Andreas Knie (Soziologe)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Andreas Knie (2020)

Andreas Knie (* 12. Dezember 1960 in Siegen) ist ein deutscher Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) und Professor für Soziologie an der TU Berlin.

Leben

Andreas Knie studierte von 1980 bis 1986 Politologie an der Universität Marburg und der FU Berlin. 1990 promovierte er an der TU Berlin zum Dr. phil. mit dem Thema Diesel – Karriere einer Technik. 1995 folgte seine Habilitation mit dem Titel Wankel-Mut in der Autoindustrie, ebenfalls an der TU Berlin.

Seit 1987 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), an dem er seit 2020 die Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung[1] gemeinsam mit Weert Canzler leitet.[2] Davor koordinierte er als Forschungsgruppenleiter die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik des WZB. Zudem ist Knie seit Juni 2018 Chief Scientific Officer (CSO) der Choice GmbH.[3]

Von 2001 bis 2016 war er Bereichsleiter bei der DB Rent GmbH. 2006 gründete Knie die von den Eigentümern Deutsche Bahn AG, WZB, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Siemens und T-Systems getragene InnoZ GmbH zur praxisnahen Untersuchung von Innovationsprozessen im Mobilitätssektor, deren Co-Geschäftsführer er bis Sommer 2018 war.[4][5] Im InnoZ sollte Forschungs- und Unternehmenswissen zusammengeführt werden.[6] Nach dem Ausscheiden Knies und der Gesellschafter Siemens und T-Systems kündigten die verbliebenen Gesellschafter Deutsche Bahn, WZB und DLR an, dass das InnoZ Ende April 2019 geschlossen wird.[5]

Andreas Knie war Mitglied der Arbeitsgruppe Rahmenbedingungen der Nationalen Plattform Elektromobilität[7] sowie des Beirates für nachhaltige Entwicklung des Landes Brandenburg.[8] Seit 2017 ist er Mitglied im Rat der Agora Verkehrswende.

Werk

Andreas Knie entwickelte auf Grundlage der Arbeiten von Meinolf Dierkes, Werner Rammert und anderen die soziologische Technikgeneseforschung weiter. In einem frühen Aufsatz zum Konservativen des technischen Fortschritts formulierte er seine Auffassung von einem technischen Kern, in dem der soziale Entstehungskontext gleichsam „eingeschrieben“ sei. Dazu analysierte er die historischen Hintergründe von Kommunikations- und Verkehrstechnik, etwa die mechanische Schreibmaschine oder den Dieselmotor.[9]

Andreas Knie plädiert in zahlreichen Publikationen für eine Abkehr von einer auto-nahen Verkehrspolitik und eine Verkehrswende hin zu mehr Flexibilität öffentlicher Angebote. Er schlägt die Veränderung politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen als „Realexperimente“ vor.[10] Seine Forderung nach Grenzen für Privatautos ruft zahlreiche Kommentare auf Gastbeiträge und Medienberichte hervor.[11][12] Im Gegensatz zu vehementen Autokritikern wie etwa Hermann Knoflacher oder Winfried Wolf lehnt Knie das Automobil jedoch nicht gänzlich ab. Stattdessen untersucht und unterstützt er seit den 1990er Jahren neue Nutzungsformen, wie das Car-Sharing.[13] Dazu fordert er zusätzliche Mobilitätsangebote, wie Call a bike.[14] Digitale Plattformen verstärken laut Knie die Tendenz, unterschiedliche Mobilitätsangebote zu kombinieren.[15] Ein weiteres Thema ist die Zukunft der Verkehrspolitik unter dem Eindruck des demographischen Wandels.[16] Die finanziellen und technischen Hürden der Elektromobilität bieten aus Knies Sicht die Chance, private und öffentliche Verkehrsmittel zu einer urbanen, postfossilen Mobilitätskultur zu verbinden.[17] Die Chancen der Energiewende sieht Knie im Zusammenwirken einer CO2-Reduktion des Verkehrs und dezentraler, nutzernaher Energienetze (smart grids).[18][19]

Andreas Knie tritt für eine stärkere Integration von Theorie und Praxis in den Sozialwissenschaften ein.[20] Er ist Initiator der vom BMBF veröffentlichten Berliner Erklärung zur Mobilitätswende in der Forschung.[21]

