Apparatemedizin
Apparatemedizin oder Gerätemedizin ist ein Begriff für die von Personen mit medizinischen Berufen ausgeübte technikorientierte Arbeit, die von modernen Geräten dominiert ist und subjektive Belange des Patienten vernachlässigt. Je nach Kontext können dabei Großgeräte wie Kernspintomographen oder Linearbeschleuniger zum Einsatz kommen, die komplexe Technikausstattung von Intensivstationen, oder aber die Gesamtheit der Hilfsmittel, die die Medizintechnik, Biomedizin, medizinische Informatik, Medizinphysik, Biophysik, Biotechnologie, Gentechnik, und die Ingenieurwissenschaften zur Krankenversorgung und Gesundheitsvorsorge beigetragen haben.[1] Apparatemedizin und ihre Kosten sind häufig Gegenstand gesellschaftlicher Debatten; Das Interesse der Bevölkerung um Apparatemedizin wird als sehr hoch eingeschätzt.[2]
Technische Apparate wie Röntgengeräte dehnen die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten der Ärzte aus; sie erlauben Diagnosen und Behandlungen in hoher Genauigkeit; gleichzeitig beeinflussen sie durch ihre Verfügbarkeit stark die Organisation und den Standardisierungsgrad der medizinischen Abläufe.[3] Wie auch die Technik des Alltags determinieren die medizinischen Geräte das Umfeld mit, in dem sie entstanden sind; beispielsweise hat sich aus der Weiterentwicklung der chirurgischen und anästhesiologischen Technik eine Subspezialisierung der miteinander interagierenden Fachleute im Operationssaal ergeben, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar schien. Diese gegenseitigen Erweiterungen, Einschränkungen und Abhängigkeiten von Mensch und Technik sind ein Forschungsgebiet der soziologischen Technikforschung.[4]
Vielfach wird der Begriff Apparatemedizin auch verwendet, um Kritik an einer als zu technikbestimmt, patientenfern empfundenen Medizin auszudrücken, etwa bei der Kostendiskussion im Gesundheitswesen, im Umfeld der Sterbehilfe-Diskussion[5] oder in Stellungnahmen zur Fertilisierungsmedizin[6]. In diesem Zusammenhang wird die Apparatemedizin oft der sogenannten sprechenden Medizin gegenübergestellt, die den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt als Ausdruck menschlicher Zuwendung betont.[7][8] Dabei geht es auch um finanzielle Verteilungskämpfe unter den medizinischen Leistungserbringern.[9]
Siehe auch
Literatur
- Susanne Hahn: Apparatemedizin. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 86 f.
Quellen und Einzelnachweise
- ↑ Rüdiger Kramme: Medizintechnik: Verfahren, Systeme, Informationsverarbeitung. Springer, 27. November 2006, ISBN 978-3-540-34102-4, S. 7– (Abgerufen am 18. August 2011).
- ↑ Apparatemedizin: Mehr Aufklärung und Informationsmaterial gewünscht. Dtsch Arztebl 108(8): A-400/B-324/C-324 25. Februar 2011
- ↑ Werner Vogd: Moderne Mythen der Medizin: Studien zur organisierten Krankenbehandlung. VS Verlag, 2008, ISBN 978-3-531-15425-1, S. 139– (Abgerufen am 18. August 2011).
- ↑ Cornelius Schubert: Die Praxis der Apparatemedizin: Ärzte und Technik im Operationssaal. Campus Verlag, September 2006, ISBN 978-3-593-38188-6 (Abgerufen am 18. August 2011).
- ↑ Klaus-Michael Kodalle: Das Recht auf ein Sterben in Würde: eine aktuelle Herausforderung in historischer und systematischer Perspektive. Königshausen & Neumann, Januar 2003, ISBN 978-3-8260-2489-4, S. 54– (Abgerufen am 18. August 2011).
- ↑ Barbara Böckenförde-Wunderlich: Präimplantationsdiagnostik als Rechtsproblem: ärztliches Standesrecht, Embryonenschutzgesetz, Verfassung. Mohr Siebeck, 1. Dezember 2002, ISBN 978-3-16-147924-3, S. 175– (Abgerufen am 18. August 2011).
- ↑ Die sprechende Medizin. Die Welt online, 29. Juni 2000
- ↑ EU-Charta Patientenrechte: Blinder Fleck. Niedersächsisches Zahnärzteblatt 6/2011, S. 4–7 PDF
- ↑ Ulrike Baureithel: Wenn die Pfründe schrumpfen. In: freitag.de. 19. März 2009, abgerufen am 19. Juli 2022.