Benutzer:Anaxo/Entwickungsgeschichte
Entwicklungsgeschichte, auch verkürzt Entwicklung, beschreibt die in der Philosophie, Soziologie, Psychologie, Medizin, Biologie und Technik erkennbaren Prozesse, als zeitliche Abfolgen der Veränderung von Formen und Strukturen sowie von sich gegenseitig bedingenden funktionellen Abläufen bei unterschiedlichsten Organismen. Als solche Organismen sind zu verstehen: Pflanzen, Tiere, Menschen oder bestimmte gesellschaftliche oder technische Systeme und Produkte (Gesellschaftssysteme, technische Organisationen, z. B. Entwicklungsgeschichte des Segelschiffs) sowie Gruppen von Organismen wie Ökosysteme, Gesellschaften, und Völker. Mit dieser Definition sei versucht, der Empfehlung von Karl Ernst von Baer (1792–1876) zu folgen, dem Entdecker der Eizelle bei Säugetieren, der die Entwicklungsgeschichte als „den wahren Lichtträger für Untersuchungen über organische Körper“ bezeichnete.[1][2]
Funktionelle Abläufe
Die funktionellen Aspekte in der Psychologie betreffen etwa Fragen der Entwicklungsphysiologie bzw. Vermögenspsychologie oder in der Soziologie die kulturspezifischen Problemstellungen angesichts geschichtlicher Herausforderungen wie etwa der Industrialisierung und des hierdurch bedingten sozialen Wandels – wie in der Kultursoziologie – oder in speziellen Fragen wie etwa der Kunstentwicklung, der Entwicklung von Fähigkeiten wie etwa der sprachlichen Reifung oder der allgemeinen körperlichen oder psychischen Entwicklung eines Individuums. Kennzeichen der Entwicklung ist, dass die sich gegenseitig beeinflussenden Abläufe in sich so lange nicht abgeschlossen sind, als noch weitere potentielle Aufgaben zu erfüllen sind. Das veranlasst nicht nur die Neuentwicklung technischer Geräte, sondern erscheint auch als Motor der Entwicklung und Evolution.[2][3][4][5]
Begriffsgeschichte
Der Begriff ›Entwicklung‹ ist abgeleitet von dem Verb ›wickeln‹ sowie dem Substantiv ›Wickel‹“ (=Faserbündel). Zugrunde liegt die indogermanische Wurzel ›ueg‹ für ›weben‹, ›knüpfen‹, häufiger auch verwendet in der Bedeutung von ›um einen Rocken winden‹.[6] Entwicklung bedeutet eigentlich die Auswickelung eines vorher schon eingewickelten Inhalts oder Zustandes und erweist sich damit als eine Vorstellung, die seit der Antike lange Zeit bestand und sich erneut im 17.–19. Jahrhundert als Präformationslehre Geltung verschaffte. In diesem „eingewickelten“ Zustand treten vorgebildete Verhältnisse zutage, die der Wahrnehmung zuvor nicht zugänglich waren.
Der wörtlichen Bedeutung von Entwicklung entspricht auch das lateinische Substantiv ›explicatio‹ (= Auseinanderfaltung, Entfaltung, Erörterung). Der Begriff „Entwicklung“ unterscheidet sich aber insofern von Entfaltung[7]a, als die hier ebenso als vorgebildet betrachteten Eigenschaften nicht wie im Falle der Entwicklung als ein Aufsteigen vom Niedrigeren und Wertlosen zum Höheren und Wertvollen zu verstehen sind.[8] Entwicklung hat dennoch insbesondere etwa in der Entwicklungspsychologie die seit Aristoteles durch sein Entelechie-Prinzip die von ihm geforderte teleologische Bedeutung bzw. den Charakter der stufenweisen Herausbildung von Eigenschaften bewahrt.[6][2][7]b Entwicklung umfasst nicht nur die Embryonal- und Fetalentwicklung, sondern auch die postfetale (postnatale = nachgeburtliche) Zeitspanne bis zur Bildung eines ausgewachsenen Organismus.[8] Demgegenüber steht die Auffassung dass Entwicklungsgeschichte sich auf den gesamten lebenszeitlichen Beobachtungszeitraum erstreckt, und somit auch auf das Senium und die damit einhergehende Involution.[9] Weiter wird meist auch die Teratologie (Lehre von den Mißbildungen) zur Entwicklungsgeschichte gerechnet.[9][1]
