Benutzer:BishkekRocks/Finnische Literatur
Unter finnischer Literatur versteht man die im Gebiet des heutigen Finnland entstandene Literatur.[1] Sie umfasst sowohl Werke in finnischer als schwedischer Sprache, weshalb sie sich zum Teil mit der schwedischen Literatur überschneidet.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
Eine finnische Schriftsprache war bereits im 16. Jahrhundert durch die Bibelübersetzung Mikael Agricolas geschaffen worden, die literarische Kultur Finnlands blieb aber schwedisch geprägt.
Erst die Romantik des 19. Jahrhunderts schuf eine eigenständige finnische Literatur.
Volksdichtung
Schon in vorchristlicher Zeit verfügten die Finnen über eine reiche mündlich überlieferte Volksdichtung, von der aber erst ab dem 16. Jahrhundert Aufzeichnungen existieren. Die gemeinsame Tradition der mündlich überlieferten Volksdichtung findet sich im gesamten ostseefinnischen Sprachraum, also in Finnland, Karelien, Estland und dem Ingermanland. Man geht davon aus, dass diese Art der Dichtung bereits vor 2500 bis 3000 Jahren entstand. Die „Runen“ (finnisch runo) genannten Lieder wurden nach bestimmten, recht einfachen Melodien gesungen, teilweise begleitet von einer Kantele. In Gegenden, in denen die Tradition der Volksdichtung noch lebendig war, kannte die Mehrzahl der Menschen zumindest einige Lieder. Daneben gab es wandernde Runensänger, die ein großes Repertoire an Runen auswendig vortragen konnten.
Die Volksdichtung war bis ins 16. Jahrhundert in ganz Finnland verbreitet. Nach der Reformation verbot die lutherische Kirche die „heidnischen“ Runen, und die Tradition versiegte nach und nach in West- und Mittelfinnland. Im orthodoxen, zu Russland gehörigen Ostkarelien konnte sich die Volksdichtung länger halten. Die Tradition blieb bis ins frühe 20. Jahrhundert lebendig, heute gibt es nur noch wenige alte Menschen, die die alten Lieder beherrschen.
Die finnische Volksdichtung wird in drei Hauptzweige eingeteilt: Epik, Lyrik und Beschwörungen. Die Epik umfasst unterschiedlich alte Schichten. Die älteste Schicht sind mythische Runen, die etwa die Schöpfung der Erde behandeln. Entstehungsmythen wie die Entstehung des Eisens haben ihren Ursprung im Schamanismus der vorchristlichen Periode, d. h. der Zeit vor dem 12. Jahrhundert. Während des Mittelalters entstand die Heldendichtung und Balladen sowie –nach der Bekehrung der Finnen – Legenden mit christlicher Thematik. In späterer Zeit handelten die Epen über historische Ereignisse wie den Mord am Bischof Heinrich von Uppsala, der nach seinem Märtyrertod im Jahr 1156 als finnischer Schutzheiliger verehrt wurde, oder die Kriege zwischen dem Schwedischen Reich und Russland. Zur Lyrik gehören Runen zu besonderen Anlässen (z. B. Hochzeit, Erlegung eines Bären), Lieder, die im Alltag (z. B. bei der Feldarbeit) gesungen wurden, Liebeslyrik und Elegien. Die Beschwörungslieder stammen aus der vorchristlichen Magie. Durch Zaubersprüche versuchte man etwa die Heilung von Krankheiten oder Jagdglück zu beschwören.
Anfänge der finnischen Literatur
Mittelalter
Die literarische Produktion in Finnland begann, nachdem das Land im 12. Jahrhundert in das schwedische Reich eingegliedert und christianisiert wurde, blieb aber bis zur Reformation sehr spärlich und beschränkte sich auf lateinischsprachige religiöse Texte. Der früheste bekannte in Finnland verfasste Text ist die um 1290 verfasste Heinrichsliturgie (die ältesten erhaltenen Handschriften stammen jedoch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts).[2] Diese Heiligenlegende schildert das Leben und die Wundertaten des Bischofs Heinrich von Uppsala.