Auszeichnungen

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Diesel – Karriere einer Technik. Genese und Formierungsprozesse im Motorenbau. Edition Sigma, Berlin 1991, ISBN 3-89404-103-X.
  • Wankel-Mut in der Autoindustrie. Anfang und Ende einer Antriebsalternative. Edition Sigma, Berlin 1994, ISBN 3-89404-145-5.
  • mit Weert Canzler: Das Ende des Automobils. Fakten und Trends zum Umbau der Autogesellschaft. C. F. Müller, Heidelberg 1994, ISBN 3-78809-872-4.
  • mit Weert Canzler: Möglichkeitsräume: Grundrisse einer modernen Mobilitäts- und Verkehrspolitik. Böhlau, Wien 1998, ISBN 3-20598-854-X.
  • Mitherausgeber: Handbuch Verkehrspolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, ISBN 3-53114-548-7.
  • Mitherausgeber: Handbuch Wissenschaftspolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 3-53115-742-6.
  • mit Weert Canzler: Grüne Wege aus der Autokrise – Vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2009, ISBN 978-3-86928-005-9. (Grüne Wege aus der Autokrise – Vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister. Abgerufen am 25. Januar 2019.)
  • mit Weert Canzler: Einfach aufladen – Mit Elektromobilität in eine saubere Zukunft. Oekom-Verlag, München 2011, ISBN 978-3-86581-270-4 (von der Deutschen Umweltstiftung als Umweltbuch des Monats ausgezeichnet[23]).
  • mit Weert Canzler: Schlaue Netze – Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt. Oekom-Verlag, München 2013, ISBN 978-3-86581-440-1.
  • mit Weert Canzler: Die digitale Mobilitätsrevolution – Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten. Oekom-Verlag, München 2016, ISBN 978-3-86581-754-9.
  • mit Weert Canzler: Taumelnde Giganten – Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung? Oekom-Verlag, München 2018, ISBN 978-3-96238-019-9. (Auch erschienen als Band Nr. 10284 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung.)
  • mit Weert Canzler, Lisa Ruhrort und Christian Scherf: Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende – Soziologische Deutungen. Transcript Verlag, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8376-4568-2.
  • mit Weert Canzler und Lisa Ruhrort: Autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr - Chancen, Risiken und politischer Handlungsbedarf, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, April 2019.
  • mit Lisa Ruhrort: Die Neuordnung des Öffentlichen Verkehrs - Grundsätze für eine neue zukunftsorientierte Regulierung im Personenbeförderungsgesetz, Mai 2019
  • zusammen mit Weert Canzler: Die Citymaut – Neuer Freiraum für die Verkehrspolitik in Zeiten des Wandels. Oekom-Verlag, München 2020, ISBN 978-3-96238-268-1.

Weblinks

Commons: Andreas Knie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Webauftritt der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung des WZB
  2. Jutta Allmendinger (Hrsg.): Die Forschungsgruppe Digitale Mobilität startet am 1. Januar 2020, in: WZB Mitteilungen. Heft 166, Dezember 2019, S. 55 (online unter www.wzb.eu).
  3. Prof. Dr. Andreas Knie wird Head of Scientific Development der Choice GmbH. Choice GmbH, 16. August 2018, abgerufen am 9. September 2019.
  4. Homepage des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH
  5. a b T. Fülling und J. Fahrun: Die Bahn dreht dem InnoZ in Schöneberg den Geldhahn zu. In: Berliner Morgenpost, 27. November 2018.
  6. Weert Canzler, Andreas Knie: Denkräume schaffen - Unternehmen und das WZB kooperieren im InnoZ, in: WZB Mitteilungen. Heft 127, März 2010, S. 56–58. Artikel online (pdf; 50 kB)
  7. Nationale Plattform Elektromobilität: Mitglieder der Arbeitsgruppe 6 (pdf) (Memento vom 30. Januar 2016 im Internet Archive)
  8. Land Brandenburg – Nachhaltigkeitsbeirat: Vorstellung Prof. Dr. Andreas Knie
  9. Andreas Knie: Das Konservative des technischen Fortschritts – Zur Bedeutung von Konstruktionstraditionen, Forschungs- und Konstruktionsstilen in der Technikgenese. Discussion Paper FS II 89-101. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Berlin 1989.
  10. Weert Canzler, Andreas Knie: Festgefahren – Anleitung zum Wandel der Automobilgesellschaft, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft. Jg. 27, Ausg. 4, 2017, S. 475–481. doi:10.1007/s41358-017-0116-x
  11. Stefan Krempl: Netzregeln – Soziologe fordert Verbot eigener Autos, in: heise online, Artikel vom 3. November 2016, Aufruf am 20. April 2017.
  12. Weert Canzler, Andreas Knie: Autos in den Städten sind so was von gestern, in: ZEIT online, Artikel vom 2. April 2017, Aufruf am 20. April 2017.
  13. Mietwagen – Geld oder Liebe. In: Der Spiegel. Nr. 23, 1997, S. 99 (online2. Juni 1997).
  14. Weert Canzler und Andreas Knie: Die Stadt der kurzen Wege ist stets unter Strom. Artikel aus dem Berliner Tagesspiegel vom 17. Februar 2009.
  15. Weert Canzler, Andreas Knie: Die Zukunft urbaner Mobilität – Ansätze für eine ökologische Verkehrswende im digitalen Zeitalter. Böll-Brief Grüne Ordnungspolitik Nr. 6, Berlin 2018 (Onlineversion).
  16. Weert Canzler und Andreas Knie: Demographie und Verkehrspolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. APuZ 29–30/2007, S. 9–14.
  17. Andreas Knie und Weert Canzler: Wir brauchen völlig neue Mobilitätskonzepte, Artikel auf ZEIT-Online vom 3. September 2010
  18. Manuel Waltz: Ein Plädoyer für die Energiewende, Deutschlandfunk, 5. August 2013.
  19. Weert Canzler, Andreas Knie: Die neue Verkehrswelt – Mobilität im Zeichen des Überflusses: schlau organisiert, effizient, bequem und nachhaltig unterwegs. Eine Grundlagenstudie im Auftrag des BEE e.V., Ponte Press, Bochum 2015. (Onlinefassung, PDF, ca. 7 MB)
  20. Andreas Knie: Die verkürzte Wertschöpfungskette des Wissens - Mutmaßungen über den Bedeutungsverlust der Soziologie. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis (SuB). 28. Jg. (2005) Heft 2, S. 204–213.
  21. BMBF: Mobil bleiben: Forschung bereit für Anwendung. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 22. Juni 2017, abgerufen am 23. Juni 2017.
  22. Preisträger Bertha-und-Carl-Benz-Preis 2021. Stadt Mannheim, 23. April 2021, abgerufen am 27. April 2021.
  23. Informationen für Freunde, Partner und Förderer der Deutschen Umweltstiftung, November 2011, S. 6 (Aufrufbar als pdf)