Benutzer:BeDeKl/Walter Wuttke
Walter Wuttke (* 1941 in Finsterwalde) ist ein deutscher Historiker, der wegweisend über die Medizin im Nationalsozialismus forschte.
Biographie
Wuttke wurde am 14.2.1941 in Finsterwalde geboren. Sein Vater war Oberzollinspektor, seine Mutter Kindergärtnerin. Nach dem Abitur 1961 in Bremen studierte er Theaterwissenschaften, Germanistik, Philosophie, Pädagogik, Lateinische Philologie und Medizingeschichte in Köln, Bonn und Tübingen. 1969 promovierte er zum Dr. phil. mit einer Arbeit über Otto Sperling. Von 1970 bis 1980 war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Tübingen (heute: Institut für Ethik und Geschichte der Medizin), unterbrochen von einem einjährigen Studienaufenthalt in den USA als Visiting Scholar an der Historischen Abteilung der Universität Chicago.[1]
1980 veröffentlichte er "Medizin im Nationalsozialismus – ein Arbeitsbuch".[2] Dabei handelt es sich um eine Sammlung kommentierter Auszüge aus zeitgenössischen Texten, Abschriften und Faksimiles von Archivquellen sowie Bildmaterial zu neun Themenbereichen, wie z.B. Gesundheitserziehung, Geburtshilfe, alternative Heilkunde und Sozialversicherung aus nationalsozialistischer Sicht sowie Vernichtungslehre der nationalsozialistischen Medizin und Standespolitik der Ärzteschaft im Nationalsozialismus. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches war die Forschung zur nationalsozialistischen Medizin in den meisten Bereichen rudimentär, insbesondere die Ärzteschaft hatte noch keinen adäquaten Zugang zu ihrem eigenen Verhalten im Nationalsozialismus finden können. Die Medizinhistoriker an den Universitäten hatten sich bis dahin dem Thema gegenüber weitgehend verschlossen.[3] Das Buch sollte zu einer Befassung anregen und Einstiege mithilfe der Dokumente erleichtern. Wuttke und diesem Werk wird heutzutage eine Pionierrolle in der Erschließung des Themas Medizin im Nationalsozialismus zugesprochen.[4]
1980 erarbeitete eine Gruppe von Studierenden der Medizin, der Pädagogik und der Empirischen Kulturwissenschaften unter Leitung von Wuttke die Ausstellung "Volk und Gesundheit - Heilen und Vernichten im Nationalsozialismus". Die Ausstellung wurde in mehr als 70 Städten gezeigt und von über 100.000 Personen besucht.[3] Ein ausführlich kommentierendes Begleitbuch zur Ausstellung erschien 1982.[5]
Die Dokumentation der die Rolle des Arztes Karl Haedenkamp (1889-1955) im Arbeitsbuch wie auch im Begleitbuch gaben den Anstoß zur Umbenennung der Kölner Haedenkampstraße in Herbert-Lewin-Straße im Jahr 1986. Haedenkamp war praktischer Arzt und Geburtshelfer, schon vor 1933 in der Deutschnationalen Volkspartei engagiert, nach 1933 Mitglied der NSDAP, der SA und der SS. Er vertrat eine gut dokumentierte rassistische und antisemitische Haltung. Federführend war er im Rahmen seiner Tätigkeit in der Reichsärztekammer an der Ausschaltung jüdischer und sozialistischer Ärzte beteiligt. Seine Tätigkeit in der ärztlichen Selbstverwaltung führte er nach dem Krieg ohne Unterbrechung ungehindert fort und avancierte zum Geschäftsführer der Bundesärztekammer. Ein Jahr nach seinem Tod erhielt die Straße, in der die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihre Sitze hatten, auf Veranlassung der Bundesärztekammer den Namen Karl-Haedenkamp-Straße. Wuttkes Forschung veranlasste die Bezirksvertretung von Köln-Lindenthal dazu, die Straße nach dem Kölner Arzt und Holocaust-Überlebenden Herbert Lewin umzubenennen.[6] Der Platz vor dem jetzigen Sitz von Bundesärztekammer und der Kassenärztliche Bundesvereinigung in Berlin wurde ebenfalls nach Herbert Lewin benannt.
