Benutzer:Aesthetische-Aspekte-des-Buchs/Die Regeln der Kunst

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Die Regeln der Kunst ist der Titel eines Werkes des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930–2002) mit dem Untertitel Genese und Struktur des literarischen Feldes, das im französischen Original zuerst 1992 als Les règles de l'art: genèse et structure du champ littéraire erschien.[1]

Zusammenfassung

Bourdieu tritt als Soziologe und Sozialphilosoph wissenschaftlich an kulturelle Werke, wie Kunst und Literatur, heran. Mit dem Titel „Die Regeln der Kunst“ wirft er die klassische Streitfrage nach der Regelhaftigkeit, beziehungsweise der Freiheit von Kunst neu auf. Bourdieu allerdings spricht nicht von Gesetzmäßigkeiten, denen sich Kunst zu unterwerfen hat, sondern von der Wechselwirkung kultureller Grundsätze, wie gesellschaftsspezifischer Ordnungen, und der Kunst, die daraus hervor geht. Er setzt also die zwei Ebenen, die sozialkulturelle und die kunstschaffende, in ein Verhältnis um die Auswirkungen von Kunst auf die Gesellschaft und Gesellschaft auf Kunst in einer wissenschaftlichen Analyse zu durchleuchten. Diese Regeln also beruhen nicht auf Ansprüchen, sondern sind unter anderem abhängig von sozialem Hintergrund/Kultur.

In seiner soziologischen Theorie bezieht sich Bourdieu maßgeblich auf die Literatur als autonomes Feld und die dennoch bestehenden Beziehungen und Abhängigkeiten zu anderen Feldern (z.B. des ökonomischen) in seinen verschiedenen Ebenen.

In Bezug auf die französische Literatur des 19. Jahrhunderts, schildert er die Emanzipierung der Literatur von gehobenen Bildungs- und Machtinstanzen, ebenso wie von der Gesetzlichkeit der Ökonomie, hin zur freien Verfügbarkeit für alle Bevölkerungsschichten, so wie es in der Gegenwart besteht. Aus dieser Loslösung resultiere nun die Notwendigkeit eines neuen Blickwinkels auf die Literatur, nämlich durch die Schichten des sozialen Raumes. Er kritisiert die herkömmliche Art und Weise der Analyse eines Schriftstellers. Der eigentliche Ansatz sei zu analysieren, wie gesellschaftliche, soziale und kulturelle Umstände auf einen Schriftsteller eingewirkt haben, um ihm die Form und das Bild von Kultur zu geben, das er in seinen Werken vermittelt. Dieser Ausdruck der Autoren in ihren Werken zeichne ein Bild von inneren und äußeren Strukturen des Feldes, so äußert Bourdieu, die gleichermaßen in einer Wechselwirkung zum Feld der Macht stehen.

Aus letzterem wiederum ergebe sich eine Hierarchisierung in der Beziehung zu anderen Feldern, wie auch in sich selbst, was sich unter anderem im Kampf der internen Akteure um machtvolle Positionen manifestiere.

Diese internen (teils konkurrierenden) Strukturen spaltet Bourdieu in ökonomiebefreite und ökonomiebestimmte Gegenspieler, wobei die jeweilige Kräfteverteilung (größtenteils durch das Publikum/die Leserschaft bestimmt) von der Autonomie des Gesamtzusammenhangs abhänge.

Diese Autonomie bemisst er am „Berechnungseffekt“ (S. 349), wobei der Grad der Autonomie im Verlauf der Zeit in beständigem Auf und Ab stehe.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst/Literatur

Um die Regeln der Kunst wissenschaftlich zu analysieren, stellt Bourdieu drei Schritte vor:

  1. Einordnung des Feldes der Kunst/Literatur in den Einflussbereich des Feldes der Macht und den gegenseitigen Effekt beider Felder aufeinander.
  2. Betrachtung der inhärenten Strukturen des zu analysierenden Feldes (in diesem Fall der Literatur).
  3. Beobachtung der Entwicklung des künstlerischen Feldes und dessen Einflussnahme auf die Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen.
Jedes Feld verhält sich im sozialen Raum autonom, und doch hat es mit anderen Feldern Überschneidungspunkte, die den Einflussbereich diverser Felder aufeinander ausmachen. Die Macht übt dabei den größten Einfluss aus und ist in jedem einzelnen Feld gegenwärtig.

