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Radau um Kasperl ist ein Hörspiel von Walter Benjamin. Es wurde am 10. März 1932 im SWR das erste Mal ausgestrahlt und ein zweites Mal am 9. September 1932 im Jugendfunk des Westdeutschen Rundfunks (Werag).
Inhalt
Personen
Kasperl; Herr Maulschmidt, Sprecher am Rundfunk; Der Speisewirt; Der Karussellmann; Der Budenbesitzer; Der Schießbudenmann; Der Löwenwärter; Puschi, Kasperls Frau
Außerdem: Herr Mittmann und Herr Gericke vom Rundfunk; ein Stationsvorsteher; Lipsuslapsus, ein Geist; der erste und der zweite Schütze; Kinder und Tiere.
Handlung
Das Hörspiel ist in mehrere Szenen unterteilt, die sich vor allem durch die sich ändernde Geräuschkulisse voneinander unterscheiden. Es beginnt mit einem Zusammentreffen von Kasperl, der auf dem Weg zum Markt ist um einen Fisch für Puschi zu kaufen, und Herrn Maulschmidt. Wegen des dichten Nebels können sie sich nicht sehen und erkennen einander nicht. Kasperl gibt Herrn Maulschmidt seinen Namen zu raten und nach einigem Hin und Her erkennt Herr Maulschmidt ihn und ist hocherfreut, ihn getroffen zu haben. Herr Maulschmidt ist nämlich der Sprecher des Rundfunks und möchte schon lange, dass Kasperl bei ihm in der Sendung spricht. Daraufhin gehen die beiden zum Rundfunkgebäude und Kasperl bekommt erklärt, was der Rundfunk ist. Als er erfährt, dass man ihn dann überall hören wird, ist er ganz aufgeregt, denn dann hört ihn auch sein Freund Seppl, dem er schon lange gehörig die Meinung sagen wollte. In dem folgenden Monolog Kasperls, der im Rundfunk gesendet wird, beschimpft er den Seppl aufs Übelste. Herr Maulschmidt und seine Rundfunkangestellten sind erbost und wollen Kasperl festhalten, aber er flieht. Daraufhin beginnt eine Verfolgungsjagt, die für den folgenden Verlauf des Stückes ausschlaggebend ist. Sie führt Kasperl zuerst an den Bahnhof, wo er die Mütze eines Stationsvorstehers an sich nimmt und den Zug, den seine Verfolger gerade nach ihm absuchen, zehn Minuten vor der Zeit abfahren lässt. Nachdem er seine Verfolger erstmal abgehängt hat, begibt er sich auf einen Jahrmarkt und dort zuerst zu einem chinesischen Speisehaus. Als aber der Speisewirt sich weigert irgendeines seiner Kleidungsstücke als Pfand anzunehmen, ohrfeigt Kasperl ihn und geht als nächstes zu einem Karussell. Nach einer längeren Diskussion mit dem Karussellmann über den Preis einer Fahrt, da Kasperl eine Stunde lang fahren möchte, ärgert sich Kasperl über diesen Mann und gibt auch ihm, um seine Argumentation zu verdeutlichen, Ohrfeigen. Bei seinem weiteren Gang über den Jahrmarkt kommt er zu einem Budenbesitzer, der seinen allwissenden Geist Lipsuslapsus anpreist. Kasperl geht zu Lipsuslapsus und stellt ihm Fragen über sein Leben und was er damit anfangen soll. Der Geist antwortet immer als Echo auf die gestellte Frage und Kasperl verlässt den Raum wieder, ohne aus ihm schlau geworden zu sein. Kurz bevor er auch den Budenbesitzer deshalb ohrfeigen kann, tauchen seine Verfolger aus dem Rundfunk wieder auf und Kasperl versteckt sich als Schießbudenfigur in einer Schießbude und kann sich gerade noch, kurz bevor er angeschossen wird, enttarnen. Da er merkt, dass er bei dem Geist Lipsuslapsus seinen Fisch verloren hat, geht er in den Zoo um sich dort einen zu fangen. Aber noch bevor er damit beginnen kann, wird er von Kindern erkannt und erzählt ihnen, er würde im Zoo die Tiersprache studieren. Die Kinder drängen ihn dazu, ihnen zu erzählen, über was die Tiere sich unterhalten. Nachdem er mit Füchsen, Affen, Elefanten und Löwen gesprochen hat, erkennen die Kinder, dass er ihnen nur etwas vorgemacht hat und schimpfen mit ihm und jagen ihn davon. Durch einen folgenden Monolog vom Löwenwärter erfährt der Zuhörer, dass in dem einen Löwengehege nur ein ausgestopfter Löwe steht und in diesem Gehege versteckt sich Kasperl, als seine Verfolger wieder auftauchen. Er imitiert Löwengebrüll und tut so, als ob er den Löwen frei lassen wollte. Daraufhin rennen Herr Maulschmidt und die Anderen weg. Das Taxi, welches Kasperl für den Nachhauseweg nimmt, hat einen Unfall und Kasperl erwacht zu Hause in seinem Bett. Seine Frau zeigt ihm Genesungsgeschenke, die die Kinder gebracht haben und im folgenden überlegt Kasperl, wie er es Herrn Maulschmidt heimzahlen kann, der ihm diese ganze Verfolgungsjagt eingebrockt hat. Er wird in seinen recht brutalen Plänen unterbrochen, als Herr Maulschmidt herein kommt und ihm ein Kuvert mit seinem Honorar vom Rundfunk überreicht. Es stellt sich nämlich heraus, dass Herr Maulschmidt Kasperls Gespräch mit Puschi aufgezeichnet hat und im Rundfunk hat abspielen lassen, damit der Kasperl doch noch im Rundfunk gesprochen hat. Kasperl ist sehr erstaunt über den Rundfunk. Das Hörspiel endet damit, dass er und Puschi sich für das Geld bedanken und Herr Maulschmidt zu seiner nächsten Sendung davon eilt.
