Andalusische Kadenz
Andalusische Kadenz, auch Spanische Kadenz, ist die umgangssprachliche Bezeichnung für eine lineare und harmonische Fortschreitung, die in der andalusischen Volksmusik und im Flamenco verwendet wird. Der lineare Aspekt des Modells besteht in dem phrygischen Tetrachord der Unterstimme, der Harmonische in der Rückung von Dreiklängen. Die Stimmführung (Quintparallelen) dürfte ihren Ursprung in der Gitarren- bzw. Lautenmusik haben. Auch in der Rock- und Popmusik ist das Modell anzutreffen. Kompositionsgeschichtlich sind im Bereich Klassische Musik die artifiziellen Ausarbeitungen des absteigenden phrygischen Tetrachords bedeutsam, in der Musikwissenschaft und Musiktheorie hat sich für dieses Modell die Bezeichnung Lamentobass etabliert.
Interpretationen
Das Moll lässt sich stufentheoretisch einfach darstellen, da es nur grundstellige Dreiklänge enthält, mit der i. Stufe beginnt und mit einer dominantischen V. Stufe endet:
i - bVII - bVI - V
Aus funktionstheoretischer Sicht beginnt das Modell tonikal und es endet dominantisch.
Verwendung
Klassische Musik
In etlichen Werken der klassischen Musik finden sich Phrygische Kadenzen über dem Topos des Lamentobasses, dessen Harmonisierung möglicherweise als Modell für die historisch später anzusiedelnde Andalusische Kadenz gedient haben, u. a. in:
- Étienne Moulinié: Jalouse envie, Air de Cour (1637 veröffentlicht)
- Claudio Monteverdi: Lamento della Ninfa (1638 veröffentlicht)
- Luigi Pozzi: Cantata Sopra il Passacaglio. Diatonica (1654 veröffentlicht)
- Johann Sebastian Bach: Ciaccona aus der Partita d-Moll für Solovioline BWV 1004 (1720)
- Anselm Viola: Quoniam aus dem Gloria der Alma Redemptoris Mater-Messe, für Chor, Solisten und Orchester (ca. 1780)
- Carl Orff: Fortune plango vulnera aus Carmina Burana (1935-6)
Die Andalusische Kadenz und verwandte Erscheinungen in der Pop- und Rockmusik
Da die Andalusische Kadenz oder ihre harmonischen und motivischen Ableger naturgemäß in unzähligen Kompositionen der spanischen Popularmusik vorkommen, entweder als dominierende und ostinate Akkordprogression, wie z. B. in der mehrfach gecoverten Komposition Todo tiene su fin (1969)[1] der madrilener Rockgruppe Módulo, oder als Formteil, wie im Refrain des international erfolgreichen The Ketchup Song von Las Ketchup, werden nachfolgend nur Beispiele aus dem Bereich angloamerikanisch beeinflusster Musikstücke aufgeführt, wobei kurze Quartfallmotive in Ermangelung einer kadenzierenden Funktion im Prinzip nicht mehr unter den voranstehend abgehandelten Begriff fallen.
Andalusische Kadenzen als dominantes Strukturmerkmal
- Dicke von Marius Müller-Westernhagen (ostinate Andalusische Kadenz über jeweils 8 Takte)
- In the Year 2525 von Zager & Evans (ostinate Andalusische Kadenz über jeweils 8 Takte)
- April (1. und 3. Teil) von Deep Purple (ostinate Andalusische Kadenz über jeweils 8 Takte)
- The burning Red von Machine Head (ostinate Andalusische Kadenz über jeweils 8 Takte)
- One More Cup of Coffee (Valley Below) von Bob Dylan (ostinate Andalusische Kadenz über jeweils 8 Takte in den Strophen und instrumentalen Zwischenspielen)
Harmonische Quartfallprogressionen mit phrygischem Halbschluss als untergeordnetes Strukturprinzip
- Don’t Let Me Be Misunderstood (Strophe: zweimaliger harmonischer Quartfall mit phrygischem Halbschluss, jeweils 4 Takte)
- Sultans of Swing von den Dire Straits (Jeweils 1. und 2. Strophenzeile mit phrygischem Halbschluss, jeweils 4 Takte)[2]
- Nights In White Satin von Moody Blues (Beginn des Flötensolos: zweimaliger harmonischer Quartfall über jeweils 4 Takte mit phrygischem Halbschluss)
Die Andalusische Kadenz als kurzes stilistisches Zitat
- Innuendo von Queen (dreimal wiederholte Andalusische Kadenz in zwei instrumentalen Zwischenspielen, zunächst mit Flamencogitarre, dann als E-Gitarren-Solo)
Zweitaktige Quartfallmotive ohne Kadenzwirkung
- Hit the Road Jack von Percy Mayfield (zweitaktiges Quartfall-Ostinato mit phrygischer Halbschlusswendung)
- Ice Cream Man von Tom Waits (zweitaktiges Quartfall-Ostinato mit phrygischer Halbschlusswendung)
Literatur
- Christoph Hempel: Harmonielehre. Das große Praxisbuch. Mainz: Schott 2014, ISBN 978-3-7957-8730-1, S. 464.
- Ulrich Kaiser: Lamentobass. Musik aus vier Jahrhunderten. Karlsfeld: Selbstverlag 2013.