Die Feldtheorie

Die Feldtheorie besteht aus drei führenden Faktoren: Habitus, Kapital und Einfluss. Der Habitus ist ein Prinzip des Wahrnehmens, Denkens und Handelns und begründet die Fähigkeit, so zu handeln, wie man es beim Eintreten in ein Feld gelernt hat. Das Kapital wird aufgefächert in ökonomisches Kapital (Wirtschaft), kulturelles Kapital (Wissenschaft), soziales Kapital (Macht) und symbolisches Kapital (Kunst). Dieses Kapital erlaubt dem Besitzer, Macht oder Einfluss auszuüben, also in einem bestimmten Feld zu existieren.

Die Feldtheorie betrachtet das durch den Habitus geprägte Verhalten von Akteuren, welche auf Feldern unter Einsatz von Kapital um Einfluss kämpfen. Folglich ist die Stellung im Feld abhängig von den Ressourcen, also von dem Kapital des Machtinhabers. Die Struktur des Feldes bestimmt zusätzlich die Machtverhältnisse der am Kampf beteiligten Akteure/Institutionen, beziehungsweise die Verteilung des spezifischen Kapitals, welches im Verlauf früherer Kämpfe angehäuft wurde und den Verlauf späterer Kämpfe beeinflusst.

Spezifizierung der Macht

Das literarische Feld befindet sich innerhalb des Feldes der Macht. Das Feld der Macht ist ein Raum der Kräftebeziehungen zwischen Akteuren und Institutionen. Akteure und Institutionen besitzen Kapital, welches dazu beiträgt, dominierende Positionen in unterschiedlichen Feldern zu besetzen (v.a. ökonomisch, kulturell). Das Feld der Macht bildet folglich den Ort der Auseinandersetzung, worin Inhaber verschiedener Machttitel oder Kapitalsorten um die Veränderung oder Bewahrung des relativen Werts unterschiedlicher Kapitalsorten kämpfen. Machttitel und Kapitalsorten entscheiden hierbei, welche Kräfte in der Auseinandersetzung mobilisierbar sind und welche nicht.

Bestimmt von den hierarchischen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Kapitalsorten und Besitzern nehmen die Felder der Kulturproduktion innerhalb des Feldes der Macht eine temporell beherrschte Position ein. Trotz der Unabhängigkeit, welche die Felder der Kulturproduktion in Anbetracht externer Zwänge und Ansprüche aufweisen, zeigt die Logik von ökonomischem und politischem Profit Wirkung. Folglich bilden die Felder der Kulturproduktion stets den Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen dem heteronomen und dem autonomen Hierarchisierungsprinzip. Dabei ist das Kräfteverhältnis abhängig von der Autonomie, worüber das Feld insgesamt verfügt. Das Ausmaß an Autonomie, das in dem Feld der kulturellen Produktion herrscht, ist an dem Ausmaß zu erkennen, in welchem das Prinzip externer Hierarchisierung dem Prinzip interner Hierarchisierung unterliegt. Je größer die Autonomie der von der Nachfrage unabhängigsten Produzenten ist, desto deutlicher ist der Schnitt zwischen den Polen des Feldes:

  1. Das Subfeld der eingeschränkten Produktion (Produzenten beliefern ausschließlich andere Produzenten und damit ihre unmittelbaren Konkurrenten).
  2. Das Subfeld der Massenproduktion (findet sich symbolisch ausgeschlossen und diskreditiert).

Spezifizierung der Kunst/Literatur

Das literarische Feld benutzt Bourdieu als Überbegriff für alle Themen, die unter den Komplex der Literatursoziologie fallen, und damit ein Teilgebiet des sozialen Raumes bilden, das sich relativ autonom von allen anderen Feldern verhält, wenn es auch Überschneidungsbereiche zwischen den Feldern gibt, die sich jeweils in verschiedenen Ebenen auswirken.

Durch den Einflussbereich des Feldes der Macht, kämpfen die Akteure des (u.a.) literarischen Feldes um vorteilhafte Positionen. Zu diesen Akteueren zählt Bourdieu professionelle Leser (wie Kritiker und Literaturwissenschaftler), Alltagsleser, wie auch Verleger, Buchhändler, Lektoren usw.

Felder der Kulturproduktion

In der Kulturproduktion treten sowohl ökonomische als auch intellektuelle Interessen auf.

Die Verleger und Galeristen, welche die Werke der Künstler und Schriftsteller verwalten, müssen für beides einen Sinn haben. Sie müssen etwas von der Kunst verstehen, um zu sehen, wie sie das Werk für den eigenen Profit ausnutzen können, indem sie es als solches zu schätzen wissen und sehen, wie sie es am besten zur Geltung bringen können. Dieses Wissen hilft ihnen ebenfalls dabei, die Produzenten überhaupt erst für sich zu gewinnen und ihnen zu zeigen, dass sie ihnen ihre Werke anvertrauen können.

