Angemessene Wohnfläche

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die angemessene Wohnfläche ist ein Begriff aus dem deutschen Sozialrecht in Verbindung mit den Kosten der Unterkunft. Sie gab die Wohnfläche vor, für die im Regelfall einem Haushalt bzw. Bedarfsgemeinschaft die öffentliche Leistung wie zum Beispiel ALG-2 gewährt wird. Die Städte und Gemeinden in Deutschland werden abhängig vom jeweiligen Mietenniveau seit 1. Januar 2020 in sieben Mietenstufen eingeteilt.[1][2]

Bemessung der angemessenen Wohnfläche

Der Staat muss auf der einen Seite das menschenwürdige Existenzminimum garantieren, auf der anderen Seite nicht „jedwede Unterkunft“ im Falle einer Bedürftigkeit finanzieren und die Mietkosten nicht unbegrenzt erstatten.[3] Die Höhe der Aufwendungen für die Unterkunft wird wesentlich durch die Wohnfläche bestimmt.

Bundesweit einheitliche Kriterien für die Berechnungen insbesondere hinsichtlich der Wohnfläche bestanden zunächst nicht. Orientierung boten neben § 22 SGB II die Nebennormen der Länder. Beispiele sind:

Bundesland Nebennormen
Bayern Ziffer 5.8 der Verwaltungsvorschriften zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWoBindR)[4]
Ziffer 20.2 der Wohnraumförderungsbestimmungen 2008 (WFB 2008)[5]
Nordrhein-Westfalen § 18 Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land NRW (WFNG NRW)
Ziffer 8.2 der Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB)

Ab 1. Januar 2018 galten folgende Richtwerte in Wuppertal:[6]

Haushaltsgröße Angemessener
Wohnraum
Wohnräume Fläche
1 Person 1 Raum bis zu 50 m²
2 Personen 2 Räume bis zu 65 m²
3 Personen 3 Räume bis zu 80 m²
4 Personen 4 Räume bis zu 95 m²
jede weitere Person + 1 Raum + 15 m²

Wohneigentum

Abweichend zu den Wohnungsgrößen bei Mietwohnungen gelten bei selbstgenutztem Wohneigentum separate angemessene Größen, bei denen es keiner Prüfung der Angemessenheit bedarf (Bundessozialgericht 2006).[7][8][9] Dabei handelt es sich allerdings nicht um feste Werte; es kommt auf den Einzelfall an.

Anzahl der im Haushalt
lebenden Personen
Eigentumswohnung Eigenheim
1–2 80 m² 90 m²
3 100 m² 110 m²
4 120 m² 130 m²
für jede weitere Person + 20 m² + 20 m²

Produkttheorie

Die Quadratmetermiete für Grundmiete und Nebenkosten ohne Heizung (sogenannte Bruttokaltmiete) darf die Sätze nicht übersteigen, die von den Kommunen bzw. Kreisen festgelegt wurden. Eigene Tabellen (Schlüssiges Konzept) lassen die jobcenter in regelmäßigen Abständen von beauftragten Unternehmen ermitteln – diese weichen oft erheblich von dem Mietspiegeln ab, die regelmäßig zwischen Kommunen, Mietervereinen und Vermietverbänden ausgehandelt werden.

Die angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft waren nach der sogenannten Produkttheorie festzulegen, wonach nicht beide Faktoren (Wohnungsgröße, Wohnungsstandard – ausgedrückt durch Quadratmeterpreis) je für sich betrachtet angemessen sein müssen, solange jedenfalls das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt.[10][11] Dadurch lässt sich die Gesamtangemessenheitsgrenze ermitteln.[12]

Der Höchstbetrag für eine angemessene Bruttokaltmiete wurde zum Beispiel in Wuppertal als Produkt aus der individuell zu beanspruchenden Wohnungsgröße und dem Durchschnittsbetrag nach dem Mietpreisspiegel der Stadtund des aktuellen Betriebskostenspiegels NRW gebildet.[6]

