Bechdel-Test

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Den Bechdel-Test oder Bechdel-Wallace-Test[1] machte 1985 die amerikanische Cartoon-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel in ihrem Comic Dykes to Watch Out For (deutsch Bemerkenswerte Lesben) bekannt. Er ist kein wissenschaftlicher Test, wird jedoch herangezogen, um Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Spielfilmen wahrzunehmen und zu beurteilen.[2]

Vereinfachend wird der Bechdel-Test in der Presse auch als Sexismus-Test bezeichnet, da er verdeutlicht, wo Frauenrollen eine insgesamt untergeordnete Bedeutung beigemessen wird.[3][4]

Hintergrund und Ziel des Tests

Untersuchungen des Centre for the Study of Women in Television and Film der San Diego State University haben ergeben, dass Frauen in Spielfilmen unterrepräsentiert sind. In 500 Top-Filmen von 2007 bis 2012 war ein Drittel der Hauptrollen mit Frauen besetzt. Das durchschnittliche Verhältnis von männlichen zu weiblichen Akteuren betrug 2,5 zu 1.[5] 2014 waren in den 100 umsatzstärksten Filmen lediglich zwölf Prozent der deutlich erkennbaren Protagonisten weiblich.[6]

Der Bechdel-Test wird als einfaches statistisches Hilfsmittel verwendet, um auf sexistische Geschlechterklischees in Spielfilmen bzw. der Filmindustrie hinzuweisen,[7] indem geprüft wird, ob eigenständige weibliche Figuren vorkommen.[8] Der Test liefert jedoch kein notwendiges oder hinreichendes Kriterium dafür, dass ein einzelner Film (nicht-)sexistisch ist.[7][8]

Fragen des Tests

Der Bechdel-Test besteht aus drei einfachen Fragen. Werden sie positiv beantwortet, hat der Film den Test bestanden.[9]

  • Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?
  • Sprechen sie miteinander?
  • Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?

In jüngeren Varianten des Tests wird zusätzlich gefragt, ob die beiden Frauen im Film einen Namen haben.[10][11]

Anwendung

Nachdem der Bechdel-Test bereits längere Zeit von feministischen Filmkritikern verwendet worden war, wurde er 2011 in einem Artikel im New Yorker einem breiteren Publikum bekannt gemacht.[10]

Der Bechdel-Test wurde von der Medienkritikerin Anita Sarkeesian für die Analyse von Spielfilmen verwendet, die 2011 für den Oscar nominiert waren.[12] 2014 berichtet die Washington Post, dass in der Kategorie „Bester Film“ nur vier der neun nominierten Filme den Bechdel-Test bestehen, obwohl das Jahr von Schauspielerinnen als besonders gutes Jahr für starke und überzeugende Frauenrollen im Film („a banner year for ladies in cinema“) bezeichnet wurde und der Test als leicht zu bestehen („Not exactly a high bar“) gilt.[13]

Der europäische Filmförderungsfonds Eurimages implementierte 2013 den Bechdel-Test in die Film-Fördervergabe-Kriterien.[14]

In Kooperation mit dem Netzwerk Women in Film and Television International (WIFTI) hat das staatliche Schwedische Filminstitut 2013 den Bechdel-Test als offizielles Qualitätsmerkmal verankert (A Rating). Wenn ein Film den Bechdel-Test besteht, bekommt das Werk ein A für „approved“ (deutsch „anerkannt“.) Das A kann auf dem Bildschirm oder der Leinwand gezeigt werden, bevor der Film läuft, und auf Plakaten, in Programmzeitschriften und anderen Print- oder Online-Medien veröffentlicht werden.[15][16] Dem schloss sich der schwedische Kabelsender Viasat Film an.

Das französische Filmmagazin Tess verfasste und publizierte Filmkritiken unter dem Aspekt des A-Ratings.

2014 veröffentlichte die französische Tageszeitung Libération die Ratingergebnisse des Filmfestivals in Cannes,[17] wobei von 18 Filmen 13 den Bechdel-Test bestanden. Zeitgleich gründete Sophie Charlotte Rieger das Filmblog Filmlöwin, zunächst als Einzelunternehmerin.[18] Das Blog befasst sich mit Filmen von und über Frauen. In zahlreichen Artikeln wird der Bechdel-Test in die Kritik einbezogen. In der Berichterstattung zur Berlinale 2014 stellte Deutschlandradio Kultur fest, dass von 20 teilnehmenden Filmen nur 3 den Bechdel-Test bestanden haben.[19]

2017 gab es im Rahmen der Henrike Iglesias Academy eine Vorlesung unter dem Namen „Watch it like Bechdel“ mit Sophie Charlotte Rieger über das Filmeschauen durch die feministische Brille.[20]

Der Bechdel-Test kann auch zur Analyse von Interaktionen in Social Media angewendet werden.[21]