In den letzten Jahren forschte er zu verschiedenen Opfergruppen in Ulm und Umgebung.
Wuttke wurde ebenso wie andere Wissenschaftler, die sich früh mit dem Thema Medizin im Nationalsozialismus und weiteren Fragen im Zusammenhang mit der NS-Zeit befassten, keine berufliche Karriere im Universitätsbereich ermöglicht. Die in den 1970er-Jahren an Universitäten etablierten Medizinhistoriker hatten ihre Position zwangsläufig einem Lehrer zu verdanken, der seine Karriere in der Nazizeit begonnen hatte. Zu diesen dann außerhalb der Universität forschenden Wissenschaftlern zählen Ernst Klee , Karl Heinz Roth, Angelika Ebbinghaus und Götz Aly.
Wuttke lebt in zweiter Ehe in Ulm.
Veröffentlichungen (Auswahl)
Wuttke-Groneberg W. Medizin und Technik. DER SPIEGEL 1979 29.01.1979;162-63. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40350916.html
Wuttke-Groneberg W. Medizin im Nationalsozialismus. Ein Arbeitsbuch. Wurmlingen: Schwäbische Verlagsgesellschaft 1980:423.
Wuttke-Groneberg W. Befreiende Tat. DER SPIEGEL 1981 26.01.1981;170-73. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14321466.html
Wuttke W. Die Aufarbeitung der Medizin im »Dritten Reich« durch die deutsche Medizinhistoriographie*. Argument 1989;Sonderband AS 186:156-75
Schwoch R, Wuttke W. Herbert Lewin und Käte Frankenthal: Zwei jüdische Ärzte aus Deutschland. Dtsch Arztebl International 2004;101(19):1319-. https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=41772
Wuttke W. O, diese Menschen. Das Leben in der Ulmer Anstalt "Oberer Riedhof" im Nationalsozialismus. Blaubeurer Geographische Heft. Nürtingen: Denkhaus-Verlag 2005
Wuttke W. Das Leiden und die Lebenspläne des Sinto Ranco Brantner. Nürtingen: Denkhaus-Verlag 2010.
Wuttke W. Familie Eckstein: Lebensschicksale einer Musiker-Sinti-Familie. Weißenhorn: Anton H. Konrad Verlag 2018.
Einzelnachweise
- ↑ Südwest Presse Online-Dienste GmbH: Dr. Walter Wuttke: Aufrecht, konsequent, unbequem. 13. Februar 2016, abgerufen am 4. Juni 2020.
- ↑ Wuttke-Groneberg W: Medizin im Nationalsozialismus. Ein Arbeitsbuch. 1. Auflage. Schwäbische Verlagsgesellschaft, Wurmlingen 1980, ISBN 3-88466-006-3.
- ↑ a b Wuttke W. Die Aufarbeitung der Medizin im »Dritten Reich« durch die deutsche Medizinhistoriographie*. Argument Sonderband AS 1989, 186:156-75.
- ↑ Jütte, R (Hrsg.). Medizin und Nationalsozialismus: Bilanz und Perspektiven der Forschung. Wallstein Verlag. 2011. Kindle-Version. Position 169
- ↑ Projektgruppe „Volk und Gesundheit“ (Hrsg.). Volk und Gesundheit. Heilen und Vernichten im Nationalsozialismus. Tübingen. Tübinger Vereinigung für Volkskunde e.V. 1982.
- ↑ Schwoch R, Wuttke W. Herbert Lewin und Käte Frankenthal: Zwei jüdische Ärzte aus Deutschland. Dtsch Arztebl International 2004;101(19):1319-. https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=41772