Verortung
Als Hinweise für die Verortung dieses Hörspiels in einer bestimmten Region, dienen Geräusche und vor allem die Dialekte der einzelnen Personen. Einerseits könnte man das Stück im Raum München platzieren, da Kasperl einen sehr starken bayrischen Dialekt spricht und in Bezug auf Franz von Pocci würde man deshalb die Verbindung zum Münchner Kasperl herstellen. Andererseits weißt der Dialekt des Zoowärters auf Berlin hin und auch der Sitz des Rundfunks stellt die Verbindung zu Berlin her. Nun hört man in der ersten Szene allerdings auch Schiffssirenen tuten und in Hinblick auf ihre Kasperl-Tradition würde somit auch die Stadt Hamburg mit ihrem großen Hafen ein passender Ort sein. Durch diese Unklarheit wird ein Konstrukt eines fantastischen „Nirgendortes“ geschaffen.
Intention
Die Intention des Hörspiels ist es, Kindern das Medium Rundfunk näher zu bringen und ihnen die technischen Möglichkeiten dieses Mediums vorzustellen. Dies gelingt dadurch, dass einerseits Kasperl vom Herrn Maulschmidt den Rundfunk in seiner Funktionsweise erklärt bekommt und andererseits dadurch, dass den Kindern durch Kasperls Unverständnis über den Gebrauch deutlich gemacht wird, wie man den Rundfunk nicht nutzt und im Umkehrschluss natürlich auch, was das eigentliche Prinzip des Rundfunks ist. Kasperl nutzt den Rundfunk für eine ganz persönliche individuelle Mitteilung, also sozusagen anstelle eines Telefons und nicht für eine allgemeine Botschaft an alle.
Die Figur des Kasperls
Die Darstellung
Die Darstellung der Kasperl-Figur weißt in diesem Stück hauptsächlich traditionelle Elemente auf, einige aber in abgemilderter Form. Wenn man das Stück zum Beispiel im Hinblick auf Obszönitäten untersucht, wird man feststellen, dass keine vorhanden sind, aber der Kasperl dennoch sehr derb flucht und eine recht aggressive und unvorhersehbare Ader hat. Er verteilt an fast alle Personen „Watschen“. Dieses reicht an Brutalität aber in keiner Hinsicht an den Kasper von Adolf Glaßbrenner in Kasper soll gehängt werden heran, den man als Beispiel für einen sehr brutalen Kasper nennen kann. Auch Kasperls Fixierung auf sein leibliches Wohl ist deutlich abgemildert. Er verlangt zwar vom Herrn Maulschmidt im Rundfunk „ein Helles“ und auch bei dem chinesischen Speisewirt geht es ums Essen, aber dies bleiben die einzigen Anspielungen auf sein leibliches Wohl. Das Verhältnis von Kasperl zu seiner Frau Puschi scheint sehr liebevoll und überhaupt nicht sexuell aufgeladen, auch dies ist eine Veränderung zu früheren Kasperl-Figuren. In seiner äußeren Erscheinung entspricht Kasperl einem typischen Kinderkasper. Er trägt bunte, geflickte Kleidung und eine Mütze mit Schellen daran. Auch sein Verhalten gegenüber Kindern unterstreicht nochmal seine Funktion als Kinderkasper, denn sie sind die einzigen Personen von denen er sich etwas sagen lässt, im Gegensatz zu Erwachsenen, denen er Ohrfeigen gibt.
