jahren noch ohne weitere Hilfsmittel lesen können wird). Solche Abwägungen, die in der gegenwärtigen Digitalisierungseuphorie selten betrachtet werden, fördern den Trend der Analogisierung.[7]

Der gesellschaftliche Trend der Analogisierung führt zu einer kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung mit der Digitalisierung.

Beispiele

  • Im HiFi-Bereich wurden Musiksignale lange Zeit rein analog verarbeitet, bis in den 1980er Jahren die CD als digitales Medium ihren Siegeszug begann und insbesondere die Schallplatte verdrängte. Aber es blieben Liebhaber[8] und inzwischen (2020) hat die Schallplatte („Vinyl“) wieder einen festen Platz im Musikgeschäft.
  • Gelegentlich trifft man jetzt (2020) wieder Hobbyfotografen, die sich bewusst mit dem Prozess des Fotografierens auseinandersetzen wollen und durch die Verwendung von Analogkameras künstlerische Inspiration daraus ziehen.[9]
  • Digitale Informationen sind sehr kurzlebig und man benötigt zur Nutzung auch immer ein passendes Computersystem. Abhilfe schaffen kann eine direkt lesbare, analoge Hardcopy auf einem haltbaren Medium (z. B. säurefreies Papier oder Mikrofilm).[10]
  • Im Bereich der Musikproduktion favorisieren Musiker zunehmend eine Produktionstechnik, die vom Computer oder digitaler Geräte wieder unabhängiger ist, um sich vom Zeitalter der elektronischen Musik der 1990er und 2000er, in der digitale Systeme Einzug hielten, gezielt abzugrenzen. In diesem Zusammenhang ist auch eine Rückbesinnung auf ältere Analogtechnik beobachtbar und dies selbst in den Fällen, wo dies technisch nicht begründbar ist.

Siehe auch

Literatur

  • Andreas Dohmen: Wie digital wollen wir leben? Die wichtigste Entscheidung für unsere Zukunft. Patmos Verlag, Ostfildern 2019, ISBN 978-3-8436-1151-0.
  • André Wilkens: Analog ist das neue Bio: eine Navigationshilfe durch unsere digitale Welt. Überarbeitete Ausgabe. (Fischer Taschenbuch) S. Fischer, Frankfurt a. M. [2017], ISBN 978-3-596-29901-0

Einzelnachweise

  1. Eduard Kaeser: Trojanische Pferde unserer Zeit. Kritische Essays zur Digitalisierung. Schwabe Verlag, Basel 2018, ISBN 978-3-7965-3881-0.
  2. Gegentrend Entdigitalisierung und Reanalogisierung ... In: Persoblogger.de - das Portal für HR-Praktiker von Stefan Scheller. 24. April 2017, abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  3. Schöne alte Welt - von der Digitalisierung zurück zum Analogen. In: PERSPEKTIVE. 21. September 2017, abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  4. Wer nicht analogisiert, ist weg vom Fenster! | Workshop Digitalisierung vs. Analogisierung. In: Wohlstandsgenossenschaft. 9. Januar 2020, abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  5. Julia Culen: The analogization of digital. juliaculen.com-Internetportal, Rubrik "Digital transformation, thoughts & ideas", 15. Juli 2019 (englisch).
  6. Dare to be analog. Abgerufen am 4. April 2020.
  7. Reiner Göldner: Archiving by Analogization !? | CHNT | Vienna. Abgerufen am 4. April 2020 (amerikanisches Englisch).
  8. Vinyl-Fans. Abgerufen am 4. April 2020.
  9. The Analog Photographer. In: The Analog Photographer. 23. Dezember 2016, abgerufen am 4. April 2020.
  10. National Archives: Microfilm. 15. August 2016, abgerufen am 4. April 2020 (englisch).