Der erste namentlich bekannte finnische Autor ist der Mönch Jöns Budde (ca. 1437–1491), der im Birgittenkloster von Naantali lateinische Heilig|enlegenden und Teile des Alten Testaments ins Schwedische übersetzte. Das älteste für Finnland gedruckte Buch das Missale Aboense. Dieses dominikanische Messbuch wurde im Jahr 1488 von Bartholomäus Ghotan in Lübeck gedruckt. 1522 folgte das in Halberstadt gedruckte kirchliche Handbuch Manuale seu Exequiale
Reformation und Entstehung der finnischen Schriftsprache
Bis ins 16. Jahrhundert hatte das Finnische nicht als geschriebene Sprache existiert. Erst als König Gustav I. Wasa 1527 auf dem Reichstag von Västerås die Reformation im schwedischen Reich einleitete und man in Finnland begann gemäß der lutherischen Lehre das Wort Gottes in der Sprache des Volkes zu verkünden, entstanden die ersten finnischsprachigen Texte. Als „Vater der finnischen Sprache“ gilt der Reformator Mikael Agricola (ca. 1510–1557). Das erste Werk des Luther-Schülers und späteren Bischofs von Turku und zugleich das älteste überlieferte Werk in finnischer Sprache war die Fibel Abckiria („ABC-Buch“, 1543), die einen Katechismus enthielt. 1544 folgte das für die Geistlichkeit konzipierte Gebetbuch Rucouskiria bibliasta („Gebetbuch nach der Bibel“). Das Hauptwerk Agricolas ist seine Übersetzung des Neuen Testaments, die 1548 unter dem Titel Se Wsi Testamenti erschien. Bei der Übersetzung des Alten Testaments kam Agricola nicht über die Psalmen Davids und einige Prophetenbücher hinaus. Die erste vollständige Bibelübersetzung ins Finnische erschien erst 1642 unter dem Titel Biblia. Se on: Coco Pyhä Ramattu Suomexi.
Mikael Agricola entwickelte für sein Werk eine Schriftsprache auf Grundlage des südwestfinnischen Dialekts mit einer Orthografie, die sich am Lateinischen, Schwedischen und Deutschen orientierte, und schuf zahlreiche Neologismen für Begriffe, für die es bisher keine Wörter im Finnischen gegeben hatte. Damit legte er den Grundstein für eine finnische Schriftsprache.
Entwicklung nach Agricola
In den Jahren nach Agricola gab es nur vereinzelte literarische Tätigkeiten, hauptsächlich religiösen Charakters. Hierzu gehören die lateinischsprachige Liedersammung Piae Cantiones (1582) des Theodoricus Petri Ruutha und der finnischsprachige Katechismus (um 1580) des Jaakko Finno. Die schwedischsprachige Kirchendichtung war im Finnland der Reformationszeit weniger umfangreich als die finnischsprachige, ihr bedeutendster Vertreter war Sigfrid Aronus Forsius (ca. 1550–1624), der einen Almanach, Kirchenlieder, Gedichte und naturphilosophische Untersuchungen verfasste. Von einer finnischen literarischen Kultur konnte indes für jene Zeit nicht die Rede sein.[3]
Die Gründung der Akademie zu Turku im Jahr 1640 und die Gründung er ersten Buchdruckerei zwei Jahre später verschaffte der literarischen Kultur Finnlands einen gewissen Auftrieb, doch blieb die literarische Tätigkeit nach wie vor eher sporadisch. In finnischer Sprache entstand weiterhin vornehmlich geistige Literatur. Hierzu gehört etwa die Dichtung des Johana Cajanus (1655–1681). Gegen Ende des 17. Jahrhunderts gingen viele finnischsprachige Autoren zum Kalevala-Versmaß über. In diesem aus der heidnischen Volksdichtung stammenden Metrum entstand etwa die Messiade Ilo-Laulu Jesuxesta („Freudengesang über Jesus“, 1690) des Matthias Salamnius.
Die wichtigsten finnischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts waren Jacob Frese (ca. 1691–1729), einer der bedeutendsten Vertreter der schwedischsprachigen Barockdichtung, und der ebenfalls auf Schwedisch schreibende Rokokodichter Gustav Filip Creutz. Beide waren jedoch in jungen Jahren nach Stockholm übergesiedelt.
19. Jahrhundert
Romantik
Im frühen 19. Jahrhundert weckte der einflussreiche Humanist Henrik Gabriel Porthan in Finnland durch seine Untersuchung De Poesi Fennica (1766–1778) ein Interesse an der finnischen Volksdichtung. Der einzige bedeutende finnische Schiftsteller der Zeit um 1800 war der auf Schwedisch schreibende Porthan-Schüler Frans Michael Franzén (1722–1847). Durch seine Lyrik fasste die Romantik in Finnland Fuß.