Für die Künstler und Schriftsteller hingegen existieren zwei scheinbar unvereinbare Extreme: das heteronome und das autonome Hierarchisierungsprinzip. Diese lassen sich praktisch genauso als externe und interne Hierarchisierung bezeichnen.

Beim ersteren handelt es sich meist um etablierte, vom breiten Publikum anerkannte Schriftsteller und Künstler, die über die Grenzen ihres Feldes hinaus als erfolgreich angesehen werden. Deren Kunst entsteht aufgrund von Nachfrage (Heteronomie), weswegen sie als "kommerzielle Kunst" bezeichnet wird. Sie schreiben für ihr Publikum und um ihr Publikum bei sich zu behalten. Wichtig ist für sie an erster Stelle der ökonomische Profit, welchen sie durch ihr Werk erhalten und je größer das Publikum, desto besser.

Bei der internen Hierarchisierung hingegen dient das Werk lediglich dazu, Leuten im selben Feld zu gefallen und von diesen Anerkennung zu bekommen. Die dadurch entstandene Kunst wird als "reine Kunst" bezeichnet, da sie nicht von externen Faktoren wie der Nachfrage oder den Erwartungen von Konsumenten beeinflusst wird. Die Schriftsteller oder Künstler sind eben nicht daran interessiert, eine andere Art an Profit außer dem kulturellem zu machen. Ihr Werk ist nicht dazu da, um das Publikum zu befriedigen. Sie sind nicht von externer Nachfrage beeinflusst. Je weniger Publikum sie haben, desto erfolgreicher sehen sie sich selbst, da ein breiteres Publikum bedeuten würde, dass darunter Personen sind, die ihr Werk nicht als solches verstehen. Wichtig ist nicht die Quantität, sondern die soziale und kulturelle Qualität des Publikums. Negativ gesehen heißt das allerdings, dass sie aus den Augen der Gesellschaft her scheitern müssen, um von ihren Kollegen Ansehen zu erhalten. Allerdings gilt es dabei noch, die geächteten Künstler von den gescheiterten Künstlern zu trennen.

Heteronomie und Autonomie sind so etwas wie komplette Gegensätze; in der Realität sind sie aber meist nicht so strikt voneinander getrennt, sie beeinflussen sich vielmehr gegenseitig durch ihre Verschiedenheit. Somit wird die Kulturproduktion innerhalb des Feldes der Macht sehr durch andere Kapitalsorten beherrscht, auch, wenn sich die autonomen Schriftsteller strikt dagegen wehren. Selbst, wenn sich Schriftsteller/Künstler mit gegensätzlichen Ansichten so weit wie möglich aus dem Weg gehen, so beeinflussen sie sich doch durch ihre gegenseitige Abneigung füreinander.

Position und Disposition

Bourdieu definiert die als „Felder“ beschriebenen sozialen Systeme als eine Verflechtung objektiver Beziehungen zwischen Positionen und bezeichnet diese objektiven Beziehungen als Eigenschaften, die den einzelnen Positionen innerhalb des Feldes ihre Stellung im Kontext einer Struktur von anderen Positionen verleihen. Letztlich sind diese Positionen von ihrem aktuellen und theoretisch möglichen Standpunkt innerhalb dieser Struktur des Feldes abhängig, da dieser Standpunkt etwas über die Erwerbschancen von feldspezifischem Kapital aussagt, um welches innerhalb des Feldes konkurriert wird.

