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Semantische Verdichtung ist ein Terminus aus der Poetik. Er meint die Technik, in einer Wendung bzw. Formulierung zwei Bedeutungen (semantische Inhalte) gleichzeitig anklingen zu lassen. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden sie oft mit den Worten „im doppelten Sinne“ eingeleitet. In poetischen Werken fehlt dagegen ein solcher Hinweis. Der Rezipient (Leser, Hörer) muss beide Bedeutungen und deren Zusammenhänge kennen, um sich die Wendung in seiner doppelten Bedeutung zu erschließen und sie zu genießen zu können.

Oft wird die wörtliche und übertragene Bedeutung eines Wortes (Metapher) in einem Ausdruck verbunden und damit verdichtet.

Beispiel 1: Orlov sagte zu Potemkin auf dessen Frage, was in seiner Abwesenheit am Hof Katharinas II. passiert sei: „Nichts. Außer dass Sie hinaufsteigen und ich herab.“ Sie waren sich auf der Treppe begegnet, Orlov war gerade als Liebhaber entlassen worden und Potemkin hatte seine Stelle eingenommen.
Beispiel 2: „Er brachte seine teure Gattin mit.“ Teuer im Sinne von hoch geschätzt und finanziell kostspielig.

Oder eine Formulierung lässt sich zugleich wörtlich und ironisch verstehen.

Beispiel: In Fontanes Roman Effi Briest spielt die verheiratete Effi die Hauptrolle in dem Theaterstück „Ein Schritt vom Wege“. Wenig später hat sie tatsächlich ein Verhältnis mit dem Regisseur des Stückes, Major Crampas. Der fiktive Theatertitel ist hier eine Vorausdeutung auf die kommende Entwicklung und zugleich - weil der Leser diese Entwicklung aufgrund der vorherigen Ereignisse schon ahnt - eine semantische Verdichtung: ein doppelter Kunstgriff Fontanes.

Manchmal reicht auch schon der Hinweis auf eine Aktion, die zweimal ähnlich abläuft, aber auf verschiedenen Ebenen.

Beispiel: Nachdem bei den russischen Raumfahrtversuchen die ersten beiden Hunde lebendig gelandet waren, wurden sie kurz darauf von der Biologin Ljudmila Radkewitsch im Arm zur Pressekonferenz mitgenommen. Beim Ausstieg aus dem Auto blieb sie mit den Absätzen in einem Gitter hängen und stürzte. Französische Reporter halfen ihr auf und gratulierten den Hunden zur ihrer (abermaligen) glücklichen Landung.

Dabei sind die Grenzen zwischen wörtlicher Bedeutung, übertragener Bedeutung und Ironie fließend, wie auch das letzte Beispiel zeigt. Zuweilen ergibt sich erst im zeitlichen Nacheinander der Ereignisse eine zweite Bedeutung.

Beispiel: Stalin ließ 1929 einen großen, rot leuchtenden Stern als Zeichen des Kommunismus über dem Kreml anbringen. Nach den sogenannten stalinistischen Säuberungen, infolge derer mehrere Millionen Menschen getötet wurden, erhielt das Rot des Sterns auch die Bedeutung des Blutzolls.

Die Farbe rot eignet sich für eine semantische Verdichtung besonders gut, weil sie mit den Bedeutungsfeldern Morgenröte/Abendrot - Liebe/Herz - Blut/Kampf/Schlacht - linke Politik/Sozialismus/Kommunismus in Verbindung gebracht wird.

Literatur

  • Eberhard Hermes: Abiturwissen Lyrik. 2. Auflage, Klett Verlag Stuttgart 1988, ISBN 3129295232
  • Harald Weinrich: Sprache in Texten. Klett Velag Stuttgart 1976 ISBN 3129085807
  • Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 5. erweiterte Auflage, Kröner Verlag Stuttgart, 1969

Einzelnachweise

[[Kategorie:Literarischer Begriff]]