Artikel 7 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 7 des deutschen Grundgesetzes (GG) befindet sich im ersten Abschnitt des Grundgesetzes, der die Grundrechte gewährleistet. Der Artikel regelt das deutsche Schulsystem.
Normierung
Art. 7 GG lautet seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 wie folgt:
(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.
(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.
(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.
Art. 7 GG regelt das staatliche Erziehungswesen als Ergänzung zum Elternrecht aus Art. 6 GG. Details sind in diesem Artikel nicht festgelegt, da diese den Bundesländern vorbehalten bleiben. Lediglich das Verhältnis öffentlicher Schulen zu Privatschulen und Fragen der religiösen beziehungsweise weltanschaulichen Orientierung werden ausgestaltet. Art. 7 GG enthält zahlreiche Bestimmungen mit Bezug zum Schulwesen. Teilweise handelt es sich hierbei um Freiheitsrechte, die dem Bürger die Abwehr hoheitlicher Eingriffe in eine Rechtsposition ermöglicht. Andere Regelungen des Art. 7 GG verpflichten den Staat dazu, Einrichtungen zu schaffen und geben dem Staat vor, wie diese zu organisieren sind. Somit stellt Art. 7 GG trotz seiner systematischen Stellung im Abschnitt über die Grundrechte nur in begrenztem Umfang ein solches dar.[1]
Entstehungsgeschichte
Verfassungsrechtliche Bestimmungen zum Schulwesen enthielt die Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919. Gemäß Art. 144 WRV stand das Schulwesen unter der Aufsicht des Staats. Hiermit wollte der Gesetzgeber den kirchlichen Einfluss auf das Schulwesen beschränken.[2]
Schulaufsicht, Art. 7 Absatz 1 GG
Art. 7 Absatz 1 GG weist dem Staat die Aufsicht über das Schulwesen zu. Die Schulaufsicht bezieht sich auf die gesamte Organisation und Verwaltung des Schulwesens.[3] Ausgeübt wird die Schulaufsicht durch die Bundesländer.[4]
Die staatliche Schulaufsicht stellt eine Schranke der in Art. 7 GG enthaltenen Grundrechte dar, erlaubt also Eingriffe in diese, soweit sie zur staatlichen Schulaufsicht erforderlich und verhältnismäßig sind.
Religionsunterricht, Art. 7 Absätze 2, 3 GG
Gemäß Art. 7 Absatz 2 GG besitzen die Erziehungsberechtigten das Recht, über die Teilnahme ihres Kindes bis zum vollendeten 14. Lebensjahr am Religionsunterricht zu bestimmen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um ein Abwehrrecht der Eltern gegen hoheitliche Einmischung. Das durch Art. 7 Absatz 2 GG verbürgte Recht besteht so lange, wie das Kind nicht religionsmündig ist. Im Widerspruch dazu steht das Tragen eines Kopftuches bei nicht religionsmündigen Jugendlichen. Das Kopftuch ist dabei ständig sichtbarer und bewusster Ausweis der vom Elternhause vorgelebten Religionszugehörigkeit. Im Kopftuchstreit gewinnt dieser Art. immer mehr Bedeutung. Nach Ansicht einiger Verfassungsjuristen stünde die Tolerierung des Kopftuchtragens in der Schule bei nicht religionsmündigen Kindern im Widerspruch zu Art. 7 Abs. 2 GG, vielmehr wäre die Auslegung dieses Artikels seinem eigentlichem Zweck dienstbar, allen noch nicht Religionsmündigen eine freie Entscheidung zu ermöglichen.