Die Bedeutung der „Auswickelung“ kommt auch in den englischen und französischen Bezeichnungen für Entwicklung, nämlich von engl. development und franz. développement zum Ausdruck. In der französischen Sprache ist der Gebrauch des Verbs développer zwar schon im 12. Jahrhundert belegt, aber développement im Sinne von Entwicklung kommt erst ab dem 15. Jahrhundert auf.[10][11] Der Gebrauch des französischen Begriffs ›évolution‹, der aus dem Lateinischen „abwickeln“ (›evolvere‹) abgeleitet ist, war zunächst im 16.-17. Jahrhundert für die militärische Entwicklung üblich. Im 18. Jahrhundert bedeutete er so viel wie ›Veränderung‹. Erst ab dem 19. Jahrhundert bezeichnete er auch die biologische Theorie Darwins.[10][11] Selbst Ernst Haeckel (1834–1919) sprach 1866 in seinem bahnbrechenden entwicklungsbiologischen Werk, welches die Deszendenztheorie von Charles Darwin (1809–1882) aufgriff, noch von „Entwickelung“.[12]
Entwicklungsgeschichte und Evolutionsgeschichte
In der Biologie und in der Anatomie wird zwischen Entwicklungsgeschichte und Evolutionsgeschichte unterschieden, obwohl der Wortstamm beider Bezeichungen identisch ist. Entwicklungsgeschichte oder Ontogenie bzw. Biogenie wird auf der einen Seite mit Ontogenese gelichgesetzt und von Phylogenese abgegrenzt, andererseits werden beide Begriffe auch von vielen Autoren miteinander gleichgesetzt, da sie durch die biogenetische Grundregel bzw. durch das psychogenetische Grundgesetz zumindest in der Theorie miteinander verbunden sind. Forscher, die diesen beiden Theorien aufgeschlossen sind, neigen daher eher zu einer Gleichsetzung beider Begriffe. Zu den Quellen, die von einer Unterscheidung ausgehen, wird auszugsweise auf die in nachfolgenden Fußnoten genannten Autoren und Einzelnachweise verwiesen sowie andererseits auf Kap. Literatur.[8][13] Zu den Quellen, die den Begriff ›Entwicklungsgechichte sowhl auf die Ontogenese als auch auf die Phylogenese bzw. auf die Evolutionsgeschichte anwenden, seien die in nahfolgenden Rublikationen genannten Nachweise verwiesen, zu denen u. a. auch Freud]] ( und Jung gehören.. [14]
Gesetzmäßige oder nur faktisch beschreibende Entwicklung
Die Frage nach der Gesetzmäßigkeit von von geschichtlichen Entwicklungen wurde in den Sozialwissenschaften etwa durch die Denkweise des Historismus aufgeworfen. In den nomothetischen Naturwissenschaften ist es eher üblich, etwa von einem gesetzmäßig bestimmten und nicht krankhaft veränderten zeitlichen Ablauf zu sprechen, dgl. von allgemeingüligem Formwechsel und Herausbildung neuer Strukturen sowie spezifischer qualitativer und quantitativer Veränderungen. Allerdings kann hier die individualisierende von der verallgemeinernden Sichtweise nur schwerlich gerennt werden.
, die bereits mit der Konzeption bzw. ab der Zeugung beginnen und – in der Regel postnatal – auch zu chakteristischen psychischen Entwicklungsstadien führen. Der lebenszeitliche Beobachtungszeitraum erstreckt sich dabei bis hin zum Senium und der damit einhergehenden Involution.[9] Diese Rückbildung setzt bei einzelnen Organen möglicherweise auch schon früher ein, wie etwa am Beispiel des Thymus ersichtlich – nämlich bereits in der Kindheit. Entwicklung ist eine notwendige Bedingung jeden Lebens. Eine scharfe Abgrenzung zwischen „Wachstum“ und „Entwicklung“ ist nicht möglich. Wachstum bezieht sich eher auf die quantitativen Aspekte der Veränderungen, Entwicklung auf die qualitätiven. Auf das Einzelwesen bezogen wird sie i. e. S. –– als Ontogenese oder Ontogenie bezeichnet. Auf die Stammesgeschichte bezogen wird sie i. w S. –– als Phylogenese bezeichnet.[3][4][2]
Gesellschaftliche Entwicklung
Auf gesellschaftlicher Ebene
Körperliche Entwicklung
Auf individueller Ebene
Psychische Entwicklung
Die psychische Entwicklung ist auf individueller Ebene Gegenstand der Entwicklungspsychologie. Biologische (körperliche) und psychische Entwicklung gehen jedoch nicht immer gleichmäßig miteinander einher.
