Benutzer:Bernd Schwabe in Hannover/Salomon Finkelstein
Salomon Finkelstein (* 1. Juli 1922 in Lodz) ist ein Überlebender des Holocaust.[1]
Leben
Die Jugend bis 1939
Der kleine „Salek“, wie Salomon von Freunden und Eltern genannt wurde, kam als zweitältester Sohn des Strickwarenhändlers Abraham und der Matla Finkelstein zur Welt. Älter war der 1920 geborene Bruder Shmuel, jünger der 1925 geborene Bruder David.
Salomon, Salek, wuchs in der zweitgrößten Stadt Polens und Standort der Textilindustrie auf: in bescheidenen, aber „geregelten Verhältnissen“ auf in einem Durchgangshof aus der Petrikauerstraße (polnisch: Pjotrkowska) zur Schenkiewitzstraße (polnisch: Sienkiewicza, nach dem polnischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz). Das Haus wurde zu 90% von jüdischen Bürgern und ihren Kindern bewohnt, die in dem rund Meter langen Durchgangshof zum Beispiel Fußball spielten. Viele Menschen waren arbeitslos, aber auch durch Arbeit kam kein Wohlstand auf: „Wenn jemand süßen Tee trinken wollte, ging er in den Laden und kaufte sich ein oder zwei Stückchen Zucker“. Bei den Finkelsteins gab es keinen Zucker. Saleks Bar Mizwa konnte fast überhaupt nicht gefeiert werden.
Doch Salomon Finkelstein erlebte eine von Vertrauen, Zuneigung und Freundschaft geprägte Kindheit: Er besuchte vier Jahre die jüdisch-weltliche Medem-Schule-Grundschule. (nach dem Arbeiterführer Vladimir Medem). Da die Eltern Mitglied der jüdisch-sozialistischen Partei Bund waren, trat Salek in deren Kinderorganisation Sozialistischer Kinder Farband, kurz SKIF ein. Für die Kinder in ihren blauen Hemden mit roter Krawatte gab es wöchentliche Gruppentreffen und zum Beispiel 1936 ein Sommerlager in der Natur mit „SKIFisten“ aus Lodz, Warschau und Wilna.
Durch den anschließenden Besuch der nach dem Direktor benannten Krzak-Schule lernte Salek mit anderen Arbeiterkinder neben der jiddischen auch die polnische Amtssprache.
Doch auch Antisemitismus und Gewalt erlebte Salek, zum Beispiel an der Hauptstraße, wo es für Christen vorbehaltene Spazierwege gab: Als der 14-Jährige einmal versehentlich über die Strecke für Juden hinausging, wurde er dermaßen vor das Schienbein getreten, daß eine lebenslange Narbe blieb. Und dies, obwohl der damalige polnische Ministerpräsident gesagt hatte: „Schlagen nicht, aber boykottieren dürft Ihr die jüdischen Geschäfte“.
1937 kamen Juden nach Lodz, denen die Nationalsozialisten ihre deutsche Staatsbürgerschaft abgenommen hatten und die „nach Osten“ ausgewiesen worden waren. So erfuhr der 15-jährige Salomon erstmals, daß selbst patriotische und in Deutschland verdiente Juden dort jetzt als unerwünschte „Untermenschen“ angesehen wurden.
Salek wollte aufs Gymnasium, doch nach einem Betrug durch zwei jüdische Partner des Vaters langten die finanziellen Verhältnisse dafür nicht mehr. Daher half Salek dem nun kränkelnden Vater in der kleinen Stickerei und besuchte Abendkurse in Buchführung, um seine kaufmännischen Kenntnisse zu erweitern. Als trotz Geldmangels der Besuch eines Gymnasiums doch noch beschlossene Sache war - brach über die Familie der 1. September 1939 herein, der Zweite Weltkrieges, und das endgültige Ende nicht nur von Saleks Schulzeit.
Besetzung und Ghetto Lodz
Als Salomon Finkelstein 17 Jahre alt war, besetzten die Deutschen am 8. September 1939 kurz nach Kriegsbeginn neben Warschau auch Lodz. Der ältere Bruder Shmuel konnte, „als die Wehrmacht im Anmarsch war“, gerade noch „gen Osten“ fliehen. Schon am nächsten Tag gab es kaum noch Brot in der Stadt; die Finkelsteins mußten sich nachts ab drei Uhr anstellen, um noch etwas zu bekommen. Ehemalige „Volksdeutsche“ Nachbarn, mit denen die Familie zuvor Umgang pflegte, brachen unvermittelt jeglichen Kontakt ab. Zwei Tage lang besuchten Wehrmachtsangehörige die Finkelsteins in ihrer Wohnung zu „unverbindlichen Gesprächen“. Am dritten Tag transportierten sie das gesamte brauchbare Inventar der Strickerei der Finkelsteins mit Lastwagen ab. „Doch dann kam die SS“, und sie prügelte und schoss nach Belieben:
„Sie haben uns zu Zwangsarbeiten von der Straße geholt: wenn es etwas zu graben gab und Mauern oder Häuser zerstört werden mußten, da holten sie sich ein paar Juden. Viele orthodoxe Juden trugen Bärte und Schläfenlocken und waren auch anders gekleidet. Die SS erkannte aus 100 Meter Entfernung, wer Jude war oder nicht. Außerdem gab es genug christliche Polen, die auf uns zeigten: ‚Jude, Jude ...‘ Vielleicht haben sie ein bischen Zucker dafür bekommen ... Alle Clubs, Vereine, Schulen [wurden] geschlossen, alle Organisationen und Parteien verboten. Dann durften wir uns nicht mehr auf Parkbänke setzen. Dann mußten wir vom Bürgersteig auf die Fahrbahn gehen, wenn uns ein deutscher Uniformierter entgegenkam. In der Straßenbahn durften wir auch nicht fahren. Es war uns alles verboten, bis die Verordnung kam, daß die Juden einen gelben Davidstern auf der linken Brustseite anzuheften hatten.