Gemäß Art. 7 Absatz 3 Satz 1 GG stellt der Religionsunterricht ein reguläres Lehrfach an den Schulen dar. Hiernach ist es als Schulfach gegenüber anderen Fächern gleichberechtigt.[5] Religionsunterricht hat die Vermittlung von Glaubenssätzen einer Religionsgemeinschaft zum Gegenstand. Er beschränkt sich nicht darauf, diese mitzuteilen, sondern lehrt sie als Wahrheit.[6][7] Die Norm verpflichtet den Staat, Religionsunterricht als Lehrfach anzubieten. Auf die Erfüllung dieser Verpflichtung können Religionsgemeinschaften klagen.[8] Art. 7 Absatz 3 Satz 1 GG findet als einzige Bestimmung des Grundgesetzes nicht in dessen gesamtem Geltungsbereich Anwendung. Durch die Bremer Klausel des Art. 141 GG sind die Bundesländer Bremen und Berlin nicht an Art. 7 Abs. 3 Satz 1 gebunden. Eine Anwendung von Art. 141 in den neuen Bundesländern gilt rechtlich als umstritten. Der Inhalt des Religionsunterrichts wird gemäß Art. 7 Absatz 3 Satz 2 GG durch die Religionsgemeinschaften bestimmt.
Privatschulen, Art. 7 Absätze 4, 5, 6 GG
Gemäß Art. 7 Absatz 4 Satz 1 GG dürfen Bürger Privatschulen errichten. Dies umfasst Schulen, die das Bildungsangebot öffentlicher Schulen ergänzen (Ergänzungsschulen) und den Behörden nur angezeigt werden müssen, sowie Schulen, welche die Funktion einer öffentlichen Schule erfüllen (Ersatzschulen). Gemäß Art. 7 Absatz 4 Satz 2 GG bedarf der Betrieb einer Ersatzschule staatlicher Genehmigung. Auf diese hat der Betreiber gemäß Art. 7 Absatz 4 Satz 3 GG einen Anspruch, wenn die Qualität der Ersatzschule der einer öffentlichen Schule gleichwertig ist. Behörden, die mangels Vorgaben und durch den Verzicht auf Kontrollen eine Sonderung der Schüler fördern, dürfen keine Ersatzschulen genehmigen – unabhängig davon, ob die Privatschule auch vorhat, ihre Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern auszuwählen, um beispielsweise hohe Schulgeldeinnahmen zu erzielen oder um eine bestimmte Zusammensetzung der Schülerschaft zu erreichen. Solange die Genehmigungsbehörden eine Sonderung der Schüler fördern, ist es den Behörden eigentlich verboten, Ersatzschulen zu genehmigen. Bisher wird dieses Gebot in den Bundesländern jedoch missachtet und nicht ernst genommen.[9][10][11] Bisher fehlen Vorgaben, die das Sonderungsverbot konkretisieren, und eine Schulaufsicht, die diese kontrollieren würde. „Für Genehmigungsbehörden und Schulträger ist somit nicht klar, wie Schulgelder ermittelt und bis zu welcher Höhe sie erhoben werden können.“[12] Private Vorschulen wie im Kaiserreich bleiben weiterhin aufgehoben (siehe entspr. Abschnitt im Artikel Vorschule). Ein Gesetz, mit dem Absatz 5 aus dem Art. 7 gestrichen werden sollte, wurde zwar entworfen, aber nicht beschlossen.[13]
Anwendung in der Rechtsprechung
Eine Klage von Erziehungsberechtigten, die vor das Bundesverwaltungsgericht gebracht wurde, bezog sich auf den Umstand, dass in Art. 7 Abs. 1 festgelegt ist, dass der Staat die Aufsicht über das Schulwesen hat, aber nicht näher definiert wird, was das Schulwesen ist. Die zu klärende Frage dabei war, ob häuslicher Schulunterricht unter staatlicher Aufsicht zuzulassen ist oder nicht. Dabei kam es zu einer Grundrechtekollision zwischen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 1 GG. Das Bundesverwaltungsgericht entschied 2009, dass grundsätzlich kein Anspruch darauf besteht, die Erfüllung der auf dem staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG beruhenden Schulpflicht durch einen staatlich beaufsichtigten häuslichen Unterricht zu ersetzen.[14]
Eine weitere juristische Prüfung wurde bei der Definition des Begriffes Religionsgemeinschaften eingebracht. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in einem Prozess fest, dass z. B. ein mehrstufiger Verband (Dachverband) ebenfalls eine Religionsgemeinschaft sein kann. Eine Dachverbandsorganisation ist wiederum keine Religionsgemeinschaft, wenn der Dachverband durch Mitgliedsvereine geprägt wird, die religiöse Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen.[15]
Literatur
- Hans Hofmann: Art. 7. In: Bruno Schmidt-Bleibtreu, Hans Hofmann, Hans-Günter Henneke (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz: GG. 13. Auflage. Carl Heymanns, Köln 2014, ISBN 978-3-452-28045-9.
