Benutzer:Agnat/Everscribble
Phosphorverbot & Strukturwandel
Nachdem das Bewusstsein für die sozialen Kosten durch den Einsatz von weißem Phosphor in der Streichholzproduktion gestiegen war, wurde er in den meisten Ländern verboten. Die Internationale Arbeitsschutzkonferenz 1890 in Berlin ordnete Zündwarenherstellung in die oberste Kategorie der gesundheitsgefährlichen Industriezweige ein. Auf dem Kongress für Arbeitsschutzgesetzgebung in Basel 1896 wurde ein Verbot von weißem Phosphor diskutiert. In einer Denkschrift wurde der schweizerische Bundesrat gebeten, alle Staaten zu einer Konferenz einzuladen. Diese fand vom 8. bis 17. Mai 1905 in Bern statt und führte zur Berner Konvention von 1906 und einem quasi weltweiten Verbot von weißem Phosphor in der Streichholzherstellung. In Deutschland wurde am 10. Mai 1903 ein Gesetz erlassen, das die Produktion von Phosphorhölzchen ab 1907 und den Verkauf ab 1908 verbot.[1] In den Vereinigten Staaten hob Präsident William Howard Taft das Thema 1910 in seiner State of the Union Address auf die Agenda und bat später die Diamond Match Company ihr Patent für ungiftige Überallzünder kostenlos zur Verfügung zu stellen. Obwohl das Patent 1911 frei gegeben wurde, stellten die Hersteller ihre Produktion nicht um. Weißer Phosphor war billiger als die Alternative, das ungiftige Tetraphosphortrisulfid. Da der Kongress in den föderalen USA keine Befugnis hatte, Streichhölzer mit weißem Phosphor landesweit zu verbieten, wurden sie ab 1913 durch massive Steuern vom Markt verdrängt. Die USA waren eines der letzten Länder, die das Verbot umsetzen.
Das Verbot leitete einen Strukturwandel der Zündholzindustrie ein. Die Hausmacherei brach zusammen, und obwohl das Verbot die Menschen schützen sollte, wurden ohnehin schon arme Regionen wirtschaftlich schwer getroffen. Die großen Unternehmen mit Maschinenpark nutzten die Situation und drückten die Preise. Sicherheitsstreichhölzer in Heimarbeit zu fertigen war nicht rentabel und konkurrenzfähige Anlagen kosteten ca. 90.000 Mark. Der Markt wurde unzugänglich. Um die Phosphorstreichholzproduzenten zu entschädigen und den Umstieg zu erleichtern, stellte die Reichsregierung das Patent für die sogenannte Reichszündmasse, Patent Nr. 86203 kostenlos zur Verfügung. Der Zündkopf enthält Kaliumchlorat und roten Phosphor. Einige Betriebe versuchten diese „Armstrongschen Zündköpfe“ herzustellen. Es misslang und im ersten Halbjahr kam es zu sieben schweren Unfällen. Die Rezeptur vermengt die beiden Komponenten des Sicherheitszündsatzes. Sie ist daher auch ohne Reibfläche zündfähig und hochempfindlich. Die so unberechenbare Mischung ist in industriellen Mengen einfach nicht herstellbar. Die Generalversammlung der Zündwarenfabrikanten am 21. September 1904 erklärte die Rezeptur für unbrauchbar und gefährlich. Die Regierung hatte das Patent von Georg Schwiening ohne Sachkenntnis im verschlossenen Umschlag gekauft und war betrogen worden. Die Reichszündmasse war wertlos.