Kritik

Bemängelt wird die mangelnde Zuverlässigkeit des Tests. Ein Film bestehe den Test selbst dann, wenn sich zwei weibliche Figuren nur übers Schminken unterhalten.[7][8] Dagegen würde beispielsweise ein Film, der von nur einer (weiblichen) Figur getragen werde, den Test nie erfüllen können.[8]

Anwendern und Kritikern des Tests wird mitunter vorgeworfen, dass der ursprünglich als Witz gemeinte Test überinterpretiert werde, da er sehr unzuverlässig und unterkomplex sei und sich somit als kein starres Aussortierkriterium eigne.[22] Laut der Medienkritikerin Andi Zeisler werde der Test „weit jenseits der ursprünglichen Intention verwendet […]. Während Bechdel und Wallace ihn als einfaches Mittel formulierten, um die gängigen, unbewusst normativen Plots des Mainstream-Films zu bewerten, wäre das Bestehen heute beinahe ein Synonym für ‚feministisch sein‘. Dabei war der Test nie als Maßstab für Feminismus gedacht.“ Zeisler schreibt, dass die falsche Annahme, dass ein Werk, das den Test besteht, „feministisch“ sei, Autoren dazu verführen könne, das „System auszutricksen“, indem sie gerade so genügend Frauenrollen und Dialoge in das Skript schrieben, um den Test zu bestehen, dabei aber weiterhin Frauen als tragende Figuren ausschließen.[23]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Teresa Jusino: Alison Bechdel Would Like You to Call It the “Bechdel-Wallace Test,” Thank You Very Much. In: themarysue.com vom 25. August 2015.
  2. Christie Launius, Holly Hassel: Threshold Concepts in Women’s and Gender Studies. Routledge 2015, ISBN 978-1-138-78880-0, Kapitel: Case Study: Bechdel Test. S. 19.
  3. Frauen im Film: Warum der Bechdel-Test immer noch relevant ist Vogue. Aufgerufen am 19. September 2021
  4. Zum Weltfrauentag 2018: Welche Filme bestehen den Sexismus-Test? Musikexpress. Aufgerufen am 19. September 2021
  5. Edward Helmore: The naked truth: Hollywood still treats its women as second class citizens. In: The Guardian. 1. Dezember 2013 (theguardian.com).
  6. Martha M. Lauzen: It’s a Man’s (Celluloid) World. On-Screen Representations of Female Characters in the Top 100 Films of 2014. (womenintvfilm.sdsu.edu PDF).
  7. a b c Kathleen Hildebrand: Ist Episode VII feministisch? In: sueddeutsche.de, 18. Dezember 2015.
  8. a b c d Vanessa Steinmetz: Datenanalyse zum Filmgeschäft: Auch Frauen bringen Kohle. In: Der Spiegel Online Kultur, 5. April 2014.
  9. Alison Bechdel: The Rule
  10. a b Tad Friend: Funny lika a Guy. In: The New Yorker. Nr. 55, 11. April 2011.
  11. Bechdel Test Movie List. In: bechdeltest.com. Abgerufen am 10. April 2016.
  12. Dustin Kidd: Pop Culture Freaks. Identity, Mass Media, and Society. Westview Press 2014, ISBN 978-0-8133-4912-1, S. 107.
  13. Caitlin Dewey: How many of this year’s Oscar nominees pass the Bechdel test? Not many. In: The Washington Post. 17. Januar 2014 (washingtonpost.com).
  14. Eurimages News: Gender equality within Eurimages: current situation and scope for evolution.
  15. Anne Hemmes: Bechdel-Test in schwedischen Kinos. Frauen, die mit Frauen sprechen. In: Süddeutsche Zeitung. 8. November 2013.
  16. Swedish cinemas take aim at gender bias with Bechdel test rating. In: The Guardian. 6. November 2013 (theguardian.com).
  17. Le festival de Cannes passe le test de Bechdel, Liberation, 27. Mai 2014.
  18. Das Löwinnen-Rudel. In: Filmlöwin. Abgerufen am 26. Dezember 2019 (deutsch).
  19. Berlinale: Im Bechdel-Test durchgefallen, Berlinale Blog, Deutschlandradio Kultur, 15. Februar 2014 (Memento vom 16. Juli 2015 im Internet Archive)
  20. Sophie Charlotte Rieger. In: Filmlöwin. Abgerufen am 26. Dezember 2019 (deutsch).
  21. David Garcia, Ingmar Weber, Venkata Rama Kiran Garimella: Gender Asymmetries in Reality and Fiction: The Bechdel Test of Social Media. arxiv:1404.0163, 1. April 2014.
  22. Robbie Collin: Bechdel test is damaging to the way we think about film. In: The Telegraph, 15. November 2013. Abgerufen am 15. November 2013. 
  23. Andi Zeisler: “We Were Feminists Once: From Riot Grrrl to CoverGirl”, the Buying and Selling of a Political Movement. PublicAffairs, New York 2016, ISBN 978-1-61039-589-2, S. 55–57.