Die Komik
Die Komik des Kasperls entsteht durch sein absichtliches Nicht-Verstehen von Dingen und durch Situationen in denen er sich (absichtlich) verhört und somit Aspekte falsch versteht. Auch die sprechenden Namen, wie zum Beispiel „Maulschmidt“, tragen zur Komik bei. Die ontologische Überhöhung und das daraus entstehende Paradoxon im Nebelmonolog Kaspers, ganz zu Beginn des Hörspiels, findet sich in Ansätzen auch in Stücken von Franz von Pocci.
Ausstrahlungen
Frankfurt, SWR
Am 10. März 1932 wurde im SWR in Frankfurt von 19:45 - 20:45 Uhr das Hörspiel „Radau um Kasperl“ ausgestrahlt. Es war als Ratespiel konzipiert in dem die Kinder bei den einzelnen Radauszenen raten sollten worum es sich handelt und ihre Lösungen an den Sender schicken konnten. Die späte Sendezeit ist allerdings ungewöhnlich für ein reines Kinderhörspiel und so liegt die Vermutung nahe, dass der SWR die Zielgruppe dieses Hörspiels um erwachsene Zuhörer erweitern wollte. Der Handlungsablauf der Sendung entsprach wahrscheinlich einem bisher unveröffentlichten 7-seitigen Entwurf und unterscheidet in einigen Szenen von der Kölner Produktion. Die Frankfurter Produktion beginnt mit einer Szene auf dem Markt und die Szene im Nebel fällt dafür weg. Kasperl und Herr Maulschmidt scheinen sich dementsprechend auf dem Markt zu treffen, denn im Anschluss folgt die Szene im Rundfunkhaus, welche dann in die Flucht Kasperls übergeht und zu einer Szene im Hotel Bristol und dann erst zum Bahnhof führt. Danach folgt eine Szene im Zoo und eine Szene auf der Straße, mit sich anschließender Taxifahrt. Auch diese Produktion endet mit einer Szene in Kasperls Krankenzimmer. Charakteristisch für diese Sendung war die strikte Trennung von Wort- und Geräuschszenen, weiterhin bemerkenswert ist, dass Walter Benjamin bei dieser Produktion die Leitung inne hatte.
Köln, Werag
Ein halbes Jahr später, am 9. September 1932 um 16:20 - 17:00 Uhr fand die Ausstrahlung des Hörspiels im Jugendfunk des Westdeutschen Rundfunks (Werag) in Köln statt. Diese Sendung war 20 Minuten kürzer als die Frankfurter Produktion und war auch nicht mehr mit dem Charakter eines Ratespiels für Kinder verknüpft. Die Geräuschelemente, die in dieser Sendung noch vorhanden waren, waren keine kompletten Szenen mehr, sondern Hintergrundgeräusche, die teilweise auch von gesprochenem Text überlagert wurden. Die Szenenabfolge entspricht dem ausführlichen Textdokument und somit auch der oben angegebenen Handlung. Die Leitung hatte bei dieser Produktion Carl Heil.
Überlieferung
Dieses Hörspiel ist mit einem 28-seitigen, hektographierten Typoskript als einziger Textvorlage erhalten. Dieser Text enthält handschriftlich markierte Geräuscheinsätze und kann als Sendetext angesehen werden. In seiner Szenenaufteilung, den Rollen und der Sendedauer entspricht er der Kölner Sendung. Weiterhin existieren die Szenen „Kasperl auf dem Jahrmarkt“ und „Kasperl im Zoo“ als Tonaufnahmen. Sie stammen aus der Kölner Produktion und befinden sich im Deutschen Rundfunkarchiv auf einer CD mit dem Titel „Was Kinder gerne hör(t)en; Was Kasperl zu erzählen hat: Kinderlieder und -hörspiele aus dem Deutschen Rundfunkarchiv aufgenommen in den 1930er und 1950er Jahren“.
Literatur
Textausgabe
Kasperletheater für Erwachsene. Hg. v. Norbert Miller u. Karl Riha. Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1978.
Sekundärliteratur
Asper, Helmut G.: Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Emsdetten: Verlag Lechte 1980.
Ramm-Bonwitt, Ingrit: Possenreißer im Puppentheater. Die Traditionen der komischen Theaterfiguren. Bd.2. Frankfurt a. M.: Nold 1999.
Schiller-Lerg, Sabine: Walter Benjamin und der Rundfunk. Programmarbeit zwischen Theorie und Praxis. Bd.1. München, New York, London, Paris: Saur 1984.
Schott, Georg: Die Puppenspiele des Grafen Pocci. Ihre Quellen und ihr Stil. Frankfurt a. M. 1911.