Benutzer:Artmax/Thieme-Becker

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Zur Editionsgeschichte des Thieme-Becker (ThB)

Im Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek arbeite ich ständig mit den Originalausgabe des ThB, des Allgemeine Künstlerlexikon (AKL), darüber hinaus mit dem Dictionary of Art (34 Bände), einschließlich aller Bibliografischen Indizis, also gut 10 Regalmeter. Durch diese Erfahrung bin ich sozusagen zu einem Experten für die Geschichte des ThB geworden, kenne die Hintergründe und Anfänge der Edition. Dieses Werk, das da der „Laie Ulrich Thieme” (so Martin Warnke) aus einem (im positiven Sinne) Größenwahn der spätwilhelminische Ära heraus aus eigene Tasche finanzierte, ist bis heute grandios und vermutlich eines der größten Editionsprojekte des 20. Jahrhunderts. Natürlich hat er auch große Hilfe erfahren, von seinem Vorgänger Julius Meyer, vor allem von Abraham Bredius, der für Thieme sein niederländisches Kunstarchiv geöffnet hat. Die größte Hilfe war allerdings technischer Art: die Einführung vom Ottmar Mergenthalers Linotype-Setzmaschine in der Druckerei von C. G. Röder in Leipzig, die die Lexikonproduktion ungeahnt beschleunigt und verbilligt hat. Ohne das wäre das ThB nicht denkbar gewesen. In der Folge haben hervorragende Autoren Beiträge geliefert, das Who is Who der deutschen Kunstgeschichte. Und es stellte dadurch eine zeitlang die einzige jüdische Literatur in öffentlichen teutschen Bibliotheken dar.

Wer mit dem frühen ThB aber ständig zu tun hat, merkt doch, dass es den Forschungsstand und die Belegerschließung von 1906 repräsentiert. Die Stärke von Thieme, ein Netzwerk von 300 Mitarbeitern weltweit einzuspannen, erweist sich auch als Schwäche, insbesonders bei den Kurzartikeln über unbekannte Künstler. Denn gerade am Anfang gehörte es auch zu Thiemes „Größenwahn”, alle Künstler der Welt aufführen zu wollen. Die Zuverlässigkeit der Artikel hängt alleine von der Zuverlässigkeit und Qualifikation dieser Korrespondenten ab. Manche ausländischen Mitarbeiter haben nur aus ellenlangen Listen abgeschrieben (ins ThB wurden auch Namen aus einer Bürgerliste der Amsterdamer „schilders” aufgenommen, im Niederländischen das Wort für Maler und Anstreicher), andere Fachartikel unsorgfältig gefleddert, die meisten natürlich auch präzise recherchiert.

Das Problem ist: Fehler waren in der Zentralredaktion von den Herren Thieme und Becker nicht aufzudecken, weil in Leipzig die angeführte, entsprechende Literatur fehlte. Da fehlte einfach die vierteljährlich erscheinende Fachzeitschrift Oud Holland von 1905, S. 111, auf die z. B. das ThB-Lemma ”Franz Baumgartner” Bezug nimmt. Das ist allerdings falsch, weil der Beiträger sich verlesen und den im "Oud Holland" enthaltenen Artikel „Die Niederländer in Wien” von Alex Hajdecki falsch ausgewertet hat. Das AKL hatte später Gnade und Einsicht: dort kommt der „Baumgartner, Franz, Bildhauer”, der zweimal geheiratet hat, über den man aber außer dieser Tatsache sonst nichts weiß, nicht mehr vor. Zahlreiche (aber längst nicht alle inzwischen in der Fachliteratur nachgewiesene Unrichtigkeiten) werden im AKL berichtigt, interessant ist übrigen grundsätzlich der Vergleich ThB versus AKL, um die Probleme der frühen Ausgaben des ThB, insbesonders bei Kurzartikeln mit minimaler Beleglage, zu erkennen. In den Bänden 1–9 (bei Engelmann) weisen etwa 5-8% der Artikel Fehler auf oder sind überholt. Bei Seemann, also etwa ab Band 10, 1911, bessert sich das und die Quote sinkt auf ca. 2 %. Umgekehrt: 98% der Artikel können (zeitbezogen) als zuverlässig gelten, das ist sehr gut und dafür werden Thieme und Becker (auch von mir) hochgelobt. Im Jahr 2013 müssen wir bestrebt sein, dass die Fehlerquote (nach dem heutigen Erkenntnisstand) auf Null sinkt.