Diese Positionen innerhalb der Felder reproduzieren sich in feldspezifischen Positionierungen, im literarischen Feld sind dementsprechend alle literarischen Werke begriffen. Der Grund für solche Positionierungen liegt innerhalb der feldspezifischen Interessen unterschiedlicher Positionen, deren Vereinnahmung den Erwerb von feldspezifischem Kapital verspricht. Die (objektive) Beziehung zwischen der Position eines Künstlers zu der eines Bürgers beispielsweise wird einzig und allein durch eine Positionierung innerhalb des künstlerischen Feldes erfahrbar, dessen vereinnahmte Position dann als „bürgerliche Kunst“ beschrieben werden kann und dessen Notwendigkeit daraus resultiert, das der Bürger selbst nicht Bestandteil des künstlerischen Feldes ist. Einflüsse außerhalb eines spezifischen Feldes müssen also für ihre Erfahrbarkeit gemäß der Feldstrukturen umstrukturiert werden, um von der Position einzelner Akteure innerhalb des spezifischen Feldes wahrgenommen werden zu können. Vereinfacht gesagt: Akteure, Gegenstände, Materie die nicht Bestandteil eines Feldes sind, müssen in irgendeiner spezifischen Weise in Zusammenhang mit Akteuren, Gegenständen, Materie des spezifischen Feldes stehen; in unserem Beispiel ist der externe Einfluss der des Bürgers auf die feldspezifische Positionierung des Künstlers, und er erfährt eine Synthese in der Positionierung zur bürgerlichen Kunst, die innerhalb der Feldstruktur potenziell zum Erwerb von feldspezifischem Kapital führt, also die Anerkennung der bürgerlichen Kunst seitens des Bürgers als auch aller feldspezifischen Akteure.

Das Feld selbst ist charakterisiert durch die alle feldspezifischen Akteure betreffenden Wirkungskräfte, die gleichzeitig innerhalb des Feldes um Bewahrung oder Veränderung des Kräftefeldes kämpfen. Die Konformität von Position und Positionierung ist nicht zufällig oder vorherbestimmt, sondern durch die räumlich gedachte Differenz zwischen zwei Positionen, die sich dann auf entsprechende Positionierungen übertragen.

Der Raum des Möglichen

Beim Raum des Möglichen handelt es sich um einen Raum, der von Positionierungen strukturiert und ausgefüllt ist, die sich als objektive Möglichkeiten abzeichnen.[2]

Der Raum des Möglichen zwingt diejenigen, die die Logik des Feldes als Raum aktueller und potentieller Positionen und Positionierungen sowie die Notwendigkeit des Feldes als eine Art historische Transzendentale verinnerlicht haben, ein System (sozialer) Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien auf, das das Universum des zum gegebenen Zeitpunkt Denkbaren und Undenkbaren definiert und begrenzt, sodass jeder Kulturproduzent situiert und datiert ist.[3]

Künstlerische Kühnheiten, Neues oder Revolutionäres sind nur denkbar, wenn sie innerhalb des bestehenden Systems des Möglichen in Form struktureller Lücken virtuell bereits existieren. Sie müssen Aussicht haben, akzeptiert zu werden und das zumindest von einer kleinen Zahl von Menschen.[4]

Da der Raum des Möglichen eine Wahrscheinlichkeitsstruktur aufweist, die mit einer gewissen Ungewissheit („wahrscheinliche“ Gewinne und Verluste auf materieller und symbolischer Ebene) einhergeht, welche auf die schwache Institutionalisierung des literarischen Feldes zurückzuführen ist, verfügen die Akteure jedoch auch über eine gewisse Freiheit.[5]

Da die strukturellen Lücken eines Systems des Möglichen aufgrund des subjektiven Erlebens der Akteure allerdings gar nicht wahrgenommen werden können, kann die Tendenz des Systems zur Selbsterweiterung nicht erfüllt werden. Der Appell der strukturellen Lücken wird höchstens von denen gehört, die sich aufgrund ihrer Position innerhalb des Feldes, ihres Habitus und der Beziehung zwischen beiden frei genug von den Zwängen fühlen, die der Raum des Möglichen aufweist, und so eine Virtualität, die in gewisser Weise für sie vorhanden ist, als ihre eigene Sache auffassen.[5]

Struktur und Wandel: interne Kämpfe und permanente Revolution

Bourdieu greift zu Beginn des neuen Kapitels den Strukturbegriff auf und definiert damit die antagonistischen Positionen (z.B. renommierter Autor vs. Neuling) innerhalb es Feldes, die mit Veränderungen im Raum der Positionen einen allgemeinen Wandel auslösen.

In der Regel wird dieser durch die Neulinge initiiert, die noch kein spezifisches Kapital haben und sich im Feld bzw. Raum der Positionierungen behaupten müssen. Dies stellt einen Bruch im "Raum" dar, denn in ihrem Legitimierungsprozess müssen sich die Neulinge gegen die "alten Hasen" behaupten, indem sie neue Denk- und Ausdrucksweisen vorstellen, um die geltenden Gewohnheiten im Feld neu zu definieren.