Weblinks
- Wortlaut des Art. 7 GG – Bundesministeriums der Justiz
Einzelnachweise
- ↑ Hans Hofmann: Art. 7, Rn. 2. In: Bruno Schmidt-Bleibtreu, Hans Hofmann, Hans-Günter Henneke (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz: GG. 13. Auflage. Carl Heymanns, Köln 2014, ISBN 978-3-452-28045-9.
- ↑ Hans Hofmann: Art. 7, Rn. 1. In: Bruno Schmidt-Bleibtreu, Hans Hofmann, Hans-Günter Henneke (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz: GG. 13. Auflage. Carl Heymanns, Köln 2014, ISBN 978-3-452-28045-9.
- ↑ BVerwGE 18, 38.
- ↑ Hans Hofmann: Art. 7, Rn. 5. In: Bruno Schmidt-Bleibtreu, Hans Hofmann, Hans-Günter Henneke (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz: GG. 13. Auflage. Carl Heymanns, Köln 2014, ISBN 978-3-452-28045-9.
- ↑ Thorsten Kingreen, Ralf Poscher: Grundrechte: Staatsrecht II. 32. Auflage. C.F. Müller, Heidelberg 2016, ISBN 978-3-8114-4167-5, Rn. 753.
- ↑ BVerfGE 74, 244 (252): Religionsunterrichtsteilnahme Konfessionsfremder.
- ↑ Janbernd Oebbecke: Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts. In: Deutsches Verwaltungsblatt 1996, S. 336 (341).
- ↑ BVerwGE 123, 49 (52).
- ↑ WZB: Genehmigung von Privatschulen: Bundesländer missachten Grundgesetz. (Nicht mehr online verfügbar.) Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 16. November 2016, archiviert vom Original; abgerufen am 27. Mai 2018.
- ↑ Prof. M. Wrase, Prof. M. Helbig: Übersicht über die Vorgaben zur Einhaltung des Sonderungsverbots in den Bundesländern Aktualisierte und ergänzte Fassung auf der Grundlage der in NVwZ 2016 entwickelten Kriterien. (PDF) August 2017, abgerufen am 27. Mai 2018.
- ↑ STB Web: Schulgeldzahlungen für Privatschulen im EU-Ausland unabhängig von ihrer Höhe als Sonderausgaben abzugsfähig. (Nicht mehr online verfügbar.) STB Web, 26. März 2008, archiviert vom Original; abgerufen am 27. Mai 2018: „Das FG Köln begründete seine abweichende Entscheidung damit, dass dieses „Sonderungsverbot“ in der Anerkennungspraxis der Bundesländer nicht Ernst genommen werde. So gebe es beispielsweise staatlich anerkannte Ersatzschulen mit einem Schulgeld bis zu 30.000 Euro jährlich. ...FG Köln, Urteil vom 14. Februar 2008, Az.:10 K 7404/01“
- ↑ Erziehungskunst: Privatschulen: Bundesländer missachten Grundgesetz. (Nicht mehr online verfügbar.) Bund der Waldorfschulen, November 2016, archiviert vom Original; abgerufen am 27. Mai 2018: „Die Mehrheit der Länder konkretisiert das Sonderungsverbot nicht in eigenen Landesgesetzen. Für Genehmigungsbehörden und Schulträger ist somit nicht klar, wie Schulgelder ermittelt und bis zu welcher Höhe sie erhoben werden können.“
- ↑ Politiker der FDP: Drs. 16/10235 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 7 Abs. 5). (PDF) 16. September 2008, abgerufen am 27. Mai 2008.
- ↑ Rechtsanwalt Dr. Thomas Fuchs, Heidelberg: BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 6 B 27.09. Abgerufen am 24. August 2017.
- ↑ Lexetius – Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes – Volltext