Dieser zeitlich eng gefasste und weitestgehend geläufige Begriff der Entwicklungsgeschichte ist allerdings insofern mehrdeutig, als er sich rein theoretisch auch auf die Phylogenese bezieht. Gattungsspezifisch, d. h. bezogen auf die Menschheitsgeschichte, werden die historisch-menschheitsgeschichtlich zu beobachtenden Veränderungen i. w. S. beschrieben. Sie wird auch als Stammesgeschichte bezeichnet.
menschheitsbezogen oder --------------- die historisch unterscheidbaren Veränderungen, die sich – i. e. S. bei einem einzelnen Lebewesen oder i. w. S. bei der jeweiligen Art – seit Anbeginn ihrer Existenz (Zeugung, Urgeschichte) feststellen lassen. Dabei ist die Ontogenese als die Wissenschaft der Entwicklung des einzelnen Lebewesens, die Stammesgeschichte als die Wissenschaft der Artentwicklung zu sehen. Beim einzelnen Menschen sind diese Veränderungen am vielfältigsten. Sie erstrecken sich auf die pränatalen und postnatalen Lebensphasen und umfassen dabei körperliche, intellektuelle, seelische, sexuelle und soziale Reifungsvorgänge.[15] Zu den postnatalen Lebensphasen zählen Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und Senium. über die gesamte Lebensspanne einschließlich der Involution.
Geschichtliche Ursprünge der Lehren
Ursprünglich war die Lehre der menschlichen Entwicklungsgeschichte weitestgehend identisch mit der Embryologie. Dies ist damit zu erklären, dass die Theorie der Abstammungslehre in ihrer Ähnlichkeit mit der phylogenetischen Entwicklung zunächst auf erhebliche weltanschauliche Ablehnung stieß. In der Embryonalzeit sind jedoch die Parallelen zwischen tierischen und menschlichen Entwicklungsstadien weniger auffallend.
Biogenetische Grundregel – Die Ontogenese rekapituliert die Phylogenese. (Ernst Haeckel, 1866)
Fragestellungen
Literaturangaben
- Helmut Ferner: Entwicklungsgeschichte des Menschen. 9. Auflage, Ernst Reinhardt Verlag, München 1965.
- Otto Grosser: Grundriß der Entwicklungsgeschichte des Menschen.1944, 4. Auflage mit Georg Politzer 1953, 5. Auflage 1958 und 6. Auflage 1965 mit Rolf Ortmann, Springer Verlag, Berlin.
- E. Brandenburg: Der Begriff der Entwicklung und seiner Anwendung auf die Geschichte. 1941
- M. Clara: Entwicklungsgeschichte des Menschen. 2. Auflage 1940.
- A. Fischl: Lehrbuch der Entwicklung des Menschen. 1929.
- H. K. Corning: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen. 2. Auflage, J. F. Bergmann-Verlag, München 1925; Reprint Spinger-Verlag, Berlin ISBN 978-3-642-89610-1, online.
- H. Schmidt: Geschichte der Entwicklungslehre. Leipzig: Alfred Kröner Verlag, 1918
- O. Hertwig: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbelthiere. Gustav Fischer, 1896.
- A. Kölliker: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. W. Engelmann, 1879.
Einzelnachweise
- ↑ a b Mißbildung und Determination. In: Helmut Ferner: Entwicklungsgeschichte des Menschen. 7. Auflage, Reinhardt, München 1965; S. 155 zu Stw. „Mißbildung“; S. 43 f. zu Stw. „Determination, teratogenetische“.
- ↑ a b c d Entwicklung. In: Wilhelm Karl Arnold et al. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Bechtermünz, Augsburg 1996, ISBN 3-86047-508-8; Sp. 472 ff.
