Benutzer:DerMaxdorfer/Sarkophag der Seianti Hanunia Tlesnasa

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Sarkophag der Seianti Hanunia Tlesnasa

Als Sarkophag der Seianti Hanunia Tlesnasa wird der Sarkophag der wohlhabenden etruskischen Adeligen Seianti Hanunia, der Frau des Tlesna, bezeichnet, der als eines der schönsten Stücke der späten etruskischen Kunst gilt. Er stammt wohl aus dem zweiten Viertel des 2. Jahrhunderts v. Chr. und wurde in einem Grab in der Nähe der italienischen Stadt Chiusi im Norden Etruriens gefunden. Das Stück besteht aus Ton, der Deckel ist mit einer lebensgroßen, auf der Seite liegenden Rundplastik der Verstorbenen verziert. Da in dem Sarkophag auch das Skelett noch erhalten ist, ist ein Vergleich der realen Person mit ihrer Darstellung auf dem Deckel möglich.

Grabbeigaben aus Silber aus dem Grab der Seianti Hanunia Tlesnasa

Entdeckung und Fundkontext

Der Sarkophag wurde im Herbst 1886 entdeckt, als Oreste Mignoni, ein lokal tätiger berufsmäßiger „Ausgräber“, auf dem Grundstück von Felice Astori in Poggio Cantarello, vier Kilometer westlich der Stadt Chiusi, ein noch ungestörtes etruskisches Grab freilegte.[1] Im Gegensatz zu den meisten anderen etruskischen Gräbern war es anscheinend nicht Teil einer Nekropole, sondern lag auf Privatbesitz und war auch nur für die Bestattung einer einzigen Person vorgesehen. Die Anlage bestand aus einem schmalen Gang, der zu einer kleinen unterirdischen Kammer von etwa 2 x 1,75 Metern Ausmaße führte, die in den Stein gehauen war. Der Korridor war nach oben hin mit zwei Dachpfannen abgedeckt, auf denen jedoch unüblicher Weise der Name der Verstorbenen nicht notiert war.

Wandmalerei wurde in dem Grab nicht gefunden. Der Sarkophag stand quer an der Rückwand der Kammer auf einem niedrigen Podest und füllte den Raum in der Breite nahezu aus. Daneben enthielt die Kammer noch diverse Silberobjekte, die ursprünglich mit Nägeln an die Wand gehängt worden waren. Im Einzelnen waren dies: eine Situla, ein Aryballos, ein Parfümgefäß, eine Pyxis, ein Spiegel und eine Strigilis (wobei letztere sonst der gängigen Forschungsmeinung zufolge eigentlich ein typisch männliches Artefakt darstellt).[2] Die Objekte waren anscheinend nicht für den alltäglichen Gebrauch vorgesehen, sondern sollte als symbolische Ausstattung für das Leben im Jenseits dienen.[3]

Das British Museum in London erwarb 1887 den Sarkophag mit den sterblichen Überresten der Toten sowie fünf Silberobjekte zum Preis von 495 Pfund Sterling über den Kunsthändler und vormaligen Archäologen Wolfgang Helbig. Während die Grabbeigaben wohl in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren gingen, als sie zum Schutz vor deutschen Luftangriffen in Sicherheit gebracht werden sollten, ist der Sarkophag erhalten geblieben. Im Rahmen eines Forschungsprojekts am British Museum wurde das Skelett umfassend analysiert und das Aussehen der Verstorbenen rekonstruiert, was einen Vergleich mit ihrer Darstellung auf dem Sargdeckel ermöglichte (siehe unten).[4]

Ebenfalls in der Nähe von Chiusi wurde ein Grab aufgefunden, das einen ähnlichen Sarkophag beinhaltete, der sich heute im Museum XYZ befindet (allerdings ohne das Skelett). Die Bestattete trug den Namen Larthia Seianti, gehörte wohl zur Familie der Seianti Hanunia Tlesnasa und ist ungefähr in die selbe Zeit zu datieren.

Beschreibung

Der Sarkophag ist 1,80 Meter breit (entgegen anderen Angaben, die zwischen 1,81 und 1,90 Metern schwanken), die Tiefe beträgt 63,5 bis 71 Zentimeter und die Höhe 42,5 bis 43,5 Zentimeter (hinzu kommt noch die Höhe der aufgesetzten Skulptur, die bis zu 82 Zentimeter beträgt).[5] Er ist reich reliefiert und war mit leuchtenden Farben bemalt, die sich zum großen Teil, wenn auch etwas verblasst, bis heute erhalten haben. Der Kasten ist auf den beiden Seitenflächen und auf der Rückseite nicht weiter ausgeschmückt; auf der Vorderseite ist er abwechselnd mit Rosetten und Reliefdarstellungen von Architekturfragmenten verziert und trägt ganz unten die Beschriftung „Seianti Hanunia Tlesnasa“.[6] Der Familienname Seianti deutet auf eine Herkunft der Vorfahren aus der umbrischen Stadt Sentinum hin; da aber mehrere Generationen vor Seianti Hanunia Träger dieses Namens in Chiusi aus Inschriften bekannt sind, muss die Migration der Familie eine Weile vor ihrer Geburt stattgefunden haben.[7] Hanunia ist das persönliche Cognomen, das aber in der Familie Seianti üblich war und die weibliche Form des Namens Hanu darstellt. Tlesnasa bezieht sich auf den Ehemann der Verstorbenen, der zur Familie Tlesna gehörte, die (wie die Seianti) seit Längerem zur Oberschicht in Chiusi gehörte.[8]