Nachdem Finnland 1809 unter russische Herrschaft gekommen war, begann sich ein finnisches Nationalbewusstsein herauszubilden. In der als „Turkuer Romantik“ bezeichneten frühen Phase der Romantik in Finnland wirkte ein Kreis um Adolf Ivar Arwidsson im Umfeld der Akademie zu Turku, die bereits im Geist der Nationalromantik den Wert der finnischen Sprache und Volksdichtung hervorhoben. Mit der Verlegung der Universität in die neue Hauptstadt Helsinki im Jahr 1827 wurde Helsinki zum neuen kulturellen Zentrum Finnlands, weshalb man die folgenden Epoche als „Helsinkier Romantik“ bezeichnet. In Helsinki wurde im Umfeld der sogenannten Samstagsgesellschaft (lauantaiseura) 1831 die Finnische Literaturgesellschaft gegründet, die großen Einfluss auf die Entwicklung der finnischen Literatur haben sollte. Der wichtigste finnische Denker jener Zeit war Johan Vilhelm Snellman. Er hob unter dem Einfluss der Philosophie Hegels die Rolle der finnischen Sprache für die Entwicklung einer finnischen Nation hervor und formulierte das Konzept der finnischen Nationalliteratur.
Unter Snellmans Einfluss sah man es als wesentliche Aufgabe der finnischsprachigen Literatur an, zum Aufbau einer nationalen finnischen Identität beizutragen.[4] Zugleich hatte die Romantik ein Interesse an der finnischen Volksdichtung geweckt. Elias Lönnrot zeichnete auf mehreren Reisen in Ostkarelien mündlich übermittelte Lieder auf und schuf auf dieser Grundlage das finnische Nationalepos Kalevala (erste Fassung 1835, zweite Fassung 1849) und dessen lyrisches Schwesterwerk Kanteletar (1840). Das Kalevala hatte eine grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der finnischen Sprache und Literatur[5] und verschuf der finnischen Identität enormen Auftrieb, sah man es doch als Ausdruck eines eigenständigen Kulturerbes.[6] Bis heute prägt es die finnische Kultur.
Nicht minder trug der finnlandschwedische Schriftsteller Johan Ludvig Runeberg zur Entwicklung des finnischen Nationalgefühls bei.[7] In seiner Hexameterdichtung Elgskyttarne („Die Elchjäger“, 1832) führt er die wilde Natur Finnlands als patriotisches Symbol in die Literatur ein. Runebergs Hauptwerk ist die Gedichtssammlung Fänrik Ståls sägner (1848/1860; dt. Die Sagen des Fähnrich Stål, 1852), in der er den schwedisch-russischen Krieg von 1808–1809 beschreibt. Aus diesem Werk ist unter anderem der Text der finnischen Nationalhymne entnommen.
Spätromantik und Realismus
Als der Schöpfer der modernen finnischsprachigen Literatur gilt Aleksis Kivi, der als erster finnischer Berufsschriftsteller den finnischen Roman begründete und die ersten Dramen in finnischer Sprache schrieb. Sein Hauptwerk, der Roman Seitsemän veljestä (1871; dt. Die sieben Brüder, 1921), schildert, wie die sieben Jukola-Brüder, weil man sie zwingen will lesen zu lernen, von ihrem Hof in einem Bauerndorf in die Wildnis fliehen, um dort in Freiheit ein einsames Leben zu führen, schlussendlich aber doch wieder in die Zivilisation zurückkehren, und problematisiert dadurch die Bewusstseinskrise, vor die der einfache Mensch aus dem Volk durch den historischen Umbruch der Gesellschaft gestellt wird.[8] Sein Werk bildet zusammen mit Kalevala und Kanteletar das Fundament der finnischsprachigen Literatur.[9] Insgesamt verfasste Kivi sieben Dramen, deren bekanntestes die Komödie Nummisuutarit („Die Heideschuster“, 1864) ist.
Der gesellschaftliche Wandel und die Entstehung der liberalen Bewegung der Jungfinnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts ging einher mit dem Einzug des Realismus in die finnische Literatur, die nun begann sich an gesamteuropäischen Strömungen zu orientieren. Die wichtigsten Vertreter des Realismus sind Minna Canth, Juhani Aho, Arvid Järnefelt und Teuvo Pakkala. Minna Canth thematisierte in ihren gesellschaftskritischen Dramen wie Työmiehen vaimo („Die Frau des Arbeiters“, 1885) die sozialen Verhältnisse ihrer Zeit. Juhani Aho erzielte seinen Durchbruch mit der Novelle Rautatie (1884; dt. Die Eisenbahn, 1922), als sein Hauptwerk gilt der Roman Papin rouva („Die Frau des Pfarrers“, 1893; dt. Ellis Ehe, 1896). Er ist nach Aleksis Kivi der erste bedeutende finnischsprachige Prosa-Autor. Die zuvor wenig entwickelte finnische Literatur erreichte nun ein Niveau, das durchaus mit dem der skandinavischen Nachbarländer mithalten konnte.[10]
20. Jahrhundert
Um die Jahrhundertwende fand in der finnischen Literatur parallel zur gesamteuropäischen Entwicklung ein Übergang zur Neuromantik und zum Symbolismus statt, die vor allem in der Lyrik der Dichter Eino Leino, Otto Manninen und Veikko Antero Koskenniemi ihren Ausdruck fand. Johannes Linnankoski schuf mit seiner Don-Juan-Adaption Laulu tulipunaisesta kukasta (1905; dt. Das Lied von der glutroten Blume, 1909) den ersten finnischsprachigen Bestseller. In der Zeit nach der Unabhängigkeit fand in der finnischen Literatur ein Übergang zu einem neuen Realismus statt, der etwa in den Novellen und Dramen Maria Jotunis Eingang fand.