Wichtig hierbei ist der Aspekt der Differenzierung, der Findung der Identität in einem schon definierten Feld, indem man in Form von Bekanntheit und Anerkennung an Kapital dazugewinnt. Dieser Punkt, sowie der allgemeine Wandel, tragen zu einem Automatisierungsprozess des Feldes bei, da es keinen Endpunkt gibt, wenn sich das Feld bei jeder neuen Position verändert. Bourdieu spricht von einer sozialen Alterung, das heißt, der wiederkehrenden Frage, ob ein "altes", schon etabliertes Feld besser sei, das die "Älteren" mit dem Abwinken der Übertrumpfungsversuche der "Jüngeren" verteidigen.

Die Differenzierung ist der Kern dieses Kapitels, da durch sie eine Notwendigkeit ausgedrückt wird. Ein Schriftsteller beispielsweise müsse sich differenzieren können, um überhaupt erwähnenswert zu sein und sich mit seinem Werk unter den vielen Positionierungen behaupten zu können. Hat es das Werk geschafft, besitzt es einen distinkten Wert, der entscheidend ist für die Entwicklung der restlichen Werke und Positionierungen innerhalb des Feldes.

Als Beispiel dafür greift er den Roman auf, der sich im 19. Jahrhundert von seinem ursprünglichen Schema des linearen Erzählens löste, und sich zu einer dichterischen "Komposition" wandelte, die eine "anspruchsvolle Lektüre" fordere. Um diese Abgrenzung zu bestehenden "Regeln" zu ermöglichen, muss das Feld Forderungen erfüllen, in diesem Fall z.B. die Verschmelzung der Kritiker- und Schriftstellerrolle, genauso wie die Reflexion seiner Geschichte und Charaktere, damit eine unaufhörliche Entwicklung stattfinden kann. Diese führt nicht zuletzt erneut zu dem endlosen Wandel, jedes Mal, bei dem sich ein Werk neu positioniert oder der Raum durch neue Positionen ergänzt wird.

Bourdieu im Zusammenhang des Seminars

Im Kontext des Seminars stellt sich die Frage, wo Bourdieu die publizistischen Medien in seiner Feldtheorie positioniert sieht.

In der Feldtheorie liegt das publizistische Feld als eine Art Verbindungsglied zwischen dem Feld der Macht und dem literarischen Feld. Es befindet sich in einer Wechselwirkung der symbolischen Macht mit dem literarischen Feld, da beide für den Erwerb von Kapital voneinander abhängig sind. Jeder, der an der Herstellung, der Distribution oder des Konsums von Literatur beteiligt ist, nimmt innerhalb des Feldes eine Position ein.

Da Literatur vor allem durch die Publikationen in Zeitschriften bekannt gemacht wurde, hat das literarische Feld durch das publizistische Feld symbolisches Kapital in Form von Bekanntheit und ökonomischem Kapital in Form eines Gehaltes erworben. Der Autor erhält also durch eine Publikation in einer guten Zeitschrift eine dominante Position innerhalb seines eigenen literarischen Feldes und kommt somit an Macht.

Andererseits erwirbt auch die Zeitschrift innerhalb ihres publizistischen Feldes eine dominante Position der Macht, denn durch die Publikationen von guter Literatur gewinnt sie Abonnenten, und mit ihnen symbolisches Kapital in Form von steigender Popularität, aber auch ökonomisches Kapital in Form von Profit. Das publizistische Feld ist, im Versuch an Machtstruktur zu gewinnen, gebunden an das literarische Feld, genauso wie die Akteure des literarischen Feldes beim Bezug einer dominanten Rolle innerhalb ihres Feldes abhängig vom publizistischen Feld sind.

Glossar

Feld: bezeichnet einen Teilbereich eines gesellschaftliches Systems. Es existieren mehrere relativ autonome Felder, wobei jedes eine eigene Funktion ausübt. (Z.B. Justiz, Kunst, Medizin, Ökonomie...)

Kapital: wird unterschieden in vier Kapitalformen (ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch). Die jeweiligen Kapitalarten können in jeweils andere Formen des Kapitals umgewandelt werden.

  • ökonomisches Kapital: Geld und materieller Besitz
  • kulturelles Kapital: im objektiviertem Zustand Kulturgüter wie Bücher und Gemälde und im inkorporiertem Zustand Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Essmanieren oder akademische Titel
  • soziales Kapital: dauerhafte Beziehungen zu anderen Akteuren des Feldes
  • symbolisches Kapital: "legitim anerkannte Form der drei vorgenannten Kapitalien (gemeinhin als Prestige, Renommee, usw. bezeichnet)"

Kulturproduktion: Herstellung/Entstehung von Werken mit kultureller Bedeutung (z.B. Bücher, Gemälde, etc.)