- ↑ a b Entwicklungsgeschichte. In: Norbert Boss (Hrsg.): Roche Lexikon Medizin. 2. Auflage, Hoffmann-La Roche AG und Urban & Schwarzenberg, München, 1987, ISBN 3-541-13191-8; S.nbsp;501, vgl.a. fernladbaren Text 52003 des online-Lexikons
- ↑ a b Zetkin-Schaldach: Wörterbuch der Medizin. dtv, München und Georg Thieme, Stuttgart 1980; ISBN 3-423-03029-1 (dtv) und ISBN 3-13-382602-3 (Thieme); S. 385 zu Lemma „Entwicklungsgeschichte“.
- ↑ Hans Herbert Schulze: Das Rororo-Computer-Lexikon. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988, ISBN 3-499-181053; S. 417 zu Lemma „Prozeß“.
- ↑ a b Entwicklung. In: Drosdowski, Günther: Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache; Die Geschichte der deutschen Wörter und der Fremdwörter von ihrem Ursprung bis zur Gegenwart. 2. Auflage. Dudenverlag, Band 7, Mannheim 1997, ISBN 3-411-20907-0; S. 158, 812 f.
- ↑ a b Entwicklung und Entfaltung. In: Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 14. Auflage. Alfred-Kröner, Stuttgart 1982, ISBN 3-520-013215-5, S.nbsp;158 ff. zu Wb-Lemma „Entwicklung“.
- ↑ a b c Theodor H. Schiebler und Horst W. Korf: Anatomie. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2005, ISBN 978-3-7985-1771-4; S. 92, Kap. 3 Allgemeine Entwicklungsgeschichte.
- ↑ a b c Otto Grosser bearb. von Rolf Ortmann: Grundriß der Entwicklungsgeschichte des Menschen. 6. Auflage, Springer, Berlin 1966; (a) S. 1 zu Stw. „Involution“; (b) S. 1 zu Stw. „Involution“.
- ↑ a b dénveloppement und évolution. In: Jacqueline Picoche: Robert – Dictionnaire étymologique du français. Le Robert, Paris 1979, ISBN 2-85036-013-9; (a) S.&bsp;250 zu Lemma „envelopper“– Abs. 2 Antonym développer; (b) S. 701 zu Lemma „Voûte“ – Kap. III A 6 Évolution, Evolutionisme.
- ↑ a b développement und évolution In: Albert Dauzat, Jean Dubois u. a.: Larousse étymologique. Nouveau Dictionaire Étymologique et Historique. Librairie Larousse, Paris VI 1971, ISBN 2-03-029303-2; (a) S. 267 zu Lemma: „envelopper“; (b) S. 285 zu Lemma: „évolution“.
- ↑ Ernst Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformierte Descendenz-Theorie. Georg Reimer, Berlin 1866 2 Bde. (Teilweiser Neudruck 1906; so z. B. S. 175 zu Kap. „Entwickelung und Metamorphose“. online)
- ↑ Entwicklungsgeschichte. In: Der Große Brockhaus. Kompaktausgabe in 26 Bänden. 18. Auflage, Brockhaus, F. A., Wiesbaden 1983, ISBN 3-7653-0353-4; Bd. 6, S. 146 zu Lemma „Entwicklung“.
- ↑ Entwicklungsgeschichte. In: Herbert Volkmann (Hrsg.): Guttmanns Medizinische Terminologie. Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1939; Sp. 271.
- ↑ Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 31984; S. 478 zu Wb.-Lemma: „Reifung“.
[[Kategorie:Allgemeine Psychologie]] [[Kategorie:Anatomie]] [[Kategorie:Entwicklungsbiologie]] [[Kategorie:Entwicklungspsychologie]] [[Kategorie:Ethnologie]] [[Kategorie:Genetik]] [[Kategorie:Geschichte]] [[Kategorie:Gesellschaftsform]] [[Kategorie:Gesellschaftsmodell]] [[Kategorie:Gestalttherapie]] [[Kategorie:Kognitionswissenschaft]] [[Kategorie:Kulturwissenschaft]] [[Kategorie:Marxistischer Begriff]] [[Kategorie:Ökosystem]] [[Kategorie:Philosophie des Geistes]] [[Kategorie:Psychoanalyse]] [[Kategorie:Psychologische Schule]] [[Kategorie:Tiefenpsychologie und Psychoanalyse]]