Der bedeutendste Schriftsteller der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war Frans Eemil Sillanpää. Sein Roman Hurskas kurjuus (1919; dt. Das fromme Elend, 1948 und 1981) behandelt den gerade zu Ende gegangenen Finnischen Bürgerkrieg und wurde in der durch den blutigen Bürgerkrieg tief gespaltenen Gesellschaft als Werk der Versöhnung angesehen.[11] In den 1930er Jahren gelangte Sillanpää mit Nuorena nukkunut („Jung entschlafen“, 1931; dt. Silja die Magd, 1932) zu internationaler Berühmtheit und erhielt im Jahr 1939 als erster und bislang einziger finnischer Literat den Nobelpreis für Literatur. Ebenso wie Sillanpää suchten Aino Kallas und Volter Kilpi in Ästhetik und Schönheit ein Gegengewicht zu den Konflikten der politisch angespannten Zwischenkriegszeit.
An den europäischen Modernismus fand die finnische Literatur durch die finnlandschwedische Lyrik, insbesondere das Werk Edith Södergrans, Anschluss. Die finnischsprachige Lyrik wandte sich dagegen in den 1920er Jahren durch den Kreis der Tulenkantajat („Feuerträger“) zum Expressionismus hin. Unter den Theaterautoren der Zwischenkriegszeit war Hella Wuolijoki führend. Eines ihrer Stücke diente Bertolt Brecht als Vorlage für Herr Puntila und sein Knecht Matti (1940).
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges herrschte in der finnischen Gesellschaft ein Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit dem verlorenen Krieg, das Väinö Linna mit seinem Roman Tuntematon sotilas („Der unbekannte Soldat“, 1954; dt. Kreuze in Karelien, 1955) zu befriedigen wusste. In ähnlicher Weise verarbeitet sein zweites großes Werk, die Romantrilogie Täällä Pohjantähden alla („Hier unter dem Polarstern“, 1959-62), den Finnischen Bürgerkrieg. Tuntematon sotilas ist mit 500.000 verkauften Exemplaren bis 1990 das meistverkaufte finnische Buch[12]. Der im Ausland meistgelesene finnische Schriftsteller ist indes Mika Waltari. Sein bekanntestes Werk, der historische Roman Sinuhe egyptiläinen (1945; dt. Sinuhe der Ägypter, 1948), wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 1954 sogar in Hollywood verfilmt. Zu ähnlicher internationaler Bekanntheit gelangten die Mumin-Kinderbücher der finnlandschwedischen Autorin Tove Jansson.
Der Modernismus hielt in der finnischsprachigen Literatur, anders als in der finnlandschwedischen, erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Lyrik von Paavo Haavikko und Eeva Liisa Manner sowie die Prosa von Veijo Meri Einzug. In der schwedischsprachigen Lyrik setzte Bo Carpelan die modernistische Tradition der Vorkriegszeit fort. Der führende Schriftsteller der 1960er Jahre war Pentti Saarikoski.
Quellen und weiterführende Informationen
Siehe auch
Einzelnachweise
Literatur
- Hans Fromm: Die finnische Literatur. In: Walter Jens (Hrsg.) Kindlers neues Literaturlexikon (CD-ROM-Ausgabe). Systhema, München 2000. ISBN 3-634-99900-4.
- Pertti Lassila: Geschichte der finnischen Literatur. Übers. Stefan Moster. Francke Verlag, Tübingen und Basel 1996. ISBN 3-7720-2168-9
- Pertti Lassila: Literatur. In: Olli Aho (Hrsg).: Kulturlexikon Finnland. Finnische Literaturgesellschaft, Helsinki 1998. ISBN 951-717-032-5
Weblinks
- Stefan Moster: Die finnische Literatur, 2004. Auf Virtual Finland (Informationsseite des finnischen Außenministeriums)