Externe Hierarchisierung: der Erfolg gebührt den beim "breiten Publikum" bekannten und anerkannten Künstlern (weltlicher Erfolg)

Interne Hierarchisierung: Grad an feldspezifischer Anerkennung (spezifischer und begrenzter Bekanntheitsgrad)

Autonomes Prinzip: Selbstbestimmung; der Künstler/Schriftsteller fertigt sein Werk aufgrund seines eigenen Willens, unabhängig von der Außenwelt an

Heteronomes Prinzip: Abhängigkeit von fremden Einflüssen; der Künstler/Schriftsteller fertigt sein Werk aufgrund externer Nachfrage an

Position: Einordnung eines Akteurs im jeweiligen Feld, abhängig von Höhe des Kapitals/ Anzahl der Kapitalsorten

Raum des Möglichen: Raum der von vollzogenen Positionierungen strukturiert wird (abhängig von Wahrnehmungskategorien eines Habitus) und somit objektive Möglichkeiten aufzeigt, die für einen Akteur machbar erscheinen

Historische Transzendentale: Vorstellung/Erkenntnisfunktion die nicht durch empirische Erfahrung gewonnen werden kann, die aber als gültig gelten, damit Erkenntnis und Wissen möglich sind

Universum: Synonym für Feld (Kapital, Positionierungen etc.)

Denkbares: durchführbare, objektive Möglichkeiten im Raum des Feldes

Undenkbares: Möglichkeiten, die die Akteure durch ein von sozialen Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien geprägtes System von Zwängen nicht wahrnehmen können

Strukturelle Lücken: potentiellen Entwicklungslinien, die den Leitfaden für Forschung und Erneuerung stellen, als Raum für möglichen Wandel

Schwache Institutionalisierung des Feldes: Fehlen von Instanzen, die bei Auseinandersetzungen um eine dominierende Position schlichtend eingreifen und rechtlichen oder institutionellen Schutz gewährleisten können

Virtualität: Sphäre der Möglichkeit; Wesen eines Gegenstandes ist in ihrer Funktionalität/Wirkung  vorhanden

Struktur: synchrone Gegensätze zwischen antagonistischen Positionen (z.B. allgemein bekannter Autor- Neuling); gleichzeitige Veränderung innerhalb eines Raumes von Positionen, die einen (internen + externen) Wandel auslösen

Legitimierungsprozess: Ein Bruch im Raum; Durchsetzung neuer Denk- und Ausdrucksweisen der Neulinge im Feld, um dieses neu zu definieren. Findung der Identität innerhalb eines Feldes, Aspekt der Differenzierung, Anschaffung neuen Kapitals durch Ansehen und Bekanntheit

Distinktiver Wert: Bewusstes Wahrnehmen koexistierender und gleichzeitig konkurrierender Werke. Das Ziel eines Schriftstellers in einem literarischen Feld; ein Werk, welches sich im Feld behauptet hat, besitzt eine Position mit distinktivem Wert.

Literatur

  • Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer. Siebte Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2016.
  • Dörner, Andreas & Vogt, Ludgera: Literatursoziologie. Eine Einführung in zentrale Positionen - von Marx bis Bourdieu, von der Systemtheorie bis zu den British Cultural Studies. Zweite, vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage. Wiesbaden: Springer 2013.
  • Jurt, Joseph: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis . Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995.
  • Köppe, Tilmann & Winko, Simone: Bourdieus Theorie des literarischen Feldes. In: Köppe, Tilmann & Winko, Simone: Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. 2. Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler. S. 189 - 200.
  • Magerski, Christine & Karpenstein-Eßbach, Christa: Literatursoziologie. Grundlagen, Problemstellungen und Theorien . Wiesbaden: Springer 2019, S. 60-62.
  • Degen, A. (2004). Literarisches Feld DDR? - DDR-Literatur auf dem Weg zur Autonomie (BourdieuColloquium v. 14.-16.2.2003 in Berlin). Zeitschrift Für Germanistik, 14(1), neue folge, 177-179. Abgerufen am 15. November 2020 von http://www.jstor.org/stable/23978309

Einzelnachweise

  1. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2016.
  2. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft. Nr. 1539). 7. Auflage. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016, S. 373.
  3. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft. Nr. 1539). 7. Auflage. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016, S. 373.
  4. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft. Nr. 1539). 7. Auflage. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016, S. 372 f.
  5. a b Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft. Nr. 1539). 7. Auflage. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016, S. 378.