Rechtsprechung

Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht entschied 2011, dass Beziehern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II auch die Anmietung von 25 m² kleinen Wohnungen „zumutbar“ sei.[13]

In einem anderen Fall entschied das Bundessozialgericht 2012, dass es hinsichtlich der Angemessenheit bei den Unterkunftskosten auf die landesrechtlichen Bestimmungen des Wohnraumförderungsgesetzes (WNG) ankomme. Bei der Bestimmung der abstrakten Angemessenheit der Wohnungsgröße sei für einen Bezieher von ALG II in NRW von 50 m² für eine und von weiteren 15 m² für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft auszugehen. Es bestätigte somit seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2009.[14]

Das Sozialgericht Dortmund sprach 2010 einem Vater, dessen Kind regelmäßig zu Besuch kam, eine größere Wohnung zu.[15] Das Sozialgericht Kiel sprach 2014 einem arbeitslosen Vater, welcher an 55 Tagen im Jahr sein Umgangsrecht mit seinen beiden Kindern ausübte, einen Anspruch auf eine größere Wohnung und damit auch höhere Leistungen für die Unterkunft zu.[16] Kinder, die sich nicht ausschließlich, aber regelmäßig an den Wochenenden und während der Ferien im elterlichen Haushalt aufhalten, sind nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts München 2017 unter bestimmten Voraussetzungen bei der Vormerkung auf eine größere Sozialwohnung zu berücksichtigen.[17]

Eine zusätzliche Wohnfläche ist für Menschen mit Behinderungen zu gewähren, die wegen ihrer Behinderung oder Erkrankung auf einen zusätzlichen Raum oder zusätzliche Fläche angewiesen sind.

Einzelnachweise

  1. Höchstbeträge in Euro gemäß Wohngeldgesetz
  2. Mietenstufen der Gemeinden nach Ländern gemäß Wohngeldverordnung
  3. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 2017, Az. 1 BvR 617/14. Bundesverfassungsgericht, abgerufen am 20. Juni 2019. PDF (80 kB).
  4. Verwaltungsvorschriften zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts, Bayern
  5. Wohnraumförderungsbestimmungen 2008, Bayern (PDF; 128 kB)
  6. a b Jobcenter Wuppertal (Memento vom 24. Mai 2018 im Internet Archive) Abgerufen am 24. Mai 2018.
  7. Was zählt als Vermögen?, hartziv.org.
  8. Anrechnungsfreiheit von Eigentum siehe § 13 Abs. 3 Nr. 4 SGB II.
  9. Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006, Az. 7b AS 2/05 R beim openJur e. V. bzw. bei sozialgerichtsbarkeit.de, Website der Präsidenten der Landessozialgerichte der Bundesländer.
  10. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2009, Az. B 4 AS 30/08 R beim openJur e. V. bzw. bei sozialgerichtsbarkeit.de.
  11. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Mai 2012, Az. B 4 AS 154/11 R beim openJur e. V. bzw. bei sozialgerichtsbarkeit.de.
  12. Harald Thomé: Arbeitshilfe zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft im Rahmen kommunaler Satzungen (PDF; 1,0 MB)
  13. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. April 2011, Az. L 11 AS 123/09. Bayerisches Landessozialgericht, abgerufen am 20. Juni 2019. und L 11 AS 126/09.
  14. Bundessozialgericht, Urteil vom 22. September 2009, Az. B 4 AS 70/08 R.
  15. Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 28. Dezember 2010, Az. S 22 AS 5857/10 ER. Bayerisches Landessozialgericht, abgerufen am 20. Juni 2019.
  16. Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 9. April 2014, Az. S 38 AS 88/14 ER. (PDF; 62 kB) Sozialberatung Kiel, abgerufen am 20. Juni 2019.
  17. Verwaltungsgericht München, Urteil vom 19. Januar 2017, Az. M 12 K 16.1209. Bayerische Staatskanzlei, abgerufen am 20. Juni 2019.