Es folgten weitere handwerkliche Fehler des Gesetzgebers. In einigen Staaten waren Zündwaren schon vor 1900 besteuert worden. Andere Länder hatten Staatsmonopole geschaffen und diese zum Teil an private Unternehmen verpachtet. Mit der Berner Konvention führten fast alle Staaten Zündwarensteuern ein, 1909 auch Deutschland.[2] Das Gesetz besteuerte jedoch nicht die Lagerbestände und bot außerdem eine Übergangsfrist. Die Händler reagierten und importierten riesige Mengen Streichhölzer aus dem Ausland, für Jahre im Voraus und der Absatz brach ein. Gab es im Jahr 1907 noch 262 Betriebe mit ca. 7200 Beschäftigten, so waren es 1910 nur noch 74 Betriebe mit 4800 Beschäftigen. 1911 wurde das Gesetz novelliert, aber die deutsche Zündwarenindustrie war schwer angeschlagen.
Jahr | Betriebe | Beschäftigte |
---|---|---|
1875 | 392 | 5120 |
1882 | 407 | 4971 |
1895 | 236 | 5873 |
1907 | 262 | 7261 |
1910 | 74 | 4848 |
Andere Länder gingen weniger dilettantisch vor aber auch hier veränderte sich die Industrie. In Schweden waren seit den 1870er Jahren neue sehr erfolgreiche Fabriken entstanden, darunter Vulcan, die Jönköpings Westra Streichholzfabrik und Werke in Lidköping, Växjö und Kalmar. Das Werk in Kalmar war 1907 für die Firma von Ernst und Fredrik Kreuger durch Ernsts Sohn Torsten gebaut worden und galt als sehr modern. Die drei größten Fabriken produzierten 1872, 1889 und 1897 jeweils mehr als 55 % der Gesamtproduktion. Vulcan hatte in den 1890er Jahren sogar Jönköpings Streichholzfabrik weit übertrumpft und war vermutlich weltweit die größte Fabrik dieser Art. Um 1903 fusionierten Vulcan, Jönköpings Streichholzfabrik, Jönköpings Westra und die Werke in Uddevalla und Västervik zur Jönköpings och Vulcans Tändsticksfabriks AB (Jönköpings und Vulcans Streichholzfabriken), kurz Jönköping—Vulcan. Das neue Unternehmen lieferte 70–80 % der schwedischen Streichholzproduktion.
In Österreich fusionierten 1903 alle bedeutenden Firmen zu einem einzigen Unternehmen: Solo. In Großbritannien fiel die Anzahl der Streichholzfirmen von 40 auf 9 und in den USA hatte die Diamond Match Company einen Marktanteil von ca. 70 %. In Schweden spürten die anderen Hersteller zunehmend den Druck durch die marktbeherrschende Jönköping–Vulcan. Die restlichen Firmen fusionierten im Jahr 1913 zu den Förenade Svenska Tändsticksfabriker AB (Vereinigte Schwedische Streichholzfabriken). Die Initiative ging von Ivar Kreuger, Sohn von Ernst Kreuger, dem Eigentümer der Kalmar Werke, und dem Finanzunternehmen Emissionsaktiebolaget aus Stockholm aus. Kreuger, eigentlich Ingenieur, galt als ambitionierter, energischer Manager mit guten Kontakten zu Banken. Im Jahr 1917 kam der Wettbewerb endgültig zum Erliegen als Jönköping–Vulcan und Kreugers Förenade sich zur Svenska Tändsticks AB, kurz STAB, vereinigten. Die gesamte schwedische Streichholzindustrie bestand, bis auf wenige Splitter, aus einem einzigen Unternehmen. Kreuger, ursprünglich der kleinere Partner und nun Geschäftsführer des neuen Konzerns, hatte die Branche monopolisiert.
- ↑ Gesetz, betreffend Phosphorzündwaren. In: Deutsches Reichsgesetzblatt. Band 1903, Nr. 24, S. 217–218 (Volltext).
- ↑ Bekanntmachung, betreffend die Fassung des Zündwarensteuergesetzes. In: Deutsches Reichsgesetzblatt. Band 1909, Nr. 44, S. 814–825 (Volltext).
- ↑ Referenzfehler: Ungültiges
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