Dann kam Anfang 1940 eine Verfügung, daß die Juden der Stadt in ein Getto zu internieren sind. Durch den Lautsprecher wurde gesagt: »Die Juden haben sich sofort auf dem Hof einzufinden. Wer nicht kommt, wird erschossen!« Wir wohnten ziemlich Parterre ... da war ich schon draußen. Aber ich hörte Schüsse hinter mir ... [Wir] mußten in Fünferreihen antreten ... [und sind] unter Bewachung ... nach Baluty marschiert ... Dort bekam jede Familie ein Zimmer. Es hat nicht lange gedauert, da wurde das Getto umzäunt. Und wir saßen in der Falle.“
Trotz des Terrors durch die Nationalsozialisten fand Salomon Finkelstein im Ghetto Litzmannstadt noch „ein Stückchen Normalität“, der er noch mit den Eltern und zumindest mit dem Bruder David zusammenblieb. Doch „dort wurde vor Hunger gestorben“:
„Einmal hat mir meine Tante [Manja Jacobowsky] mit dem Teelöffel in bischen Mehl in die Hand gegeben, in die blanke Hand. Durch den Hunger war ich so geschwächt, daß ich tagelang im Bett lag ... Ich dachte nur daran, zu überleben ... ich will noch einmal eine normale Zeit erleben.“
Während der Vater im Getto in einen sogenannten „Shop“ für die Wehrmacht produzierte, schloss sich Salomon Finkelstein der Frauenorganisation WIZO an, die im Getto eine kleine Gartenkolonie betrieb. Wenn Salomon nicht mangels Essen im Bett liegen mußte, ging er in diese Kolonie: „Da gab es auch die Möglichkeit, mal ein Gedicht aufzusagen oder gemeinsam ein Lied zu singen.“
Als er - „vielleicht war es nach einer [Lebensmittelzuteilung], daß ich die Kraft hatte, auf die Straße zu kommen“, meldete er sich für eine ausgeschriebene Arbeit, „damals noch [für] Freiwillige“, die außerhalb des Gettos arbeiten sollten. „Ich bin hingegangen und meine Mama hat mich begleitet ... Bevor ich auf den [offenen Last-]Wagen stieg, habe ich meine Mutter umarmt, habe sie geküsst, und habe gesagt: »Tschüss Mama!« - In der Annahme, dass ich sie bald wiedersehen werde. Aber ich habe sie in meinem Leben nicht wiedergesehen.“
Arbeitslager an der Reichsautobahn
Literatur
- Renate Müller De Paoli: Salomon Finkelstein. Häftling Nummer 142 340, in der Reihe Schriften zur Erinnerungskultur in Hannover, Band 2, hrsg. von Karljosef Kreter, Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Bildung und Qualifizierung, Projekt Erinnerungskultur, in der Schriftenreihe der Gedenkstätte Ahlem, Sonderedition Band 1, hrsg. von Stefanie Burmeister, im Auftrag der Region Hannover, 2012, Verlag Hahnsche Buchhandlung Hannover, 2012
- Hannoversche Allgemeine Zeitung, online vom 25. Januar 2010 (zuletzt abgerufen am 30. Juni 2012)
- Thorsten Fuchs: Auschwitz-Überlebender / Das Ende des Schweigens
- Daniel Alexander Schacht: Holocaust-Opfer / Die Opfer leiden noch heute
- Salomon Finkelstein: Ich bin vorgestellt worden als Salomon Finkelstein ..., Rede-Skript, zur Verfügung gestellt von Buchenwald.de als PDF-Dokument
- Matthias Horndasch Salomon Finkelstein / Matthias Horndasch im Gespräch mit dem Zeitzeugen und Holocaustüberlebenden Salomon Finkelstein, „Das Buch zum Download“ in vier Teilen als PDF-Dokumente, gefördert von der Stadt Einbeck
Filmographie
- Gesine Enwaldt: Auf das Leben! Jüdisch in Deutschland Pressemappe des NDR zur Dokumentation von 2008–2012; Salomon Finkelstein war einer der Protagonisten. (PDF-Dokument)
- finkelda (pseudonym): Salomon Finkelstein im niedersächsischen Landtag anläßlich des 65. Befreiungstages des Konzentrationslagers Auschwitz. Ein Zeitzeuge berichtet, Video-Aufnahme eines Berichtes von Rüdiger Strauch in (NDR Aktuell)
Weblinks
- Katharina Pagel: Abend mit Salomon Finkelstein: „Ich bin einer der Letzten – fragen Sie mich!“, Bericht über die Veranstaltung des Vereins convivio-mundi e.V. vom 25. Mai 2010, (zuletzt abgerufen am 30. Juni 2012)
- StM: 26.11.2009 Vortrag von Salomon Finkelstein ein Überlebender von Ghetto, Arbeitslager und KZ`s erzählt, Einladung der Initiative Zug-der-Erinnerung auf der Heidebahn, Veranstalter: Geschichtswerkstatt Hannover e.V., Schulelternrat der IGS Linden, VVN/BdA, (zuletzt abgerufen am 30. Juni 2012)
Einzelnachweise
- ↑ Renate Müller De Paoli: Kindheit und Schulzeit in Lodz, in: Salomon Finkelstein. Häftling Nummer 142 340 (siehe Literatur), S. 19–25