Detail des Sarkophages: Oberkörper-Partie der Skulptur auf dem Deckel

Der Sarkophag ist mit zwei Deckelplatten abgedeckt, die zusammen 1,83 lang, maximal 75 cm breit und ungefähr 5 cm dick sind. Auf diesen findet sich als Verzierung die plastisch ausgearbeitete Skulptur einer weiblichen Figur in Lebensgröße, welche den Üblichkeiten etruskischer Grabkunst entsprechend die Verstorbene darstellen sollte. Auch diese Verzierung besteht aus zwei zusammengesetzten Einzelteilen, vermutlich, damit sie in die enge Grabkammer transportiert werden konnte. Bei der Abgebildeten handelt sich um eine „hübsche Frau mittleren Alters“ von „prallen, dabei aber wohlproportionierten Formen“,[9] die auf einer Matratze ruht. Sie liegt auf ihrer linken Seite, lehnt mit dem linken Unterarm auf einem violetten Kissen und richtet ihren Oberkörper auf. In der linken Hand hält sie einen Klappspiegel, der zwar geöffnet ist, über den sie jedoch hinwegblickt. Der rechte Arm ist angehoben und hält eine Art Manteltuch, das über den Hinterkopf gezogen ist und auf beiden Seiten des Gesichts herabfällt. Darunter trägt sie ein helles bodenlanges ärmelloses Gewand, das unterhalb der Brust mit einem goldenen Gürtel zusammengehalten wird und dabei feine Falten wirft.

Das Haar ist von kastanienbrauner Farbe. Der Scheitel befindet sich in der Mitte des Kopfes, von ihm ausgehend sind die Haare in leichten Wellenlinien nach hinten gekämmt. Die Dargestellte trägt goldene Ohr-, Hals-, Arm- und Fingerringe.

Analyse des Skeletts

  • Seianti Hanunia war zum Zeitpunkt ihres Todes über 50 Jahre alt und übergewichtig
  • An ihrem Kiefer und ihrer Hüfte wurden Spuren schwerer früherer Verletzungen festgestellt, die sie sich wohl im frühen Erwachsenenalter zugezogenen hatte, vielleicht durch einen Reit- oder Verkehrsunfall –> hat wohl kein schmerzfreies Leben geführt
  • Die Abbildung auf dem Sarkophagdeckel zeigt also ein idealisiertes Portrait

Literatur

  • Friederike Bubenheimer-Erhart: Die Etrusker. 2. Auflage, Philipp von Zabern, Mainz 2017, ISBN 978-3-8053-5073-0, S. 135.
  • Judith Swaddling, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3.

Einzelnachweise

  1. Zum Grabbefund und der Geschichte der Objekte siehe Birgitte Ginge: The Sarcophagus, the Tomb and the Seiante Family in their Archaeological Context. In: Judith Swaddling, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3, S. 10–15, hier S. 11 f.
  2. Zu den Grabfunden: Henry Beauchamp Walters: Catalogue of the Silver Plate (Greek, Etruscan and Roman) in the British Museum. The British Museum, London 1921, S. 6 f. (Abbildung der Funde auf Tafel 4).
  3. Judith Swaddling: The World Seianti Knew. In: Dieselbe, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3, S. 2–6, hier S. 5.
  4. Judith Swaddling: The Seianti Project. in: Dieselbe, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3, S. 1.
  5. Die genauen Maßangaben finden sich in: A. Barlow u. a.: A Technical Investigation of the Life-Sized Painted Terracotta Figure. In: Judith Swaddling, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3, S. 41–48, hier S. 42 mit Zeichnung 1.
  6. Corpus Inscriptionum Etruscarum, Nr. 1454.
  7. Judith Swaddling: The World Seianti Knew. In: Dieselbe, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3, S. 2–6, hier S. 4 f.
  8. Birgitte Ginge: The Sarcophagus, the Tomb and the Seiante Family in their Archaeological Context. In: Judith Swaddling, John Prag (Hrsg.): Seianti Hanunia Tlesnasa. The Story of an Etruscan Noblewoman (= The British Museum Occasional Paper. Nummer 100). The British Museum, London 2002, ISBN 0-86159-100-3, S. 10–15, hier S. 13 f.
  9. Zitate aus: Friederike Bubenheimer-Erhart: Die Etrusker. 2. Auflage, Philipp von Zabern, Mainz 2017, ISBN 978-3-8053-5073-0, S. 135.